„Sehr geehrter Dr. Stelter,
Jens Berger von den „Nachdenkseiten“ hat sich an das Thema „Target2“ herangewagt und einen äußerst abstrusen Artikel dazu geschrieben. Zuerst verortet er alle Ökonomen, die die (für Deutschland) hohe Target2-Summe von fast einer Billion Euro kritisieren, in die rechte Ecke. Außerdem seien diese irgendwie Scharlatane. Dann geht er dazu über, das Target2-System so zu erklären, als würde man einfach so die Forderungen und die Schulden so hin und her buchen, bis sie sich irgendwann in Luft aufgelöst haben …
Mich hatten schon einige angeschrieben, die in diesem Portal sachliche Kritik geübt haben und deren Texte sofort gelöscht wurden. Was an Kommentaren übrig geblieben ist, spricht für sich.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich diesen Herrn einmal zur Brust nehmen.“
- Tja, ich kannte die Seite bisher nicht und war vor allem wegen des Titels sehr neugierig. Kann ich doch für mich nur festhalten, dass ich beim Thema Target2 ob der verschiedenen Argumentationslinien auch immer ins Schwanken gerate und wenn man mir eine allumfassende Erklärung bietet, freut mich das natürlich. Also schauen wir es uns mal an:
„Die Target-Salden des EZB-Systems sind zweifelsohne ein echtes Mysterium. Es gibt wohl keinen Bilanzposten, über den so viel diskutiert und gleichzeitig so wenig wirklich gewusst wird. Nun wird gar schon von einer ‚Billionen-Bombe‘ gesprochen und Talkshowökonomen wie Hans-Olaf Henkel und Thomas Mayer fabulieren schon von einem Nachfolger namens ‚Target 3‘, ohne je verstanden zu haben, was ‚Target 2‘ eigentlich ist.“ – bto: Es ist in der Tat ein schweres Thema, weil die Wertigkeit der Position umstritten ist. Thomas Mayer als ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank ist kein Talkshowökonom, Hans-Olaf Henkel ist sicherlich kein Volkswirt, sondern in diesem Kontext ein Politiker. Maßgeblich dürfte ohnehin nur Hans-Werner Sinn sein. - „Dabei muss man noch nicht einmal Geldtheoretiker oder Experte für Bankwirtschaft sein, um sich zumindest einen Überblick zu verschaffen, was man unter ‚Target 2‘ zu verstehen hat. Es lohnt sich, denn wenn man erst einmal verstanden hat, um was es geht, merkt man, wie unsinnig die Talkshowökonomen argumentieren und dass die Debatte vor allem nationalistisch geprägt ist.“ – bto: Das ist natürlich eine problematische Argumentation. Man kann doch aus einer ökonomischen Diskussion, die über einen erheblichen Vermögenswert streitet – so die Sichtweise der einen Seite – nicht schließen, dass diese „nationalistisch“ ist.
- „Bis 2012 wussten nur Experten für Zentralbankbilanzen, dass es so etwas wie ‚Target-Salden“ überhaupt gibt. Dann schrieb der Talkshow-Ökonom Hans-Werner Sinn ein reißerisches Buch über ‚die Target-Falle‘, ‚die Gefahren für unser Geld und unsere Kinder‘ und plötzlich geisterten die Target-2-Salden durch die Wirtschaftsteile der Zeitungen, die ohnehin nicht im Verdacht stehen, sonderlich kompetent in finanzwirtschaftlichen Fragen zu sein.“ – bto: Hier stimme ich beim letzten Satz ausdrücklich zu und gehe dann natürlich davon aus, dass der Autor im Unterschied zu den Zeitungen kompetenter ist.
- „Die Target-Debatte ist eine rein deutsche Debatte. In keinem anderen Euroland sind die Target-Salden ein Thema. (…) Die Salden werden dabei stets als eine Art Kredit interpretiert, für den ‚wir‘ haften müssen.“ – bto: Bekanntlich sind große, unbesicherte und zinslose Forderungen, so es sich hierbei darum handelt, immer nur für den Kreditgeber ein Problem. Aus der Tatsache, dass es in den anderen Ländern kein Thema ist, zu schließen, dass es kein Thema sei, ist ziemlich weit gesprungen.
- „Doch diese Interpretation ist wirklich komplett absurd. Es fällt einem wirklich schwer, derartige Artikel überhaupt ernst zu nehmen und man weiß gar nicht, wo man denn jetzt mit seiner Kritik anfangen soll – denn streng genommen sind diese Artikel von vorne bis hinten ausgemachter Blödsinn.“ – bto: Und jetzt kommt die Aufklärung für all jene, die zu dumm oder zu nationalistisch sind. Da freue ich mich drauf.
- „Um die jeweiligen Zentralbankbilanzen sauber zu bilanzieren, gibt es im EZB-System ein sogenanntes Rechnungsabgrenzungssystem mit dem Namen Target 2. In unserem Beispiel bucht die Banca d´Italia nun eine Target-2-Forderung in Höhe von 100 Euro gegenüber dem Target-2-System. Die Bundesbank bucht spiegelbildlich eine gleichhohe Target-2-Verbindlichkeit und nun sind bei allen Beteiligten die Salden wieder ausgeglichen, die Forderungen entsprechen exakt den Verbindlichkeiten. In internen Bilanzen des EZB-Systems führt daher jede Zentralbank einen Rechnungsabgrenzungsposten Target 2 – dieser kann auf der Seite der Forderungen oder auf der Seite der Verbindlichkeiten stehen.“ – bto: Und er widerspiegelt privatwirtschaftliche Zahlungsströme zwischen den Mitgliedsländern des Euro. Er widerspiegelt auch unterschiedlich schnelle Geld- = Kreditschöpfung in den einzelnen Ländern, die wiederum zu entsprechender realwirtschaftlicher Nachfrage führen. Gehen wir davon aus, dass es letztlich diese Güter sind, die einen Wert darstellen, haben wir durchaus eine Verschiebung über Landesgrenzen hinweg, was zwischen Ländern durchaus eine Rolle spielt, ohne nationalistisch zu sein.
- „Wenn Björn Massimo Geld überweist, ist dies keine Kreditvergabe. Für die Geschäftsbanken macht es überhaupt keinen Unterschied, ob die Überweisung nun an eine deutsche oder italienische Bank geht. Und die Banca d´Italia hat der Bundesbank in diesem Beispiel selbstverständlich auch keinen ‚öffentlichen Überziehungskredit‘ gegeben, wie es Hans-Werner Sinn so gerne formuliert, und mit einem ‚Risikotransfer‘, den Thomas Mayer zu erkennen glaubt, hat dies auch überhaupt nichts zu tun. Eine Geschäftsbank lässt eine Überweisung selbstverständlich nur dann zu, wenn das Konto gedeckt ist – ob die Überweisung national oder international ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Und wenn dauerhaft mehr Überweisungen von einem Euroland ins andere stattfinden und die Salden sich dauerhaft auseinanderbewegen, werden keine Risiken, sondern Guthaben transferiert.“ – bto: hm. Die Frage ist doch, woher kommen die 100 Euro auf dem Konto, die überwiesen werden. Diese sind definitiv die Folge eines Verschuldungsaktes, denn nur so entsteht neues Giralgeld. Nun kann es sein, dass dieser Verschuldungsakt eine Weile zurückliegt. Es kann aber auch sein, dass dieses Geld gerade erst geschaffen wurde, entweder direkt als Kreditvergabe für dieses Konto oder indirekt für jemand anderen, der dann Lohn oder etwas anderes damit gezahlt wird. Damit ist es eine Verschiebung einer bestehenden Forderung, nicht das Schaffen einer neuen Forderung. Beides ist aber relevant, vor allem, wenn es Zweifel an der dahinter liegenden Qualität der Beleihungsgrundlage gibt. Das muss man, wenn man das Thema so aufklärerisch präsentiert, auch diskutieren. Oder …
- „Vielleicht geht es gar nicht um die Sache, sondern man sucht nur einen möglichst abstrakten Weg, um nationalistisch gegen andere Euroländer zu poltern. Nicht umsonst gehören fast alle ‚Target-Kritiker‘ zu den Eurogegnern, deren politisches Sprachrohr die AfD ist.“ – bto: Das ist eine Frechheit und eine zudem sehr bequeme Möglichkeit sich unwillkommener Kritik zu entledigen.
- „Vielleicht liegt aber wirklich ein Denkfehler vor. Der wird dann wohl vor allem daher kommen, dass viele Ökonomen, die sich nie ernsthaft mit dem doch sehr eigenen Rechnungswesen der Zentralbanken beschäftigt haben, Zentralbanken nicht nur mit Geschäftsbanken, sondern sogar mit normalen Unternehmen gleichsetzen. (…) Doch die Zentralbanken des EZB-Systems sind feste Teile des EZB-Systems und können als Zentralbanken auch nicht pleite gehen.“ – bto: ja, weil sie beliebig viel Geld herstellen können. Doch was heißt dies übersetzt? Nichts anderes, als dass man wertlose Forderungen mit wertlosen Forderungen begleicht. Aus Sicht der Struktur des Auslandsvermögens Deutschlands ist es dennoch ein Verlust. Besser wäre, die Bundesbank kaufte damit in den Krisenländern oder wir tun es beispielsweise über einen Staatsfonds
- „Was passiert, wenn ein Land den Euro verlässt? Dann würde eine von 19 Zentralbanken aus dem EZB-System ausscheiden und die Target-2-Salden würden sich neu berechnen. Die Vorstellung, nach der übrigens die Zentralbanken oder gar die Regierungen der Euroländer irgendwelche daraus resultierenden Defizite durch reale Gelder ausgleichen müssten, ist komplett abwegig. Daher ist die Horrorvorstellung, ‚wir‘ würden mit ‚einer Billion Euro‘ für was auch immer haften, auch aus fachlicher Sicht absurd.“ – bto: Nein, es bleibt der Umstand, dass wir realwirtschaftliche Güter gegen eine Kontoposition getauscht haben, die zwar nicht wertlos werden kann, weil sie keinen Wert hat und deshalb irrelevant ist.
- „Warum hat die Bundesbank denn nun fast eine Billion Euro Target-2-Forderungen an das Target-System der EZB? Zum einen ist dafür die Realwirtschaft verantwortlich. Deutschland ist Exportüberschussweltmeister und liefert wesentlich mehr Güter in die anderen Euroländer, als es von dort importiert. So was wollen deutsche Ökonomen und Finanzjournalisten, die jegliche Kritik am Exportüberschussmodell ablehnen, natürlich nicht hören.“ – bto: Auch das ist eine haltlose Behauptung. Denke ich an bto, so ist Kritik an dem Handelsüberschuss Tradition.
- „Zum anderen geht es hier jedoch auch um Kapitalflucht. (…) Paradoxerweise lassen also gerade die Euro-Rausschmiss-Fantasien der deutschen Talkshowökonomen die Target-Salden der Bundesbank indirekt mit ansteigen. Sinn und Co. regen sich also über Entwicklungen auf, die sie zum Teil selbst zu verantworten haben.“ – bto: wow. Klar, ich denke auch, dass die in Italien Hans-Werner Sinn brauchen, um auf die Idee zu kommen, ihr Geld in Sicherheit zu bringen.
- „Die Debatte ist auch deshalb eine rein deutsche Debatte, weil in Deutschland die unseriösesten Ökonomen von ebenso unseriösen Finanzjournalisten auf ein Podest gehoben werden. Es ist kaum vorstellbar, dass beispielsweise die Financial Times einem Hans-Werner Sinn Raum für dessen esoterische Ergüsse geben würde.“ – bto: Tja, wenn Herr Berger die FT lesen würde, wüsste er, dass dies nicht stimmt. Herr Sinn hat dort mehrfach publiziert.
- „Olaf Storbeck, einer der wenigen guten Finanzjournalisten, fasste dies im Kontext der Target-Debatte schon vor Jahren mit dem griffigen Satz zusammen: ‚Ein VWL-Student, der so [wie Hans-Werner Sinn] argumentiert, würde durchs Examen fallen.‘ Und Storbeck hat damit vollkommen Recht. Auf internationaler Ebene findet sich daher auch kein namhafter Ökonom, der die deutschen ‚Medien-Thesen‘ zu den Target-Salden teilen würde und generell gibt es keinen einzigen mir bekannten Zentralbankexperten, der derartige Thesen teilt. Ganz im Gegenteil.“ – bto: was allerdings damit zusammenhängt, dass sie entweder Länder vertreten, die davon profitieren oder aber als Vertreter der Zentralbanken keine weitere Unruhe wollen.
- Er führt dann eine lange Liste von internationalen Ökonomen an, die keine Bedenken wegen Target2 haben, um dann zu schreiben: „Vom Fach sind auch die beiden Zentralbank-Ökonomen Willem H. Buiter (LSE, Yale, Bank of England) und Ebrahim Rahbari (LBS, Oxford, Citigroup), die die fachlichen Hintergründe von ‚Target 2‘ ebenfalls in einem für Laien unverständlichen, aber für Ökonomen äußerst lehrreichen wissenschaftlichen Papier zusammengetragen haben.“ – bto: hm. Was sagt doch der hier zitierte Willem Buiter: „Willem Buiter, Citigroup’s chief economist and a former UK rate-setter, says weaker EMU central banks are little more than currency boards. They can go bankrupt and are not ‚credible counterparties‘. He argues that the ECB may ultimately have to suspend funding lines to ‚irreparably insolvent‘ central banks in order to protect itself.” Klingt für mich nicht so, wie hier insinuiert. Hier zu finden: → Uscitalia: Die Stimmen der anderen
- „Es hätte auch den deutschen ‚Talkshow-Ökonomen‘ freigestanden, sich diese Facharbeiten und Artikel einmal anzuschauen und auf wissenschaftlicher Ebene eine Debatte zu führen, wenn sie denn tatsächlich Gegenargumente hätten. Doch diese Gelegenheit wurde nie wahrgenommen, obgleich man nun bereits sieben Jahre Zeit hatte. Doch die toben sich lieber in abstrusen Hysterie-Artikeln in den deutschen Medien aus. Woran das wohl liegen wird?“ – bto: einfach Target2 bei bto eingeben und man findet eine Fülle an fundierten Artikeln von beiden Seiten zu dem Thema. Also aufhören mit der Polemik und tiefer in das Thema einsteigen, würde ich sagen.
Was mich betrifft: Ich wollte noch mehr über Target2 wissen, als hier geboten wird.
→ nachdenkseiten.de: „Was Sie schon immer über Target 2 wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“, 17. August 2018
Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com