Welt im Netz – wie wir ver­raten & ver­kauft werden

Die Welt, in der wir leben, hat sich in den letzten 15 Jahren grund­legend ver­ändert. Der Übergang vom ana­logen zum digi­talen Zeit­alter verlief so krass wie kein anderer in der Mensch­heits­ge­schichte. Die Grenzen zwi­schen Öffent­lichkeit und Pri­vat­sphäre sind fließend geworden und der Drang zur Selbst­in­sze­nierung hat uns zu einer nar­ziss­ti­schen Gesell­schaft der Selbst­ver­liebten gemacht. Mehr Schein als Sein ist die Devise und das bedin­gungslose Unter­ordnen unter die Flagge des Main­streams. Ganz gleich, ob Wis­sen­schaft, Kunst, Politik oder Öko­nomie, überall regieren die gleichen Gesetz­mä­ßig­keiten. Selbst soziale Netze dienen nur einem Zweck: Der totalen Kom­mer­zia­li­sierung. Der Kunde ist die Wer­be­wirt­schaft und wir selber werden als Produkt her­um­ge­reicht, um für die Kunden attraktiv zu sein. Der mas­sen­ka­pi­ta­lis­tische Hund jagt seinen eigenen Schwanz. Selbst welt­weite Pro­zesse wie die Glo­ba­li­sierung werden über unsere Köpfe hinweg dazu miss­braucht, einen gna­den­losen Raubbau an der Umwelt, an Res­sourcen und bil­ligen Arbeits­kräften zu betreiben. Wie beim Kin­der­mar­keting, wo über die Köpfe der Eltern hinweg eine unheilige Allianz zwi­schen Kids und Wer­be­industrie geschmiedet wird, ebnet die Politik denen den Weg, die unein­ge­schränkten Profit ohne Rück­sicht auf Ver­luste zum Maß aller Dinge erheben. Unser gesamtes Denken und Tun wird durch hyper­in­tel­li­gente Algo­rithmen sys­te­ma­ti­siert und aus­ge­wertet. Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes ver­raten und ver­kauft und der glä­serne Mensch ist nur noch eine Frage der Zeit, wenn wir uns nicht wehren.
Das Pan­op­tikum
Der eng­lische Sozi­al­re­former Jeremy Bentham, der schon im 19. Jahr­hundert für Frau­en­wahl­recht und Pres­se­freiheit eintrat, ent­wi­ckelte mit dem Pan­op­tikum ein Modell-Gefängnis, das der Phi­losoph Michel Fou­cault 200 Jahre später als Symbol für den Über­wa­chungs­staat moderner Prägung wählte. Das Prinzip ist schnell erklärt: Zellen umschließen einen runden Hof, in dessen Mitte ein Über­wa­chungsturm steht, sodass alle Zellen vom Turm aus ein­sehbar sind. Jeder Zel­len­in­sasse fühlt sich beob­achtet und muss für jedes Ver­halten, das von der Norm abweicht, Strafe befürchten. Die Zellen selber sind so ange­ordnet, dass es für die Insassen kein Ver­steck vor den kon­trol­lie­renden Blicken der Wächter gibt. Da die Ein­ge­sperrten nicht sehen können, ob sie sich gerade im Blickfeld der Wächter befinden oder nicht, trägt allein die Mög­lichkeit, dass sie beob­achtet werden, zu einer per­ma­nenten Ver­un­si­cherung bei. Sinn des pan­op­ti­schen Prinzips ist es, an Orten großer Zusam­men­ballung von Men­schen für Dis­ziplin zu sorgen, ganz gleich, ob es sich um Gefäng­nisse oder Fabriken handelt. Denn Schwer­ver­brecher, die sich im Knast zusam­men­rotten oder rebel­lie­rende Arbeiter, die sich zum Streik ver­ab­reden, sind eine Gefahr für die Herr­schenden. Das Pan­op­tikum lenkt den Mob aber nicht nur in kon­trol­lierbare Bahnen, sondern es zwingt ihn mit ver­gleichs­weise geringem Aufwand auch bestimmte Ver­hal­tens­weisen auf, die er so sehr ver­in­ner­licht, dass er letzten Endes sein Wesen ver­ändert, ohne dabei Zwang zu emp­finden. Dieses Auf­ok­troy­ieren bestimmter Normen soll als völlig normal emp­funden und als fester Bestandteil des all­täg­lichen Lebens akzep­tiert werden.
Über­tragen auf unser Onlin­ever­halten sind also schlei­chende Kom­mer­zia­li­sierung, die Pro­dukt­emp­feh­lungen via Facebook und unsere mas­sen­kom­pa­tible Gefällt-mir-Kultur nichts anderes als hoch­gradig pan­op­tische Merkmale, wobei noch syn­op­tische hin­zu­kommen – also die Sicht in umge­kehrter Richtung –, da jeder heute ein Beob­achter von allem ist und gleich­zeitig ein von allen Beob­ach­teter. Das per­fekte syn­op­tische Panoptikum!
Wenn unsere Smart­phones wirklich nur dafür genutzt würden, unseren Wis­sens­ballast aus­zu­lagern und uns aufs Wesent­liche zu kon­zen­trieren, wäre das eine feine Sache. Doch dum­mer­weise ist das genaue Gegenteil der Fall. In Zügen herrscht eine gespenstige Stille, weil sich niemand mehr mit dem anderen unterhält. Jeder sitzt vor seinem Smart­phone oder Tablet und postet viel­leicht gerade, dass er im Zug sitzt und wie lang­weilig die Zug­fahrt doch ist. Das Bei­spiel zeigt die große Gefahr dieses tech­ni­schen Spiel­zeugs, weil es uns – nicht alle, aber bedenklich viele – vom Unmit­tel­baren abhält. Der Sucht­effekt ist so stark, dass die wenigsten dagegen ankommen, ja er ist im Grunde gewollt. Denn Men­schen, die nur noch mit Flat­rates, neu­esten Apps und tech­ni­schem Fir­lefanz beschäftigt sind, müssen sich keine Gedanken darüber machen, was sie mit ihrer Zeit anstellen sollen. Sie kommen nicht auf die Idee, sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen – davon, was tat­sächlich abgeht. Aber sie glauben, sie wüssten es besser als je zuvor, weil sie ja online sind und jederzeit alles wissen können. Das ist ein fataler Trugschluss!
Das Buch zeigt die Fall­stricke auf, denen wir an allen Ecken und Enden der Gesell­schaft erliegen. Es zeigt aber auch, wie wir ent­fes­selten Tur­bo­ka­pi­ta­lismus zähmen und uns dem Ein­fluss über­mäch­tiger Welt­kon­zerne ent­ziehen können.