Das Ende der freien Gesellschaft

Konrad Kustos kom­men­tiert nicht mehr, nachdem Links­extreme in seine per­sön­liche Lebens­wirk­lichkeit ein­ge­drungen sind. „Wenn die Repression zu stark wird, bleibt nur das Opfer oder die Flucht“ schreibt er auf seinem Blog. Ist das Ende der freien Gesell­schaft bereits erreicht oder steht es kurz bevor?

Auf­ge­wachsen im Dritten Reich

Meine Mutter ist im Dritten Reich auf­ge­wachsen. Sie war Jahrgang Dezember 1926, wurde also 1933 ein­ge­schult und hat ihre gesamte Schulzeit in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus ver­bracht. Acht Jahre Volks­schule, nach sechs Jahren begann bereits der Krieg und der Unter­richt fiel immer öfters aus. Sie hat in ihrer gesamten Kindheit und Jugend bis zu ihrem 19. Lebensjahr, also der Zeit, in der unser Weltbild maß­geblich grund­gelegt wird, niemals ein Kor­rektiv zur NS-Ideo­logie ken­nen­ge­lernt. Das war nicht ihre Schuld. Dafür konnte sie nichts. Und meine Mutter war keine Den­kerin, sie war ein reiner Gefühls­mensch. Eine her­zensgute, sehr lie­be­volle Frau und Mutter, aber voll­kommen unre­flek­tiert und völlig unfähig zur Selbst­kritik. Sie war kein Nazi, aber ein ast­reiner Mitläufer.
Ihre Ansichten, zum Bei­spiel ihre ins­gesamt positive Bewertung Hitlers und den latenten Anti­se­mi­tismus, den man ihr jah­relang ein­ge­impft hatte, behielt sie bis zu ihrem Lebensende mit 86. Sie hätte wahr­scheinlich nie einem Juden irgend­etwas Böses zu Leibe getan, so wie auch heute die meisten Muslime anderen nichts Böses tun. Sie war, wie gesagt, ein her­zens­guter Mensch. Wahr­scheinlich hätte sie, wenn sie einen Juden hinter einem Zaun gesehen und dieser hungrig und durstig gewesen wäre, ihm Wasser zu trinken und ein Stück Brot gegeben. Aber wenn sie gehört hätte, dass jemanden einen Juden zusam­men­ge­schlagen hat oder dass wieder einer abtrans­por­tiert worden war, dann hätte sie ent­weder gar nichts gesagt oder viel­leicht etwas in der Art: „Mit den Juden gibt es immer Ärger“.

Von der Schwie­rigkeit der Reflexion und (Selbst)-Kritikfähigkeit

Auch nach 1945 hat sie all das nie kri­tisch reflek­tiert. Reflek­tieren war generell nicht ihr Ding. Sie musste oder wollte zusehen, wie sie mate­riell und emo­tional über­leben konnte. Und wenn sie ange­fangen hätte, jetzt Fragen zu stellen, dann hätte sie sich auch fragen müssen, warum sie das alles innerlich mit­ge­macht hatte. Dies hätte unwei­gerlich in Selbst­vor­würfen geendet, die dem Selbst­wert­gefühl und damit dem gesamten Lebens­gefühl nicht zuträglich sind.
Außerdem hätte sie sich wohl ein­ge­stehen müssen, dass sie so war, wie andere sie gemacht haben, dass sie nicht die Kraft hatte, sich selbst so zu gestalten, wie es viel­leicht richtig gewesen wäre. Stellen Sie sich vor, wie sich diese Erkenntnis auf das Selbstbild aus­wirkt. Wie soll ein Mensch sich ein­ge­stehen, nur eine Mario­nette anderer zu sein? Was würde das mit ihm machen? Wie könnte er dann noch Achtung vor sich selbst haben?

Haupt­sache „Frieden“

Von dem Abbau der freien Gesell­schaft, der ab 1933 sofort ein­setzte, hat meine Mutter zwar ein wenig mit­be­kommen, aber immer nur am Rande. Da ver­schwand mal eine jüdische Familie aus dem Dorf oder der Nach­bar­ge­meinde. Aber Genaueres wusste man nicht und wollte es auch nicht wissen. Da wurde viel­leicht mal jemand ein­ge­schüchtert, aber man war ja selbst nicht betroffen, und viel­leicht hatte er ja auch was Blödes oder Unver­schämtes gesagt. Wozu ein­mi­schen? Wozu nach­fragen? Das hätte unter Umständen unan­genehm werden können für einen selbst.
Machen wir uns nichts vor, liebe Leser, so oder so ähnlich ticken die meisten. Sie wollen ihre Ruhe, ihren „Frieden“ haben, wie sie es nennen. Sie wollen mit der Masse konform gehen, um keine Schwie­rig­keiten zu bekommen. Schwie­rig­keiten mögen sie nicht. Sie mögen Har­monie und „Frieden“. Frauen übrigens noch mehr als Männer. Und wer die Har­monie und den „Frieden“ stört, der wird primär eben als genau das wahr­ge­nommen: als Störer des „Friedens“, der Har­monie, als einer, der „die Gesell­schaft spaltet“.

Kustos kom­men­tiert nicht mehr

Einer, der „den Frieden störte“ und „die Gesell­schaft zu spalten suchte“, war bislang Konrad Kustos. Aber bei ihm hat es sich nun aus­ge­spaltet. Links­extreme sind in seine per­sön­liche Lebens­wirk­lichkeit ein­ge­drungen und seine kör­per­liche Ver­fassung erlaubt es ihm nicht, diesen Kampf anzu­nehmen, wie er selbst schreibt. Nachdem an seine Woh­nungstür in roter Farbe „Hier wohnt ein Nazi“ geschmiert und sein Auto fahr­un­tauglich gemacht wurde – wir denken an all die bren­nenden Autos von AfD-Mit­gliedern und die tät­lichen Angriffe auf Herrn Junge inklusive gebro­chenem Jochbein -, hat er seinen Blog eingestellt.

Konrad Kustos Abschiedsworte

„Über den Verlust an Demo­kratie zu schreiben ist eine Sache, ihn zu erleben eine andere. Der mate­rielle Schaden ist beherrschbar, der mentale nicht. Der Hass und die Gewalt der­je­nigen, die sich für die Gerechten halten, sind in meiner per­sön­lichen Lebens­wirk­lichkeit ange­kommen, und ich weiß derzeit nicht, ob und wie es enden wird. 
Was ich weiß, ist, wie ich damit umgehen werde: Meine kör­per­liche Ver­fassung erlaubt mir nicht, den Kampf auf­zu­nehmen; ich werde mich dem Terror beugen. Von heute an ruht dieser Blog dau­erhaft in der Hoffnung, seinen Autor aus der Schuss­linie der Into­leranz zu führen. Man möge mich der Feigheit bezich­tigen oder dieses Statement als Aus­druck des Pro­testes betrachten, aber Fakt ist, diese Stimme für die Freiheit, für den geis­tigen Aus­tausch und gegen Gewalt und Into­leranz ver­stummt ab heute. Wenn die Repression zu stark wird, bleibt nur das Opfer oder die Flucht.
Die Rasanz, mit der sich diese Republik auflöst, ist noch erschre­ckender als die Tat­sache an sich. Eine Trend­wende wird immer unwahr­schein­licher, auch weil die Indok­tri­nation der nach­wach­senden Gene­ra­tionen durch Medien, vir­tuelle Welt­sichten und das Wer­te­be­wusstsein des neuen Milieus bei gleich­zei­tigem Aus­sterben der noch demo­kra­tisch geprägten Men­schen voranschreitet.“

Der Mensch in seiner Durchschnittlichkeit

Konrad Kustos hat die Warnung wohl ver­standen. Er hat ver­standen, was ihm blüht, wenn er wei­ter­macht. Wenn er einfach nur seine Meinung äußert. Wenn er von seinen Frei­heits­rechten Gebrauch macht, um sich für Freiheit und Demo­kratie, für eine geistig offene Gesell­schaft ein­zu­setzen. Und er hat seine ganz per­sön­lichen, nur allzu ver­ständ­lichen Kon­se­quenzen daraus gezogen.
Machen wir uns auch hier nichts vor, auch das werden die meisten von uns nicht mit­be­kommen und wenn doch, wird es viele nicht wirklich inter­es­sieren oder sie werden es für sich selbst schön­reden. Die Mehrzahl der Men­schen sind keine Denker und keine Helden. Und sie sind nicht ehrlich, auch nicht sich selbst gegenüber. Sie wollen über­leben, sie wollen ihre Ruhe haben. Sie wollen „ihren Frieden“ haben und natürlich ihren Konsum. Andere Werte kennen sie kaum noch.
 
Hier geht es zum Blog von Konrad Kustos: Ende mit Schrecken.


Erst­ver­öf­fent­li­chung auf www.juergenfritz.com
Titelbild: Ori­gi­nalfoto von der Woh­nungstür von Konrad Kustos „kor­ri­gierte Hetze“