Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns ruiniert

Im ver­gan­genen Herbst erschien im Finanz­Buch­Verlag das Buch Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns rui­niert von Daniel Stelter. Wir würden in Deutschland in der scheinbar besten aller Welten leben, so Stelter, doch schon bald fest­stellen, dass wir nicht das reiche Land sind, das uns Medien und Politik glauben machen wollen. Denn der Boom der hie­sigen Wirt­schaft sei nicht unser Ver­dienst, sondern in erster Linie eine Folge der tiefen Zinsen, des schwachen Euro und des Ver­schul­dungs­exzesses im Rest der Welt. Um unseren Wohl­stand zu sichern, müssten die regie­renden Poli­tiker den aktu­ellen Auf­schwung nutzen, um in Infra­struktur, Bildung und Digi­ta­li­sierung und somit in die Zukunft des Landes zu inves­tieren. Doch statt­dessen werfen sie das Geld für höhere Renten und Sozi­al­aus­gaben zum Fenster raus.
Andreas Mar­quart hat mit Daniel Stelter über sein Buch gesprochen.

In ihrer Regie­rungs­er­klärung im März ver­gan­genen Jahres räumte Bun­des­kanz­lerin Merkel zwar ein, dass die Gesell­schaft in Deutschland gespalten sei, es den Deut­schen aber so gut wie nie ginge. Sie sagen, das sei ein ‚Märchen‘ und die Politik würde uns ruinieren…

Daniel Stelter

Vor­der­gründig geht es uns Deut­schen auch sehr gut. Noch nie waren so viele Men­schen seit der Wie­der­ver­ei­nigung beschäftigt, die Arbeits­lo­sigkeit ist auf einem Tiefst­stand, die Exporte brummen und auch die Bin­nen­nach­frage ist solide. Aller­dings mehren sich Anzeichen für eine deut­liche Ein­trübung der Kon­junktur und zudem basiert der Boom, den das Land in den letzten Jahren erlebt hat, auf Fak­toren, die weder gesund noch nach­haltig sind: viel zu tiefen Zinsen und einem schwachem Euro – beides Folgen der “Ret­tungs­po­litik” der EZB – , einem Ver­schul­dungsboom im Ausland, was die Nach­frage nach deut­schen Gütern erst ermög­licht, und einer Indus­trie­struktur, die zwar noch von dieser Son­der­kon­junktur pro­fi­tiert, im Kern aber aus dem Kai­ser­reich stammt und in Zukunft vor erheb­lichen Her­aus­for­de­rungen steht. Für diese Her­aus­for­de­rungen und auch die Folgen des unver­meid­lichen demo­gra­phi­schen Wandels hat die Politik nicht vor­ge­sorgt. Im Gegenteil hat sie die guten Jahre nicht genutzt, um das Land besser auf­zu­stellen, sondern auf Konsum und teure Wahl­ge­schenke gesetzt.
Die Indus­trie­kultur stammt aus dem ‚Kai­ser­reich‘? Das müssen Sie erklären…
Das ist jedem, der mit etwas Abstand auf die Stützen der deut­schen Wirt­schaft blickt, klar: Auto­mo­bil­in­dustrie, Maschinen- und Anla­genbau, Chemie – alles Wirt­schafts­zweige, die ihre Wurzeln noch im Kai­ser­reich haben. Andere Bereiche, wo Deutschland einst führend war, sind mitt­ler­weile woanders behei­matet. Denken Sie an Pharma, Unter­hal­tungs­elek­tronik und Foto­graphie. Der Com­puter wurde zwar in Berlin erfunden, das war es aber auch schon. Außer mit SAP haben wir in neuen Indus­trien nichts zu melden.
Und woran liegt das?
Meines Erachtens ist es ein tief­grei­fendes kul­turell-gesell­schaft­liches Problem. Was kann man erwarten, wenn die Mehrheit der Stu­denten davon träumt, beim Staat zu arbeiten? In den Medien werden Unter­nehmer regel­mäßig negativ kom­men­tiert, Wirt­schaft findet in der Schule fak­tisch nicht statt, und wenn, dann negativ mit einem eher sozia­lis­ti­schen Blick­winkel. Dafür, dass wir eine erfolg­reiche Wirt­schaft hatten, ver­stehen die Deut­schen recht wenig davon. Hinzu kommt der all­ge­meine Verfall der Bil­dungs­qua­lität – denken Sie an die Mathe­matik-Leis­tungen – und die Büro­kratie, die immer über­bor­dender wird. Nicht zu ver­gessen die Rekord­ab­ga­ben­be­lastung. Wer gründen will, tut das lieber im Ausland. Blicken Sie ins Silicon Valley.
Das klingt nach totalem Ver­sagen der Politik und mit dieser Antwort erklärt sich auch, warum Ihr Buch den Unter­titel ‚Wie die Politik uns rui­niert‘ trägt. Und jetzt? Mit ein paar Reförmchen lösen wir das Problem sicher nicht, oder?
Wir haben das eigent­liche Problem noch gar nicht dis­ku­tiert. Das sollten wir, bevor wir zu den Reform­vor­schlägen kommen. Also, unsere Ein­kommen sind eine Illusion, weil nicht nach­haltig. Ebenso schlimm ist, dass die deut­schen Pri­vat­haus­halte, obwohl sie viel sparen nach den Daten der EZB zu den ärmsten der Eurozone gehören. Das liegt natürlich an der Geschichte, aber auch an der hohen Abga­ben­be­lastung und der fal­schen Geld­anlage. Spanier, Ita­liener und Fran­zosen sind auch deshalb deutlich reicher, weil sie mehr in Aktien und Immo­bilien anlegen. Damit pro­fi­tieren sie auch mehr von der Politik des bil­ligen Geldes der EZB. Wenn man nun denkt, dass dafür wenigstens der deutsche Staat reicher ist, wird man eben­falls ent­täuscht. So rechnet der IWF vor, dass Deutschland zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, und wenn man genauer hin­schaut, erkennt man sofort, dass die „schwarze Null“ weder eine besondere Leistung ist – sie ist nur Folge der Geld­po­litik der EZB – und vor allem eine Lüge. Würde der Staat wie ein Unter­nehmen bilan­zieren, würde man sofort sehen, dass die Schulden in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Der Grund dafür sind die immer groß­zü­gi­geren Ren­ten­zu­sagen, die erheb­liche künftige Lasten bedeuten. Gespart hat der Staat dafür dort, wo es eigentlich wichtig wäre zu inves­tieren: Infra­struktur, Bildung, Digi­ta­li­sierung. Arme Bürger, armer Staat, armes Land kann man da nur sagen. Was unsere Politik nicht daran hindert, unter dem Schlachtruf „Ein reiches Land wie Deutschland sollte…“ alle mög­lichen wei­teren Lasten zu fordern. Das reicht von der irr­wit­zigen Erwartung, Deutschland könnte durch mehr Transfers auf Euro­zonen-Ebene den Euro retten bis hin zu der unge­steu­erten Zuwan­derung in das Sozialsystem.

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Die Deut­schen sind fleißig, die Pro­duk­ti­vität hier­zu­lande ist hoch, so hören wir es stets … wo ist eigentlich das Geld der Deut­schen geblieben?
Das ist eine sehr gute Frage. An den ver­lo­renen Kriegen und der damit ver­bun­denen Ver­mö­gens­ver­nichtung liegt es nicht alleine. Sicherlich tragen auch die erheb­lichen Kosten der Wie­der­ver­ei­nigung zu diesem Zustand bei. Ent­scheidend dürften aber zwei Dinge sein. Zum einen haben wir eine sehr hohe Abga­ben­be­lastung, die zweit­höchste aller OECD-Staaten nach Belgien. So beginnt der Spit­zen­steu­ersatz bei dem 1,3‑fachen des Durch­schnitts­ein­kommens, in den 1960er-Jahren musste mach noch das 15-fache ver­dienen, um den Spit­zen­steu­ersatz zu zahlen. Damit bleibt den Bürgern weniger in der Tasche zum Aus­geben und Sparen. Zum anderen sparen wir auch noch falsch. Die Deut­schen bevor­zugen – auch von der Politik ermuntert, geldnahe Anlagen wie Sparbuch, Staats­an­leihen und Lebens­ver­si­che­rungen (die wie­derum vor allem in Anleihen inves­tieren). Diese ver­meintlich „sicheren“ Anla­ge­formen bringen aber nur eine Mini-Rendite von maximal einem Prozent pro Jahr, wie Studien über den Lang­fris­tertrag von Anla­ge­formen zeigen. Umge­kehrt haben Aktien und Immo­bilien in den letzten Jahr­zehnten Ren­diten zwi­schen sechs und acht Prozent pro Jahr erbracht. Legt man 1.000 Euro an und reinves­tiert den jähr­lichen Ertrag, so hat man bei einer Anlage zu einem Prozent Zins nach dreißig Jahren ein Ver­mögen von 1.350 Euro. Legt man sein Geld zu sechs Prozent an, ein Ver­mögen von 5.743 Euro. Ein erheb­licher Unter­schied. Unsere Nachbarn sind vor allem deshalb deutlich reicher als wir, weil sie mehr in Immo­bilien und Aktien investieren.
Hinzu kommt dann noch ein wei­terer Aspekt. Unsere Han­dels­über­schüsse führen dazu, dass wir For­de­rungen gegen das Ausland auf­bauen. Wie mit der Anlage unserer Erspar­nisse im Inland, so sind wir auch mit der Anlage im Ausland nicht son­derlich erfolg­reich. Im Zuge der Finanz­krise haben wir je nach Schätzung zwi­schen 400 und 600 Mil­li­arden Euro ver­loren. Und zwar wir alle, schlägt es sich doch in schlech­teren Ren­diten auf Sparbuch und Lebens­ver­si­cherung nieder. Heute landet ein großer Teil der Erträge, die wir im Export erwirt­schaften als unbe­si­cherte, zinslose und vor allem til­gungs­freie For­derung auf der Bilanz der Bun­desbank (soge­nannte Target 2‑Forderungen). Pro Kopf der hier lebenden Bevöl­kerung immerhin 12.000 Euro. Öko­no­misch betrachtet könnten wir unsere Autos genauso gut ver­schenken. Es wäre allemal besser, wir würden unser Aus­lands­ver­mögen so intel­ligent anlegen wie das Nor­wegen und Sin­gapur bei­spiels­weise tun. Leider ist das bei den hier­zu­lande aktiven Poli­tikern nicht zu erwarten. So bleiben wir einer der größten Gläu­biger der Welt. Dabei gibt es nichts Düm­meres, als in einer über­schul­deten Welt der Gläu­biger zu sein.
Alle Pro­bleme, die sie nennen, finden Ihre Ursache aus meiner Sicht in ‚zu viel Staat‘. Der Staat mischt sich alles ein, die Steuern sind zu hoch, die Unter­nehmer ersticken in Büro­kratie. Was sagen Sie, wenn ich behaupte: Der Staat ist das Problem, nicht die Lösung!?
Dann stimme ich Ihnen zu. Natürlich gibt es wichtige Auf­gaben des Staates. Er muss Pri­vat­ei­gentum sichern, die Durch­setzung von For­de­rungen und Ver­trägen garan­tieren (Rechts­staat), für innere und äußere Sicherheit sorgen…
Ent­schul­digung, wenn ich Sie unter­breche, aus meiner Sicht wäre das genug…
…und für einen gewissen sozialen Aus­gleich sorgen, da es sonst an gesamt­ge­sell­schaft­licher Akzeptanz fehlt. Bei letztem Punkt sollte es aber vor allem darum gehen, allen Men­schen Zugang zu sehr guter Bildung zu geben, unab­hängig von der Her­kunft. Auch ein gewisses Maß an Umver­teilung ist aus meiner Sicht unerlässlich.
Hier wird es sehr poli­tisch: Was ist ‚ein gewisses Maß‘?
Das Problem was wir heute haben ist, dass der Staat, namentlich der Deutsche, seine urei­gensten Auf­gaben nicht wahr­nimmt – ich denke gerade an die Sicherheit –, Regeln ver­letzt (wie Ein­griffe in das Pri­vat­ei­gentum bis hin zu den jetzt in Berlin ange­dachten Ent­eig­nungen von Immo­bi­li­en­ei­gen­tümern) und sich zu einer gefrä­ßigen Umver­tei­lungs­ma­schi­nerie ent­wi­ckelt, in der Poli­tiker die eigene Macht durch immer mehr soziale Wohl­taten sichern. Begleitet wird das medial durch ein Dau­er­feuer an fal­schen Behaup­tungen – so zum Bei­spiel die angeblich stei­gende Armut – und ein ekla­tantes Unver­ständnis der Bevöl­kerung über die Grundzüge erfolg­reichen – also wohl­stands­schaf­fenden – Wirtschaftens.
Im Zeitraum 2009–2018 hat die Bun­des­re­gierung in Summe 280 Mil­li­arden zusätzlich aus­ge­geben. Wenn man da noch die Zins­er­sparnis Dank Null-Zins-Politik der EZB (136 Mil­li­arden) und tiefere Aus­gaben für Arbeits­lo­sigkeit (46 Mil­li­arden) hin­zu­zählt, kommt man auf 460 Mil­li­arden, über die die Politik frei ver­fügen konnte. Und was hat sie getan? Sie hat 80 Prozent davon in den Konsum gesteckt für Renten, Gesundheit, öko­no­misch sinnlose Pro­jekte wie die Ener­gie­wende und zur Kaschierung der Fol­ge­kosten der Migration. Nur rund 50 Mil­li­arden flossen zusätzlich in Inves­ti­tionen. Diese Politik ist grund­legend falsch. Packen wir noch die Über­le­gungen für eine Indus­trie­po­litik mit natio­nalen Cham­pions hinzu, ist offen­sichtlich, dass die Politik jedes Maß ver­loren hat.
Auf EU-Ebene setzen sich die Pro­bleme fort und gerade der Euro, völlig unge­eignet für einen so hete­ro­genen Wirt­schaftsraum, wird immer mehr staat­liche Ein­griffe aus­lösen, die den Wohl­stand für uns alle mindern.
Ist gerade Ihre letzte Anmerkung nicht Grund genug, das Geld zu pri­va­ti­sieren? Was halten Sie davon? Schaffen wir die Noten­banken ab.
Naja, im kon­kreten Fall der Eurozone ist dem ein­zelnen Staat ja der Zugriff auf eine eigene Notenbank ver­wehrt. Die EZB wäre sicherlich noch aggres­siver unterwegs, wenn sie nur für die Süd­länder zuständig wäre. Ohnehin würde ich die EZB heute in Schutz nehmen, denn es ist nur natürlich, dass sie alles tut, um den Euro und damit die eigene Existenz zu erhalten. Das kann sie zwar nicht dau­erhaft, aber mit der Politik des bil­ligen Geldes kauft sie der Politik Zeit. Die diese aller­dings nicht nutzt. Der Fehler der Euro­ein­führung wurde von Poli­tikern gemacht.
Generell stimme ich Ihnen zu, dass die Noten­banken, vor allem seit der Los­lösung von jeg­licher Beschränkung wie einer Bindung an Gold, maß­geblich dazu bei­getragen haben, die Ver­schuldung in der Welt und eine Serie an Finanz­markt­blasen und ‑Krisen aus­zu­lösen. Sie haben immer wieder asym­me­trisch auf Krisen reagiert, in dem sie aggressiv die Zinsen senkten, ohne sie nach der Krise wieder zu erhöhen. Sie haben ein­seitig die Spe­ku­lation auf Kredit belohnt, sicherlich im Ein­ver­nehmen mit der Politik, die so den Bürgern einen Wohl­stand vor­gaukeln konnte, den sie nicht mehr schaffen konnte.
Insofern haben wir uns jetzt mit der End­phase des Geld­systems zu tun, wie wir es seit den 1970er-Jahren kennen. Bei der nächsten Krise dürften die Noten­banken “all-in” gehen und unge­ahnte Maß­nahmen ergreifen bis hin zur direkten Finan­zierung der Staaten und Heli­ko­ptergeld. Es läuft am Ende auf die völlige Mone­ta­ri­sierung der Schulden hinaus, mit unab­seh­baren Kon­se­quenzen für Geldwert und Finanz­sta­bi­lität. Beides ist denkbar: die Hyper­in­flation wie auch der defla­tionäre Kollaps.
Spä­testens dann werden die Noten­banken – zu Recht! – im Zentrum der Kritik stehen. Ob es dann zu einer Pri­va­ti­sierung von Geld kommt, wage ich zu bezweifeln. Der Staat wird sich den Zugriff ver­mutlich dann sogar noch mehr sichern, mit dem Argument, dass nur so eine Wie­der­holung der Krise aus­ge­schlossen werden könne, weil dann nicht mehr die Finanz­märkte im Vor­der­grund des Handels der Noten­banken stehen. Das wäre zwar eine Lüge, aber es wäre eine effektive.
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Warum holen wir die Noten­banken nicht jetzt schon ins Zentrum der Kritik? Die bla­sen­för­dernde, infla­tionäre Geld­po­litik dauert doch nun schon lange genug an. Warum abwarten?
Es ist ja nicht so, dass es an Kri­tikern mangeln würde. Hier auf diesen Seiten aber auch in den Wirt­schafts­teilen der guten Zei­tungen und Zeit­schriften. Es gibt auch eine große Anzahl guter Bücher dazu. Das Problem ist, dass es weite Teile der Bevöl­kerung nicht inter­es­siert oder es zu abs­trakt ist. Denken Sie an die Wahl­er­geb­nisse der AfD. Als „anti-Euro-Ret­tungs­po­litik“ Partei von Pro­fessor Lucke hat sie den Einzug in den Bun­destag ver­passt. Als Anti-Migra­ti­ons­po­litik-Partei war das ganz einfach. Solange die Bürger nicht offen sehen, was in unserem Geld­system abläuft, werden sie auch nicht protestieren.
Kommen wir auf Ihre Reform­vor­schläge zu sprechen, die Sie im Buch for­mu­liert haben. Wir können hier natürlich nicht auf alle Vor­schläge ein­gehen … ein Vor­schlag, der ‚poli­ti­schen Mut‘ bräuchte, wie Sie schreiben, wäre eine Berei­nigung der Staats­schulden in der EU in einem Schul­den­til­gungs­fonds mit gemein­samer Haftung und Refi­nan­zierung über Euro­bonds. Die Pri­vat­schulden sollen hier eben­falls mit ein­fließen, die Haftung für Andere beschränkt sich auf die Alt­lasten. Ihr Motto ‚Begrenzte Kosten statt Blan­ko­scheck‘. Wie wollen Sie sicher­stellen, dass sich Poli­tiker danach an die Ver­träge halten?
Das stimmt nicht so ganz. Euro­bonds in dem Sinne will ich ja nicht!
Wir müssen uns ein­ge­stehen, dass ein guter Teil der Schulden von Staaten und Pri­vaten – die sich in den faulen Kre­diten des Ban­ken­systems zeigen – nicht bedient werden können. Was wir zur Zeit machen, ist nichts anderes als eine Kon­kurs­ver­schleppung. Besser wäre es, die Schulden in einem geord­neten Prozess abzu­schreiben. Dazu muss man die Schulden zusam­men­fassen, aner­kennen, dass Gläu­biger und Schuldner sie gemeinsam abbauen müssen und das über mög­lichst lange Zeit strecken. Das kann sogar durch die EZB finan­ziert werden, weil es sich um einen defi­nierten und begrenzten Betrag handelt. Eine Garantie für eine bessere Politik ist das natürlich nicht! Im Gegenteil wäre auch ich skep­tisch, dass die Politik dau­erhaft daraus lernt. Doch was ist die Alter­native? Ein chao­ti­scher Zerfall der Eurozone mit mas­siven wei­teren Ver­lusten. Deshalb plä­diere ich für einen geord­neten Schul­den­schnitt — ver­bunden mit einer Neu­ordnung der Eurozone. Dort sollten nur noch jene Länder teil­nehmen, die auch dau­erhaft darin wett­be­werbs­fähig sind. Aller­dings fehlt mir der Opti­mismus, dass die Politik das hin­be­kommt. Das Risiko eines chao­ti­schen Zer­falls bleibt erhalten.
Wenn wir die Schulden in einem ‚geord­neten Prozess abschreiben würden‘, im Buch nennen Sie eine Summe in der Grö­ßen­ordnung von ‚min­destens drei und bis zu fünf Bil­lionen Euro‘, wie schätzen Sie die Aus­wirkung dieses Pro­zesses ein im Hin­blick auf die Kauf­kraft des Euro bzw. auf das Ver­trauen in den Euro?
Wenn es ein geord­neter Prozess ist, auch unter Mit­wirkung der EZB – denken Sie an die Dis­kussion des Auf­kaufs und der anschlie­ßenden Annul­lierung der Schulden von Staaten und Pri­vaten (also Banken!) – kann es funk­tio­nieren. Japan ist uns auf dem Weg schon einige Jahre voraus, weshalb wir die Folgen dort bald werden beob­achten können. Es gibt im Prinzip zwei Sze­narien. Im ers­teren pas­siert nichts, weil das Geld ja schon geschaffen wurde und es damit nur eine Bilanz­maß­nahme der Notenbank ist. Im anderen Sze­nario führt es zu einem mas­siven Ver­trau­ens­verlust und damit einer völ­ligen Ent­wertung des Geldes. Wenn es gelingt, dass die breite Bevöl­kerung es nicht mit­be­kommt und die Preise des täg­lichen Lebens nicht offen­sichtlich und deutlich steigen, kann es gut gehen.
Ver­stehen Sie mich nicht falsch: Ich finde unsere Geld­ordnung und die Art, wie Politik betrieben wird, extrem schädlich und nicht nach­haltig. Doch wir müssen aner­kennen, dass wir uns in eine fast aus­weglose Situation manö­vriert haben, in der es nur noch darum geht, den Schaden zu begrenzen. Je geord­neter wir das Problem angehen, je größer die Chance, dass wir ohne große Depression davon­kommen. Meine Hoffnung ist hier aller­dings gering.
Kri­tiker werden ein­wenden: Weil wir alle Regeln gebrochen haben, sind wir ver­dammt, die Regel noch mehr zu brechen. Recht haben sie.
Vielen Dank, Herr Stelter.
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Dr. Daniel Stelter ist Gründer des auf Stra­tegie und Makro­öko­nomie spe­zia­li­sierten Forums beyond the obvious. Nach Studium und Pro­motion an der Uni­ver­sität St.Gallen war er von 1990 bis 2013 Unter­neh­mens­be­rater bei der inter­na­tio­nalen Stra­te­gie­be­ratung Boston Con­sulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mit­glied des BCG Exe­cutive Com­mittee. Von 2003 bis 2011 ver­ant­wortete er weltweit das Geschäft der BCG-Pra­xis­gruppe Cor­porate Deve­lo­pment (Stra­tegie und Cor­porate Finance). Stelter berät inter­na­tionale Unter­nehmen und Inves­toren im Umgang mit den Her­aus­for­de­rungen der fort­schrei­tenden Finanz- und Euro­krise und ist ein gefragter Redner. Seine Kolumnen erscheinen regel­mäßig bei Wirt­schafts­Woche, Manager Magazin, Cicero und The Glo­balist. Er ist Autor meh­rerer Sach­bücher, unter anderem: Das Märchen vom reichen Land (2018), Eiszeit in der Welt­wirt­schaft (2016, Manager Magazin Best­seller), Das Kapital im 21. Jahr­hundert (2014, Manager Magazin Best­seller), Nach der Krise ist vor dem Auf­schwung (2010).
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Hinweis: Die Inhalte der Bei­träge geben nicht not­wen­di­ger­weise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.
Foto Daniel Stelter: Stefan König/München