Eva Herman
Teil 2: Ein grausamer Irrtum
Die Feministinnen waren sich also einig, dass Männer und Frauen grundsätzlich gleich seien und nur die Erziehung darüber bestimme, wie männlich oder weiblich sich jemand gebe. Nun fehlte lediglich noch ein wissenschaftlicher Beweis, der die Austauschbarkeit männlicher und weiblicher Verhaltensmuster belegte. In diesem aufgeheizten Klima wurde ein erschütterndes Experiment mit einem Menschen bekannt, das auf Betreiben eines gewissenlosen Arztes stattfand. Ein kanadischer Junge, Bruce Reimer, wurde gezwungen! als Mädchen aufzuwachsen – ein Versuch mit tödlichem Ausgang.
Was war passiert? Bruce kam 1966 in Kanada zur Welt, kurze Zeit vor seinem Zwillingsbruder Brian. Als die Babys gut sieben Monate alt waren, geschah während einer Beschneidungsoperation das Unglück: Der Penis von Bruce wurde von einem Laser so stark verletzt, dass er irreparabel war. Man kann sich die Verzweiflung der Eltern vorstellen.
Sie schrieben damals dem anerkannten Psychologen und Sexualforscher John Money, der sofort Kontakt mit den Eltern aufnahm. Money war ein begeisterter Anhänger der neuen Gender-Theorie, die Geschlechterrollen seien vor allem in Erziehungsprozessen erlernt. Deshalb riet er den Eltern zu einer Geschlechtsumwandlung. Und so wurde aus Bruce kurzerhand Brenda. Das Kind wurde kastriert, mit weiblichen Hormonen behandelt, in Kleider gesteckt und als Mädchen erzogen. Es sollte niemals erfahren, dass es eigentlich gar kein Mädchen war.
Alice Schwarzer feierte diese Geschlechtsumwandlung als Beweis ihrer These, dass die Gebärfähigkeit die einzige spezifisch weibliche Eigenschaft sei. »Alles andere«, triumphierte sie, »ist künstlich aufgesetzt, ist eine Frage der geformten seelischen Identität.«
Ihr Buch über den »kleinen Unterschied« erschien 1977, Brenda-Bruce kam gerade in die Pubertät. Er wurde mit immer stärkeren Hormongaben gefüttert und hatte deshalb bereits einen Busen. Doch als die Ärzte ihm auch noch eine Kunstscheide einsetzen wollten, wehrte er sich. Mit zunehmendem Alter und erwachendem Bewusstsein hatte er gespürt, dass etwas nicht stimmte. Er riss sich seine Röcke und Blusen vom Leibe, urinierte im Stehen und prügelte sich mit Jungen. Zunehmend lehnte er seinen Körper ab, ohne zu wissen, warum. Ständig war er in psychiatrischer Behandlung.
Die Familie war verunsichert, doch sie wollte alles richtigmachen und vertraute dem Psychologieprofessor. So wurden die Eltern auf schreckliche Weise fehlgeleitet und sagten dem verstörten Jungen nicht die Wahrheit. Aber weder zahlreiche Hormonbehandlungen noch Kleider machten aus Bruce ein Mädchen.
Die Probleme wurden immer heftiger. Schließlich wusste man sich nicht anders zu helfen und eröffnete dem verzweifelten Jungen, was geschehen war. Zu diesem Zeitpunkt war er vierzehn Jahre alt. Der Schock saß tief. Als Erstes zündete Bruce seinen Kleiderschrank an. Fortan lebte er als Junge und nannte sich David (Reimer).
Der Horror war damit noch nicht zu Ende. In qualvollen Operationen ließ sich David die Brüste entfernen und bestand auf einen Kunstpenis, um wieder »ein ganzer Mann zu sein«; Doch das Experiment hatte ihn tief traumatisiert. Zusammen mit dem Autor John Colapinto dokumentierte er seinen tragischen Fall in dem Aufsehen erregenden Buch Der Junge, der als Mädchen aufwuchs. Die Theorie, Geschlechterrollen seien lediglich erlernt, eine Behauptung, die weltweit von der Frauenbewegung begeistert übernommen worden war, hatte sich durch dieses Beispiel als völlig haltlos erwiesen.
Mit dreiundzwanzig Jahren heiratete David eine Frau, mit achtunddreißig Jahren nahm er sich das Leben. Die erlittenen körperlichen und seelischen Qualen hatten ihn zerstört. Er sei jahrelang psychisch terrorisiert worden wie bei einer Gehirnwäsche, lautete eine seiner Aussagen. Auch für seinen Zwillingsbruder Brian endete der eitle Ehrgeiz der Mediziner und Psychologen in einer Katastrophe: Schon zwei Jahre vor seinem Bruder wählte er den Freitod, weil er Davids Leiden nicht mehr ertrug.
Und die Feministinnen? Sie schwiegen. Bis heute.
Teil 3: Geschlechteridentitäten
Davids Geschichte ist im Nachhinein ein trauriger Beweis für die zahlreichen Forschungsergebnisse, die erst in den letzten Jahren von Neurobiologen veröffentlicht wurden. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern beschränken sich nämlich nicht nur auf äußerlich sichtbare Merkmale wie Geschlechtsorgane, Brüste oder Bartwuchs. Sie umfassen darüber hinaus eine Fülle von mentalen und psychischen Gegebenheiten. So gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen der männlichen und der weiblichen Hirnstruktur. Die Konsequenz daraus sind typische Verhaltensmuster und Fähigkeiten, die sich jeder ideologisch geführten Diskussion entziehen.
Richtig interessant wird es, wenn Neurobiologen auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede sozialen Verhaltens und der kognitiven Fähigkeiten zu sprechen kommen. Dazu zählen Gemütsbewegungen-und Gefühle, Gedächtnis- und Sinnesleistungen sowie die Reaktionen auf Stressimpulse.
Weitab von der schöpfungsgemäßen, also natürlichen Unterscheidung von Mann und Frau, haben zahlreiche Verfahren wie die Kernspintomographie und die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) rein faktisch zahlreiche Unterschiede in einer Reihe von Hirnregionen offenbart. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist vor allem das limbische System betroffen, Sitz der Emotionen.
Zunächst wunderten sich die Forscher, als sie entdeckten, dass das limbische System bei Frauen weit weniger aktiv ist als bei Männern, wenn es um das Erkennen von Gefühlen in einem Gesicht geht. Waren sie unbeteiligter? Nein, es verhielt sich genau umgekehrt; Frauen mussten sich dabei offenbar weniger anstrengen. Die spezifisch mütterliche Fürsorgefunktion musste zu einer besseren Herausbildung der Gefühlserkennung geführt haben – und deshalb fiel sie den Frauen leichter.
Inwieweit aus dieser Beobachtung eine biologisch-natürliche Unterschiedlichkeit abzuleiten ist, das anzunehmen oder abzulehnen bleibt gewiss jedem Menschen selbst überlassen. Jeder aber, der sich die Frage stellt, wie es sein kann, dass eine lange Geschichte der Zivilisation typische Unterschiede nicht hat abschleifen können, findet bei der modernen Humanbiologie eine Fülle von Informationen, die nachdenklich machen müssen.
Gerade wenn es um das Thema Kommunikation und Gefühle geht, gibt es einiges zu entdecken. Im Allgemeinen ist es einfach, im Gesicht des Gegenübers Reaktionen zu erkennen und einzuordnen. Unabhängig von Sprache und Kultur ist leicht zu erkennen, ob ein Mensch traurig, ängstlich, ärgerlich, überrascht oder glücklich ist. Ein Test ergab, dass beim Einordnen von glücklichen Gesichtern beide Geschlechter gleich gut abschnitten. War der Gesichtsausdruck allerdings traurig, ergab sich ein deutlicher Unterschied. Während Männer nur in 70 Prozent der Fälle auf die richtige Antwort tippten, kamen die Frauen auf 90 Prozent. Es ist nicht zu weit hergeholt, daraus auf eine höhere Befähigung der Frauen zur Anteilnahme bei Leid und Unglück zu schließen.
Auch bei der Abspeicherung von Informationen im Gedächtnis konnten unterschiedliche Verarbeitungsweisen festgestellt werden, insbesondere was die andersartige Einordnung in den beiden Hirnhälften betraf. Die Versuchsergebnisse deuten daraufhin, dass Frauen sich besser Einzelheiten einer Geschichte merken können, während Männer den ganzheitlichen Aspekt im Auge haben.
Die Gründe sind einleuchtend. Der Bereich von Schläfen- und Stirnlappen, in dem die Verarbeitung räumlicher Wahrnehmung und des Sprachverständnisses stattfindet, sind bei beiden Geschlechtern unterschiedlich organisiert. Die Größe einzelner Regionen unterscheidet sich, auch die Dichte der Nervenzellen zeigt auffallende Abweichungen. All das wird im Augenblick der Zeugung bestimmt – und somit auch die spezifische Einteilung in ein weibliches und männliches Verhalten.
Feministinnen ignorierten derartige Forschungsergebnisse. Die Einteilung in männlich und weiblich sei nichts weiter als ein gesellschaftlicher Willkürakt, kein biologisch begründbarer Unterschied. »Nichts, nicht Rassen- oder Klassenzugehörigkeit markiert uns so wie unsere Geschlechtszugehörigkeit«, konstatierte Alice Schwarzer. »Mit dem Ausruf: Es ist ein Mädchen! oder Es ist ein Junge! sind die Würfel gefallen. Unser biologisches Geschlecht dient vom ersten Tag an als Vorwand zum Drill zur Weiblichkeit oder zur Männlichkeit. Da gibt es kein Entkommen.«
Auszug aus dem Bestseller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006