Bildquelle Michael Müller (SPD) Vordergrund: Namensnennung: Sandro Halank, Wikimedia Commons, Bildlizenz: CC-BY-SA 3.0

Sinn­volle Arbeits­be­schaffung oder Sozi­al­träu­merei? — Berlin will „Soli­da­ri­sches Grund­ein­kommen“ testen

Berlin ist arm, aber sexy, heißt es. Über­ra­schen­der­weise hat Berlin und das Land Bran­denburg aber im letzten Jahr die geringste Arbeits­lo­sen­quote seit 1991. Seit dem Mau­erfall ist die Pro­zentzahl zum ersten Mal unter acht Prozent gesunken: Nur 7,9 % der Ber­liner sind arbeitslos. Bei den Job­centern waren im Sommer 2018 153.469 Arbeitslose gemeldet. Das waren 12.670 weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres.
Berlin scheint sich, was den Arbeits­markt betrifft, tat­sächlich zu erholen. Offenbar ist der Geschäfts­führer der Regio­nal­di­rektion Berlin-Bran­denburg, Bernd Becking, ein fähiger Mann. „Lange Zeit musste die Stadt einen stei­nigen Weg der wirt­schaft­lichen Erneuerung gehen, der aber nun zu Erfolgen führt.“ Das sehe man an der Beschäf­tigung. In den ver­gan­genen fünf Jahren sei die Zahl der sozi­al­ver­si­che­rungs­pflichtig Beschäf­tigten um rund eine Vier­tel­million gestiegen. „Derzeit ent­stehen in der Haupt­stadt an jedem Arbeitstag im Schnitt mehr als 200 neue Stellen“, sagte Becking. 
Und wo man schon so schön in Schwung ist, geht Berlins Bür­ger­meister Michael Müller (SPD) gleich ein neues Thema an. Er will das „Soli­da­rische Grund­ein­kommen“ testen lassen.
Was den Kri­tikern des „bedin­gungs­losen Grund­ein­kommens“ gleich die Hals­schlagader schwellen lässt und den Roman­tikern unter dessen Befür­wortern schon Sternchen in die Pupillen zaubert, ist aber etwas ganz anderes, als die Bezeichnung ver­muten lässt. Eigentlich ist es nämlich eine Arbeits­be­schaf­fungs­maß­nahme für Arbeitslose, die an der Schwelle zu Hartz IV stehen.
Zual­lererst: Es gibt nichts für „umme“. 1.000 Ber­liner „Hartzer“ bekommen die Mög­lichkeit, sich beim Job­center für eine solche Stelle zu bewerben. Sie sollen in staat­lichen und öffentlich geför­derten Ein­rich­tungen arbeiten: Schulen, Heime, Kran­ken­häuser, Nach­bar­schafts­treffen, Parks und Kitas wären ihre Arbeits­stellen. Die Pla­nungs­phase für das Projekt startete schon 2016 und ist ein Anliegen des Bür­ger­meisters Michael Müller. Der hat zwar nicht immer nur gute Ein­fälle, wie man an der von ihm pro­te­gierten Staats­se­kre­tärin Sawsan Chebli und ihrem Fett­näpfchen-Hüpf-Marathon ein­drücklich sehen kann, aber diese Idee könnte tat­sächlich ein Erfolg werden.
Kon­zi­piert ist diese „Soli­da­rische-Grund­ein­kommens-Idee” grund­sätzlich als ein Bau­stein zur bun­des­weiten Abschaffung von Hartz IV. Als ein Bau­stein unter vielen ist der Plan wahr­scheinlich sogar tauglich. Denn er wird nur für einen Bruchteil der Erwerbs­losen eine Option sein. Ein sehr großer Teil der Hartz IV-Bezieher ist in das Arbeits­leben nicht inte­grierbar, sei es aus man­gelnden Fer­tig­keiten, Alter, gesund­heit­lichen Han­dicaps, fami­liären Gege­ben­heiten oder purem Unwillen.
Zumindest aber der Anteil, der willens und in der Lage zur Arbeit ist, könnte von dem Projekt pro­fi­tieren und damit auch der All­ge­meinheit einen Dienst erweisen. Da die anvi­sierte Ziel­gruppe Arbeitslose sind, die gerade aus dem Arbeits­lo­sengeld I in Hartz IV rut­schen würden, geht man in Berlin offenbar davon aus, dass diese Leute bereit sind, zu arbeiten und das auch bis vor kurzem getan haben.
Die 1.000 Arbeits­stellen werden von den Ver­tretern der Woh­nungs­bau­ge­sell­schaften, den sozialen Trägern der oben genannten Ein­rich­tungen, Gewerk­schaften und Bezirks- und Lan­des­ver­wal­tungen nun dis­ku­tiert. Dabei darf es nicht zu einer staatlich geför­derten Ver­drängung des eigent­lichen Per­sonals der in Frage kom­menden Ein­rich­tungen führen. Die Tätig­keiten der neuen Mit­ar­beiter sollen eher auf dem Gebiet liegen, das den Fach­kräften die Zeit für ihre eigent­liche Arbeit stiehlt. Also bei­spiels­weise Papierkram und Ver­waltung. In Kitas klagen die Erzieher ständig über den büro­kra­ti­schen Aufwand, der ihnen wichtige Zeit für die Kinder weg­nimmt und für den sie eigentlich gar nicht aus­ge­bildet sind. In Kran­ken­häusern stöhnen die Pfleger und Kran­ken­schwestern eben­falls unter den immer weiter aus­ufernden Doku­men­ta­ti­ons­pflichten, die mitt­ler­weile einen großen Teil ihrer Arbeitszeit besetzen und auf Kosten der Pati­enten gehen.
Hier wären solche Hilfs­kräfte will­kommen. Aller­dings ergibt sich daraus auch, dass nur ein kleiner Teil der Hartz IV-Bezieher dafür in Frage kommen wird. Doch werden viele, die mit ihrer Situation unglücklich sind, endlich wieder eine sinn­volle Aufgabe haben und zum Gemeinwohl beitragen.
Dass es die Staats­kassen – bzw. den Ber­liner Stadt­haushalt – ent­lastet, ist aller­dings, zumindest vor­läufig, nicht zu erwarten. Dieses Pilot­projekt, das von For­schern begleitet wird und dessen Ergeb­nisse aus­ge­wertet werden, soll ermitteln, welche Pro­bleme auf­treten und ob und wie es ein Erfolgs­modell werden kann, das sich auch bun­desweit bewähren würde. Aber erst einmal kostet es:
Der Amts-Schimmel wiehert ver­nehmlich und alle mög­lichen Ver­bände, sowie die Ber­liner Stadt­haus­hälter melden sich zu Wort.
Um das Pilot­projekt abzu­si­chern, wurden im Nach­trags­haushalt für 2018/19, der am 13. Dezember vom Abge­ord­ne­tenhaus beschlossen wird, in letzter Minute mit­tel­fristige Finanz­zu­sagen von 38,75 Mil­lionen Euro (für 2020 bis 2024) ein­ge­plant. Für den Start 2019 gibt es nur einen „Mer­kansatz“ von 1.000 Euro.
Schon das jetzt vor­lie­gende Modell­vor­haben war nur in einem „zähen Abstim­mungs­prozess“ durch­zu­drücken — und immer noch wird es dis­ku­tiert. Natürlich darf da auch die Gewerk­schaft nicht fehlen. „Die Erwerbs­losen müssen an ihren Ein­satz­orten den vollen Tariflohn bekommen. Das ist derzeit noch zu schwammig for­mu­liert“, mäkelte Susanne Stum­pen­husen, die Lan­des­chefin der zustän­digen Gewerk­schaft Verdi.
Mal sehen, was am Ende der ganzen Dis­kussion noch von der mög­li­cher­weise guten Idee übrig­bleiben wird.