von Roger Letsch
Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg, hat ein Problem. Seine Äußerungen und Artikel stoßen offensichtlich ausgerechnet jenen Menschen bitter auf, die seine natürlichen Verbündeten sein müssten: Juden und Nichtjuden, die gegen den grassierenden Antisemitismus in Deutschland kämpfen, Aufklärungsarbeit über die Agenda des BDS leisten und überall zur Stelle sind, wenn es gilt, Politikern und Journalisten das Wegsehen zu erschweren. Die Vorgeschichte lesen sie bei Freund und Bloggerkollege Gerd Buurmann (hier und hier). Nun habe ich bereits im Februar den Mitschnitt eines Vortrags von Michael Blume bei YouTube gesehen, der mir seltsam, wenn auch nicht gänzlich falsch erschien. Auf meiner Liste der Artikel, die ich noch schreiben wollte, stand eine Antwort auf Blumes verschwurbelte Erklärungen der Ursachen des Antisemitismus, dessen Wachsen er allein mit medialen Verwerfungen und der Verbreitung von Verschwörungstheorien erklärt, deshalb weit oben. Sein Name und einige seiner Antworten auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe gerieten wieder und wieder in meinen Blick. Also las ich einige der aktuellen Artikel Blumes und sah mir das Video aus Februar noch mal aufmerksamer an. Meine Schlussfolgerungen finden sich am Ende des Textes, zunächst möchte ich meine Leser bitten, mir in die Gedankenwelt des Michael Blume zu folgen, die er in dem Vortrag so bereitwillig vor uns ausbreitet. Springen wir gleich mal zu Minute 15:
„Alle Antisemiten, mit denen Sie zu tun haben werden, werden Ihnen immer erzählen, die Welt steht vor dem Abgrund, es ist ganz furchtbar, wenn wir jetzt nichts tun, geht unsere Gesellschaft kaputt, wir werden ein Mischvolk oder ähnliches. Ängste, die dort ausgedrückt werden und die immer mit der Angst vor der Zukunft des Verfalls arbeiten. Deswegen meine Damen und Herren, Antisemiten sind regelmäßig sehr unglückliche Menschen, die haben tatsächlich Angst, die glauben tatsächlich zum Beispiel, dass ihr Arzt, ihre Lehrerin, ihr Abgeordneter Teil einer Verschwörung sind, die sie bedroht und deswegen rechtfertigen sie ihre Gewalt auch regelmäßig als Notwehr. Sie würden sich ja nur verteidigen gegen diese Weltverschwörung. Und was hilft dann? Wenn die Zukunft bedrohlich ist? Wenn der Verfall droht? Natürlich – der Rückbezug auf die Vergangenheit, auf eine idealisierte Vergangenheit, auf eine Welt wie sie eigentlich nie war. Früher war alles toll in Deutschland.“
Wenn das so stimmen würde, wenn es nur solche Antisemiten gäbe – die Betonung liegt auf „nur“, aber Blumes einführendes „alle“ stellt dies ja ausdrücklich so dar – gibt oder gab es die wenigsten Antisemiten ausgerechnet beim IS. Denn von Ängsten vor einer Weltverschwörung oder Überfremdung war dort niemand geplagt, im Gegenteil! Man glaubte fest daran, dass Allah seinen Kriegern den Sieg und die Welt versprochen habe. Habe ich all den Judenhass in der islamischen Welt etwa immer falsch verstanden? Wohnt in jedem iranischen Mullah, der nach dem Freitagsgebet den Tod Israels fordert, nur ein unglücklicher Mensch voller Ängste, die man wegtherapieren kann? Ich schaue mir die Passage im Video an und versuche, sie als Folie über all die erklärtermaßen antisemitischen Typen zu legen, mit denen ich es bisher schon zu tun bekam und finde nur wenig Übereinstimmungen.
Perfekt passt diese Folie erst, legt man sie als Erklärungsmuster für das Wieselwort „Islamophobie“ über die Realität, wie sie regierungsamtlich definiert wird. Blume macht also im Grunde den Job eines Islamophobiebeauftragten. Antisemitismus ist nach seiner Einschätzung im Grunde dasselbe wie Islamophobie, gehorcht denselben Mustern und Ängsten vor „Überfremdung“ und „Vermischung“. Diese Eindimensionalität entspricht exakt dem Opferdiskurs, wie ihn muslimische Organisationen wie die DITIB führen, wenn sie sich über mangelnde Anerkennung ihrer religiösen Befindlichkeiten beklagen. Wer nur einen Hammer zur Hand hat, für den sieht eben jedes Problem wie ein Nagel aus.
Deutlich wird dies auch in einem Artikel Blumes über Ethnonationalismus, den er überall am Werk sieht. Denn diese Tendenzen der Ausgrenzung und Abschottung sieht er im Westen, in der muslimischen Welt offenbar nicht. Ausführlich behandelt er die blutigen Gipfel völkisch-nationaler Hybris, wie wir sie mit den Verbrechen von Breivik in Norwegen und Terrant in Neuseeland erleben mussten. Gibt es derlei im Namen einer vermeintlichen „Reinheit des Glaubens“ nicht auch anderswo? Anschläge gegen Kopten in Ägypten, wechselseitig von Schiiten und Sunniten im Irak, die Anschläge auf das „Taj Mahal Palace“ in Mumbai, 9/11, Madrid, London, Paris, Nizza, Berlin… was ist mit den Morden an Juden in Frankreich in den letzten Jahren, die letztlich tausende jüdische Franzosen aus dem Land trieben? Alles Ängste vor Weltverschwörung bei unglücklichen Menschen? Die religiöse Komponente all dieser Ereignisse blendet Blume vollkommen aus.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Blume nicht bewusst ist, auf welchem Denkfehler seine eigenartigen Vorstellungen von Antisemitismus beruhen. Liest man aber eine von Blumes Buchempfehlungen aus 2018, so wird man womöglich fündig. Dort schreibt er – und es sieht nicht danach aus, als zitiere er hier nur aus dem besprochenen Buch, sondern konstruiert eine Analogie zu gescheiterten Integrationsbemühungen muslimischer Gemeinschaften:
„Ebenso eskalierte ja auch der europäische Antisemitismus, nachdem sich Jüdinnen und Juden aus den abgeschotteten Ghettos heraus erfolgreich für säkulare Bildung und Berufe geöffnet und gesellschaftlich assimiliert hatten.“
Das halte ich, mit Verlaub, für Blödsinn! Versucht man nämlich, diese Aussage induktiv zu belegen, ergäbe sich die irre Annahme, solange die Juden in ihren Ghettos unter sich waren, seien sie zwar unterprivilegiert gewesen, aber der Antisemitismus wäre nicht eskaliert. Blume ist allerdings nicht der Einzige, der offenbar versucht herauszufinden, wann Antisemitismus genau entsteht. Muss ein Jude an- oder abwesend sein, arm oder reich, sektiererisch oder assimiliert, gebildet oder dumm, schön oder hässlich…? Seit Jahrhunderten versuchen insbesondere und ausgerechnet Juden immer wieder, dies herauszufinden und Verhaltensregeln daraus abzuleiten. Bis heute! Bis heute auch vergeblich. Denn es war dem Antisemiten zu allen Zeiten egal, was ein Jude tat oder unterließ, ob er sich assimilierte oder im Städl lebte, ein Kaufhaus in Berlin besaß oder als Trödler und Hausierer zu fuß durch Schlesien zog. Den Antisemiten störte und stört prinzipiell, dass es Juden gibt. Alles andere sind Vorwände, keine Ursachen! Das alles ist eigentlich seit vielen Jahren bekannt und auch nicht strittig, umso verwunderter reibt man sich die Augen, wenn man die Vergleiche liest, mit denen Blume immer wieder seine Erkenntnisse zu erklären versucht. So wie in dem oben zitierten Satz oder in dieser hanebüchenen Aussage, die er ebenfalls in der Rezension machte:
„ …Kaum jemand hatte zum Beispiel ein Problem mit Kopftuchträgerinnen im Schuldienst, solange sich diese auf den Putzdienst beschränkten. Zum erregt diskutierten Thema wurde das Kleidungsstück erst, als die ersten Musliminnen mit einem Kopftuch den Lehrberuf ergriffen.“
Schon wieder die Folie „Islamophobie“ und „Ausgrenzung von aufstrebenden Muslimen” als Erklärung für Antisemitismus und ausgerechnet ein frauenfeindliches Symbol des Patriarchats als vorgeschobenes Hindernis für den Schuldienst. Doch es ist Musliminnen nicht untersagt, das Lehramt auszuüben – und damit auch staatliche Autorität zu transportieren. Die häufige Argumentation, es sei doch nur ein Kleidungsstück, verfängt hier nämlich nicht. Wäre dies so, könnte es die Lehrerin ja in der Schule ablegen und auf dem Nachhauseweg wieder anlegen. Die Putzdienste sind in Schulen jedoch ausdrücklich keine Vertreter des Staates, auch wenn ich betonen möchte, dass deren Arbeit deshalb nicht weniger wichtig und anerkennenswert ist.
Aufkommen des Antisemitismus als Ergebnis einer Medienkrise?
Zurück zum Video. Ab Minute 26 seines Vortrages bei der Schwäbischen Zeitung zieht Blume dann eine direkte Linie vom Ende des Naziregimes zur Gründung des Öffentlichen Rundfunks durch die Alliierten.
„ …weil man das erkannt hat [Was erkannt? Der Schluss ist unsinnig.], hat man direkt nach dem Krieg den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeführt. Und jetzt wissen sie, warum Populisten aller Art immer wieder als erstes versuchen, öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehsysteme zu zerstören. Weil sich die nicht so leicht kontrollieren lassen.“
Das ist nun leider komplett irre. Das Erste, was im Dritten Reich gleichgeschaltet wurde, war der öffentliche Rundfunk, also staatliche Sendeanstalten! Das dafür nötige Recht schuf man sich und gab es wie bei Verlagen und Zeitungen auch private Medien, griff man zum Mittel der Enteignung. Man handelte aber immer im Rahmen des Rechts, das man sich selbst schuf. Wer die Macht über die Gesetzgebung erlangt, kann sich die Macht über alle Medien verschaffen – und sei es nur unter dem Vorwand, die Bevölkerung vor feindlicher Propaganda zu schützen. Göbbels Propagandatiraden, die Übertragungen von den Parteitagen und Hitlerreden liefen über staatliche Kanäle, wurden mit Steuergeldern vom Staat finanziert! Es ist keine einzige Rede Hitlers auf die Nachwelt gekommen, die von einer Reklame für Maggi-Würze oder Persil unterbrochen wurde. Rundfunk war staatlich im dritten Reich, so wie er fast überall staatlich organisiert begann. Die BBC in Großbritannien, RAI in Italien… Blumes Trick besteht nur darin, zu unterstellen, dass „öffentlich-rechtlich“ etwas gänzlich anderes sei, als „staatlich“. Doch wer das glaubt, für den fühlen sich die Zwangs-Rundfunkgebühren auch nicht wie Steuern, sondern wie eine „Demokratieabgabe” an und der hält das Framingmanual der ARD für eine positive Maßnahme zur Sprach- und Gedankenhygiene. Eigenartigerweise argumentieren ausgerechnet viele Politiker so.
Blume jubelt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Bollwerk der Wahrheit und des Kampfes gegen den Antisemitismus hoch, als wären die Rechtsform, die Länderstruktur oder die finanzielle Unabhängigkeit vom Konsumenten und ein System der Zwangsfinanzierung ein Garant für die Qualität der Inhalte oder eine edlere Gesinnung der Macher. Dass die anwesenden Journalisten privater Provenienz (die Schwäbische Zeitung hatte ja eingeladen) nicht empört den Raum verließen oder wenigstens Einspruch erhoben, zeigt, wie weit das Vertrauen in die verheißene staatliche Rettung „systemrelevanter Medien“ wohl schon gediehen ist. Die Systemrelevanz der Lokalmedien, welche Blume als Garanten der Mitmachdemokratie streichelte (Aussage: Demokratie lernt man auf lokaler Ebene oder gar nicht.), legt er immer wieder als Balsam über die von Auflagenschwund und Bedeutungsverlust getroffenen Journalistenseelchen, denen das böse Internet die Gelder wegfrisst. ‚Sag besser nichts gegen den Gottkomplex der Öffentlich-Rechtlichen und ihre staatlich bestallten Verteidiger, du könntest schon morgen dort um eine Stelle vorstellig werden müssen‘, wird es vielleicht unter dem Iro von Sasha Lobo gedacht haben, der vorn in der ersten Reihe als Zuschauer saß.
Übrigens, folgt man den Argumenten Blumes zum Zwecke des empirischen Beweises weiter und sucht nach Beispielen für das segensreiche Wirken staatlicher respektive öffentlich-rechtlicher Medien, muss ein Land auf dieser Welt besonders populistisch und antisemitisch sein. Aber da kommen sie ohne so ein prächtiges Hirn wie das des Herrn Blume nie drauf: Israel! Kein Witz! Dort wurde das öffentlich-rechtliche bzw. staatliche Fernsehen nämlich 2017 abgeschaltet, was nach Blumes Logik ein Sieg des Populismus, Rassismus und des Antisemitismus gewesen sein muss.
Für derart spitzfindige Anwendungen seiner Theorien ist Michael Blume jedoch nicht empfänglich, Kritik tropft von ihm ab. Viel lieber bleibt er in seinem Gedankengebäude, der Antisemitismus sei allein durch Verschwörungstheorien, Angst und Unbildung determiniert, der Islamophobie verwandt, letztlich das Ergebnis einer Medienkrise und habe keine erwähnenswerte religiöse Komponente. Im Vortrag heißt es:
„Das Aufkommen des Antisemitismus ist das Ergebnis einer Medienkrise, weil die Aufmerksamkeit und die Werbegelder [ins Internet zu den neuen Medien] abfließen und unsere lokalen Medien kaputtgehen.“
Man fragt sich, ob diese Aussage nicht Blumes „Bollwerk-Theorie“ ad absurdum führt, mit der er kurz vorher die Öffentlich-Rechtlichen über den grünen Klee lobte. Denen fehlt es ja gerade nicht an Geld und damit gekaufter und politisch beklatschter Aufmerksamkeit, sondern an Glaubwürdigkeit aufgrund ihrer großen Nähe zur Politik, von deren Wohlwollen sie abhängen. Auch in Sachen Antisemitismus sind die öffentlich-rechtlichen Medien mindestens genauso kontaminiert, wie der Rest des Landes. Das unwürdige Gezerre um eine Dokumentation über Antisemitismus im Jahr 2017, die im Auftrag des WDR und Arte entstand und erst nicht und dann nur mit einem hochnotpeinlichem „Faktencheck“ bei Maischberger gesendet werden konnte, sei hier nur als Beispiel genannt. Ebenso beschämend ist die tendenziöse Berichterstattung von ARD und ZDF über Israel und den Nahostkonflikt. Der Antisemitismus existiert auch auf den Fluren des WDR in Köln genauso wie in TAZ und Spiegel, im Internet und den neuen Medien.
Fazit
Für Michael Blume ist der Antisemitismus offensichtlich nichts anderes, als das Ergebnis von Verschwörungstheorien und dem Erstarken neuer Medien. Schon das Wörtchen „auch“ könnte hier Wunder wirken, aber er benutzt es nicht. Doch es gibt auch andere Quellen des Antisemitismus, besonders religiös-muslimische. Das blendet Blume jedoch aus, weil dann seine Folien nicht mehr passen würden, die er gleichermaßen über Muslime und Juden legt. Michael Blume argumentiert erschreckend einseitig und eher wie ein Beauftragter gegen Islamophobie, was allerdings gut zu seinen sonstigen Aufgaben und Arbeitsschwerpunkten passt. Auf den Unterschied zwischen einer nur als Gerücht existierenden jüdischen Bedrohung, von der der Antisemitismus lebt und der durchaus immer wieder schrecklich realen Furcht vor islamistischen Anschlägen und dem Expansionismus islamischer Ideologie geht Blume leider nicht ein.
Meine Bitte an Herrn Blume ist deshalb, sich an seine mit Steuergeldern finanzierte Aufgabe zu erinnern, die er bereits im Titel „Antisemitismusbeauftragter” trägt, statt sein Hobby, den christlich-muslimischen Dialog, mit seiner beruflichen Tätigkeit allzu unkritisch zu verknüpfen. Es ist gut und wichtig, den rechten und linken Rand der Gesellschaft im Auge zu behalten, doch dabei sollte man auch den religiösen Antisemitismus, der heute massiv zugenommen hat und der von islamischen Kreisen ausgeht, besser nicht aus den Augen verlieren. Ebenso entscheidend ist es, bei der Betrachtung der Medien den öffentlich-rechtlichen Sektor genauso kritisch betrachten, wie neue und soziale Medien im Internet. Seine jüdischen Kritiker zu Trollen zu erklären und in einem Abwasch zusammen mit Nazigrößen und Holocaust-Organisatoren erledigen zu wollen, ist des Amtes, welches Michael Blume in Baden-Württemberg bekleidet, nicht würdig.
Quelle: unbesorgt.de