Das rus­sische Fern­sehen über den völlig außer Kon­trolle gera­tenen Wahl­kampf in der Ukraine

Das rus­sische Fern­sehen hat in der Sendung „Nach­richten der Woche“, am Sonntag wieder einen Blick auf die Ukraine geworfen. Es wurden neue Hin­weise auf Wahl­fäl­schung auf­ge­deckt und all die Absur­di­täten des Wahl­kampfes der letzten Woche gezeigt.
All dies sind Infor­ma­tionen, die man in den deut­schen Medien nicht findet, dabei sind sie wichtig und nach­prüfbar wahr. Die Quellen, auf die die Sendung sich beruft, sind in erster Linie die ver­öf­fent­lichten Wahl­er­geb­nisse der ukrai­ni­schen Wahl­kom­mission und Sen­dungen des ukrai­ni­schen Fern­sehens. Die Situation ist so absurd, der Wahl­kampf so aus dem Ruder gelaufen, dass man es sich gar nicht extremer aus­denken kann. Die reine Wahrheit ist schon schlimm genug. Ich habe zwei der Berichte hier hin­ter­ein­ander über­setzt.
Beginn der Übersetzung:
„Nach­richten der Woche“ hat bereits letzte Woche berichtet, wie Poro­schenko in die Stichwahl gerutscht ist, indem er Julia Timo­schenko den zweiten Platz bei der ersten Wahl­runde gestohlen hat. Auf der Grundlage öffent­licher Daten der Wahl­kom­mission der Ukraine und von Ana­lysen offi­zi­eller Wahl­be­ob­achter des Euro­päi­schen Koor­di­nie­rungs­rates der Ukraine werden wir jetzt noch einige Details hinzufügen.
Wenn wir die Wahl­be­tei­ligung ana­ly­sieren, sehen wir eine Spalte mit dem Durch­schnittswert für die ein­zelnen Wahl­be­zirke. Zum Bei­spiel betrug die durch­schnitt­liche Wahl­be­tei­ligung in Vin­nytsya 65%, aber im Wahl­lokal Nummer 051589 waren es 100% Wahl­be­tei­ligung. Alle regis­trierten Wähler gingen zur Abstimmung. Niemand war krank, alle waren zu Hause und alle wollten ihre Stimme abgeben.

Und es gibt viele solcher Wahl­lokale. In der Region Kiew war die durch­schnitt­liche Wahl­be­tei­ligung 66%, aber im Wahl­lokal Nummer 321321 waren es 100%. Das gleiche Bild im Wahl­lokal Nummer 350847 in Kiro­vograd, wo die durch­schnitt­liche Wahl­be­tei­ligung ansonsten bei 62% lag, kamen in diesem Wahl­lokal alle 100% ihrer Bür­ger­pflicht nach. Sehr ver­ant­wor­tungs­be­wusst waren auch die Wähler in der Region Luhansk, in dem Teil, der unter Kon­trolle der Armee steht: Bei einer durch­schnitt­lichen Wahl­be­tei­ligung von 57% in der Region, waren es in diesem Wahl­lokal 100%.
Ins­gesamt ist die ganze Tabelle dieser Anomalien unendlich lang. Odessa, Wahl­lokal 000002. Mit durch­schnittlich 47% der Region waren es hier 99,65%. Ins­gesamt gibt es in der Ukraine ca. 1.500 Wahl­lokale mit einer Wahl­be­tei­ligung von über 90 Prozent. So hat sich Poro­schenko, wie Beob­achter berichten, auf diese Weise eine Vier­tel­million Stimmen zugeschrieben.
So sagt Andrej Sit­schka, der Ver­treter des Euro­päi­schen Koor­di­nie­rungs­rates: „Wo es eine sehr hohe Wahl­be­tei­ligung gab, war auch die Unter­stützung für den amtie­renden Prä­si­denten am höchsten. So konnte der amtie­rende Prä­sident etwa 250.000 Stimmen zusätzlich für sich ver­buchen, und das ist eine zurück­hal­tende Schätzung.“
Inter­essant ist aber auch die Wahl­be­tei­ligung bei den Ver­stor­benen. „Es ist sehr wichtig, und das konnte man massiv beob­achten, dass in den Wäh­ler­ver­zeich­nissen auch Wähler ent­halten waren, die bereits ver­storben waren, ins Ausland gegangen sind und Per­sonen, die das Kriegs­gebiet ver­lassen haben. Ihre Stimm­zettel waren zugunsten von Poro­schenko aus­ge­füllt“ sagte Andrej Sitschka.
Offi­zielle Beob­achter des Euro­päi­schen Koor­di­nie­rungs­rates führen auch Bei­spiele für Tech­no­logien an, die direkt gegen Timo­schenko gerichtet waren. Zum Bei­spiel die Auf­nahme des voll­kommen unbe­kannten Namens­vetter von Julia Wla­di­mi­rowna Timo­schenko, Juri Wla­di­mi­ro­witsch Timo­schenko, in die Kan­di­da­ten­liste. Da die Kan­di­daten nicht num­me­riert waren, machten 117.730 Wähler irr­tümlich ihr Kreuz neben seinem Namen, der direkt unter dem von Julia auf der Liste stand, wodurch das Ergebnis von Julia Timo­schenko schlechter ausfiel.
Auf wun­dersame Weise wurden 222.947 Stimm­zettel mit einem Kreuz für Julia Timo­schenko für ungültig erklärt, zum Bei­spiel wegen eines zweiten Kreuzes für einen anderen Kan­di­daten. Ungültige Stimm­zettel wurden ver­ständ­li­cher­weise weg­ge­worfen. So ver­grö­ßerte Poro­schenko seinen Abstand noch mehr. Unter Berück­sich­tigung der Tat­sache, dass der Unter­schied zwi­schen Poro­schenko und Timo­schenko bei nur etwa einer halben Million Stimmen lag, reichten diese Ein­griffe aus, um Julia Timo­schenko aus der Stichwahl zu werfen. Und es gab auch andere Tech­no­logien: Behörd­liche Ein­griffe im Ausland oder Ver­zerrung der Daten im Com­pu­ter­system der Wahlkommission.
Na, und was nun? Wenn Timo­schenko vor Gericht zieht und den Fall gewinnt, sind alle Wahlen ungültig. Nehmen wir an, dass Timo­schenko vor dem ukrai­ni­schen Gericht ver­lieren wird, dann bleibt ihr der euro­päische Gerichtshof, der den gesamten Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf für ungültig erklären kann. Wird Timo­schenko diesen Weg gehen? Das ist die große Frage. Denn wenn ja, bleibt Poro­schenko auto­ma­tisch bis zu den Neu­wahlen an der Macht. Viel­leicht ist es genau das, was er erreichen will. Es bleibt also spannend.
Man kann die Wahlen aber auch auf andere Weise sprengen. Nun schickt Poro­schenko so wenige seiner Ver­treter in die Bezirks­wahl­kom­mis­sionen, dass das Quorum bedroht sein kann. Und dann werden die Wahl­er­geb­nisse in diesen Bezirken ohne Quorum als ungültig gewertet. Das ist auch eine Mög­lichkeit, wenn das in mehr als 10 Prozent der Bezirke geschieht. Wenn man bedenkt, dass es ins­gesamt nur 199 Bezirke gibt, reicht es aus, die Wahlen in nur 20 von ihnen zu stören, um die ganze Wahl für ungültig zu erklären. Und was kommt danach? Eine Mög­lichkeit: Öffent­liche Unruhen und Ausnahmezustand.
Auf jeden Fall ist klar, dass Poro­schenko nun in Panik und bereit ist, alles zu tun, um an der Macht zu bleiben. Er hat noch eine Woche Zeit für schmutzige Manöver. Warum für schmutzige? Weil er eine saubere Wahl nicht mehr gewinnen kann. Wir werden es auf­merksam beobachten.
Es bleibt eine Woche bis zum ent­schei­denden zweiten Wahlgang der Prä­si­dent­schaftswahl. Die Abstimmung findet am 21. April statt. In den Umfragen führt der Kan­didat Selensky mit 61% vor Poros­henko mit 24% und 15% bei den Unent­schlos­senen. Hier sehen wir eine Tabelle von der ukrai­ni­schen Umfra­ge­agentur „Rating“. Die Daten wurden trotz Verbot der aktu­ellen Regierung in Kiew ver­öf­fent­licht. Das heißt, auch wenn man sich hypo­the­tisch vor­stellt, dass alle Unent­schlos­senen im letzten Moment plötzlich für Poro­schenko stimmen, gewinnt Selensky, oder „Se“, wie sie in der Ukraine nun nennen, immer noch über­zeugend mit 61% zu 39%.
Dieser Abstand bedeutet, dass Petro Poro­schenko auf radikale Mani­pu­la­tionen setzen muss, denn wenn er die Wahl gewinnen will, muss er von Selensky fast die Hälfte der Stimmen stehlen. Können Sie sich vor­stellen, was das für eine Aufgabe ist?
Warum haben wir damit begonnen, dass Poro­schenko die Stimmen stehlen muss? Weil Poro­schenko in den zwei Wochen seit der ersten Wahl­runde nichts getan hat, um die Lücke zu Selensky zu schließen und die Sym­pathie der Wähler zu gewinnen. Im Gegenteil, sein Wahl­kampf wirkt schlecht durch­dacht, chao­tisch, boshaft und sogar panisch. Ins­gesamt eine kreative Hilf­lo­sigkeit. Alleine das Video, das auf der offi­zi­ellen Seite des Kan­di­daten Poro­schenko war, in dem der Kan­didat Selensky von einem Müll­wagen über­fahren wurde. „Nach­richten der Woche“ hat bereits berichtet, dass Poro­schenko noch im Herbst bereit war, Selensky zu töten, aber jetzt ist es zu spät. Aber die Idee lebt.
Knapp ein Jahr nach Beginn des Bür­ger­kriegs in der Ost­ukraine ver­öf­fent­lichte der populäre ukrai­nische Sänger Kuzma Skyabin einen Anti­kriegs-Clip. Ein paar Wochen später geriet ein Milch­trans­porter auf die Gegen­fahrbahn und rammte den weißen Jeep von Kuzma frontal. Kuzma starb an Ort und Stelle. Nun sind Poro­schenko und seine Mit­ar­beiter gezwungen, sich für den Cha­rakter ihres Wahl­kampfes zu ent­schul­digen und das Video mit einem oran­ge­far­benen Müll­wagen kam angeblich irgendwie zufällig auf die offi­zielle Seite des Kan­di­daten. Es wurden sogar Ermitt­lungen auf­ge­nommen. In der Ukraine ver­traut denen aber niemand. Das sind die typi­schen Kom­mentare im Web: „Der LKW hat die Beliebtheit von Poro­schenko tot gefahren“, „Poro­schenko ist ein Dro­gen­süch­tiger. Und zwar ein gefähr­licher. Aber seinen Drogen sind Macht und Gewalt.“
Die Auf­regung in der Gesell­schaft und die auf­ge­heizte Stimmung eine Woche vor der Stichwahl kann man kaum ver­stehen, nur ein­schätzen, denn der Einsatz ist sehr hoch. De facto geht es um die Mög­lichkeit, die Eliten in der Ukraine, die poli­ti­schen Eliten und die Eliten der Finanzwelt, aus­zu­tau­schen. Das wäre ein voll­stän­diger Neu­start des Landes.
Es ist klar, dass sich die nun herr­schenden ukrai­ni­schen Olig­archen und das gesamte von Poro­schenko ange­füt­terte Umfeld gegen Selensky ver­einigt haben. Er ist zu gefährlich für sie. Doch weil Poro­schenko das Land rui­niert, besteht die gemeinsame Option für diese Kreise darin, Porky erstmal zu behalten, aber ihm später durch eine Ver­fas­sungs­reform die prä­si­dialen Befug­nisse zu beschneiden und mit dem neu­ge­wählten Par­lament die Kon­trolle über das Land zu über­nehmen. Das dürfte der aktuelle Plan sein. Man muss vorher nur den Sieg von „Se“, von Selensky, verhindern.
Es berichtet unsere Korrespondentin:
Den ukrai­ni­schen Prä­si­denten bekommen sie nicht zu sehen, nur die vor­bei­fah­rende Auto­ko­lonne. Poro­schenko wird aber wahr­scheinlich aus dem Fenster schauen. Und die Frei­wil­ligen am Rande der Straße der euro­päi­schen Haupt­stadt werden gerne die gelb-blauen Fahnen schwenken.
Bei Merkels Kanz­leramt stehen nicht nur seine Unter­stützer. Der Prä­sident der Ukraine wird auch von seinen Gegnern erwartet. Sie pro­tes­tieren weniger gegen Poro­schenko, sondern gegen die Kanz­lerin, die ihn so gast­freundlich empfängt.
Poro­schenko flog zum Mit­tag­essen zu Merkel. Seine Auto­ko­lonne nähert sich dem Bun­des­kanz­leramt. Dieser Besuch in Deutschland ist kein nor­males Arbeits­treffen. Der ukrai­nische Prä­sident ist gekommen, um die Wähler davon zu über­zeugen, dass Europa mit ihm rechnet.
In den fünf Jahren seiner Prä­si­dent­schaft ist es bereits der 16. Besuch Poro­schenkos in der deut­schen Haupt­stadt. Die Ver­hand­lungen in Berlin sind offi­ziell dem Abkommen von Minsk gewidmet. Aber diese Version ist nur für die Pres­se­mit­teilung geeignet.
„Die regie­rende Partei Deutsch­lands hat nach dem ersten Wahlgang eine meiner Meinung nach freche Nach­richt an die Presse gegeben, die besagt, dass nur Poro­schenko Putin bewäl­tigen kann und Selensky sollte nicht ernst genommen werden“, sagte Andrej Hunko, Abge­ord­neter des Bundestages.
Hinter ver­schlos­senen Türen fand ein Vier-Augen-Gespräch statt. Deutsche Poli­tiker glauben, Merkel könnte mit Poro­schenko über die fried­liche Macht­übergabe sprechen, um einen dritten Maidan zu ver­hindern, wenn er die Wahl ver­liert. Und das dürfte pas­sieren. Deutsche Jour­na­listen fragten: Warum hat die Kanz­lerin Selensky nicht ein­ge­laden? Die Antwort klang wenig über­zeugend. „Ich habe beschlossen, dass ich den Prä­si­denten ein­laden werde, weil wir in stän­digem Kontakt stehen, auch in einer Zeit, in der Wahlen in der Ukraine statt­finden“ sagte Merkel.
Am Ende der Pres­se­kon­ferenz mit Poro­schenko gab es etwas Ver­wirrung: Er gab der Kanz­lerin die Hand, sie wies ihn als Reaktion darauf hin, dass der Hand­schlag vor den Fahnen statt­findet. Die Regeln diplo­ma­ti­scher Höf­lichkeit hat er nie gelernt. Vor drei Jahren ist ihm das bei einem Treffen mit Merkel schon einmal passiert.
Angela Merkel begleitete Poro­schenko zum Auto und winkte ihm nach. Nun reist der Prä­sident der Ukraine zum Abend­essen zu Macron. Er will dem fran­zö­si­schen Staats­prä­si­denten zeigen, warum er besser ist als Selensky.
Emmanuel Macron saß zur gleichen Zeit im Elysee-Palast mit Vla­dimir Selensky zusammen. Der fran­zö­sische Staatschef selbst bot das Treffen an.
Wir haben die wich­tigsten Themen der ukrai­ni­schen Gesell­schaft dis­ku­tiert. Wir haben über das Leben gesprochen, denn das Wich­tigste wird die Ein­stellung des Krieges im Donbass sein“, sagte Selensky.
Poro­schenkos Monopol über die Kom­mu­ni­kation mit Europa ist zusam­men­ge­brochen. Er wurde auch in den Elysee-Palast ein­ge­laden. Er war gleich als Nächstes dran. Nach Selensky. Die Jour­na­listen war­teten auf die Pres­se­kon­ferenz, doch wenige Minuten vorher wurden die Jour­na­listen auf­ge­fordert, die Mikrofone aus­zu­schalten. Ein Interview gab Poro­schenko nur seinen eigenen Jour­na­listen im nächt­lichen Paris.
Das Wich­tigste ist, dass die Ukraine die feste Unter­stützung der Euro­päi­schen Union in ihren euro­päi­schen und trans­at­lan­ti­schen Bestre­bungen hat“, sagte Poroschenko.
In der Haupt­stadt Frank­reichs haben sich Poro­schenko und Selensky nicht getroffen. Ihr erstes öffent­liches Gespräch am Telefon fand am Tag zuvor im Studio des TV-Senders „1+1“ statt. Zu der Talkshow „Recht auf Macht“ kam der Prä­sident ohne Ein­ladung, an diesem Abend wurde er nicht erwartet. Poro­schenko war zuvor mehrmals ein­ge­laden worden, aber er wei­gerte sich immer zu kommen, weil „1+1“ Kolo­moisky gehört. Sein Besuch war eine Pro­vo­kation. Er ging einfach ins Studio und for­derte Selensky auf, eben­falls sofort ins Studio zu kommen.
Er wusste natürlich, dass Selensky zu diesem Zeit­punkt bereits in Frank­reich war und sich auf das Treffen mit Macron vor­be­reitete. Er hat wohl darauf gesetzt, seinen Gegner zu demü­tigen, indem er ihn wieder der Feigheit vor einer direkten Debatte bezich­tigte. Vla­dimir Selensky wurde per Telefon ins Studio geschaltet.
Poro­schenko hat seit fünf Jahren nicht mehr auf das Volk gehört. Und Selensky sprach das direkt an. Er hat seine Stimme nicht erhoben, er bestand einfach kon­se­quent darauf, dass der Prä­sident sich seine Position anhörte. Poro­schenko hat sogar am Telefon die Debatte ver­loren. (Anm. d. Übers.: Das war letzte Woche tat­sächlich eine große Geschichte. Poro­schenko stürmte unan­ge­meldet das Studio einer Live­sendung, for­derte Selensky auf, innerhalb von 40 Minuten zu erscheinen, obwohl jeder wusste, dass Selensky in Paris war. Als Selensky schließlich in der Leitung war, ließ Poro­schenko ihn nicht zu Wort kommen und hielt Monologe, sodass Selensky schließlich einfach mit­teilte, er würde Poro­schenko, wie ursprünglich abge­sprochen, am 19. April im Stadion zur Debatte erwarten und danach legte Selensky auf.)

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„Ich habe eine ziemlich gute Selbst­be­herr­schung. Ich ver­zeihe jedem Men­schen. Man kann mich zwar mehrfach belei­digen, aber ich habe keine freien Wangen mehr. Ich habe die linke Wange hin­ge­halten, ich habe die rechte Wange hin­ge­halten. Leute, ich bin auch ein leben­diger Mensch. Ich habe so geant­wortet, wie ich konnte, wie ich es für not­wendig hielt“, gab Selensky zu.
Poro­schenko hat die Nerven ver­loren. Am 14. April kam er ins Stadion und rief Selensky ins Stadion, gab ihm 40 Minuten, um dort zu erscheinen. Die Bühne wurde vorher auf­gebaut, man brachte eine Men­schen­menge herbei und ein paar Musiker. Poro­schenko selbst sang auch eine halbe Zeile des Textes.
Selensky aber wollte nicht kommen. Der Termin wurde bereits vor zwei Wochen für den 19. April, den Freitag vor den Wahlen, ver­einbart. Deshalb debat­tierte Poro­schenko am 14. mit sich selbst. Dabei stellte er rhe­to­rische Fragen an das leere Red­nerpult neben sich, auf dem „Selensky“ geschrieben stand. (Anm. d. Über­setzers: Auch dies war eine Farce, die man eben­falls in dem Bericht sehen kann.)
Frei­willige helfen Poro­schenko, Selensky mit Dreck zu bewerfen. Sein glü­hender Unter­stützer Gana­polsky tat, was er konnte. Das ehe­malige Mit­glied von „Quartal 95“ (Die Comedy-Show von Selensky, Anm. d. Übers.) war ins Studio des TV-Senders ein­ge­laden worden, der Poro­schenko gehört. 20 Minuten ver­hörte Gana­polsky den ehe­ma­ligen Kol­legen von Selensky, Denis Manosov. Gana­polsky ver­suchte, Selensky zu kom­pro­mit­tieren. Doch dabei zer­störte er nur Poro­schenkos Legende vom dro­gen­süch­tigen Selensky. Gana­polsky hat sich blamiert.
Poro­schenko fällt leicht auf die Pro­vo­ka­tionen von Selensky herein. Als dieser anbot, Blut­tests auf Alkohol- und Dro­gen­miss­brauch zu machen, hatte der Prä­sident des Landes es eilig, den Test zu machen. Es hat ihm wohl so gefallen, dass er es nochmal wie­der­holen wollte. Der ukrai­nische Boxer Wla­dimir Klit­schko lud die Kan­di­daten zu Tests bei der VADA ein (WADA ist die olym­pische Anti-Doping-Agentur, Anm. d. Übers.). Es stellte sich heraus, dass eine Dele­gation der VADA in Kiew war, die aber nicht die Welt-Anti-Doping-Agentur ist, sondern eine frei­willige Orga­ni­sation, die Boxer auf frei­wil­liger Basis über­wacht. Der Unter­schied liegt in der Schreib­weise: „V“ statt „W“. Poro­schenko hat das ent­weder nicht bemerkt, oder es war ihm egal. Jeden­falls nahm er sich stolz einen Pro­ben­be­hälter und ging zur Toilette.
Das ist absolut not­wendig, damit unsere Nation fest davon über­zeugt ist, dass der Prä­sident des Landes kein Süch­tiger ist“, sagte er.
Selensky wurde auch ein­ge­laden, aber er stellte klar, dass er nicht nach fremden Regeln spielt. Über Poro­schenko, der es mit den Tests über­trieben hat, lacht man schon. Beim Sicher­heits­forum in Kiew, wo der Prä­sident auf­ge­treten war, sprach auch Julia Timo­schenko: „Vor mir hat der Haupt­redner Poro­schenko gesprochen, der alle Tests bestanden hat, und ich habe gar keine gemacht. Ich weiß gar nicht, ob ich ohne Tests über­haupt sprechen darf“, sagte sie.
Die Unbe­liebtheit Poro­schenkos ist der wich­tigste Trumpf von Wla­dimir Selensky. Er ver­öf­fent­lichte ein neues Wahl­video: Über alles, was der Prä­sident in den letzten fünf Jahre ver­boten hat und wofür er bei den Ukrainern so unbe­liebt ist. Am fol­genden Tag erschien das Video auf der Seite Poro­schenkos in sozialen Netz­werken, aller­dings mit einem anderen Ende: Vla­dimir Selensky wird von einem Last­wagen über­fahren. Einen Tag später gab es noch eine neue Version, diesmal wird der Kan­didat Selensky mit „weißem Pulver“ über­schüttet. Ein Hinweis auf Kokain.
Diesen Dreck kann ich nicht mehr hören! Mein Mann und ich können das nicht mehr ertragen. Er ist ein anstän­diger, ehr­licher Junge. Was er hat, hat er sich mit seiner Arbeit ver­dient. Er hat nichts gestohlen! Wie viel Dreck kann man über einem Men­schen aus­schütten?!“, ärgert sich Rimma Selen­skaya, die Mutter von Wla­dimir Selensky.
Ich brauche der Gesell­schaft nicht zu beweisen, dass ich kein Junkie bin. Schau, ich bin nicht er. Für mich war das alles schmerzhaft, sehr schmerzhaft. Aber ich bin ein starker Kerl und nicht bereit, meine Posi­tionen zu ändern“ sagte Selensky.
Ein solches Ver­halten des Prä­si­denten erregt bei den Wählern nur Abscheu. Der Besuch Poro­schenkos in Deutschland wurde im Land auf­merksam ver­folgt. Nach dem wirt­schaft­lichen Zusam­men­bruch der letzten fünf Jahre, brachen die Grenzen auf: Im ver­gan­genen Jahr kamen mehr Ukrainer als Syrer in die EU.
Die Kämpfe in der ukrai­ni­schen Politik beob­achten sie genau. Der neue Prä­sident gibt ihnen Hoffnung auf Ver­än­derung. Solange Poro­schenko an der Macht ist, haben es die ukrai­nische Migranten nicht eilig, nach Hause zurück­zu­kehren. „Wie kann ich für Poro­schenko stimmen?! Ich will Frieden. Die Men­schen sind müde. Das ist unsere letzte Chance, aus all dem wieder her­aus­zu­kommen“, sagen Migranten in der EU. Ihre Stimmen blieben ungehört. Als Poro­schenko sich mit Angela Merkel traf, kam er nicht ans Tor des Kanzleramts.
Ende der Übersetzung
Wenn Sie sich für die Ukraine nach dem Maidan und für die Ereig­nisse des Jahre 2014 inter­es­sieren, als der Maidan stattfand, als die Krim zu Russland wech­selte und als der Bür­ger­krieg los­ge­treten wurde, sollten Sie sich die Beschreibung zu meinem Buch einmal ansehen, in dem ich diese Ereig­nisse detail­liert auf ca. 800 Seiten genau beschreibe. In diesen Ereig­nissen liegt der Grund, warum wir heute wieder von einem neuen Kalten Krieg sprechen. Obwohl es um das Jahr 2014 geht, sind diese Ereig­nisse zum Ver­ständnis der heu­tigen poli­ti­schen Situation also hoch­ak­tuell, denn wer die heutige Situation ver­stehen will, muss ihre Ursachen kennen.


Thomas Röper – www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“