Ein Nachwort zu Ostern: Die Denk­fehler der heu­tigen Christen

Das Ur-Chris­tentum war bekanntlich eine revo­lu­tionäre Ange­le­genheit. Das alleine wäre rein his­to­risch betrachtet noch nichts Außer­ge­wöhn­liches, denn Revo­lu­tionen gab es in der Mensch­heits­ge­schichte zahllose. Die Beson­derheit des christ­lichen und ehedem als so revo­lu­tionär emp­fun­denen Glaubens war das Bekenntnis zur Gewalt­lo­sigkeit und seine Aus­richtung auf das Jen­seits. Dies stellte eine uner­hörte Haltung in der dama­ligen Welt dar, in der die Gewalt zum Alltag gehörte und das Leben nur im “Hier und Jetzt” zählte.
Frieden, Demut und ewiges Leben als “Waffen”
Die Hin­wendung zur prin­zi­pi­ellen Ver­meidung von Gewalt, die der reli­giöse Revo­lu­tionär Jesus damals anstieß, und die Ver­heißung, dass nur dem wahren Chris­ten­men­schen das Ewige Leben gehören würde, legten den Keim zum Erfolg des Chris­tentums. Über den Weg des waf­fen­losen Wider­stands gegen jede Ver­folgung und durch die ständige Predigt der Liebe und der Demut, die im denk­wür­digen Satz “Halte die zweite Wange hin” ihre Ver­dichtung fand, kam es para­do­xer­weise zu einer zuneh­menden Ermäch­tigung der Schwachen und Schlecht­weg­ge­kom­menen, weil gerade sie sich durch diese Phi­lo­sophie am meisten ange­sprochen fühlten — nicht zuletzt des­wegen, weil aus ihrer Not sol­cherart eine Tugend wurde. Über dieses Para­doxon konnte die christ­liche Glau­bens­re­vo­lution ihren Sie­geszug voll­ziehen. Dieser gip­felte schließlich in der Erhebung zur Staats­re­ligion durch den römi­schen Kaiser Konstantin.
Umkehr der Werte
Die unüber­windbare Stärke des Chris­tentums lag also damals gewis­ser­maßen in der per­ma­nenten Betonung der Schwäche und der Wider­stands­lo­sigkeit, die durch die zahl­reichen Mär­tyrer und Opfertode der Urchristen ihre unbe­streitbare und emi­nente Authen­ti­zität erhielt. Anders gesagt: Die Umkehr der dama­ligen Werte begründete den Erfolg der früh­christ­lichen Bewegung. Wären die frühen Nach­folger Christi alle mit dem Schwert durch die Welt gezogen, um ihren Glauben zu ver­breiten, wäre das Chris­tentum eine Sekte geblieben, die früher oder später von den Macht­habern völlig ver­nichtet worden wäre.
Der Rest der Geschichte darf als bekannt vor­aus­ge­setzt werden: Als die Christen nolens volens immer mehr welt­lichen Ein­fluss und damit auch Macht erlangten, traten ihre ursprüng­lichen Werte und Hal­tungen in den Hin­ter­grund und die Religion ent­wi­ckelte ihre dunklen Seiten. Es besteht his­to­risch kein Zweifel daran, dass die euro­päi­schen Poten­taten über Jahr­hun­derte hinweg den christ­lichen Glauben auch als Vehikel für ihren Macht­ausbau benützten, und es ist Teil des All­ge­mein­wissens, dass sehr viele kirch­liche Wür­den­träger im Gegenzug ihren Segen dazu gaben. Die über 1500 Jahre andau­ernde christ­liche Mis­sio­nierung der Welt von Europa aus war nicht nur einer der wich­tigsten evan­ge­li­kalen Auf­träge von Jesus, sondern die Chris­tia­ni­sierung ging natürlich auch Hand in Hand mit der Inter­es­sen­be­frie­digung der großen euro­päi­schen Herrscher.
Keine Kultur ohne Christentum
Weiters besteht aber auch über­haupt kein Zweifel daran, dass die Ent­wicklung Europas zur Hoch­kultur ohne die christ­lichen Fun­da­mente nicht hätte statt­finden können. Von der Spät­antike bis zur Auf­klärung waren sämt­liche abend­län­dische Ent­wick­lungs­phasen vom Chris­tentum geprägt und getragen, ja selbst die Auf­klärung war letztlich eine Ver­an­staltung, die ohne Chris­tentum nicht gelungen wäre.
Erst die nach der Auf­klärung ein­set­zende Säku­la­ri­sierung im 19. und 20. Jahr­hundert bremste die Chris­tia­ni­sierung. Trotzdem ist das Chris­tentum in Europa und in den beiden Ame­rikas heute noch immer die vor­herr­schende Religion. Aller­dings ist zu erwarten, dass durch die zwei­fellos weiter fort­schrei­tende Säku­la­ri­sierung einer­seits und ande­rer­seits vor allem durch die zuneh­mende Isla­mi­sierung in Europa eine tief­grei­fende Trans­for­mation statt­finden wird.
Mit gesundem Stolz und gutem Glauben
Vor dem über­wäl­ti­genden Hin­ter­grund der christlich geprägten euro­päi­schen Kultur- und Geis­tes­ge­schichte könnte man als Christ natürlich den begin­nenden Ver­än­de­rungen mit gesundem Stolz und gran­diosen Argu­menten ent­ge­gen­treten. Es wäre vor allem die Aufgabe der Amts­kirchen, hier die ent­schei­dende Initiative zu ergreifen und starke Impulse zu setzen. Dem stehen aller­dings ful­mi­nante Denk­fehler der heu­tigen Christen respektive falsche Denk­muster ihrer “Füh­rungs­kräfte” ent­gegen: Die Wür­den­träger der christ­lichen Amts­kirchen tappen intel­lek­tuell in ihre eigenen Fallen. Sie sind ganz offen­sichtlich der Ansicht, sie müssten den genannten Her­aus­for­de­rungen mit den­je­nigen Hal­tungen begegnen, die den Ur-Christen in ihren Anfängen zur Durch­setzung ihres Glaubens ver­halfen. Das ist ein gröb­licher Irrtum, der fatale Folgen haben wird.
Da läuft etwas falsch
Der Anfang des Chris­tentums war wie beschrieben eine gewaltlose geistige Revo­lution gegen Rom, das mäch­tigste Regime der Welt, und sie fand im vor­deren Orient vor 2000 Jahren statt. Wer glaubt, dass er der kom­plexen Welt von heute mit den Denk­mustern von damals begegnen kann, liegt falsch — noch dazu, wenn er heute gar nicht mehr als Revo­lu­tionär wie Jesus auf­treten kann, sondern sich zwangs­läufig als Ver­treter einer arri­vierten und mäch­tigen reli­giösen Kultur prä­sen­tieren muss, die seit Jahr­tau­senden auf breiten Fun­da­menten steht und noch immer unver­ändert über­zeu­gende Kon­zepte zu bieten hat.
Wenn Bischöfe und Caritas-Chefs, Pas­to­rinnen, Dom­herren und beflissene Theo­logen unisono mit gebeugten Häuptern den Chor von der Barm­her­zigkeit singen und uns täglich in den Medien erklären, wie wichtig die Demut und das auf­ein­ander Zugehen sind und welche enorme Ver­pflich­tungen wir doch im sozialen Umgang mit unseren Nächsten haben, die gerade aus dem Orient zu uns vor­ge­drungen sind, könnte es einem manchmal den Magen umdrehen. Man muss kein aus­ge­bil­deter Theologe und kein Priester und schon gar kein Feind der Kirchen sein, um zu spüren, ja zu wissen: Hier läuft etwas ganz, ganz falsch, so kann Chris­tentum heute nicht funk­tio­nieren und das ist auch nicht sein Sinn.
Selbst­be­wusstsein und Stärke
Wer heute die kul­tu­relle Trans­for­mation Europas ver­hindern will, muss sich auf das besinnen, was das abend­län­dische Europa geleistet hat. Er muss wissen, was dieser Kul­turraum für den Europäer dar­stellt und er muss auch über­legen, was dieses Europa den Ankömm­lingen an hier ver­wur­zelten kul­tu­rellen bzw. reli­giösen Inhalten anbieten kann und muss. Das ist unge­heuer viel und kein Europäer muss sich des­wegen kleiner geben als er ist, ganz im Gegenteil. Christen müssen keinen Kotau vor den her­bei­strö­menden Ori­en­talen und ihrer Kultur machen. Die auf­ge­setzt-betu­liche Barm­her­zigkeit, die noch immer gar viele von uns als Zierde emp­finden, wirkt ange­sichts der täglich aus den Migran­ten­mi­lieus berich­teten üblen Vor­komm­nisse nur noch deplat­ziert bis schreiend falsch. Barm­herzig kann und soll der Ein­zelne im Ein­zelfall sein, aber als ver­ordnete Pau­schal-Tugend für alle kann sie nicht wirken, sie wird dadurch höchstens zur Kari­katur ihrer selbst.
Noch immer tra­gender Teil der Leitkultur
Dem prin­zi­piell christlich ori­en­tierten Europäer (und das sind noch immer die meisten, auch wenn sie nur zu Weih­nachten in die Kirche gehen), diesem Europäer und Kultur-Christen stünde es gut an, selbst­be­wusst seine kul­tu­rellen Hal­tungen zu zeigen und jenen Leuten, die sie nicht annehmen oder gar ver­ändern und bekämpfen wollen, umgehend die Tür zu weisen. Falsche Toleranz, süß­liche Demut und kri­tiklose Barm­her­zigkeit sind letztlich Zeichen der Feigheit oder, schlimmer noch, sie sind nichts als Heu­chelei — und diese ist nach­weislich unchristlich und von Jesus Christus per­sönlich vielfach und hef­tigst kri­ti­siert worden.
Ver­tei­digung ist legitim
Als Christ muss man nicht alles nach dem Prinzip “die zweite Wange hin­halten” sehen. Man darf sich auch durchaus ver­tei­digen, wenn man ange­griffen wird. Das Recht auf Ver­tei­digung betrifft nicht nur die Notwehr an sich, sondern es reicht tief in gesell­schaft­liche Fragen hinein und es gilt natürlich auch im über­tra­genen Sinn. Dazu gibt es Lite­ratur vom hoch­ran­gigen Kir­chen­lehrer Thomas von Aquin bis hin zum ein­fluss­reichen öster­rei­chi­schen Moral­theo­logen Karl Hörmann, der in seinem Lexikon der Christ­lichen Moral ganz klar Stellung zu diesen Fragen nimmt. All das ist den kirch­lichen Wür­den­trägern zwei­fellos bekannt. Das Motiv, warum sie trotzdem an ihren hier beschrie­benen Irrungen fest­halten, bleibt daher im Dunklen.
https://dieunbestechlichen.com/2018/04/der-tod-des-osterhasen-kommt-leise-endlich-schaffen-wir-unsere-eigene-kulturelle-identitaet-ab/
 
 


Dr. med. Marcus Franz — Abge­ord­neter zum öster­rei­chi­schen Natio­nalrat und Medi­ziner — www.thedailyfranz.at