“Ener­gie­wende”: Zau­ber­kunst bei Harald Lesch

Er ist schon gut, das muss man ihm lassen. Niemand in Deutschland kann mit so viel Begeis­terung phy­si­ka­lische Gesetz­mä­ßig­keiten erklären, wie Pro­fessor Harald Lesch dies seit Jahren in BR und ZDF tut. Wenn unter seinen Händen starke Kraft, schwache Kraft und Gra­vi­tation förmlich Gestalt annehmen, nicke ich begeistert. Wenn er jedoch ver­sucht, mit großen Gesten, einer Art mathe­ma­tik­be­freiter Logik und viel „nimmste dies, machste das, biste fertig” die deutsche Ener­gie­wende wie „Uncle Ben’s Reis” dar­zu­stellen (gelingt immer und klebt natürlich nie), denke ich nach wenigen Minuten nur noch: schwache Kraft.
(Ein Kom­mentar von Roger Letsch — www.unbesorgt.de)
In seinem neu­esten TerraX-Video auf YouTube skiz­ziert er die 100%ig erneu­erbare Ener­giewelt. „Raus aus Kern­energie und nun auch noch aus der Kohle? Wo soll denn dann unser Strom her­kommen?“ Das, so Lesch, sei ganz einfach!
Leschs Vor­stellung scheint zu sein, dass es Dinge in Deutschland gibt, mit denen wir bislang aus welchem Grund auch immer so rein gar nichts anzu­fangen wussten. Die Hälfte unseres Waldes zum Bei­spiel oder Pflan­zen­reste oder Erd­wärme oder andere, riesige, unge­nutzte Flächen von der Größe einiger Bun­des­länder. Er beginnt seinen Vortrag mit der Fest­stellung, dass von den 600 TWh jähr­lichem Strom­bedarf bereits 40% auf erneu­erbare Energie ent­fallen. Das ist zwar sehr groß­zügig auf­ge­rundet (es sind ca. 38%), aber wir wollen mal nicht kleinlich sein.
Kümmern müssten wir uns angeblich nur noch um die rest­lichen 60%, die aus Kohle, Kern­kraft und Erdgas kommen. Ver­gessen wir für einen Moment, dass die erneu­er­baren 40% auf wenige Pro­zente zusam­men­schnurren, wenn der Wind nicht weht oder Nacht ist. Ver­gessen wir auch, dass uns die Pho­to­voltaik auch dann nicht hilft, wenn die Sonne tagsüber hinter den Wolken steckt oder es im Winter kaum und nicht für lange über den Horizont schafft. Schauen wir uns statt­dessen an, wie Harald Lesch einen kon­ven­tio­nellen Ener­gie­träger nach dem anderen durch saubere Alter­na­tiven ersetzt.
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Lesch ersetzt die Kohle
Bei der Hälfte des deut­schen Waldes nehmen wir das raus, was nach­wächst. Das bringt so viel Energie wie Braun- und Stein­kohle zusammen.“ Wir sollen also Holz ver­brennen statt Kohle. Zu dumm nur, dass es diese „unge­nutzte Hälfte des Waldes“ nicht gibt. Dort, wo kein Natur­schutz­gebiet ist, die geo­lo­gi­schen Bedin­gungen dies zulassen oder der Wald keine anderen Funk­tionen hat (etwa Ero­sions- und Lawi­nen­schutz im Gebirge), wird er bewirt­schaftet. Nach­haltig, wie es sich gehört, der Begriff ist schließlich die Erfindung des deut­schen Forst­wirtes Georg Ludwig Hartig. Und wir benutzen das geschlagene Holz! Nicht nur für lau­schige Kamin­a­bende oder Billy-Regale – auch Dach­stühle, Innen­ausbau, Gerüste, Zel­lulose, Zahn­stocher und Zäune. Wenn das jetzt alles in die Öfen soll, woher kommt Ersatz? Zumindest wächst die Wald­fläche in Europa all­gemein und in Deutschland im Beson­deren. Aller­dings – und als Ironie des Schicksals – aus­ge­rechnet auf­grund des erhöhten CO2-Anteils in der Luft.
Lesch ersetzt die Kernkraft
Dann hätten wir die tiefe Geo­thermie, die liefert so viel, wie die Kern­kraft­werke in Deutschland… hätte man nicht gedacht“ – Nee, hätte man nicht. Ganz einfach weil’s nicht stimmt. Die 9.444 MW ver­bliebene Reak­tor­ka­pa­zität (instal­lierte Leistung 2018) lie­ferten 85 TWh Strom, während die vor­han­denen 14 Anlagen (nur Strom­pro­duktion) der tiefen Geo­thermie gerade mal 34 MW instal­lierte Kapa­zität haben. Ganze drei weitere sind im Bau, 30 in Planung, was auch immer das genau für welche werden sollen. Um also wie Lesch es beschreibt die Kern­kraft kom­plett zu ersetzen, müssten wir tau­sende weitere Geo­ther­mie­an­lagen im Megawatt- und Mega­eu­ro­be­reich erst mal bauen. Außerdem können wir bestehende Anlagen über­haupt nicht mit­zählen, weil die ja schon in den groß­zügig auf­ge­run­deten 40% erneu­er­barer Energien vor­kommen, die wir heute schon haben.
Der Sprung von einer Strom­menge von 0,162 TWh, wie sie die tiefe Geo­thermie heute liefert, zu jenen 85 TWh Kern­energie, die Lesch mit einem Fin­ger­schnips ersetzt hat, ist also eine Stei­gerung um 52.000% – zwei­und­fünf­zig­tausend Prozent! „Damit hätten wir Kohle und Kern­kraft schon mal abgehakt“, meint Pro­fessor Lesch, der im ZDF wohl das Fach Zau­ber­kunst unter­richtet, wenn er einfach so der­artige Schlüsse zieht.
Lesch ersetzt das Erdgas
Dann ist da natürlich noch das Problem mit der Spit­zenlast und dem fle­xiblen aber CO2-las­tigen Ener­gie­träger Erdgas. Ja, auch das muss weg. Lesch setzt hier auf Bio-Ersatz, Biogas in diesem Fall. „Dafür nehmen wir nur land­wirt­schaft­liche Abfälle, um keine wei­teren Ener­gie­pflanzen anbauen zu müssen.“ Man fragt sich, was das für Abfälle sein sollen und was die Bauern wohl bisher damit gemacht haben. Ich habe jeden­falls noch nie eine grüne Tonne am Feldrand stehen sehen, die dann von der Abfall­ent­sorgung geleert werden musste. Pflanz­liche „Abfälle“ werden in der Regel unter­ge­pflügt oder wie bei Getrei­de­stroh für die Vieh­wirt­schaft ver­wendet. Auf jeden Fall bleiben sie Bestandteil des Ackers, sorgen für Gründüngung, Boden­be­lüftung und Stick­stoff­eintrag und werden darüber hinaus natürlich auch in geringen Mengen in den bestehenden Bio­gas­an­lagen „ver­stromt“. Unge­nutzte Ener­gie­po­ten­ziale durch Abfälle aus der Land­wirt­schaft gibt es so gut wie keine.
Außerdem sind die gas­bil­denden Bak­terien in Bio-Reak­toren genauso Spe­zia­listen, wie übli­cher­weise Münchner Phy­sik­pro­fes­soren. Füttert man sie mit irgend­einem Mist, machen sie Unfug oder stellen die Arbeit ganz ein. So ein Bio-Gene­rator ist leider noch kein Flux­kom­pen­sator, der glei­cher­maßen mit Plu­tonium, Cola oder Kat­zen­pisse läuft. Man kann da nicht rein­werfen, was einem so in den Sinn kommt. Auch hier gilt zudem: erst mal bauen! Der Anteil von Erdgas an der deut­schen Strom­erzeugung beträgt ca. 83 TWh pro Jahr. Die bestehenden Bio­gas­an­lagen liefern 32 TWh (in den 40% ent­halten, die also bitte nicht mit­zählen). Wir müssen also die Anzahl der Bio­gas­an­lagen fast ver­drei­fachen, um auch auf Erdgas ver­zichten zu können. Wo die alle noch stehen sollen, ohne den Geo­ther­mie­kraft­werken, Wind­rädern oder Wäldern in die Quere zu kommen, bleibt ein quan­ten­phy­si­ka­li­sches Rätsel.
Fassen wir zusammen, was Harald Lesch „ganz einfach” findet
  • Wir ersetzen die Kohle durch Holz, wofür wir die Hälfte unserer Wälder exklusiv als Brenn­holz­quelle bewirt­schaften müssen. Möbel­in­dustrie, Bau­ge­werbe, Papier­in­dustrie, Hambi-Besetzer und andere sollen halt sehen, wo sie bleiben. Da der Heizwert von Holz – auch wenn es gut getrocknet ist, kaum die Hälfte von Kohle beträgt, fahren dann nicht mehr kilo­me­ter­lange Koh­le­ver­sor­gungszüge durchs Land, sondern doppelt so lange Holz­ver­sor­gungszüge. Fort­schritt ist so geil! Ange­sichts der Fein­staub­werte in der Luft in der Nähe der Holz­kraft­werke werden die Bewohner sich voller Wehmut an die guten alten Die­sel­zeiten zurückerinnern.
  • Die Kern­energie ersetzen wir durch Geo­ther­mie­kraft­werke, von denen wir innerhalb weniger Jahre tau­sende errichten müssen. Die Kosten pro Anlage und instal­lierter Mega­watt­stunde sind deutlich höher als für Wind­kraft­an­lagen (siehe hier, Seite 4) und sum­mieren sich locker in die Billionen.
  • Das Erdgas schließlich ersetzen wir durch etwa 25.000 neue Bio­gas­an­lagen, die wir aber nicht betreiben können, weil wir nicht genügend „Abfälle“ für sie haben und falls wir diese „Abfälle“ der Land­wirt­schaft ent­ziehen, werden wir dort massiv mehr Kunst­dünger benö­tigen, um für den nötigen Stick­stoff­eintrag in die Acker­böden zu sorgen, was wie­derum zu erheb­lichen Pro­blemen mit dem Grund­wasser führt, was wie­derum zu wei­teren Pro­blemen führen wird. An diese Feed­back­schleife hat natürlich auch niemand gedacht.

Doch auch Lesch weiß, dass selbst seine Milch­mäd­chen­rechnung nur den aktu­ellen Strom­ver­brauch betrifft und uns der 100%-reines-Gewissen-Energiewelt kaum näher bringt. Die Ener­gie­be­reiche Heizen, Pro­zess­wärme, Verkehr usw. sind da noch gar nicht drin!
Wir bewirt­schaften nur noch Energie“
Ja, das kommt alles noch oben drauf und ist ener­ge­tisch ein Mehr­faches des Strom­be­darfs. „ …dann haben wir alles zuge­ka­chelt, dann haben wir Energie, aber was ist das dann für ein Land? Hier würde ja prak­tisch nur noch Energie bewirt­schaftet!“ Da wird es selbst Harald Lesch mulmig. Viel­leicht stellt er sich vor, er würde – natürlich mit dem Rad – durchs Land fahren und sähe prak­tisch nichts anderes als Wind­kraft­an­lagen und Bio­gasanl… ach, ich hätte es fast über­sehen: Das ist ja schon heute so bei uns hier in Nie­der­sachsen, dabei ist das erst die 40%ige Lösung all unserer Pro­bleme. Noch schöner kann’s also eigentlich nur noch im Süden werden. Auf der The­re­si­en­wiese in München soll noch Platz sein…
Tote Ideen, neu verstromt
Also, meint Lesch, muss eine andere Lösung her! Statt eine Fläche von der Größe des Saar­landes und Berlins mit Solar­pa­nelen zuzu­decken (warum eigentlich nicht, das würde doch sicher die Mieten wie gewünscht drücken), holt Lesch Desertec wieder aus der Ver­senkung. Jene Idee, gigan­tische Solar­thermie und Pho­to­voltaik-Kraft­werke in die Sahara zu klotzen und sie durch sündhaft teure Gleich­strom­kabel via Malta und Gibraltar mit Europa zu ver­binden. Ja, das wird sicher klappen, weil die Inves­toren dieser größten Inves­tition aller Zeiten gar nicht schnell genug die Schecks unter­schreiben können. Ist bislang ja erst einmal grandios gescheitert, mehr Glück halt beim nächsten Mal.
Aber mal ehrlich: Wäre, unab­hängig von Geld und tech­ni­schen Schwie­rig­keiten, dieser Teil von Lesch’s Vision nicht in der Tat der am leich­testen zu rea­li­sie­rende? Man muss doch nur ganz Nord­afrika in die fried­lichste und sta­bilste Region der Welt ver­wandeln, der man ohne Bedenken und min­destens bis zur Erfindung des Flux­kom­pen­sators fast die gesamte Ener­gie­ver­sorgung Europas anver­trauen möchte. Ver­glichen mit den anderen „ein­fachen Ideen” im Video scheint das fast schon ein Kin­der­spiel zu werden!
Haus­aufgabe: Den Umgang mit dem Zau­berstab üben und dann auf nach Libyen!