Am Montag gab es eine ganze Reihe neuer Meldungen über Juian Assange, die ich hier einmal alle zusammenfassen möchte.
Das Problem für die Gegner von Assange in Großbritannien ist, dass es schwierig sein könnte, ihn in die USA auszuliefern, wenn ihm dort dann die Todesstrafe droht. Das ist nach britischem Recht verboten.
Daher war zu erwarten, dass Schweden die schon eingestellten Ermittlungen gegen ihn wegen einer angeblichen Vergewaltigung wieder aufnehmen könnte. Dort droht ihm keine Todesstrafe und London könnte ihn problemlos ausliefern. Schweden könnte ihn dann wegen Vergewaltigung für einige Jahre ins Gefängnis stecken. Die USA hätten ihn zwar lieber bei sich, aber Hauptsache er verschwindet von der Bildfläche. Das Minimal-Ziel der USA wäre erreicht. Und nach Verbüßung der schwedischen Haftstrafe gäbe es immer noch die Möglichkeit, seine Auslieferung in die USA zu verlangen.
Nun muss man wissen, dass es nicht um eine Vergewaltigung nach unserem Verständnis geht, denn in Schweden ist die Definition für Vergewaltigung eine andere. Dort kann auch einvernehmlicher Sex unter Umständen als Vergewaltigung gewertet werden, und das ist bei Assange der Fall. Konkret geht es darum, dass Assange mit zwei Frauen nacheinander in Schweden einvernehmlichen Sex hatte. Im ersten Fall soll ein Kondom kaputt gegangen sein, im zweiten Fall soll kein Kondom verwendet worden sein. Als die Frauen voneinander erfuhren, gingen sie zur Polizei und forderten einen HIV-Test von Assange.
Soweit die offizielle Version der Geschehnisse. Von einer Vergewaltigung im gängigen Sinne des Wortes ist also nicht die Rede. Der Sex war in allen Fällen einvernehmlich. Moralisch ist es fragwürdig, zwei Affären nebeneinander zu haben, aber das ist kein Grund für ein Strafverfahren, und ein geplatztes Kondom auch nicht. In Schweden allerdings sind die Gesetze etwas anders.
Das reicht in Schweden aus, um dem Vorwurf der Vergewaltigung ausgesetzt zu sein. Ihm drohen dafür als minderschwerer Fall bis zu vier Jahre Haft, wenn es zu einem Schuldspruch kommt.
Selbst im Spiegel konnte man gestern lesen, dass es wohl politischen Druck auf Schweden gab, diesen Fall nicht einzustellen:
„Wie der „Guardian“ herausfand, wollten die Schweden die Ermittlungen bereits 2013 einstellen, aber die britischen Ermittler vom Crown Persecution Service bedrängten sie, dies nicht zu tun. Die E‑Mails des Londoner Ermittlers wurden, als er 2014 in Pension ging, vernichtet. Auch die schwedische Oberermittlerin Marianne Ny räumte inzwischen ein, dass sie E‑Mails des FBI im Fall Assange gelöscht habe.“
Der Fall ist so offensichtlich politisch motiviert, dass sogar der UN-Menschenrechtsrat sich eingeschaltet hat und Großbritannien und Schweden kritisiert. Dabei geht es um die Verurteilung von Assange in London wegen Verstoß gegen Auflagen, für die der UN-Menschenrechtsrat wenig Verständnis zeigt.
Der UN-Menschenrechtsrat hält die Strafe von 50 Wochen Gefängnis für Assange in London für unverhältnismäßig, und vor allem sei die Unterbringung in einem Hochsicherheitsgefängnis bei einem so „minderen Vorwurf“ nicht nachvollziehbar.
Schwerer wiegt jedoch, dass es eigentlich wohl gar nicht zu einer Anklage hätte kommen dürfen. Die britische Anklage wegen Verstoß gegen Auflagen begründete sich auf dem schwedischen Verfahren, in dem es jedoch nie zu einer Anklageerhebung gekommen ist. Und als Schweden die Ermittlungen wegen Vergewaltigung gegen Assange 2017 sogar eingestellt hat, hätte London eigentlich auch die Anklage fallen lassen müssen, denn es gab keine Grundlage mehr.
London jedoch hielt die Anklage aufrecht und hinderte Assange, gegen den keine Vorwürfe aus Schweden mehr vorlagen, sich frei zu bewegen. Vor diesem Hintergrund ist eben auch die Verurteilung zu 50 Wochen Gefängnis zu kritisieren, denn die mögliche Höchststrafe liegt bei 12 Monaten. Man hat ihn also für einen nichtigen Fall, dessen Grundlage gar nicht mehr existierte, fast zur Höchststrafe verurteilt.
Die schwedischen Ermittler haben die Ermittlungen wegen Vergewaltigung zwar nun wieder aufgenommen, aber erst nachdem Assange in London verurteilt worden ist. Zum Zeitpunkt der Verurteilung lag keine schwedische Anklage vor, für die sich Assange hätte verantworten müssen. Trotzdem wurde er fast zur Höchststrafe verurteilt.
Dass der Fall politisch und nicht juristisch ist, ist offensichtlich. Die USA setzen sowohl London als auch Stockholm unter Druck und wollen Assange hinter Gittern sehen, am liebsten in den USA. Es soll ein Mann für den Rest seines Lebens ins Gefängnis, weil er als Journalist seine Arbeit gemacht und Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hat.
Das ist ein direkter Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Trotzdem gibt es keinen Aufschrei von Politik und Medien im Westen.
Es sollte jedem zu denken geben, wenn inzwischen UN-Gremien wie der Menschenrechtsrat immer wieder den Westen, der sich als Hort der Freiheit versteht, kritisieren.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“