Pres­se­kon­ferenz: Was sagt Putin selbst zur Situation in der Ukraine?

Letzte Woche gab Prä­sident Putin nach dem Treffen mit Kim eine Pres­se­kon­ferenz, bei der er auch zu den Ent­wick­lungen in der Ukraine befragt wurde. Ich habe die ent­spre­chenden Fragen und Ant­worten übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Frage: Wla­dimir Wla­di­mi­ro­witsch, gestern haben Sie ein Dekret über das ver­ein­fachte Ver­fahren der Aus­stellung rus­si­scher Pässe an die Ein­wohner von Lugansk unter­zeichnet. Wissen Sie, wie viel negative Reak­tionen diese Ent­scheidung in der Welt und in der Ukraine aus­gelöst hat? Und pro­vo­zieren Sie nicht auf diese Weise den neuen Prä­si­denten dieses Landes, Wla­dimir Selensky?
Wla­dimir Putin: Das hat negative Reak­tionen aus­gelöst? Es ist seltsam, dass diese Ent­scheidung negative Reak­tionen her­vorruft. Und zwar aus fol­gendem Grund: Weil zum Bei­spiel Polen seit fast 10 Jahren, soweit ich mich erinnere seit 2009, den ukrai­ni­schen Polen Doku­mente aus­stellt. Mehr noch: Ungarn und Rumänien stellen eben­falls Ukrainern Pässe aus.
In diesem Zusam­menhang stellt sich mir eine Frage: Was stellt Russen, die in der Ukraine leben, schlechter als Rumänen, Polen oder Ungarn oder Ukrainer, die dort leben, aber sich mit Russland auf­grund ver­schie­dener Umstände wie Ver­wandt­schaft, gemischter Ehen etc. ver­bunden fühlen? Ich sehe hier nichts Ungewöhnliches.
Darüber hinaus: Wenn andere Länder, Nachbarn der Ukraine, seit vielen Jahren das Gleiche tun, warum soll Russland das nicht tun dürfen? Vor allem, da die Men­schen in den Gebieten Donezk oder Lugansk in einer viel schwie­ri­geren Situation leben, als Polen, Rumänen oder Ungarn auf dem Ter­ri­torium der Ukraine. Sie haben viel mehr zu ent­behren. Ihnen werden ele­mentare Men­schen­rechte bei­spiels­weise im Bil­dungs­be­reich vor­ent­halten. Sie können sich nicht einmal auf dem Gebiet der Ukraine, geschweige denn in Dritt­ländern, frei bewegen, weil sie sich ohne gül­tigen Ausweis oder Pass nicht einmal ein Ticket für Flugzeug oder Bahn kaufen können. Das ist eine völlig extreme Situation. (Anm. d. Übers.: Die Ukraine ver­weigert den Bewohnern der Bür­ger­kriegs­ge­biete und ukrai­ni­schen Flücht­lingen in Russland die Aus­stellung von Aus­weis­pa­pieren.)

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Was die genannte Pro­vo­kation betrifft, so liegt es uns und mir per­sönlich fern, jemanden zu pro­vo­zieren. Das Thema Pässe ist rein huma­ni­tärer Natur. Was die immer noch amtie­rende Regierung und die zukünftige Regierung der Ukraine betrifft, so sind sie nach meinen Infor­ma­tionen und ihren öffent­lichen Äuße­rungen nicht gewillt, zum Bei­spiel das Gesetz über die Amnestie zu unter­zeichnen. Auch wollen sie den Son­der­status der Ost­ukraine nicht aner­kennen. Das sind die Schlüs­sel­fragen der Ver­ein­ba­rungen von Minsk. Das bedeutet, dass sie die Ver­ein­ba­rungen von Minsk nicht umsetzen werden. (Anm. d. Übers.: Das ist korrekt, wie der inter­es­sierte Leser hier nach­lesen kann. Diese Dinge sind in den Punkten 4, 5 und 11 des Abkommens von Minsk geregelt, werden von Kiew aber seit der Unter­zeichnung des Abkommens 2015 nicht umge­setzt.)
Und wie steht es um das Schicksal der Men­schen, die in diesen Gebieten leben? Sollen sie so rechtlos bleiben? Sollen sie wei­terhin in völ­liger Iso­lation leben? Es ist ja nicht Russland, das dieses System der Iso­lation errichtet hat, es wurde von der Kiewer Regierung getan, wir waren das nicht. Und das ist übrigens auch ein direkter Verstoß gegen die Ver­ein­ba­rungen von Minsk. Es ist nichts wie­der­her­ge­stellt worden: Weder die wirt­schaft­lichen Ver­bin­dungen, noch die finan­zi­ellen Bezie­hungen. (Anm. d. Übers.: Geregelt in Punkt 8 der Ver­ein­barung von Minsk) Für die Men­schen ent­stehen auf diese Weise huma­nitäre Pro­bleme. Natürlich können wir da nicht ruhig zuschauen. Aber wir sind weit davon ent­fernt, jemanden zu pro­vo­zieren. Wenn die Men­schen, die nun in Kiew an die Macht kommen, die Kraft finden, die Ver­ein­ba­rungen von Minsk umzu­setzen, werden wir mit ihnen in jeder Hin­sicht zusam­men­ar­beiten und alles tun, um die Lage im Süd­osten der Ukraine zu normalisieren.
Frage: Auch zu diesem Thema. Und wie bewerten Sie generell die Ergeb­nisse der Prä­si­dent­schafts­wahlen in der Ukraine? Und wie werden sich Ihrer Meinung nach die rus­sisch-ukrai­nische Bezie­hungen unter dem neuen Prä­si­denten entwickeln?
Wla­dimir Putin: Das weiß ich nicht. Das wird von der Politik abhängen, die die neue poli­tische Führung der Ukraine ver­folgen wird. Wir sind bereit, die Bezie­hungen voll­ständig wie­der­her­zu­stellen, aber wir können das nicht alleine tun.
Wie soll ich die Wahlen bewerten? Was gibt es da zu bewerten? Das ist das Ergebnis des völ­ligen Ver­sagens der Politik von Poro­schenko. Ein voll­stän­diges und abso­lutes Ver­sagen. Und ich bin mir sicher, dass die neue Regierung das ver­steht. Sie ver­stehen es her­vor­ragend. Warten wir ihre ersten Schritte ab. Das alles zu ver­stehen ist eine Sache, aber es ist eine andere, eine rea­lis­tische Politik zu ent­wi­ckeln, die den Inter­essen der Men­schen entspricht.
Frage: Nochmal zu Ihrem Dekret. Heute ver­sucht Poro­schenko mit Hilfe seiner Partner, den UN-Sicher­heitsrat ein­zu­be­rufen. Was die west­liche Reaktion betrifft, so werden Begriffe wie „ter­ri­to­riale Inte­grität“ ver­wendet. Bezieht sich Ihr Dekret auf die ter­ri­to­riale Inte­grität der Ukraine, weil der neue Prä­sident, obwohl er noch nicht im Amt ist, sagt, es sei ein Versuch, eine rus­sische Enklave auf dem Ter­ri­torium der Ukraine zu errichten?
Wla­dimir Putin: Schauen Sie, ich habe, glaube ich, diese Frage schon beant­wortet. Als andere Nach­bar­staaten Pässe aus­ge­stellt haben, wurde nicht ver­sucht, das Thema in den UN-Sicher­heitsrat zu bringen. Warum jetzt? Was ist der Unter­schied zwi­schen diesen Situa­tionen? Es gibt keinen, außer dass die Men­schen im Süd­osten der Ukraine in einer viel schwe­reren Lage sind. Das ist eine huma­nitäre Frage. Nun, sollen sie es in den Sicher­heitsrat bringen, dann dis­ku­tieren wir darüber.
Sei­nerzeit initi­ierte Herr Poro­schenko die Präsenz von Frie­dens­truppen der Ver­einten Nationen in diesen Gebieten zum Schutz und zur Sicherheit von OSZE-Beob­achtern. Wir haben zuge­stimmt. Unsere ukrai­ni­schen Partner wei­gerten sich dann sofort und for­derten mehr, sie for­derten dann, dass dort alles unter die Kon­trolle von UN-Truppen über­führt werden sollte. Das ist ein eigenes Thema, man kann darüber dis­ku­tieren. Aber dies ist nicht der Versuch, das Problem im Dialog mit den Men­schen, die in diesen Gebieten leben, zu lösen.
Ende der Übersetzung
Wenn Sie sich dafür inter­es­sieren, wie Russland auf die Fragen der inter­na­tio­nalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Das Thema Ukraine zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und Putin hat die boh­renden Fragen west­licher Jour­na­listen dazu immer wieder, mal ernsthaft, mal mit Humor, beant­wortet. Diese Fragen und Ant­worten sind in dem Buch aus­führlich wörtlich zitiert.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“