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Warum die freie Gesell­schaft lang­fristig wohl scheitern wird

Wenn meine Analyse stimmt, dass wir uns in einem gigan­ti­schen Welt­an­schauungs- und Kul­tur­krieg befinden zwi­schen 1. Libe­ra­lismus, 2. Sozia­lismus und 3. Ultra-Kon­ser­va­tismus in Form des Islam, so stellt sich die Frage, warum der Libe­ra­lismus so schwach ist, wo er doch ohne Zweifel den mit Abstand höchsten Lebens­standard und die am besten funk­tio­nie­renden Gesell­schaften erzeugt überall, wo er umge­setzt wird. Ich meine, die Schwäche des Libe­ra­lismus, warum er bei so wenig Men­schen in ihrem Herzen ver­fängt, man schaue sich nur die Wahl­er­geb­nisse der FDP über 70 Jahre an, ist eine struk­tu­relle. Denn er hat gegenüber den beiden anderen großen Welt­an­schau­ungs­sys­temen, die sich bei uns in a) CDU/CSU sowie b) SPD und Links­partei nie­der­schlagen, einen ent­schei­denden, essen­zi­ellen Nachteil.
Der Libe­ra­lismus baut auf einer Negation auf
In Kern des Libe­ra­lismus steckt nämlich keine Bejahung, sondern eine Ver­neinung. Für Freiheit sein bedeutet nichts anderes als gegen die Fesseln der Unfreiheit, gegen Unter­drü­ckung zu sein. Das kann Men­schen schon einen, wenn sie alle gefesselt sind, wenn sie alle unter­drückt werden. Aber das Einende ist hier das Die-Fesseln-abstreifen-Wollen, also eine Negation. Was aber, wenn die Fesseln abge­streift sind? Dann zeigt sich meist, dass die Leute relativ schnell in ver­schiedene Rich­tungen davon mar­schieren, weil ja das Einende, die Fessel, über­wunden wurde.
Die sozia­lis­ti­schen Verlockungen

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Ganz anders dagegen der Sozia­lismus und der (Ultra)Konservatismus. Die Sozia­listen eint der Kampf gegen die Oben, gegen die Reichen, gegen die Erfolg­reichen, gegen die von Natur, Familie, Gesell­schaft Pri­vi­le­gierten. Und da die Mehrheit nie zu diesen gehört, kann man immer große Massen hinter sich ver­einen, um denen, die viel mehr haben, weg­zu­nehmen. Man spricht dann von „Umver­teilung“ oder gar von sozialer Gerech­tigkeit, wobei die Anführer dieser großen Umver­teilung, die sich als Volks­tri­bunen auf­spielen, meist Leute sind, die es sonst zu wenig bringen würden, sich dabei kräftig die eigenen Taschen füllen; siehe Sozi-Mil­lionär Schulz, der es ohne Schul­ab­schluss und Beruf mit dieser Masche, sich als Vor­kämpfer der „sozialen Gerech­tigkeit“ auf­zu­spielen, weit brachte.
Gerech­tigkeit aber ist ein sehr positiv besetzter Aus­druck. Wenn man Sozialist ist, ist man ein „Gerechter“, genauer: man gibt sich als ein solcher aus. Und man pro­fi­tiert sogar selbst von dieser „Gerech­tigkeit“, weil anderen etwas weg­ge­nommen wird und man selbst etwas bekommt, ohne dass man etwas dafür tun muss, zum Bei­spiel hart arbeiten, am Markt bestehen, den Leuten oder einer Firma etwas anbieten, was diese unbe­dingt haben wollen, etwas erfinden, ent­wi­ckeln etc. Wie verlockend!
Hinzu kommt die Idee der Gleichheit, die im Sozia­lismus so inter­pre­tiert wird, dass alle mög­lichst ähn­liche Lebens­ver­hält­nisse haben sollen, obschon das, was sie leisten, um diese Lebens­ver­hält­nisse zu gene­rieren, voll­kommen ungleich ist. Das wider­spricht eigentlich voll­kommen der Gerech­tig­keitsidee, denn Gerech­tigkeit bedeutet ja, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Wenn einer das Zehn­fache leistet, aber nur zehn Prozent mehr bekommt, ist das ja nicht gerecht, sondern gerade sehr ungerecht.
Des­wegen muss der Gerech­tig­keits­be­griff umge­formt werden, was aber leicht gelingt, weil die Mehrheit bei dieser Begriffs­ver­drehung gut davon kommt. Die meisten sind ja Emp­fänger der „Umver­teilung“ und nicht Geber oder Zahler. Und wenn du jemandem jeden Tag drei Mahl­zeiten bezahlst und Kleider und eine Wohnung und einen schönen Urlaub, dann inter­es­sieren ihn saubere Begriffs­ver­wen­dungen nur noch peripher, wenn überhaupt.
Der gesamte Sozia­lismus baut also auf einer Unge­rech­tigkeit auf, die er einfach als „Gerech­tigkeit“ umde­fi­niert, was dadurch gelingt, dass er den Vielen etwas Posi­tives anzu­bieten hat.
Die Ver­lo­ckungen der (Ultra-)Konservativen
Noch mehr gilt das, das Etwas-Posi­tives-Anbieten für die Kon­ser­va­tiven und Ultra-Kon­ser­va­tiven, die ja beide meist religiös sind. Reli­gionen arbeiten alle seit Jahr­tau­senden mit all den Tricks der Ver­spre­chungen und Ver­füh­rungen und haben es hier im Laufe der Jahr­tau­sende zu einer wahren Meis­ter­schaft gebracht. Sie liefern ihren Anhängern – und jedes kleine Kind wird ja, kaum ist es dem müt­ter­lichen Uterus ent­schlüpft, sofort zu einem solchen her­an­ge­zogen – eine kom­plett vor­ge­fer­tigte Welt­an­schauung mit allem drum und dran: Wert­vor­stel­lungen, Normen, Ver­hal­tens­regeln, manche ja sogar so extrem, dass sie das gesamte Leben in allen Bereichen exakt regeln, sogar das Essen, das Aus­ruhen und die Sexua­lität. Vor allem aber wird eine klare Sinn­gebung vorgegeben.
Und hier ist der Islam dem Chris­tentum und erst recht dem Bud­dhismus des­wegen über­legen, weil er hier kon­se­quenter ist und viel mehr vorgibt, die Schranken quasi noch enger setzt, außerdem Abweichler noch härter sank­tio­niert. Libe­ra­lismus ist für solche Systeme lang­fristig tödlich, daher ist das Chris­tentum auch so schwach geworden. Ohne per­manent Indok­tri­nation von klein auf und harte Bestrafung der Abweichler funk­tio­nieren solche Systeme nicht. Schon Moses, egal ob his­to­rische oder rein lite­ra­rische Figur, wusste das, siehe Exodus 32, den Mythos vom gol­denen Kalb, ins­be­sondere Vers 25 bis 29:
»Als nun Mose sah, dass das Volk zuchtlos geworden war – denn Aaron hatte sie zuchtlos werden lassen zum Gespött ihrer Wider­sacher –, trat Mose in das Tor des Lagers und rief: Her zu mir, wer dem HERRN angehört! Da sam­melten sich zu ihm alle Söhne Levi. Und er sprach zu ihnen: So spricht der HERR, der Gott Israels: Ein jeder gürte sein Schwert um die Lenden und gehe durch das Lager hin und her von einem Tor zum andern und erschlage seinen Bruder, Freund und Nächsten. Die Söhne Levi taten, wie ihnen Mose gesagt hatte; und es fielen an jenem Tage vom Volk drei­tausend Mann. Da sprach Mose: Füllt heute eure Hände zum Dienst für den HERRN – denn ein jeder ist wider seinen Sohn und Bruder gewesen –, damit euch heute Segen gegeben werde.«
In solchen reli­giösen Sys­temen, ganz besonders in den drei abra­ha­mi­tisch-mono­the­is­ti­schen, wird den Men­schen genau gesagt, was ihre Aufgabe hier auf Erden ist, wozu das alles sein soll, wen und was sie anbeten sollen, wie sie sich ver­halten, was sie machen und unter­lassen sollen usw. usf. Kurzum, die Leute haben eine klare Ori­en­tierung mit klaren Schranken links und rechts, fühlen sich geborgen, getröstet, sind Teil einer Gemein­schaft, sie gehören dazu und sie wissen, wozu sie leben. Das sind starke Angebote und es sind alles positive Dinge. Man gibt den Leuten etwas in die Hand. Gerade für ein­facher gestrickte Men­schen, die völlig über­fordert wären, müssten sie selbst etwas ent­wi­ckeln oder sich suchen, ein nicht zu Unterschätzendes!
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Wie soll der Libe­ra­lismus, der ja nicht gibt, sondern Fesseln weg­nimmt, dagegen ankommen? Eigentlich müsste er diesen extrem frei­heits­feind­lichen, anti­li­be­ralen Ultra-Kon­ser­va­tismus mit aller Macht bekämpfen. Wie dies aus­sehen könnte, habe ich hier zum Bei­spiel beschrieben. Hier kommt aber von den Libe­ralen viel zu wenig und bei der AfD weiß man nicht so recht, ob der Kampf gegen den Islam primär aus libe­ralen, frei­heits­lie­benden Motiven erfolgt oder um einem eigenen anti­li­be­ralen Kon­ser­va­tismus durch­zu­setzen. Die Partei scheint mir hier in sich völlig zer­rissen respektive ohne klare Aus­richtung. Wahr­scheinlich will sie das auch gar nicht the­ma­ti­sieren, weil sie dann wohl fest­stellen würde, dass es ruckzuck zwei Par­teien wären, ihre Macht mithin schwinden würde.
Die Schwächen des Libe­ra­lismus, der die breite Masse überfordert
Ja sicher, einige wenige, die in diesen vor­ge­fer­tigten (ultra)konservativen Sys­temen oder sozia­lis­ti­schen Sys­temen see­lisch vor die Hunde gehen würden, weil sie die per­ma­nenten Denk- und Sprech­verbote nicht ertragen könnten, die werden die Freiheit im Libe­ra­lismus lieben. Aber selbst sie werden manchmal an ihre Grenzen stoßen und sich nach mehr Gebor­genheit und mehr Mit­ein­ander sehnen.
Das Mit­ein­ander kann der Libe­ra­lismus aber nicht richtig erzeugen. Denn wenn jeder machen kann, was er will und frei sprechen kann, dann reden viele ziem­lichen Blödsinn. Als Libe­raler muss man sich aber dafür ein­setzen, dass jeder jeden Blödsinn reden darf, solange er nicht die Freiheit der anderen abschaffen will. (Dieser Aspekt der Wehr­haf­tigkeit fehlt übrigens der FDP, die die Feinde der Freiheit nicht aktiv bekämft, sondern sogar sie frei gewähren lassen will.) Man liebt aber nie­manden und fühlt sich ihm auch nicht besonders eng ver­bunden, der per­manent blödes Zeug von sich gibt, dafür, dass er das tut. Eigentlich müsste man ihn per­manent kri­ti­sieren, um ihm so die Mög­lichkeit zu geben, sein Weltbild wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, es besser zu machen. Aber das wird sowohl für ihn, der sich dann meist gleich per­sönlich ange­griffen fühlt, als auch für einen selbst so anstrengend, dass beide meist wenig Lust darauf haben.
Damit aber trennen sich die Wege und jeder malt sich seine eigene Sicht der Dinge, jeder geht seinen eigenen Weg, was schnell in die Ver­ein­samung führen kann. Der Dialog reißt ab und jeder mar­schiert in seine Richtung, während die Sozia­listen und (Ultra)Konservativen gleich­zeitig alle schön ein­norden, wie die Eisen­späne, an die man einen großen Magneten hält. Alle schauen jetzt ent­weder exakt oder zumindest annä­hernd in die gleiche Richtung.
Abweichler werden nie­der­ge­macht, siehe Moses, siehe die Christen, die nicht erst im Mit­tel­alter anfingen, „Hexen“ zu ver­folgen, siehe ganz besonders die gesamte isla­mische Welt, was sie mit „Apo­staten“ macht, siehe aber auch Marx, Lenin, Stalin, Hitler, die kom­mu­nis­tische Partei in China, Kim Jong-un und wie die Anti-Libe­ralen alle heißen. Genau dieses kon­se­quente Vor­gehen gegen Abweichler, Eisen­späne, die sich nicht vom Magneten ein­norden lassen, sondern auf ihr Inneres hören, im Ide­alfall auf ein fein ent­wi­ckeltes Gewissen, erhöht aber die Stärke des Ver­bandes, weil Abweichler auch die anderen ver­un­si­chern. Also müssen sie voll­kommen liqui­diert oder zumindest mundtot gemacht werden. Das nimmt die Mehrheit aber meist bil­ligend in Kauf. Weshalb?
Weil sie dafür so viel Posi­tives bekommen. Weil sie etwas in die Greif­bares in die Hand bekommen, hier mate­rielle Ver­spre­chungen, dort Jen­seits-Ver­spre­chungen, die jeweils die Gemein­schaft innerlich zusam­men­schweißen, weil jetzt alle eine ähn­liche Welt­an­schauung mit ähn­lichen Idealen und Wert­vor­stel­lungen haben. Wie soll der Libe­ra­lismus, die Liebe zur Freiheit, der Fesseln weg­nimmt statt leicht Ver­dau­liches zu geben, das alle ver­bindet, dagegen ankommen?

Jürgen Fritz — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com