Der Iran hat angekündigt, Teile des Atomabkommens auszusetzen. Was bedeutet das und wie stellt es die deutsche Presse dar?
Das Atomabkommen wurde 2015 nach langen Verhandlungen geschlossen. Der Iran hat sich darin verpflichtet, sein Atomprogramm einzustellen und im Gegenzug sollten die Sanktionen gegen den Iran abgeschafft werden. Der Iran hat sich seitdem an das Abkommen gehalten, niemand wirft ihm vor, es verletzt zu haben.
Trotzdem haben die USA den Vertrag gebrochen. Sie sind nicht etwa aus dem Abkommen „ausgestiegen“, wie deutsche Medien es gerne formulieren, sondern sie haben es gebrochen, denn ein solcher einseitiger Ausstieg war laut Vertrag gar nicht möglich.
Aber damit nicht genug. Als die USA vor einem Jahr diesen Vertragsbruch verkündete, konnte man sogar bei der Tagesschau Folgendes dazu lesen:
„Am 20. Juli 2015 saßen sie damals im UN-Sicherheitsrat, dem mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen, und stimmten darüber ab, was zwölf lange Jahre zuvor ausgehandelt wurde. 15 Hände gingen nach oben damals. Einstimmig angenommen. Dass die USA dieses Abkommen jetzt einseitig aufkündigten, ist ein klarer Verstoß gegen eine gültige UN-Resolution. Es ist der Bruch geltenden Rechts.“
Es handelt sich bei dem „Ausstieg“ der USA aus dem Atomabkommen also nicht „nur“ um einen Vertragsbruch, sondern um einen Bruch des Völkerrechts. Das aber haben die Medien heute in diesem Zusammenhang längst vergessen, wenn sie vom „einseitigen Ausstieg“ der USA reden.
Dieser Völkerrechtsbruch der USA dürfte in erster Linie dem Einfluss von Trumps Schwiegersohn geschuldet sein, der von Trump zum Nahost-Beauftragten ernannt wurde. Kushner, der Schwiegersohn von Trump, ist ein langjähriger, enger persönlicher Freund von Israels Ministerpräsident Netanjahu, und er macht im Nahen Osten eine einseitig pro-israelische Politik. Daher auch die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem und die Anerkennung der israelischen Besetzung der Golanhöhen durch die USA. Und darin dürfte eben auch der Bruch des Atomabkommens begründet sein.
Nach diesem Vertragsbruch durch die USA war es die Verantwortung vor allem der Europäer, das Abkommen und damit die Einhaltung des Völkerrechts zu schützen. Die US-Sanktionen sorgten dafür, dass die weltweiten Sanktionen de facto wieder eingeführt wurden. Das bedeutete, dass der Iran de facto das Abkommen einseitig einhielt, indem er auf sein Atomprogramm weiterhin verzichtete, aber wieder strengen Wirtschaftssanktionen ausgesetzt war. Hier hätten sich die Europäer gegen die Sanktionen stemmen und sie ignorieren müssen, was sie aber nicht getan haben.
Wichtig wäre in erster Linie gewesen, den Zahlungsverkehr mit dem Iran aufrecht zu erhalten, denn europäische Banken weigerten sich aus Angst vor Strafen der USA, den Zahlungsverkehr zu erhalten. Ohne Bezahlung ist aber Handel unmöglich. Die EU hat auf dem Papier reagiert und im Januar endlich Instex geschaffen, eine Art Tauschbörse, die keinen Zahlungsverkehr durchführt, sondern nur verrechnet. Das war aber nicht ausreichend.
Damit war der Handel zwischen der EU und dem Iran praktisch tot und die EU ist damit trotz aller schönen Worte, das Atomabkommen erhalten zu wollen, den US-Sanktionen gefolgt.
Vertragsparteien des Atomabkommens sind der Iran, die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Außer den USA wollen alle Parteien das Abkommen erhalten, auch wenn die EU außer schönen Worten nicht viel getan hat. Russland hat diese „Feigheit der EU“ mehrmals scharf kritisiert.
Nun also hat der Iran, nachdem er ein Jahr lang still gehalten hat, angekündigt zu reagieren. Seine Reaktion ist dabei ausgesprochen zurückhaltend, er will nur zwei Punkte des Abkommens aussetzen: Es geht dabei um die Beschränkungen der Lagerung von angereichertem Uran und schwerem Wasser.
Auch hier gibt der Iran jedoch den anderen Vertragsparteien 60 Tage Zeit, ihren Teil der Vereinbarungen endlich umzusetzen, er würde seinen Teil sofort wieder einhalten. Dies ist als Ansage an die EU zu verstehen, denn die USA wollen das Abkommen gar nicht einhalten und Russland und China haben den Handel mit dem Iran nicht eingeschränkt, das hat nur die EU getan. Wenn die EU das Atomabkommen also erhalten will, dann wird es höchste Zeit, nach einem Jahr den schönen Worten auch Taten folgen zu lassen.
Die EU denkt aber gar nicht daran. Schon gestern hat Frankreich mitgeteilt, dass die EU ihre Sanktionen wieder aufnehmen könnte, wenn der Iran das Abkommen nicht auch weiterhin vollständig umsetzt.
Nun stehen Politik und Medien in Deutschland vor dem Problem, dies der Bevölkerung verkaufen zu müssen. In einer ersten Reaktion berichtet der Spiegel noch weitgehend korrekt, das wird sich in den nächsten Tagen ändern, wenn man sich auf das offizielle „Wording“ verständigt hat. Lediglich in zwei Punkten schreibt der Spiegel schon die Unwahrheit. So schreibt er Spiegel:
„Die USA hatten das Abkommen 2018 einseitig aufgekündigt und umgehend Wirtschaftssanktionen erlassen.“
Wie gesagt, gab es die Möglichkeit einer einseitigen Kündigung nicht, es handelt sich um einen Bruch des Völkerrechts. Aber dass die USA Verträge und sogar das Völkerrecht einfach brechen, wenn sie ihnen nicht mehr gefallen, kommt einem Spiegel-Redakteur natürlich nicht über die Lippen.
Weiter schreibt der Spiegel:
„Die Europäische Union richtete sogar einen eigenen Finanzierungsmechanismus ein, um Sanktionen der USA gegen Iran zu umgehen, damit der Deal erhalten bleibt.“
Nur ist Instex aber kein „Finanzierungsmechanismus“, sondern eine Tauschbörse, die nicht funktioniert. Aber da der Spiegel das nicht erwähnt, wird beim Leser der Eindruck erweckt, die EU habe alles getan, was sie konnte, und der Iran steigt trotzdem aus dem Abkommen aus. Der Spiegel schiebt also die Schuld schon mal dem Iran zu, obwohl sie bei der EU liegt, die ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen, vor allem im Bereich Öl und Banken, nicht erfüllt hat. Die offizielle Erklärung des Iran enthält denn auch folgenden Teil:
„Der Iran zeigte im vergangenen Jahr maximale Selbstbeherrschung und gab anderen Parteien beträchtliche Zeit, um die Auswirkungen der US-Sanktionen zu kompensieren.“
Ein eindeutiger Seitenhieb auf die Untätigkeit der EU.
Der Iran teilte weiter mit, dass er, wenn die „anderen Vertragsparteien“, also vor allem die EU, nach Ablauf der 60-Tages-Frist ihren Teil der Vereinbarung nicht umsetzen, wieder mit der Anreicherung von Uran beginnen wird.
Nun liegt es an der EU, zu zeigen, ob sie das Abkommen tatsächlich erhalten will, oder ob sie als Schoßhündchen der USA vor Washington kuschen wird. Aber es dürfte klar sein, dass Letzteres eintritt. Die Folgen für die Situation im Nahen Osten dürften verheerend sein.
Der Iran hat genau ein Jahr still gehalten, denn die USA haben ihren Vertragsbruch am 8. Mai 2018 verkündet. So viel Geduld hat vor einem Jahr niemand erwartet, die Analysten haben eine Reaktion des Irans bereits nach sechs Monaten im November erwartet.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“