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Wenn er unsere Natio­nal­hymne hört, sieht Bodo Ramelow Nazis aufmarschieren

„Einigkeit und Recht und Freiheit…“ die zen­tralen Begriffe in unserer Natio­nal­hymne, drei Begriffe, an denen ein demo­kra­tisch ori­en­tierter Geist eigentlich nichts aus­setzen kann. Anders bei Thü­ringens Minis­ter­prä­sident Bodo Ramelow (Linke), der, wenn er die Hymne hört, reflex­artig das Bild der Nazi­auf­märsche von 1933 bis 1945 vor Augen hat. Von welcher Paranoia wird dieser Mensch gequält? Nazis allent­halben. Wohin er sieht, wohin er hört – überall Nazis?

Das erscheint schon sehr befremdlich, denn „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gehörte ganz gewiss nicht zum Voka­bular der Natio­nal­so­zia­listen. Deshalb haben jene die 3. Strophe des „Lieds der Deut­schen“ – kom­po­niert von Joseph Hayden und getextet 1841 von August Heinrich Hoffmann von Fal­lers­leben – auch nicht gesungen, sondern nur die 1.Strophe „Deutschland, Deutschland über alles…“, und daran das „Horst-Wessel-Lied“ ange­hängt. Vor allem die Ost­deut­schen, behauptet Ramelow, sängen die Natio­nal­hymne ganz bewusst nicht mit, weil sie ihnen fremd sei. Woher weiß der das? Eine ent­spre­chende Umfrage hat es in Ost­deutschland meines Wissens nicht gegeben und meine Erin­ne­rungen an die Zeiten des Mau­er­falls und der Wie­der­ver­ei­ni­gungen vor nunmehr knapp 30 Jahren sind ganz andere. Mit großer Begeis­terung und Tränen in den Augen haben sie mit­ge­sungen, wo immer sich die Gele­genheit bot.

Auch der Gleich­stel­lungs­be­auf­tragten ist die Hymne ein Dorn im Auge: zu frauenfeindlich

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Die Iden­ti­fi­kation der bis dahin hinter Mauern und Sta­chel­draht ein­ge­sperrten Men­schen in der DDR gerade mit diesen drei Begriffen ist absolut nach­voll­ziehbar. Genau das nämlich ist den meisten von ihnen unter der SED-Dik­tatur ver­wehrt worden. Schon der Gedanke an Einigkeit mit dem impe­ria­lis­ti­schen Klas­sen­feind im Westen war strafbar; Recht war das Recht, das den Par­tei­bonzen und der Stasi genehm war; Frei­heiten des Alltags musste man sich in kleinen Nischen schaffen, was nicht unge­fährlich war, und Bewe­gungs­freiheit reichte maximal bis zum bul­ga­ri­schen Gold­strand. Für seine Natio­nal­hymnen-Phobie erntete der linke Thü­ringer, der ja ursprünglich Nie­der­sachse ist, heftige Kritik. Am tref­fendsten hat es wohl CSU-Gene­ral­se­kretär Markus Blume for­mu­liert: „Wenn Herr Ramelow von den SED-Nach­folgern der Links­partei ein Problem mit Einigkeit und Recht und Freiheit hat, dann sollte er seine Haltung über­denken, aber nicht unsere Natio­nal­hymne ändern.“

Ramelows musi­ka­lisch-ästhe­ti­schem Emp­finden schwebt „etwas ganz Neues“ vor, „einen Text der so ein­gängig ist, dass sich alle damit iden­ti­fi­zieren können und sagen: Das ist meins.“ Für mich per­sönlich ist nicht erkennbar, welche Passage in dem Text von Hoffmann von Fal­lers­leben diesen For­de­rungen zuwider läuft. – Ach doch, ich erinnere mich. Da hat sich vor gut einem Jahr die Gleich­stel­lungs­be­auf­tragte Kristin Rose-Möhring (SPD) den Kopf darüber zer­brochen, wie der – ihrer Meinung nach – latent frau­en­feind­liche Text unserer Natio­nal­hymne zu ent­männ­lichen ist. Sie hat gefordert, aus „Vaterland“ solle „Hei­matland“ werden und statt „brü­derlich mit Herz und Hand“ sollen wir künftig „cou­ra­giert mit Herz und Hand“ singen. Viel­leicht hat das die gegen­derten Gehirn­win­dungen des thü­rin­gi­schen Minis­ter­prä­si­denten bewegt? Wer weiß!

Zustimmung bekam Ramelow immerhin aus den eigenen Reihen. So hält der Linke-Poli­tiker Rico Gebhard, Frak­ti­onschef im säch­si­schen Landtag, eine Dis­kussion über die Hymne für über­fällig. Die Auf­ar­beitung der deutsch-deut­schen Ver­gan­genheit und die Folgen des „Bei­tritts“ der DDR kämen dort zu kurz. Als Alter­native schlägt Gebhard die „Kin­der­hymne“ von Bertold Brecht vor und begründet das auch: „Der Text ist von schlichter Schönheit und ent­spricht einem auf­ge­klärten Hei­mat­ver­ständnis, das keinen Platz für Natio­na­lismus und über­stei­gerten Patrio­tismus lässt.“

Hier der Text von Brechts „Kin­der­hymne“

Anmut sparet nicht noch Mühe,
Lei­den­schaft nicht noch Verstand,
daß ein gutes Deutschland blühe,
wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin,
sondern ihre Hände reichen
uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
andern Völkern wolln wir sein,
von der See bis zu den Alpen,
von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern,
lieben und beschirmen wir’s.
Und das liebste mag’s uns scheinen
so wie andern Völkern ihrs.

Die Chance, Volkes Meinung ein­zu­holen, wurde vertan

Bei einer ver­glei­chenden Text­analyse – ich habe während meines Ger­ma­nistik-Stu­diums mal gelernt wie so etwas geht – würde sich eine ganze Reihe von Über­ein­stim­mungen ergeben. Das zu tun, würde an der Stelle zu weit führen, aber soviel kann man sagen: Der Text von 1841 trans­por­tiert genau so viel oder so wenig Natio­na­lismus bzw. über­stei­gerten Patrio­tismus wie der von 1953. Und so ganz neu, wie Ramelow es will, ist der Brecht’sche Text ja nun auch nicht. Gewiss hätte man nach Voll­endung der deut­schen Einheit 1990 in Ver­bindung mit der Dis­kussion um eine neue gemeinsame Ver­fassung – ein Ver­sprechen, das nie ein­ge­halten wurde – auch die Frage nach der künf­tigen Natio­nal­hymne stellen können. Das wäre mal eine her­vor­ra­gende Gele­genheit gewesen, das ganze Volk in die Ent­schei­dungs­findung per Refe­rendum ein­zu­be­ziehen. Ich bin sicher, eine große Mehrheit hätte sich für „Einigkeit und Recht und Freiheit…“ aus­ge­sprochen. Aber diese Chance wurde wie viele andere vertan.

Thü­ringens Minis­ter­prä­sident gehört nicht zu den­je­nigen, die meinen, in jeder Talkshow ihren Senf dazu­geben zu müssen. Das macht ihn sym­pa­thisch. Aber im Herbst wird in seinem Bun­desland ein neuer Landtag gewählt, und natürlich möchte er sein Amt gern behalten. Also muss er irgendwann mal wieder aus der Ver­senkung auf­tauchen und deutlich machen, dass er auch noch da ist. Ob der Hymnen-Vorstoß eine gute Idee war, wage ich zu bezweifeln. Ich erwarte eher, dass neben der SPD auch die Linken ordentlich abge­watscht werden und letztlich die AfD als Gewinner aus dieser Wahl her­vorgeht. Ob das gut oder schlecht ist für Thü­ringen, wird sich dann zeigen, aber eines ist sicher: Die Anhänger dieser Partei haben kein Problem „Einigkeit und Recht und Freiheit…“ zu singen. Und noch etwas steht außer Frage: Um die innere Einheit zwi­schen Ost und West weiter zu befördern, gibt es weiß Gott wich­tigere Themen, die die Men­schen hier wie dort wirklich beschäftigen.


Quelle: www.anderweltonline.com