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Die neo­mar­xis­ti­schen Wurzeln der „Modernen Geldtheorie“

Die Auf­merk­samkeit, die die soge­nannte „Modern Monetary Theory“ (MMT) wei­terhin erhält, liegt nicht daran, dass sie einen wert­vollen Beitrag zum Ver­ständnis der Wirt­schaft leistet, sondern weil die Sozia­listen aller Cou­leurs sie als Vehikel will­kommen heißen, exor­bi­tante Staats­aus­gaben zu recht­fer­tigen. Diese „moderne Geld­theorie“ besagt, dass Staats­ver­schuldung angeblich gefahrlos sei und Defizite keine Rolle spielen würden. Im Gegenteil: die MMT ver­kündet, dass die Wirt­schaft umso mehr wächst, je mehr der Staat ausgibt. Die Grund­these dieser Theorie besagt, dass sich die Staats­aus­gaben selbst finan­zieren, da jedem Defizit im Staats­sektor auto­ma­tisch ein Finanz­über­schuss im pri­vaten Sektor gegenübersteht.
Die These von der Selbst­fi­nan­zierung der Staats­aus­gaben und dass öffent­liche Defizite keine Rolle spielen, stammt nicht vom eng­li­schen Öko­nomen John Maynard Keynes, sondern vom viel weniger bekannten pol­ni­schen Öko­nomen Michal Kalecki (1899–1970). Dieser mar­xis­tische Ökonom zählt zu den Begründern der These, dass Staats­ver­schuldung pro­blemlos sei, weil die staat­lichen Defizite auto­ma­tisch einen Spar­über­schuss im pri­vaten Sektor dar­stellen. Bud­get­de­fizite sind für Kalecki fester Bestandteil einer Wirt­schafts­po­litik, die Voll­be­schäf­tigung erreichen will. Während Keynes betonte, dass die Anhäufung von Staats­schulden nicht außer Kon­trolle geraten dürfe und die Schulden daher in Zeiten des Booms liqui­diert werden sollten, ist es nach Ansicht von Kalecki möglich, Staats­schulden ohne Begrenzung anzuhäufen.

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In der kon­ven­tio­nellen Makro­öko­nomie stellt das Spar­auf­kommen die Mittel zur Finan­zierung von Inves­ti­tionen bereit. Ein Haus­halts­de­fizit, als nega­tives Sparen, mindert demnach das nationale Spar­auf­kommen. Die Modern Monetary Theory, für die es inzwi­schen sogar ein makro­öko­no­mi­sches Lehrbuch gibt, stellt die Sachlage jedoch auf den Kopf: Je mehr die Kapi­ta­listen inves­tieren und je höher die Defi­zit­aus­gaben der Regierung, desto größer wird der nationale Spar­über­schuss. Basierend auf einer Reihe von Glei­chungen, die Kaleckis Modell ähneln, fordern die Befür­worter der „Modernen Geld­theorie“ unge­hin­derte Defi­zit­aus­gaben, um das Wirt­schafts­wachstum vor­an­zu­treiben. Ihr Slogan, dass „Defizite keine Rolle spielen“ und dass die Staats­aus­gaben keine Grenzen hätten, wird von den Demo­cratic Socia­lists of America (DSA) und den mit dieser Bewegung asso­zi­ierten Poli­tikern lei­den­schaftlich begrüßt. Die MMT dient diesen Gruppen als intel­lek­tu­elles Instrument, um unge­hemmt höhere Staats­aus­gaben und umfas­sende öffent­liche Wohl­fahrts­aus­gaben zu rechtfertigen.
Keynes argu­men­tierte, dass Erspar­nisse der Teil des Volks­ein­kommens seien, der nicht kon­su­miert wird. Im Gegensatz dazu geht die makro­öko­no­mische Hypo­these von Kalecki davon aus, dass Arbeit­nehmer ihr gesamtes Ein­kommen ver­brauchen. Mit anderen Worten: die Arbeit­nehmer haben eine mar­ginale Kon­sum­quote von eins und eine Spar­quote von null.  Erhö­hungen der Lohn­summe werden somit voll­ständig nach­fra­ge­wirksam und stellen für die Kale­ckianer den idealen Ansatz­punkt einer kon­junk­tu­rellen Ankur­be­lungs­po­litik dar.
Bei den „Kapi­ta­listen“ ist gemäß der Theorie Kaleckis die Lage anders. Ihr Ein­kommen besteht in Form von Gewinnen, und diese ergeben sich aus der Dif­ferenz zwi­schen Natio­nal­ein­kommen und Löhnen. Da der Ver­brauch der Arbeiter ihrem Lohn ent­spricht, bleiben Inves­ti­tionen und der Ver­brauch des Kapi­ta­listen als eine Rest­größe. In einer eigen­tüm­lichen Wendung der Argu­men­tation, die sich jedoch auf sein Modell der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaft als Klas­sen­ge­sell­schaft stützt, ergibt sich, dass die Gewinne durch die Höhe der Inves­ti­tionen der Kapi­ta­listen und den Umfang ihres Konsums bestimmt werden. Je mehr „die Kapi­ta­listen“ inves­tieren und ver­brauchen, desto höher ihre Gewinne und um so mehr können sie daran anschließend erneut inves­tieren und konsumieren.
Joan Robinson, die in kol­le­gialer Freund­schaft sowohl mit Keynes als auch mit Kalecki an der bri­ti­schen Cam­bridge Uni­ver­sität ver­bunden war, fasste die Theorie Kaleckis fol­gen­der­maßen zusammen: „Die Arbeiter geben aus, was sie ver­dienen, und die Kapi­ta­listen ver­dienen, was sie ausgeben.“
Michal Kalecki erklärt:
… Das Haus­halts­de­fizit finan­ziert sich immer von selbst – das heißt, sein Anstieg führt immer zu einem solchen Anstieg der Ein­kommen und zu Ver­än­de­rungen in ihrer Ver­teilung, dass gerade genug Erspar­nisse anfallen, um es zu finan­zieren ein­schließlich der Net­to­in­ves­ti­tionen… Jede Höhe der pri­vaten Inves­ti­tionen und des Haus­halts­de­fizits bringen immer die gleichen Erspar­nisse mit sich, um diese beiden Posten zu finanzieren.
Kalecki erweitert das keyne­sia­ni­schen Grund­modell, bei dem sich das Ein­kommen aus Konsum, Inves­ti­tionen, Staats­aus­gaben und Net­to­ex­porten zusam­men­setzt. Das private Sparen ist der Teil des Ein­kommens, der nach Steuern und Konsum übrig­bleibt. Nach dem Modell Kaleckis ent­sprechen diese pri­vaten Erspar­nisse der Summe der Inves­ti­tionen, dem Han­dels­bi­lanz­de­fizit und dem Fehl­betrag des öffent­lichen Haus­halts. Dieser Ansatz­punkt steht auch im Mit­tel­punkt der Modern Monetary Theory.
Die Grund­these der MMT besagt, dass der finan­zielle Reichtum im pri­vaten Sektor steigt, wenn die Regierung ihre Schulden erhöht. Die Makro­öko­nomie sei im Gleich­ge­wicht, solange sich die Konten ins­gesamt aus­gleichen. Die Summe der Dif­ferenz zwi­schen Inves­ti­tionen und Erspar­nissen, zwi­schen dem Haus­halts­de­fizit und dem Han­dels­bi­lanz­de­fizit, ist Null. Die Grund­glei­chung von Kalecki und die der Anhänger der „Modernen Geld­theorie“ ist die­selbe: Die Salden des öffent­lichen, pri­vaten und externen Sektors müssen sich ausgleichen.
So unum­stritten diese Analyse gemäß der makro­öko­no­mi­schen Rech­nungs­legung ist, besteht der Unter­schied jedoch darin, dass in der Inter­pre­tation von Kalecki die Inves­ti­tionen der Kapi­ta­listen und die defi­zi­tären Aus­gaben des Staates unmit­telbar die sie finan­zie­renden Erspar­nisse erzeugen. Nach diesem Modell stellen dau­er­hafte Haus­halts­de­fizite und die unauf­hör­liche Anhäufung öffent­licher Schulden keine Bedrohung dar, da auto­ma­tisch mit dem Haus­halts­de­fizit der Spar­über­schuss im pri­vaten Sektor zunimmt und somit die Mittel zur Finan­zierung des Defizits bereit­ge­stellt werden.
Mit den Umfor­mu­lie­rungen einer grund­le­genden Iden­tität der makro­öko­no­mi­schen Rech­nungs­legung ver­lieren Kalecki und die Anhänger der modernen Geld­theorie jedoch ein ent­schei­dendes Problem aus den Augen: Je mehr eine Regierung ausgibt, desto weniger wird der Pri­vat­sektor inves­tieren. Mit anderen Worten: es wird zwar einen pri­vaten Spar­über­schuss geben, dieser resul­tiert jedoch nicht aus mehr Erspar­nissen, sondern aus sin­kenden Inves­ti­tionen. In der mathe­ma­ti­schen For­mu­lierung ist der Kon­to­stand aus­ge­glichen, aber es bleibt ver­deckt, dass im Ver­laufe der Aus­weitung der Staats­aus­gaben und ihrer Defi­zit­fi­nan­zierung die private Real­wirt­schaft schrumpft. Noch schlimmer: wenn der private Spar­über­schuss intern nicht aus­reicht, und die Regierung macht weiter Schulden, erhöht sich das Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit. Damit aber steigt die Auslandsverschuldung.
Die kale­ckia­nische Makro­öko­nomik fordert eine Politik sys­te­ma­ti­scher Haus­halts­de­fizite ohne Rück­sicht auf ihre Folgen für die öffent­liche Schul­denlast. Auch die Inflation wird nicht als Problem aner­kannt. Es gilt vielmehr die Ver­mutung, dass die Inves­ti­tionen die volks­wirt­schaft­liche Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zität erweitern und so die Inflation von selbst in Schach halten. Dieses Modell lässt dabei völlig die unter­neh­me­ri­schen Leit­linien außer Acht. Gewinn und Verlust spielen ebenso wenig eine Rolle wie die Pro­duk­ti­vität. Die Ver­treter dieses Modells erkennen nicht, dass sich ein Staat, genauso wie ein Unter­nehmen, mit Fehl­in­ves­ti­tionen zugrunde richten kann.
Makro­öko­nomie dieser Art arbeitet mit Aggre­gaten und ver­nach­lässigt die mikro­öko­no­mi­schen Grund­lagen. Eine solche Theorie igno­riert die Rolle der rela­tiven Preise als Ori­en­tierung über die adäquate Allo­kation der Inves­ti­tionen. In dieser Theorie gibt es keine Fehl­in­ves­ti­tionen. Der Staat kann somit im wahrsten Sinn des Wortes ohne Rück­sicht auf Ver­luste seine Aus­gaben tätigen.
Trotz ihres Namens enthält die „Modern Monetary Theory“ keine aus­ge­bildete Geld- und Preis­theorie. Kein Wunder, dass die Länder, die dem Modell Kaleckis folgten, durch massive Kapi­tal­ver­schwendung, weit­ver­breitete Fehl­in­ves­ti­tionen und hohe Inflation am Boden zer­stört wurden. In Latein­amerika, wo diese Art der Argu­men­tation trotz ihrer kata­stro­phalen Resultate, wie als jüngstes Bei­spiel Vene­zuela zeigt,  in einigen Kreisen noch in Mode ist, hat die Politik unge­hin­derter öffent­licher Aus­gaben eine Wirt­schaft geschaffen, die durch geringe Pro­duk­ti­vität, niedrige Löhne und weit ver­brei­tetes Elend gekenn­zeichnet ist.
Für die kale­ckia­nische Wirt­schafts­theorie sind Inves­ti­tionen eine rein quan­ti­tative Größe. In der Per­spektive dieser Theorie finan­zieren sich die Inves­ti­tionen, genauso wie die Haus­halts­de­fizite von selbst, da Aus­gaben einer Seite auto­ma­tisch höhere Ein­nahmen bei einer anderen Seite bedeuten. Defizite des Staats­sektors spiegeln sich so als Finanz­über­schuss im pri­vaten Bereich wider. In der kale­ckia­ni­schen Makro­öko­nomie erzeugt der Kapi­talist auto­ma­tisch seine Gewinne und finan­ziert durch seine Inves­ti­ti­ons­aus­gaben seinen eigenen Konsum. Die Schluss­fol­gerung daraus ist, dass – wenn der Staat ein Kapi­talist werden könnte und sich die Unter­nehmen aneignet – die Regierung die Gewinne selbst ernten würde. Durch die Über­nahme der Funktion als Investor würde die Regierung die Rolle der Kapi­ta­lis­ten­klasse über­nehmen und selbst ver­brauchen können, was die Regierung ausgibt.
Der wahre Kern der makro­öko­no­mi­schen Lehre Kaleckis ist eine raf­fi­nierte Recht­fer­tigung von Ent­eignung und Staats­so­zia­lismus. Wirt­schafts­po­li­tisch führt diese Theorie zu der For­derung, die Inves­ti­ti­ons­funktion dem Kapi­ta­listen im pri­vaten Sektor zu ent­ziehen und der Regierung zu über­tragen. Durch seine Inves­tition könnte dann der Konsum des Staates gesteigert werden. Die vor­ge­schlagene Politik sieht defi­zit­fi­nan­zierte Staats­aus­gaben für Inves­ti­tionen vor, die gleich­zeitig den Konsum von Staat und Bevöl­kerung erhöhen würden. Wie durch ein Wunder wären damit alle gesell­schaft­lichen Wünsche erfüllbar.
Das Ver­sprechen, dass sich die Haus­halts­de­fizite durch ein erhöhtes Spar­auf­kommen selbst finan­zieren würden, ist jedoch nie ein­ge­treten. Statt­dessen litten die Länder, die dem kale­ckia­ni­schen Modell folgten, unter chro­ni­scher Stag­flation und blieben in der Falle mit mitt­lerem Ein­kommen stecken. Die kale­ckia­nische Theorie ver­spricht Wachstum und Voll­be­schäf­tigung. Dies soll durch ver­mehrte Staats­aus­gaben erreicht werden. In den Ländern jedoch, wo die Theorie Anklang fand und unge­hemmt die Staats­aus­gaben aus­ge­weitet wurden, kam es nicht zum ver­spro­chenen Wohl­stand, sondern im Gegenteil zu Schulden- und Wäh­rungs­krisen und wirt­schaft­licher Stagnation.
Während viele Ent­wick­lungs­länder den geschei­terten Ansatz des „Wachstums durch Ver­schuldung“ auf­ge­geben haben und sich einer soliden Wirt­schaft zuwenden, geschieht das Gegenteil in den Ver­ei­nigten Staaten und einigen anderen Teilen der ent­wi­ckelten Welt. Die Begeis­terung, die die Vor­schläge von freier Bildung, Gesund­heits­für­sorge für alle und einer voll­ständig erneu­erten öko­lo­gi­schen Infra­struktur ent­fachen, zeigt die Wie­derkehr eines neuen uto­pi­schen Wunsch­denkens. Wenn diese Pläne ver­wirk­licht werden, werden sie nicht Wohl­stand und soziale Gerech­tigkeit bringen, sondern Hyper­in­flation, wirt­schaft­liche Sta­gnation und soziales und poli­ti­sches Chaos.

Quelle: www.misesde.org