Schon vor fast einer Woche habe ich unter Berufung auf russische Medien über Lebenszeichen von Skripal berichtet. Warum hat der Spiegel eine Woche gebraucht, um darüber zu berichten?
Am 24. Mai hat das russische Fernsehen über einen Anruf von Sergej Skripal bei seiner Nichte Viktoria berichtet, den ihr Anrufbeantworter aufgezeichnet hat ‚und ich habe das am gleichen Tag gemeldet. Trotzdem hat der Spiegel erst heute, am 29. Mai, diese Meldung gebracht. Und der Spiegel ist damit noch „schnell“, denn eine Google-Suche unter dem Begriff „Skripal“ ergibt bis jetzt keine anderen aktuellen Meldungen der deutschen Medien darüber.
Der Spiegel meldet dann inhaltlich weitestgehend das Gleiche, was auch ich unter Berufung auf das russische Fernsehen berichtet habe: Skripal hat am 9. Mai eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, zum Feiertag gratuliert, den Russland an dem Tag begeht, Grüße an seine Mutter ausgerichtet und mitgeteilt, es gehe ihm und Julia Skripal gut. Außerdem hat Viktoria Skripal berichtet, ihr Onkel Sergej habe im April schon mal angerufen.
Und da beginnen die Unterschiede in der Berichterstattung zwischen Spiegel und den russischen Medien. Der Spiegel schreibt:
„Auf seinen Aufenthaltsort und seine Lebensumstände ging Skripal bei den Anrufen nicht ein.“
Da der Spiegel sich auf die gleiche Pressekonferenz beruft, wie ich und die im russischen Fernsehen gezeigt wurde, ist der Satz nicht nachvollziehbar. Viktoria Skripal hat dort, wie der Spiegel korrekt berichtet, erzählt, dass ihr Onkel sie für ihre Kontakte zur Presse kritisiert habe. Das würde die Situation nicht einfacher machen, wie er sagte, aber sie rechtfertigte ihre Pressekontakte damit, dass sie Gerüchten über den Tod der Beiden entgegentreten möchte. Und auf dieser Pressekonferenz erzählte sie auch, dass Sergej bei seinem Anruf am 4. April mitgeteilt habe, er und Julia seien in Großbritannien, stünden unter Bewachung und ihre Aufenthaltsorte würden immer wieder wechseln.
Das würde die russischen Behauptungen bestätigen, dass die Skripals nicht in Freiheit seien, sondern vom britischen Geheimdienst abgeschirmt und versteckt werden, möglicherweise sogar gegen ihren Willen. Aber im Spiegel steht darüber kein Wort, im Gegenteil behauptet er, dass Sergej Skripal über „seinen Aufenthaltsort und seine Lebensumstände“ gar nicht gesprochen habe.
Anscheinend möchte der Spiegel seinen Lesern diese Information vorenthalten, damit sie nicht auf die Idee kommen, an der russischen Version der Ereignisse könnte etwas Wahres dran sein.
Dabei unterstützt auch der letzte Satz im Spiegel-Artikel die russische Version, dass die beiden Skripals nicht in Freiheit sind:
„Seither hat sich Sergej Skripal nicht mehr bei Viktoria gemeldet, und auch nicht bei seiner eigenen Mutter, mit der er vor dem Anschlag regelmäßig telefoniert hatte.“
Warum sollte Skripal seine 90-jährige Mutter nicht mehr anrufen, wenn er in Freiheit ist? Nach dem Grund, warum er seine Mutter nicht mehr anruft und ob ihn vielleicht jemand daran hindert, fragt der Spiegel vorsichtshalber in seinem Artikel nicht.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“