Deutsche Truppen nach Syrien? Was Medien und Politik verschweigen

Seit Sonntag lesen wir in den Medien von dem Wunsch der USA, Deutschland möge Boden­truppen nach Syrien schicken, um US-Sol­daten zu ersetzen und den Reak­tionen der deut­schen Politik darauf. Inter­es­san­ter­weise über­gehen die Medien die wich­tigsten Fragen dazu.
Der US-Son­der­be­auf­tragte für Syrien, James Jeffrey, hat der Welt am Sonntag ein Interview gegeben und gefordert, dass deutsche Sol­daten die US-Sol­daten teil­weise ersetzen soll, die Trump aus Syrien abziehen möchte. Der vor­ge­schobene Grund ist wei­terhin der „Kampf gegen den IS“.
Und da ist schon das erste Problem, dass die Medien und Poli­tiker in Deutschland igno­rieren: Der IS ist längst mili­tä­risch besiegt. Das wurde im Februar berichtet, aber die Medien erinnern sich daran anscheinend gar nicht mehr.
Wenn aber der IS besiegt ist, was sollen dann west­liche Truppen noch in Syrien? Es geht darum, die Insta­bi­lität in dem Land auf­recht zu erhalten, denn man will Assad stürzen. Es ging nie um den IS, den die USA selbst über­haupt erst bewaffnet haben, damit er Assad stürzt.
Das ist zynisch: Einer­seits beklagt man sich im Westen über die schlimme Lage im Land, ande­rer­seits tut man alles, damit es so bleibt oder sogar noch schlimmer wird.
Aber das ist noch nicht alles. Es gibt noch ein zweites Problem. Anfang Sep­tember 2018 hat der Wis­sen­schaft­liche Dienst des Bun­des­tages ein Gut­achten erstellt, das ganz ein­deutig und unmiss­ver­ständlich sagt, dass eine deutsche Betei­ligung am Syrien- Krieg ein Bruch des Völ­ker­rechts wäre. Das bedeutet in der Folge, dass sich auch jeder Poli­tiker, selbst ein „ein­facher Abge­ord­neter“, der dafür stimmen würde, gegen das im deut­schen VStGB gere­gelte Verbot zur Vor­be­reitung eines Angriffs­krieges ver­stoßen würde und mit lebens­langer Frei­heits­strafe rechnen müsste.
Das bedeutet aber auch, dass für die Ein­sätze der Bun­deswehr-Tor­nados in Syrien das gleiche gilt.
Nun ist es aber so, dass Staats­an­wälte in Deutschland den Anwei­sungen ihres Vor­ge­setzten folgen müssen und das ist der Jus­tiz­mi­nister. Der Jus­tiz­mi­nister kann also dem Staats­anwalt ver­bieten, in einem Fall zu ermitteln. Und das wird auch getan. Daher gibt es bis heute trotz unzäh­liger Straf­an­zeigen gegen Poli­tiker wegen des Syrien-Ein­satzes der Bun­deswehr gegen Poli­tiker keine straf­recht­lichen Ermitt­lungen. Wenn Sie das jetzt zu ersten Mal hören, dann finden Sie die Details dazu hier.
Die deut­schen Medien haben aber nur über die For­derung der USA berichtet und über die Reak­tionen der Poli­tiker. Dass der IS, der als Grund für die For­derung der USA ange­führt wird, längst besiegt ist und dass das Ganze zu allem Über­fluss völ­ker­rechts­widrig wäre, liest man in den deut­schen Medien nirgendwo.
So konnte man in der Welt am Sonntag über das Interview mit James Jeffrey lesen:
„In einer ersten Reaktion reagierten die Grünen ablehnend. Der Ver­tei­di­gungs­po­li­tiker Tobias Lindner sagte WELT: „Aus­lands­ein­sätze der Bun­deswehr können nur auf Basis des Völ­ker­rechts erfolgen. Deutsche Boden­truppen in Syrien wären über­haupt nur dann denkbar, wenn es ein Mandat des UN-Sicher­heits­rates und eine glaub­würdige Frie­dens­per­spektive gibt.““
Eine ver­rä­te­rische Aussage, der die Welt am Sonntag aber nicht nachgeht. Der grüne Ver­tei­di­gungs­po­li­tiker sagt, dass ein Einsatz der Bun­deswehr in Syrien nur mit einem Mandat des UN-Sicher­heits­rates völ­ker­rechtlich legal wäre. Und dieses Mandat gibt es bekannt­li­cher­maßen nicht. Wie aber lässt sich dann der Einsatz der Tor­nados in Syrien erklären, für den es eben­falls kein Mandat des UN-Sicher­heits­rates gibt? Die Welt am Sonntag stellt diese Frage gar nicht.
Kri­ti­scher Jour­na­lismus sieht anders aus.
Auch der Spiegel hat, als er am Sonntag über das Interview von James Jeffrey berichtet hat, diese Fragen aus­ge­klammert und seine Leser bewusst auf eine falsche Fährte geführt. Der Spiegel nannte die zwei Pro­bleme, die mit der Bitte der USA ver­bunden wären:
„Der Einsatz von Boden­truppen der Bun­deswehr wäre aus zwei wei­teren Gründen heikel:
– Der Nato-Partner Türkei sieht in der Kur­den­miliz YPG einen Ableger der ver­bo­tenen kur­di­schen Arbei­ter­partei PKK und hat den Kurden wie­derholt mit einer Offensive gedroht. Jeffrey betonte aller­dings, dass die Truppen der Ver­bün­deten nicht in einer Puf­ferzone zwi­schen der Türkei und den Kurden ein­ge­setzt würden.
– In den syri­schen Bür­ger­krieg ist auch Iran invol­viert. Damit besteht die Gefahr, dass Truppen der Anti-IS-Koalition in die Aus­ein­an­der­setzung zwi­schen den USA und Iran ver­wi­ckelt werden.“
Beides richtig, vor allem das Problem der Kurden ist nicht unwichtig, denn die PKK ist auch in Deutschland eine ver­botene Ter­ror­or­ga­ni­sation und de facto müssten deutsche Sol­daten dann in Syrien mit Men­schen zusam­men­ar­beiten, die in Deutschland als Ter­ro­risten gelten.
Aber wie gesagt sind das nicht die Haupt­pro­bleme. Die Haupt­pro­bleme sind, dass der IS, der als Vorwand genutzt wird, mili­tä­risch besiegt ist und dass der Einsatz gegen das Völ­ker­recht, deutsche Gesetze und das Grund­gesetz ver­stoßen würde. Aber für den Spiegel sind das offen­sichtlich keine Gründe, warum der Einsatz „heikel“ sein sollte.
Nebenbei ging es in dem Spiegel-Artikel auch um die Ver­län­gerung des Tornado-Ein­satzes der Bun­deswehr, der im Oktober aus­läuft und nach dem Willen der USA und der Bun­des­re­gierung ver­längert werden soll. Die SPD pro­fi­liert sich damit, gegen deutsche Boden­truppen in Syrien zu sein. Mit dem völ­ker­rechts­wid­rigen Einsatz der Tor­nados hat sie aber kein Problem, wie man im Spiegel zur Frage der Ver­län­gerung des Ein­satzes lesen kann:
„Eigentlich sollte ihr Einsatz am 31. Oktober aus­laufen. Bei einem Irak-Besuch hatte Außen­mi­nister Heiko Maas (SPD) Anfang Juni aber deutlich gemacht, dass die Bun­des­re­gierung nun doch zu einer Ver­län­gerung bereit ist.“
Und als am Montag klar wurde, dass ein Einsatz von Boden­truppen der Bun­deswehr in Syrien keine Chance hat, weil nicht nur die Oppo­sition aus Linke, Grüne und FDP dagegen ist, sondern auch die Mehrheit in der SPD, da zitierte der Spiegel den Uni­ons­frak­ti­onschef Ralph Brinkhaus mit den Worten:
„Ich bin da sehr, sehr kri­tisch bei der ganzen Sache. Im Übrigen ist das so: Da haben wir auch keine Mehrheit im Bun­destag für“
Im Klartext: Kri­tisch ist er zwar, aber gäbe es eine Chance auf eine Mehrheit im Bun­destag, dann könnte man darüber reden.
Zu einem klaren „Nein“ wollte sich auch die CDU-Chefin Annegret Kramp-Kar­ren­bauer nicht durch­ringen. Über ihre „Treue“ zum Völ­ker­recht und zu deut­schen Gesetzen konnte man im Spiegel lesen:
„CDU-Chefin Annegret Kramp-Kar­ren­bauer hatte sich am Sonntag im ZDF noch bedeckt gehalten. Sie wies auf die deut­schen Sicher­heits­in­ter­essen und die deut­schen Leis­tungen in der Anti-IS-Koalition hin. Wenn die Lage es erfordere, über zusätz­liches Enga­gement zu reden, dann sei das zu „dis­ku­tieren, wenn es soweit ist und mit Blick auf die Situation“.“
Im Klartext: Sie ist bereit, über einen Bruch von Völ­ker­recht, deut­schen Gesetzen und des Grund­ge­setzes zu „dis­ku­tieren, wenn es soweit ist und mit Blick auf die Situation„. Das ist doch mal was!
Dass es über­haupt juris­tische Pro­bleme mit so einer Ent­scheidung geben könnte, las man erst ver­klau­su­liert im letzten Absatz über eine Aussage des Ver­tei­di­gungs­experten der SPD-Bun­des­tags­fraktion, Fritz Felgentreu:
„Es liege zwar im deut­schen Interesse, den Kampf gegen den IS weiter zu unter­stützen, „was wir aber sicherlich schon aus recht­lichen Gründen nicht tun können, ist, Sol­daten nach Syrien zu ent­senden“, sagte Fel­gentreu weiter.“
Nur worin diese „recht­lichen Gründe“ liegen, das fragt der Spiegel nicht und er beant­wortet es seinen Lesern auch nicht. Noch ein Bei­spiel für kri­ti­schen Jour­na­lismus in den selbst­er­nannten „Qua­li­täts­medien“.
Für die trans­at­lan­ti­schen USA-Ver­steher ist die Sache aber noch nicht gelaufen. So berichtet der Focus unter der Über­schrift „Boden­truppen nach Syrien? „Es ist nur fair, dass wir da ver­stärkt helfen““ über die Aus­sagen eines CDU-Abge­ord­neten, der diesen ille­galen Einsatz befür­wortet. Dort kann man lesen:
„Der CDU- Ver­tei­di­gungs­experte Patrick Sen­sburg hin­gegen wirbt dafür, den Ame­ri­kanern ent­ge­gen­zu­kommen. Er ist Oberst­leutnant der Reserve und steht seit neun Jahren an der Spitze der Reser­vis­ten­ar­beits­ge­mein­schaft Bun­destag (RAG). „Der Kampf gegen den IS ist weit weg von den USA und nah dran an Europa“, sagt Sen­sburg im Interview mit FOCUS Online. Da müsse Deutschland mehr Ver­ant­wortung über­nehmen. Seine Position: Wenn das aktuelle Bun­des­tags­mandat auf­läuft, Ende Oktober, solle man neu über den Kampf gegen den IS nach­denken. Auch über Bodentruppen.“
Besonders abstrus sind seine Aus­sagen, wenn er auf den Zusam­menhang mit der Flücht­lings­pro­ble­matik kommt:
„Es gibt zumindest eine enge Ver­bindung zur Flücht­lings­de­batte. Wenn in der Region der Bür­ger­krieg beendet ist und Frieden herrscht, haben wir eine ganz andere huma­nitäre Situation, als wenn Krieg herrscht. Den IS zu besiegen, ist dabei eine zen­trale Voraussetzung.“
Wie gesagt ist der IS mili­tä­risch schon besiegt und den USA und ihren Jüngern ging es nie um den IS, sondern darum, Assad zu stürzen. Wenn es um Flücht­linge und ein Ende des Krieges ginge, müsste man Assad unter­stützen, der als ein­ziger gegen den IS gekämpft hat, während der Westen die isla­mis­ti­schen Rebellen in Syrien unter­stützt hat. Und man müsste Ost-Syrien, wo nun die kur­di­schen PKK-Ableger herr­schen, wieder in zivi­li­sierte Hände über­geben. Das Land müsste wieder auf­gebaut werden, damit die Men­schen dort wieder eine Per­spektive haben. Dann würden die aller­meisten Flücht­linge auch wieder zurückkehren.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“