Interview mit der Financial Times: Putin im O‑Ton über Abrüs­tungs­ver­träge und ein mög­liches Wettrüsten

Vor der Abreise zum G20-Gipfel hat Putin der dem Redakteur Lionel Barber der Financial Times ein anderthalb stün­diges Interview gegeben, in dem es um viele aktuelle Themen der Welt­po­litik ging.
Da das Interview zu lang ist, um es „in einem Stück“ zu ver­öf­fent­lichen, habe ich es beim Über­setzen auf­ge­teilt. Den ersten Teil finden Sie hier, den zweiten hier. In diesem dritten Teil beant­wortete Putin Fragen zu Abrüs­tungs­ver­trägen und zum Wett­rüsten mit den USA.
Beginn der Übersetzung:
Barber: Zur Rüs­tungs­kon­trolle. Wir wissen, dass die Rüs­tungs­kon­troll­ab­kommen in Gefahr ist. Gibt es eine Plattform oder eine Gele­genheit für Russland, seinen Beitrag zur Errei­chung von Rüs­tungs­be­schrän­kungs- und Kon­troll­ab­kommen zu leisten, oder besteht das Risiko, dass es zu einem nuklearen Wett­rüsten kommen wird?
Wla­dimir Putin: Ich denke, es gibt ein solches Risiko.
Ich habe bereits erwähnt, dass die Ver­ei­nigten Staaten ein­seitig aus dem ABM-Vertrag aus­ge­stiegen sind. Jetzt sind sie auch ein­seitig aus dem Vertrag über das Verbot von Kurz- Mit­tel­stre­cken­ra­keten (INF-Vertrag) aus­ge­stiegen. Obwohl sie dieses Mal beschlossen haben, nicht einfach aus­zu­steigen, sondern einen Vorwand bei Russland gesucht haben. Ich denke, dass Russland dabei über­haupt keine Rolle spielt, denn dieses Theater, das Mili­tär­theater Europas, ist für die Ver­ei­nigten Staaten jetzt kaum von großem Interesse, trotz der Erwei­terung der NATO und trotz der Ver­stärkung der Nato-Truppen an unseren Grenzen. Aber Tat­sache bleibt, dass die USA sich aus diesem Vertrag zurück­ziehen. Jetzt steht der Vertrag über die Begrenzung stra­te­gi­scher Atom­waffen, NEW START, auf der Tages­ordnung. Ich hoffe, wir werden mit Donald darüber sprechen, wenn wir uns jetzt in Osaka sehen.
Wir haben gesagt, dass wir zu Ver­hand­lungen bereit sind, dass wir bereit sind, den Vertrag zwi­schen den Ver­ei­nigten Staaten und Russland zu ver­längern, aber bisher sehen wir nichts, es gibt keine Initiative seitens unserer ame­ri­ka­ni­schen Partner. Und 2021 läuft er aus. Wenn die Ver­hand­lungen jetzt nicht beginnen, alles, wird er „sterben“, weil es nicht mehr genug Zeit für die For­ma­li­täten geben wird.
Unser letztes Gespräch mit Donald legt nahe, dass die Ame­ri­kaner daran inter­es­siert zu sein scheinen, aber es werden keine prak­ti­schen Schritte unter­nommen. Wenn es also diesen Vertrag nicht mehr gibt, wird es in der Tat keine Instru­mente mehr auf der Welt geben, die ein Wett­rüsten über­haupt ver­hindern. Und das ist schlecht.
Barber: Das stimmt. Gibt es eine Chance auf ein tri­la­te­rales Abkommen zwi­schen China, Russland und den Ver­ei­nigten Staaten über atomare Mit­tel­stre­cken­ra­keten? Und würden Sie ein solches Abkommen unterstützen?
Wla­dimir Putin: Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir jedes Abkommen unter­stützen, das der Sache nützt. Und diese Sache ist, ein Wett­rüsten zu verhindern.
Aber wir müssen zugeben, dass das Niveau und die Ent­wicklung der Atom­streit­kräfte in China immer noch viel nied­riger sind, als in den Ver­ei­nigten Staaten und Russland. China ist eine riesige Macht, es ist in der Lage, seine nuklearen Fähig­keiten aus­zu­bauen. Wahr­scheinlich wird es eines Tages so sein, aber heute ist das Niveau unserer Poten­ziale nicht ver­gleichbar. Die füh­renden Atom­mächte sind Russland und die Ver­ei­nigten Staaten, daher wurde der Vertrag in erster Linie zwi­schen unseren Ländern geschlossen. Ob China sich anschließen würde oder nicht, fragen Sie bitte unsere chi­ne­si­schen Freunde.
Barber: Russland ist ein Teil Asiens und Europas und Sie haben gesehen, was China für den Aufbau seiner See­streit­kräfte tut. Wie werden Sie mit diesen poten­zi­ellen Pro­blemen im Pazi­fi­schen Ozean, mit ter­ri­to­rialen Strei­tig­keiten umgehen? Kann Russland in dieser neuen Sicher­heits­struktur eine Rolle spielen?
Wla­dimir Putin: Sie haben gerade über den Aufbau der chi­ne­si­schen See­streit­kräfte gesprochen. China hat ins­gesamt Mili­tär­aus­gaben, wenn ich es richtig in Erin­nerung habe, von 117 Mil­li­arden Dollar. Die USA haben mehr als sie­ben­hundert. Und Sie wollen allen mit dem Wachstum der chi­ne­si­schen Mili­tär­macht Angst machen? Das funk­tio­niert nicht bei solchen Militärausgaben.
Was Russland angeht, wir haben eine Pazi­fik­flotte und werden sie in Über­ein­stimmung mit unseren Plänen ent­wi­ckeln. Natürlich reagieren wir auf das, was in der Welt geschieht, auf das, was in den Bezie­hungen zwi­schen anderen Ländern geschieht, wir sehen das natürlich. Aber das ändert nichts an unseren Plänen für die Ent­wicklung der Streit­kräfte, ein­schließlich des Fernen Ostens Russlands.
Wir fühlen uns stark genug, wir sind selbst­be­wusst. Wir sind die größte kon­ti­nentale Macht der Welt. Im Fernen Osten gibt es eine rus­sische Basis für Atom-U-Boote, wir ent­wi­ckeln unsere Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keiten dort in Über­ein­stimmung mit unseren Plänen, auch um die Sicherheit der Nord­passage zu gewähr­leisten, die wir ent­wi­ckeln werden.
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Hier beab­sich­tigen wir, viele unserer Partner, ein­schließlich chi­ne­si­scher Partner, ein­zu­be­ziehen. Wir schließen nicht aus, dass wir sowohl mit ame­ri­ka­ni­schen Trans­port­firmen, als auch mit Indien, das eben­falls an der Nord­passage inter­es­siert ist, zusam­men­ar­beiten werden.
Wir setzen uns für die Zusam­men­arbeit im asia­tisch-pazi­fi­schen Raum ein und ich habe allen Grund zu der Annahme, dass Russland in der Lage sein wird, einen bedeu­tenden, sicht­baren und posi­tiven Beitrag zur Sta­bi­li­sierung der Situation zu leisten.
Ende der Übersetzung
Den vierten Teil des Inter­views ver­öf­fent­liche ich Samstagnachmittag.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“