IS in Syrien besiegt — Wie die USA einen Frieden in Syrien verhindern

In Syrien geschieht momentan eine Menge, aber die Medien schaffen es, die Dinge so zu trennen, dass der Leser die Zusam­men­hänge kaum erkennen kann. Daher hier ein Abriss über die aktuelle Situation.
In Syrien gibt es derzeit grob gesagt noch zwei Pro­bleme. Das eine Problem ist Idlib. In dieser Provinz im Nord­westen Syriens haben sich Ableger von Al-Kaida fest­ge­setzt. Die Türkei ist vor Jahren dort eben­falls ein­mar­schiert und hat eine Puf­ferzone entlang ihrer Grenze geschaffen. Die Al-Kaida ist also zwi­schen der Türkei und den syri­schen Ver­bänden ein­ge­kesselt. Außerdem gibt es dort viele Zivilisten.
Auf­grund der ver­schie­denen Inter­essen ist die Lage dort hoch­kom­pli­ziert. Syrien möchte wieder die volle Kon­trolle über sein Staats­gebiet haben und die Enklave befreien und die Türkei soll Syrien wieder ver­lassen. Erdogan aber träumt immer noch von einer Neu­auflage des Osma­ni­schen Reiches und möchte nur ungerne abziehen. Da Erdogan aber inzwi­schen auf Russland ange­wiesen ist, wird er im Zwei­felsfall zurück­stecken. Aber das möchte er solange wie möglich hin­aus­zögern. Und der Westen will Assad stürzen und findet es daher ganz schrecklich, wenn Syrien Idlib wieder unter Kon­trolle bekommt. Da ist dem Westen sogar eine Al-Kaida-Enklave in Idlib lieber, auch wenn als offi­zi­eller Grund eine dro­hende huma­nitäre Kata­strophe vor­ge­schoben wird.
Das andere Problem in Syrien ist der Osten des Landes. Jen­seits des Euphrat herr­schen aktuell die Kurden von der YPG, die von den USA unter­stützt werden. Die YPG wie­derum ist ein Ableger der PKK, die sowohl in der Türkei, als auch in Deutschland als Ter­ror­or­ga­ni­sation gilt. Erdogan will schon lange auch dort ein­mar­schieren und eine Puf­ferzone an seiner Grenze errichten. Dabei müsste er gegen die YPG kämpfen und es könnten sogar US-Sol­daten beteiligt sein. Das würde bedeuten, dass Sol­daten aus zwei Nato-Ländern auf­ein­ander schießen. Die USA sind gegen eine solche Puf­ferzone, da sie derzeit für alles sind, was Erdogan schwächt, Streit­punkte zwi­schen Washington und Ankara gibt es mehr als genug.
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Der IS kommt in der Liste der Pro­bleme gar nicht mehr vor. Und das ver­wundert nicht, denn der IS ist in Syrien spä­testens im Februar 2019 mili­tä­risch besiegt worden, als seine letzte kleine Enklave im Süd­osten Syriens von den Kurden mit Unter­stützung der USA erobert wurde.
Umso span­nender ist es, dass uns Politik und Medien den Einsatz in Syrien immer noch als Einsatz gegen den IS ver­kaufen. Wir schicken also Bun­deswehr-Tor­nados völ­ker­rechts­widrig in den syri­schen Luftraum, um gegen einen Feind zu kämpfen, den es gar nicht mehr gibt. Und Ende des Jahres steht die Ver­län­gerung des Ein­satzes an und die USA wollen sogar Boden­truppen aus Deutschland im Kur­den­gebiet haben.
Das Argument der USA ist, der IS wäre zwar mili­tä­risch besiegt, aber er sei im Unter­grund noch aktiv. Das will ich sogar glauben, nur was helfen Sol­daten und Bun­deswehr-Tor­nados gegen Ter­ro­risten im Unter­grund? Gegen solche Gegner kann man nicht mili­tä­risch vor­gehen, dazu braucht es Polizei und mög­li­cher­weise Geheimdienste.
Aber trotzdem fordern die Trans­at­lan­tiker in Deutschland sogar eine Aus­weitung des Bun­des­wehr­ein­satzes in Syrien und begründen das mit dem IS. Die Argu­men­tation des Pen­tagon klingt im Spiegel heute so:

„Experten des US-Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­riums haben vor einem Wie­der­erstarken der Dschi­ha­dis­ten­miliz „Isla­mi­scher Staat“ (IS) in Syrien und im Irak gewarnt. In Syrien nutze die Miliz nach dem Abzug von US-Sol­daten die Schwäche ein­hei­mi­scher Sicher­heits­kräfte aus, heißt es in einem am Dienstag vor­ge­legten Bericht des Pen­tagon-Gene­ral­inspektors. Der US-Abzug sei erfolgt, obwohl die von den USA unter­stützen Syri­schen Demo­kra­ti­schen Kräfte deutlich gemacht hätten, dass sie mehr Training und Aus­rüstung für Anti­ter­ror­maß­nahmen benötigten.“

Nun muss man ver­stehen, was da zwi­schen den Zeilen zu lesen ist. Die „ein­hei­mi­schen Sicher­heits­kräfte“ sind kur­dische Milizen, das klingt schon anders, oder? Und noch dazu sind es Milizen einer Orga­ni­sation, die mit einer aner­kannten Ter­ror­or­ga­ni­sation, der PKK, ver­bandelt ist. Im Spiegel werden die aber statt­dessen die „Syri­schen Demo­kra­ti­schen Kräfte“ genannt, die auch noch „mehr Training und Aus­rüstung für Anti­ter­ror­maß­nahmen benö­tigten„.
Die Wahrheit ist, dass der Osten des sou­ve­ränen Staates Syrien von kur­di­schen Ter­ror­mi­lizen mit Unter­stützung der USA besetzt wurde. Wer dort tat­sächlich gegen den IS vor­gehen will, der sollte Ver­hand­lungen zwi­schen der syri­schen Regierung mit den Kurden unter­stützen, um das Land zu befrieden, wieder auf­zu­bauen und dem IS so die Grundlage zu ent­ziehen. Statt­dessen ver­wirren die Medien ihre Leser mit solch irre­füh­renden Bezeich­nungen und unter­stützen damit indirekt das Chaos in Syrien, das der beste Nähr­boden für IS-Ter­ro­risten ist. Und Washington fordert zu allem Über­fluss deutsche Sol­daten an, die dort mit den kur­di­schen Milizen zusammen arbeiten sollen.
Der Spiegel berichtet weiter über die Sicht der USA:

„Ziel der Dschi­ha­disten sei es, in früher von ihnen gehal­tenen Gebieten Unruhe zu stiften und die Behörden daran zu hindern, die Gebiete effektiv zu kontrollieren.“

Es gibt dort keine Behörden, dort herrscht Chaos. Behörden gab es vor dem Krieg, als Syrien noch ein funk­tio­nie­render Staat war. Daher zeigt sich wieder, es wäre das sinn­vollste, wenn Syrien sich mit den Kurden einigen würde, um dort über­haupt erst einmal wieder behörd­liche Struk­turen auf­zu­bauen. Aber davon ist nicht die Rede im Pen­tagon. Man will die Wunde bluten lassen, um Assad am Ende viel­leicht doch noch stürzen zu können.
Und diese Wunde stört auch die Türkei, womit wir wieder bei Puf­ferzone wären, die Erdogan ein­richten will. Am Wochenende hat Erdogan mit­ge­teilt, seine Geduld sei am Ende und er wolle eine Offensive starten, um die Puf­ferzone endlich ein­zu­richten. Das führte zu hek­ti­scher diplo­ma­ti­scher Akti­vität, wie man im Spiegel lesen konnte:

„Als Reaktion darauf hatten die USA eine Dele­gation nach Ankara geschickt, um erneut die Errichtung einer Puf­ferzone zu dis­ku­tieren. Seit Montag laufen tür­ki­schen und US-Medien zufolge in der tür­ki­schen Haupt­stadt die Gespräche.“

Ob diese Gespräche ein Ergebnis bringen, ist offen. Tür­kische Offi­zielle äußerten sich am heu­tigen Mittwoch zufrieden über die Gespräche und sind opti­mis­tisch innerhalb von Stunden zu einer Einigung zu kommen. Gleich­zeitig teilte die tür­kische Armee mit, dass sie ihre Vor­be­rei­tungen abge­schlossen habe und bereit sei, „sich in Bewegung zu setzen“.
Aber auch dieses Problem hätte es nie gegeben, wenn die USA nicht eine Ver­stän­digung der Kurden mit Assad ver­hindern würden. Im Osten Syriens könnte längst wieder Ruhe herr­schen, wenn die USA mit ihren Ver­bün­deten das Feuer dort nicht am Brennen halten würden.
Nachtrag: Am Mitt­woch­abend gab es eine Einigung zwi­schen den USA und der Türkei über die Puf­ferzone. In der Türkei soll kurz­fristig ein gemein­sames Koor­di­na­ti­ons­zentrum für die Ope­ration auf­gebaut werden. Die Türkei erhält also anscheinend von den USA die Erlaubnis, die Puf­ferzone ein­zu­richten, wobei bisher keine Ein­zel­heiten über die Fristen und die Breite der Zone gemeldet wurden.
 


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“