Immer wieder gibt es Fälle, in denen die Medien das Narrativ der Regierung einfach zitieren, anstatt es zu hinterfragen oder gar zu kritisieren. Ich habe das kürzlich am Beispiel der Altersarmut in Deutschland aufgezeigt, als deutsche Medien eine Presseerklärung des Arbeitsministeriums einfach wortwörtlich zitiert haben, ohne sie in irgendeiner Form zu hinterfragen. Das Ministerium stellte die Altersarmut, die dazu führt, dass immer mehr Rentner arbeiten müssen, weil die Rente nicht reicht, als „neue Lebensentwürfe“ und „aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben“ da und die Medien haben diese Formulierungen einfach übernommen und nicht kritisch beleuchtet.
Bei sozialen Fragen kann man das immer wieder beobachten, so plappern die Medien die Erfolgsmeldungen der Regierung nach, in Deutschland sei alles super, noch nie seien so viele Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs tätig gewesen. Dass der Grund in einer großen Zahl schlecht bezahlter, aber trotzdem sozialversicherungspflichtiger Jobs liegt, deren Bezahlung zum Leben nicht ausreicht, wird verschwiegen. Diese angeblichen Erfolgsmeldungen verdecken die Tatsache, dass immer mehr Menschen von ihren Gehältern nicht leben können.
Heute hat der Spiegel ein besonders dreistes Stück derartiger Regierungspropaganda abgeliefert, er hat sich nämlich sogar dafür bezahlen lassen, im Sinne der Regierung zu berichten. Und er zeigt es auch offen, wie man hier sieht. Ein ganzer Artikel im Ressort „Wirtschaft“ ist in kleinen Buchstaben als „Anzeige“ gekennzeichnet.
Und wenn man den Artikel anklickt, dann kann man den Podcast einer Diskussion hören, in der Arbeitsminister Heil im Gespräch mit anderen sich und seine Politik beweihräuchern darf.
Sicher ist es löblich vom Spiegel, das immerhin als „Anzeige“ kenntlich zu machen. Aber was hat eine Anzeige in einer Rubrik verloren, in der normalerweise redaktionelle Artikel erscheinen? Und erkennen wirklich alle Leser, die darauf klicken, oder auch nur den Text und die Überschrift lesen, dass es sich um eine Anzeige handelt?
Und überhaupt: Warum darf ein Ministerium seine Arbeit mit kostenpflichtigen Anzeigen auf Kosten von Steuergeldern über den grünen Klee loben? Damit verschaffen sich die Regierungsparteien gegenüber der Opposition einen unfairen Vorteil, weil sie auf Staatskosten ihre Arbeit in Anzeigen loben können und dafür nicht Gelder der Partei aufwenden müssen.
In Deutschland ist diese Praxis legal, aber man stelle sich mal vor, Putin würde auf Staatskosten Anzeigen in russischen Medien schalten und seine eigene Arbeit loben. Was wäre da los im deutschen Blätterwald! Man würde wahrscheinlich von „Veruntreuung und Zweckentfremdung von Steuergeldern in Russland“ sprechen und über irgendeine kleine Demo gegen eine derartige Praxis groß berichten.
Apropos Russland: Dort finden derzeit völlig andere Diskussion über die Zukunft des Arbeitslebens statt, als im Westen. In Russland hat man auch erkannt, dass der Anstieg der Produktivität das Arbeitsleben verändert. Aber während das im Westen als Erfolg für die Wirtschaft gefeiert wird, die dadurch ihre Gewinne und Aktienkurse erhöht, sieht man es in Russland anders. In Russland diskutiert die Regierung als Reaktion darauf, die Arbeitnehmer an diesem Erfolg zu beteiligen und gesetzlich die fünftägige Arbeitswoche zu einer viertägigen Arbeitswoche zu machen und den Menschen auf diese Weise ihren Anteil an dem Anstieg der Produktivität zu geben.
Die Diskussionen sind zwar noch in einem frühen Stadium, der Ausgang ist noch offen. Aber ich finde es interessant, wie völlig anders man in Russland dieses Thema diskutiert. Interessant ist, dass ich darüber schon am 11. Juni berichtet habe, bei RT-Deutsch fand ich dazu erst am 25. August einen Artikel (falls ich nichts übersehen habe). Aber die Mainstream-Medien halten es nicht für nötig, ihre Leser darüber zu informieren, dass es auch anders geht. Man stelle sich vor, dass deutsche Leser die Idee gut finden und auch eine solche Diskussion fordern. Das wäre in der westlichen, liberalen Wirtschaftsordnung, in der die Aktienkurse die wichtigste Nachricht sind, kaum erwünscht.
In Russland spielen die Aktienkurse in den täglichen Nachrichten übrigens keine Rolle. Bestenfalls der Ölpreis wird beobachtet, aber nicht die Entwicklung der Indizes der Börsen, die interessieren in Russland kaum jemanden. Im Westen ist kaum eine Nachrichtensendung denkbar, in der nicht über DAX und Dow Jones berichtet wird.
Warum eigentlich? Haben so viele Deutsche Aktien gekauft, dass sie von den täglichen Kapriolen der zum Zocker-Casino verkommenen Finanzmärkte betroffen sind? Oder soll damit die vermeintliche Wichtigkeit der Finanzmärkte unterstrichen werden, die sich längst komplett von der Realwirtschaft entkoppelt haben?
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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