Screenshot RT Youtube

Bezahlte Anzeige: Selbst­be­weih­räu­cherung der Regierung als Artikel im Spiegel-Ressort “Wirt­schaft”

Immer wieder werden die deut­schen Main­stream-Medien nur noch als „Regie­rungs­sprecher“ bezeichnet, die völlig unkri­tisch die Aus­sagen der deut­schen Regierung wie­der­geben. Ein besonders krasser Fall war heute im Spiegel zu sehen.
Immer wieder gibt es Fälle, in denen die Medien das Nar­rativ der Regierung einfach zitieren, anstatt es zu hin­ter­fragen oder gar zu kri­ti­sieren. Ich habe das kürzlich am Bei­spiel der Alters­armut in Deutschland auf­ge­zeigt, als deutsche Medien eine Pres­se­er­klärung des Arbeits­mi­nis­te­riums einfach wort­wörtlich zitiert haben, ohne sie in irgend­einer Form zu hin­ter­fragen. Das Minis­terium stellte die Alters­armut, die dazu führt, dass immer mehr Rentner arbeiten müssen, weil die Rente nicht reicht, als „neue Lebens­ent­würfe“ und „aktive Teil­nahme am gesell­schaft­lichen Leben“ da und die Medien haben diese For­mu­lie­rungen einfach über­nommen und nicht kri­tisch beleuchtet.
Bei sozialen Fragen kann man das immer wieder beob­achten, so plappern die Medien die Erfolgs­mel­dungen der Regierung nach, in Deutschland sei alles super, noch nie seien so viele Men­schen in sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tigen Jobs tätig gewesen. Dass der Grund in einer großen Zahl schlecht bezahlter, aber trotzdem sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tiger Jobs liegt, deren Bezahlung zum Leben nicht aus­reicht, wird ver­schwiegen. Diese angeb­lichen Erfolgs­mel­dungen ver­decken die Tat­sache, dass immer mehr Men­schen von ihren Gehältern nicht leben können.
Heute hat der Spiegel ein besonders dreistes Stück der­ar­tiger Regie­rungs­pro­pa­ganda abge­liefert, er hat sich nämlich sogar dafür bezahlen lassen, im Sinne der Regierung zu berichten. Und er zeigt es auch offen, wie man hier sieht. Ein ganzer Artikel im Ressort „Wirt­schaft“ ist in kleinen Buch­staben als „Anzeige“ gekennzeichnet.
Screenshot SPON vom 9. Sep­tember 2019

Und wenn man den Artikel anklickt, dann kann man den Podcast einer Dis­kussion hören, in der Arbeits­mi­nister Heil im Gespräch mit anderen sich und seine Politik beweih­räu­chern darf.
Sicher ist es löblich vom Spiegel, das immerhin als „Anzeige“ kenntlich zu machen. Aber was hat eine Anzeige in einer Rubrik ver­loren, in der nor­ma­ler­weise redak­tio­nelle Artikel erscheinen? Und erkennen wirklich alle Leser, die darauf klicken, oder auch nur den Text und die Über­schrift lesen, dass es sich um eine Anzeige handelt?
Und über­haupt: Warum darf ein Minis­terium seine Arbeit mit kos­ten­pflich­tigen Anzeigen auf Kosten von Steu­er­geldern über den grünen Klee loben? Damit ver­schaffen sich die Regie­rungs­par­teien gegenüber der Oppo­sition einen unfairen Vorteil, weil sie auf Staats­kosten ihre Arbeit in Anzeigen loben können und dafür nicht Gelder der Partei auf­wenden müssen.
In Deutschland ist diese Praxis legal, aber man stelle sich mal vor, Putin würde auf Staats­kosten Anzeigen in rus­si­schen Medien schalten und seine eigene Arbeit loben. Was wäre da los im deut­schen Blät­terwald! Man würde wahr­scheinlich von „Ver­un­treuung und Zweck­ent­fremdung von Steu­er­geldern in Russland“ sprechen und über irgendeine kleine Demo gegen eine der­artige Praxis groß berichten.
Apropos Russland: Dort finden derzeit völlig andere Dis­kussion über die Zukunft des Arbeits­lebens statt, als im Westen. In Russland hat man auch erkannt, dass der Anstieg der Pro­duk­ti­vität das Arbeits­leben ver­ändert. Aber während das im Westen als Erfolg für die Wirt­schaft gefeiert wird, die dadurch ihre Gewinne und Akti­en­kurse erhöht, sieht man es in Russland anders. In Russland dis­ku­tiert die Regierung als Reaktion darauf, die Arbeit­nehmer an diesem Erfolg zu betei­ligen und gesetzlich die fünf­tägige Arbeits­woche zu einer vier­tä­gigen Arbeits­woche zu machen und den Men­schen auf diese Weise ihren Anteil an dem Anstieg der Pro­duk­ti­vität zu geben.
Die Dis­kus­sionen sind zwar noch in einem frühen Stadium, der Ausgang ist noch offen. Aber ich finde es inter­essant, wie völlig anders man in Russland dieses Thema dis­ku­tiert. Inter­essant ist, dass ich darüber schon am 11. Juni berichtet habe, bei RT-Deutsch fand ich dazu erst am 25. August einen Artikel (falls ich nichts über­sehen habe). Aber die Main­stream-Medien halten es nicht für nötig, ihre Leser darüber zu infor­mieren, dass es auch anders geht. Man stelle sich vor, dass deutsche Leser die Idee gut finden und auch eine solche Dis­kussion fordern. Das wäre in der west­lichen, libe­ralen Wirt­schafts­ordnung, in der die Akti­en­kurse die wich­tigste Nach­richt sind, kaum erwünscht.
In Russland spielen die Akti­en­kurse in den täg­lichen Nach­richten übrigens keine Rolle. Bes­ten­falls der Ölpreis wird beob­achtet, aber nicht die Ent­wicklung der Indizes der Börsen, die inter­es­sieren in Russland kaum jemanden. Im Westen ist kaum eine Nach­rich­ten­sendung denkbar, in der nicht über DAX und Dow Jones berichtet wird.
Warum eigentlich? Haben so viele Deutsche Aktien gekauft, dass sie von den täg­lichen Kapriolen der zum Zocker-Casino ver­kom­menen Finanz­märkte betroffen sind? Oder soll damit die ver­meint­liche Wich­tigkeit der Finanz­märkte unter­strichen werden, die sich längst kom­plett von der Real­wirt­schaft ent­koppelt haben?


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“