Europa braucht Erdgas in so großen Mengen, das der Gastransit durch die Ukraine bisher unersetzlich ist. Am 1.Januar läuft der aktuelle Transitvertrag aus und sollte es keinen neuen Vertrag geben, kann das zu massiven Problemen in der EU führen, da es derzeit keine Infrastruktur gibt, die diesen Ausfall ausgleichen könnte. Nord Stream 2 ist noch nicht fertig und steht unter massivem Druck aus den USA, die ihr durch Fracking gewonnenes Gas mit Tankern als Flüssiggas nach Europa verkaufen wollen. Aber es gibt derzeit weder genug Tanker, noch genug Terminals, um die nötigen Mengen kurzfristig zu liefern.
Russland arbeitet mit Hochdruck an Nord Stream 2, was wir in den Medien immer wieder lesen können. Was wir in Deutschland nicht lesen, ist dass es auch ein südliches Äquivalent zu Nord Stream 2 gibt, denn gerade wurde Turk Stream fertig gestellt, das russisches Gas über die Türkei transportiert und am Freitag wurde ein Vertrag unterschrieben, um diese Pipeline über Bulgarien und Serbien bis nach Ungarn zu verlängern.
Diese Pipelines können zukünftig, wenn nötig, den ukrainischen Transit kompensieren. In der Vergangenheit hat die Ukraine ihre quasi-Monopolstellung ausgenutzt, um sich beste Bedingungen für den Transit zu sichern. Dieses Mal scheint die Rechnung nicht mehr aufzugehen. Früher hat die Ukraine diese Endphase der laufenden Verträge regelmäßig genutzt, um maximalen Druck aufzubauen und es kam auch mehrmals zu Engpässen bei der Gaslieferung, was vor allem in Südosteuropa auch dazu führte, dass die Heizungen für einige Tage ausgingen. Da die Verträge immer zum 1. Januar ausliefen, war das im Winter entsprechend unangenehm. Eine komplette Chronologie der Geschichte der „Gaskonflikte“ finden Sie hier.
Nun hat das russische Fernsehen über den aktuellen Stand der Verhandlungen in Brüssel berichtet, ich habe den Bericht des russischen Fernsehens übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
In Brüssel fanden Verhandlungen mit Kiew über den Gastransit statt. Die Delegationen aus Russland, der Ukraine und der Europäischen Union trennten sich nach nur 40 Minuten. Wie kam das?
Die ukrainische Delegation glaubte, als sie zu den Verhandlungen nach Brüssel reiste, dass sie genügend Trümpfe auf der Hand hatte, um ihre Bedingungen zu diktieren. Fast 20 Milliarden Kubikmeter Gas wurden in den Speichern angesammelt, was das Minimum für die Heizperiode ist. Plus einige Vereinbarung, 450 Millionen Kubikmeter von einem nicht genannten Lieferanten zu kaufen.
Der Chef von „Naftogaz“, Kobolev, kam in dunkler Brille, ganz in Hollywood-Manier. Doch egal, wie sehr Kiew versucht, die Augen vor den Gasproblemen zu verschließen, die Heizperiode steht bereits vor der Tür.
Russland bietet einen Rabatt von 25%, aber Kiew kauft das fünfte Jahr in Folge hartnäckig russisches Gas zu einem höheren Preis von den Europäern.
„Wir sind bereit, die Importe, die die Ukraine heute aus Europa bezieht, direkt zu liefern“ sagte der russische Energieminister Alexander Novak.
„Und was haben sie geantwortet?“
„Unsere Kollegen haben dies zur Kenntnis genommen und um Zeit gebeten, sich mit diesem Thema zu befassen. Effizienz ist ihnen wichtig.“
Einen Tag später antwortete Kiew unerwartet, dass es für direkte Lieferungen bereit sei.
„Die russische Seite sprach die Frage der direkten Gasversorgung der Ukraine an. Und wir waren uns einig, dass weitere Gespräche auf den Marktbeziehungen basieren sollten, das heißt der Gaspreis sollte auf der Grundlage der Trends auf dem europäischen Markt basieren. Gleichzeitig können wir auch bei anderen Anbietern als Gazprom kaufen“ sagte Alexej Orzhel, der ukrainische Minister für Energie und Umweltschutz.
Kiew plant, die Möglichkeit des Imports zu prüfen. Orzhel fügte hinzu, dass Käufe nicht nur von Gazprom getätigt werden können. Er sagte, dass es andere Lieferanten in Russland gibt, die Gas verkaufen können.
1393 Tage, so lange leben die Ukrainer ohne russisches, aggressives Gas. Aber jetzt ist Kiew offenbar bereit, die Energieunabhängigkeit zu opfern, weil es Gas- und Transitverträge braucht und weil das Milliarden von Dollar an Gewinnen für den Haushalt der in Schwierigkeiten geratenen ukrainischen Wirtschaft bedeutet.
Der alte Vertrag läuft am 1. Januar aus. Ein paar Tage vor dem Treffen gab es einen Schlag gegen Moskaus Positionen. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat über eine Forderung der Polen geurteilt. Gazprom verlor plötzlich die Möglichkeit, einen Teil der Kapazität der Opal-Gaspipeline zu nutzen.
Trotzdem war der Chef des Gasriesen Gazprom, Alexej Miller, bei dem Treffen gut gelaunt. Trilaterale Gasgespräche werden hier in Kürze beginnen. Den Teilnehmern wird heißer Kaffee mit Sahne, sowie schwarzer Tee angeboten. Seitens der Ukraine werden Minister Orzhel sowie Vertreter von Naftogaz an dem Treffen teilnehmen. Auf russischer Seite Minister Alexander Novak und Gazprom-Chef Miller. (Anm. d. Übers.: In dem Beitrag wird an dieser Stelle der Sitzungssaal vor dem Treffen gezeigt)
Die EU ist nicht nur Schiedsrichter in den Verhandlungen, sondern auch eine interessierte Partei. Mehr als ein Drittel des nach Europa gelieferten Gases stammt aus Russland. EU-Kommissar Sefcovic schlug vor den Gesprächen einen neuen Vertrag für zehn Jahre mit einem Volumen von 60 Milliarden Kubikmetern pro Jahr vor. Genau das will die Ukraine.
Und kurz zuvor hatten sie den von ihr gewünschten Transittarif mitgeteilt. Je mehr Gas durch die ukrainische Leitung fließt, desto weniger wird es Russland kosten.
„Die Ukrainer begrüßen diesen Vorschlag, was die russische Seite betrifft, möchte mitteilen, dass sie ihn begrüßt haben. Das künftige Transitabkommen sollte auf EU-Recht basieren“ sagte Sefcovic.
Zur Unterstützung seiner Positionen sprach Kiew zuvor davon „Naftogaz“, den Betreiber des Gastransportsystems, aus einem Monopolisten zu einem Betreiber des Systems zu machen. So wird Gazprom angeblich in der Lage sein, separate Verhandlungen über den künftigen Transit mit dem Betreiber zu führen und der Streit über bestehende Verträge wird vor den Gerichten mit Naftogaz fortgesetzt.
„Wir sehen Risiken, weil es viel Arbeit im Zusammenhang mit der Zertifizierung eines unabhängigen Betreibers erfordert“ sagte Alexander Novak.
Mit anderen Worten: Damit Kiews Traum von einem neuen Vertrag Wirklichkeit wird, sollte am 1. Januar in der Ukraine eine neue Energieregulierungsbehörde eröffnet werden. Für den Fall, dass dies nicht geschieht, schlägt die russische Seite vor, den derzeitigen Transitvertrag zu verlängern.
„Wir können für jeden Zeitraum verlängern, für einen Monat, zwei oder mehr Monate, je nachdem, was unsere Kollegen möchten“ sagte Alexander Novak.
Aber es gibt noch eine andere Bedingung: Russland besteht auf ein Ende des Stockholmer Schiedsverfahrens. Gazprom und Naftogaz streiten seit mehreren Jahren vor dem Gericht über alte Verträge. Moskau bietet Kiew den Abschluss eines Friedensabkommens an.
„Wir haben erneut die Frage bezüglich Stockholm aufgeworfen. Das ist ein sehr wichtiges Thema für uns. Das Interessengleichgewicht der Transitparteien im Gasversorgungsvertrag sollte wiederhergestellt werden“ sagte Aleksey Miller.
Unterdessen setzt Russland erfolgreich andere Gaspipeline-Projekte um, die die Ukraine umgehen. Am Tag vor den Gesprächen wurde ein Vertrag über einen neuen Teil von Turk Stream über Bulgarien nach Serbien und in andere südeuropäische Länder unterzeichnet. Aber ob sie die Pipelines bis zum 1. Januar Zeit fertig bauen werden, ist die große Frage.
„Hat Russland hat einen Plan B, wie wir unser Gas nach Europa liefern können?“
„Wir haben einen Plan für B und einen Plan X“ versicherte Miller.
Natürlich gibt es immer noch „North Stream‑2“. Aber Dänemark und seine Weigerung, grünes Licht für den Bau zu geben, stehen ihm im Weg. Gibt es also eine Chance, die Pipeline im neuen Jahr zu starten?
„Der dänische Teil ist recht kurz und die Bauzeit beträgt nur etwa fünf Wochen, also gibt es natürlich eine Chance“ sagte Alexei Miller.
In diesem Jahr bildet Gazprom eine Rekordreserve in Europa, mehr als 11 Milliarden Kubikmeter Gas wurden bereits in die unterirdischen europäischen Speicheranlagen gepumpt, die notwendig sind, um notfalls ohne einen ukrainischen Vertrag über den Winter zu kommen. Unter diesen Umständen hat Kiew fast keine Chance, einen neuen „Gaskrieg“ auszulösen.
Ende der Übersetzung
Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Russland auf die Fragen der internationalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und ungekürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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