Gauland: Wir haben den Riss in unserer Gesell­schaft nicht erzeugt, wir bilden ihn nur ab

Nachdem die erste Hälfte der Legis­la­tur­pe­riode sich ihrem Ende zuneigt, ist es Zeit für eine Bestands­auf­nahme. Eine solche nahm diese Tage Alex­ander Gauland, Bun­des­sprecher und Frak­ti­ons­vor­sit­zender der AfD im Deut­schen Bun­destag, im höchsten deut­schen Par­lament vor. Es war, wie ich meine, eine besonders gelungene, eine wichtige Rede.
Die neue Parole: nicht mehr „Wir schaffen das“, sondern „weil wir es können“
»Herr Prä­sident! Meine Damen und Herren! Wir glauben, der gest­rigen Haus­haltsrede von Herrn Minister Scholz ent­nehmen zu dürfen, dass ein Para­dig­men­wechsel in der Regierung statt­ge­funden hat. Der Bun­des­fi­nanz­mi­nister hat erklärt, warum es richtig ist, dass Deutschland aus der Koh­le­ver­stromung aus­steigt und mit­tel­fristig dem Ver­bren­nungs­motor Ade sagt, obwohl anderswo mas­sen­weise das exakte Gegenteil pas­siert. „Weil wir es können“, hat Herr Scholz gesagt. Das ist jetzt wahr­scheinlich die neue offi­zielle Parole – nicht mehr „Wir schaffen das“, sondern „Wir können das“.

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Warum ist Napoleon nach Moskau mar­schiert? Weil er es konnte. Warum hat Walter Ulb­richt die Mauer gebaut? Weil er es konnte. Wir ver­stehen, lieber Herr Scholz. Deutsch sein heißt bekanntlich: Eine Sache um ihrer selbst willen tun. Herr Scholz hat das einmal mehr bestätigt. Denn was bedeutet seine Aussage anderes als: Wir würden auch dann aus­steigen, wenn es nichts bringt? Aber was soll es eigentlich bringen?«
Wird man in China bald schon sagen: „Das inter­es­siert mich ungefähr so viel, als ob in Deutschland ein Koh­le­kraftwerk vom Netz geht“?
»Für das Welt­klima ist Deutschland keine besonders rele­vante Größe. Es geht hier offenbar um Sym­bolik. 1945 waren wir der Teufel der Welt. Heute wollen wir die Engel des Pla­neten sein, das leuch­tende Vorbild
Der Chef der Deut­schen Energie-Agentur, dena, Stephan Kohler, erklärte einmal chi­ne­si­schen Managern das För­der­system für die erneu­er­baren Energien. Unter anderem führte er aus, dass deutsche Wind­strom­erzeuger sogar Geld für Strom bekommen, der nie pro­du­ziert wurde. Einer der Chi­nesen, so Kohler, sei in der Pause zu ihm gekommen und habe gesagt: „Inter­essant, aber kein Vorbild.“ – Sie kennen alle den Spruch: Das inter­es­siert mich ungefähr so viel, als ob in China ein Sack Reis umfällt. – Im Reich der Mitte könnte sich der kom­ple­mentäre Spruch ein­bürgern: Das inter­es­siert mich ungefähr so viel, als ob in Deutschland ein Koh­le­kraftwerk vom Netz geht.«
Wo Deutschland Spitze ist
»Meine Damen und Herren, die erste Hälfte dieser Legis­la­tur­pe­riode liegt hinter uns. An solchen Zeit­schwellen ist es üblich, Zwi­schen­bilanz zu ziehen. Ich frage: Wo ist Deutschland spitze und wo nicht? Unan­ge­fochten euro­päische Spitze ist Deutschland beim Strom­preis, und bei der Höhe der Steuern sind wir immerhin Zweiter. Ganz weit vorn ist Deutschland bei der Auf­nahme von Migranten und absolute Welt­spitze bei deren Ali­men­tierung. Allein das Land Hessen zahlt für jeden unbe­glei­teten jugend­lichen Flüchtling 8.469 Euro monatlich. Aufs Jahr gerechnet waren das zuletzt 138 Mil­lionen Euro. – Wir können das.
Einen Spit­zen­platz belegt Deutschland bei den Zug­ver­spä­tungen, bei den Stu­di­en­ab­bre­chern, und wir liegen auch beim CO2-Ausstoß pro Kopf deutlich vor Ländern wie Schweden und Frank­reich, weil die mehr Atom­strom pro­du­zieren. Spitze ist Deutschland bei den Steu­er­ein­nahmen. Überall durften wir zuletzt lesen, der Staat habe Über­schüsse erwirt­schaftet. Meine Damen und Herren, hier muss ich Ein­spruch erheben. Der Staat erwirt­schaftet gar nichts. Dieses Geld stammt von den ungefähr 15 Mil­lionen meist schon länger hier lebenden tat­säch­lichen Steu­er­zahlern. Die können das.
Hat die Regierung die Über­schüsse zum Anlass genommen, den Bürgern mehr Netto vom Brutto zu lassen und die Steuern zu senken? Die Koalition konnte sich nicht einmal auf die kom­plette Abschaffung des Soli einigen, obwohl die Rechts­grundlage dafür entfallen
ist. Das ist nämlich der eigent­liche Punkt, weshalb der Soli ganz abge­schafft werden muss.
Dafür hat sie im ersten Halbjahr wieder mehr Schulden gemacht. Die Ver­schuldung stieg nach Angabe des Finanz­mi­nis­te­riums innerhalb von sechs Monaten um mehr als 11 Mil­li­arden Euro. Wofür? Für Infra­struktur, für Bildung, für die Bun­deswehr? Die Stei­gerung kommt unter anderem durch eine im Zusam­menhang mit der Flücht­lings­krise gebildete Rücklage zustande, meldete n‑tv am 6. August. Die Migration kostet Bund und Länder zwei­stellige Mil­li­ar­den­be­träge. – Wir können das.«
Wo wir nicht Spitze sind
»Bleibt die Fest­stellung, wo wir nicht spitze sind. In der Mobil­funk­ab­de­ckung – das ist heute schon gesagt worden – liegt Deutschland weltweit auf Rang 70, hinter Albanien. Beim inter­na­tio­nalen Mathe­matik- und Natur­wis­sen­schafttest TIMSS sind wir binnen weniger Jahre von Platz 12 auf Rang 24 abge­rutscht, was bedenklich ist mit einer Phy­si­kerin an der Spitze der Regierung. Auf dem Gebiet der künst­lichen Intel­ligenz halten China, die USA und Japan 75 Prozent aller Patente. Auf Deutschland ent­fallen nicht einmal 3 Prozent. Das heißt, unsere Anteile an der künst­lichen Intel­ligenz und am
CO2-Ausstoß gleichen sich all­mählich an.«
Durch unsere Gesell­schaft geht ein Riss
»Meine Damen und Herren, unser Land ist krank, und es ist tief gespalten: zwi­schen Ost und West, zwi­schen frommer Regie­rungs­linie und „böser“ Oppo­sition. Den Riss, der
sich durch unsere Gesell­schaft zieht, haben ja nun angeblich wir ver­ur­sacht. Und Frau Göring-Eckardt hat’s ja nochmal ganz deutlich gesagt. Nur, Frau Göring-Eckardt:
Wir haben diesen Riss nicht ver­ur­sacht, sondern wir bilden ihn ab. Er ist gesell­schaftlich da.
Lassen Sie mich kurz auf die Wahlen im Osten ein­gehen. Wenn man die Zweit­stimmen von Sachsen und Bran­denburg addiert, ist die AfD mit hauch­dünnem Vor­sprung stärkste Partei vor der CDU. Das heißt, das Gros der Wähler hat bür­gerlich-kon­ser­vativ gewählt. Aber sie werden künftig linker regiert als vorher, liebe CDU.«
Die Bun­des­re­gierung finan­ziert die Spaltung der Gesellschaft
»Der Wahl­kampf war ein Spal­tungs­wahl­kampf: alle gegen die AfD. 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist die staats­feind­liche Hetze zurück­ge­kehrt und Oppo­si­ti­ons­kritik die erste Medi­en­pflicht, wobei sich die Feind­er­klä­rungen kei­neswegs nur an unsere Adresse richten. Frau Kramp-Kar­ren­bauers Versuch, Herrn Maaßen aus der CDU zu drängeln, muss hier als Bei­spiel genügen. Auf der anderen Seite gibt es wie damals Erge­ben­heits­adressen der Kul­tur­schaf­fenden an die Regierung. Schon vor den Wahlen 2019 sind Haus­halts­posten – wie der Ein­zelplan 04, der Etat der Bun­des­kanz­lerin – in aller­letzter Minute auf­ge­bläht worden.
Zum Bei­spiel ver­vier­fachte sich der Etat des Bun­des­ver­bandes Freie Dar­stel­lende Künste e. V. auf wun­dersame Weise. Die Führung dieses Ver­bandes ist maß­geblich beteiligt an der „Erklärung der Vielen“, einer bun­des­weiten Initiative vor allem staatlich geför­derter Bühnen und Insti­tu­tionen, die sich primär gegen die AfD richtet. Dieses Bei­spiel hier nur als Pars pro Toto. Die Bun­des­re­gierung finan­ziert die Spaltung der Gesell­schaft entlang ihrer will­kürlich ein­ge­zo­genen Linien. Die inter­es­sante Frage lautet: Darf sie das überhaupt?
Ein Gut­achten des Wis­sen­schaft­lichen Dienstes des Bun­des­tages gibt eine klare Antwort: Dem Staat bleibe es zwar unbe­nommen, frei­heitlich-demo­kra­tische Wert­vor­stel­lungen zu ver­breiten, der­artige Aktionen dürften sich aber nicht gezielt gegen bestimmte Par­teien richten. Dies wäre ein Verstoß gegen die staat­liche Neu­tra­li­täts­pflicht. – Wir
werden darauf zurückkommen.
Meine Damen und Herren, Sie alle kennen sicherlich den Begriff „Rep­ti­li­en­fonds“, also aus dem Haushalt abge­zweigte Mittel, die zur poli­ti­schen Ein­fluss­nahme ver­wendet werden. Er stammt von Otto von Bis­marck, der 1869 in einer Rede, die im Dienst des ent­thronten hes­si­schen Kur­fürsten arbei­tenden Agenten „bös­artige Rep­tilien“ nannte, und deren Bekämpfung aus einer solchen Kasse finan­zierte. Frau Bun­des­kanz­lerin – nun ist sie nicht mehr da –, wir begrüßen es ja immer, wenn Sie von Bis­marck lernen wollen. Aber muss es aus­ge­rechnet dieser Punkt sein?«
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Die relative Homo­ge­nität der euro­päi­schen Völker, damit der nationale Zusam­menhalt wird auf­gelöst, was nicht ohne Umer­ziehung geht
»Wie Deutschland im Kleinen, so ist Europa im Großen gespalten, entlang der­selben Bruch­linien zwi­schen Ost und West, zwi­schen Glo­ba­listen und Par­ti­ku­la­risten. Zumindest für die euro­päische Politik ist die Migra­ti­ons­frage nach wie vor das ent­schei­dende Thema. Es wird immer deut­licher, dass die Ver­fes­tigung der supra­na­tio­nalen EU-Struk­turen und die För­derung der Migration nach Europa
zusam­men­ge­hören. Es ist die Zange, in welche die Nationen und Natio­nal­staaten genommen werden sollen, bis von den euro­päi­schen Demo­kratien nur noch Potem­kinsche Dörfer übrig sind.
Des­wegen wird jeder Migra­ti­ons­kri­tiker ver­teufelt, des­wegen werden Schlep­per­helfer zu Helden sti­li­siert, und des­wegen wird der Öffent­lichkeit sug­ge­riert, man könnte die Migra­ti­ons­routen nicht schließen. Über die Ver­teilung der Migranten innerhalb der EU sollte sich nach dem Willen der Bun­des­kanz­lerin jedes euro­päische Land der Mas­sen­zu­wan­derung öffnen.
Ist erst einmal die relative Homo­ge­nität der euro­päi­schen Völker auf­gelöst, löst sich natürlich all­mählich auch der nationale Zusam­menhalt auf und der Natio­nal­staat kann durch eine neue inter­na­tionale, über­na­tionale Struktur ersetzt werden. Das wird ohne eine Umer­ziehung der nach wie vor in ihren natio­nalen Klau­suren lebenden, den­kenden und füh­lenden Völker nicht funk­tio­nieren. Diese Umer­ziehung erleben wir täglich. Sie beginnt in den Schulen, sie ergießt sich über die Werbung und endet abends in den „Tages­themen“. – Wir können das.«
Wir haben den Riss nicht erzeugt, wir bilden ihn nur ab
»Freilich, die Briten spielen nicht länger mit, weil sie kein Interesse daran haben, dass idea­lis­tische Deutsche über ihre Grenzen bzw. ihre Ein­wan­de­rungs­po­litik ent­scheiden. Die Polen und Ungarn wissen aus ihrer jüngsten Geschichte, dass es kein Ver­gnügen ist, von fernen Zen­tralen Diktate zu emp­fangen. Die Süd­ost­eu­ropäer haben his­to­rische Erfah­rungen mit dem Islam, die sie ein­wan­de­rungs­skep­tisch machen. Öster­reicher und Ita­liener haben keine Lust mehr, den Transit zu orga­ni­sieren. Deshalb wird der Brexit mit allen Mitteln boy­kot­tiert. Deshalb werden die Ost­eu­ropäer vor die Wahl zwi­schen Zuckerbrot und Peitsche – Bestechung oder Iso­lation – gestellt. Und deshalb werden die „Falsch­wähler“ in Ost­deutschland mit Gift und Galle überkübelt.
Meine Damen und Herren, ich kann nur wie­der­holen: Sie werden akzep­tieren müssen, dass wir den Riss nicht erzeugt haben; wir bilden ihn nur ab. Ich bedanke mich.«
Gau­lands Rede in Bild und Ton
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Alex­ander Gau­lands Rede können Sie inklusive Zwi­schen­rufen im Ple­nar­pro­tokoll 19/111 des Deut­schen Bun­des­tages nach­lesen.


Jürgen Fritz — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com