Kein Wort in den deut­schen Medien: Grenz­strei­tig­keiten eska­lieren — droht ein neuer Kaukasus-Krieg?

Es gibt Kon­flikte, über die die deut­schen Medien nicht berichten. Und wenn sie dann eska­lieren, dann tun sie ganz über­rascht. Derzeit gibt es einen solchen Kon­flikt an der geor­gisch-osse­ti­schen Grenze, über den aber in Deutschland nicht berichtet wird.
2008 gab es den fünf­tä­gigen Kau­kasus-Krieg, der in den deut­schen Medien immer noch als „rus­sische Aggression“ dar­ge­stellt wird, obwohl der Unter­su­chungs­be­richt des Euro­pa­rates das Gegenteil sagt.
Georgien hat eine kom­pli­zierte Ver­gan­genheit mit den Völkern der Osseten und Abchasen, die in den Grenz­ge­bieten zwi­schen Russland und Georgien leben. In der Ver­gan­genheit wurden diese Völker von Georgien unter­drückt, ver­folgt, zwangs­um­ge­siedelt und zwangs­ge­or­gi­siert. Solange sich Georgier, Abchasen und Osseten danach aber in einem Staat, der Sowjet­union, befanden, war es dort weit­gehend ruhig. Als die Sowjet­union 1991 aus­ein­an­der­brach und diese Gebiete zu Georgien gehören sollten, kam es zu blu­tigen Bür­ger­kriegen, weil die Völker nicht unter geor­gi­scher Herr­schaft leben wollte.
Es kam schließlich zu einem Waf­fen­still­stand und einer Demar­ka­ti­ons­linie, die von GUS-Frie­dens­truppen gesi­chert wurde. Im August 2008 griff Georgien das Gebiet der Osseten erneut an und nahm Wohn­viertel der Stadt Zch­invali unter Gra­nat­be­schuss, die Anzahl der Toten ist nicht end­gültig geklärt. Erst 36 Stunden nach Beginn des Angriffs erreichten rus­sische Truppen den Ort des Geschehens und warfen die Georgier zurück.
Das ist keine rus­sische Pro­pa­ganda, es steht so im Bericht des Europarates.
Danach hat Russland Ach­asien und Ossetien als unab­hängige Staaten aner­kannt, Georgien sieht diese Gebiete immer noch als Teil seines Territoriums.
Das war eine kurze Zusam­men­fassung der Vor­ge­schichte, aus­führ­liche Details und alle Quellen finden Sie hier.
Seit dem 23. August finden sich in den Nach­rich­ten­agen­turen Mel­dungen, dass sich die Lage an der Grenze zwi­schen Ossetien und Georgien wieder zuspitzt. Der Streit dreht sich um an der Grenze gebaute Kon­troll­posten der Georgier, von denen die Osseten behaupten, sie stünden auf osse­ti­schem Gebiet. Der Ton wird rauer und auch eine osse­tische Drohne wurde bereits von den Geor­giern abgeschossen.
Ich ver­folge den Kon­flikt bisher nur am Rande, aber er kann sich jederzeit – so wie 2008 – schnell wieder zu einem voll­wer­tigen Krieg ent­wi­ckeln. Logisch, dass die deut­schen Medien dann erneut von einer „rus­si­schen Aggression“ sprechen werden und der deutsche Leser, der von der derzeit eska­lie­renden Vor­ge­schichte nichts hört, völlig über­rascht sein wird.
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Als wäre die Lage nicht ohnehin schon kom­pli­ziert und explosiv genug, ist im Sommer noch ein neuer geor­gisch-rus­si­scher Streit hin­zu­ge­kommen. Ich habe darüber berichtet, dass es bei einer Kon­ferenz der inter­na­tio­nalen ortho­doxen Christen, die Anfang Juli in der geor­gi­schen Haupt­stadt zu anti-rus­si­schen Unruhen und sogar zu ver­suchten Angriffen auf die rus­sische Dele­gation gekommen ist. Georgien, selbst ein ortho­doxes Land, war Gast­geber der Kon­ferenz. Die Pro­teste wurden von US-Poli­tikern, die gerade in Georgien waren, mit Tweets noch ange­heizt.
Auch im deut­schen Main­stream gab es ein paar Berichte, die aber die Sache anders dar­ge­stellt haben.
Ein geor­gi­scher Jour­nalist hat eine Woche später Putin per­sönlich auf eine Art und Weise beleidigt, die Böh­mer­manns Erdogan-Gedicht wie ein Kin­derlied erscheinen lässt. Putin hat sich trotz Auf­rufen rus­si­scher Abge­ord­neter, darauf hart zu reagieren, jedoch nicht pro­vo­zieren lassen. Seine Reaktion vor Reportern war bemer­kenswert.
In der Folge hat Russland Direkt­flüge nach Georgien ein­ge­stellt und das ohnehin seit 2008 schwierige Ver­hältnis zwi­schen den Ländern ist noch tiefer in die Eiszeit gerutscht.
Bleibt zu hoffen, dass die der­zei­tigen Kon­flikte an der geor­gisch-osse­ti­schen Grenze vor diesem Hin­ter­grund nicht eska­lieren, die Region ist auch so schon ein wahres Pulverfass.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“