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Als ich meine Stasi-Akte sah

Bei mir zu Hause liegt ein dicker ver­gilbter Umschlag mit über hundert Seiten meiner eigenen Stasi-Akte. Auf dem Deck­blatt steht „OPK Fels“. Ope­rative Per­sonen-Kon­trolle (OPK) lautete der Begriff für die Auf­klärung „feindlich-nega­tiver Hand­lungen“, wie es im Jargon des DDR-Geheim­dienstes hieß.

(von Dieter Stein)
Ein Freund, der sich als Stasi-IM entpuppte
Im Interesse meiner Familie hatte ich Mitte der 90er-Jahre einen Antrag auf Ein­sicht in Stasi-Unter­lagen gestellt. Wir glaubten, etwas über meinen ver­stor­benen Vater zu finden, der als ehe­ma­liger BND-Mit­ar­beiter im Visier der Stasi hätte sein können. So stellte es sich auch heraus.
Erschüt­ternd – für manche viel­leicht wenig über­ra­schend – war es jedoch, zu sehen, dass wir als Familie bei wie­der­holten Besuchen in unserer dama­ligen DDR-Partner-Kir­chen­ge­meinde ab 1984 und zum Schluss auch ich selbst mit der JF ins Visier geraten waren und sich das bis dahin für zufällig gehaltene Ken­nen­lernen einer bestimmten Familie, zu der sich eine jah­re­lange Freund­schaft ent­wi­ckelte, im nach­hinein als gesteuert und unun­ter­brochen über­wacht herausstellte.
Wie die SED geschickt von der eigenen Ver­ant­wortung ablenkte
Einem der­je­nigen, der sich durch die Akte als Stasi-IM ent­puppen sollte, hatte ich zuvor vom Antrag erzählt. Er war nach der Wende bis zur Akten­ein­sicht Mit­ar­beiter unserer Zeitung geworden. Er meinte nur: „Ob das etwas bringt?“ Er hätte sich mir damals offen­baren können – was ihm nicht gelang. Später wurde mir klar, dass sich in diesen Jahren kaum jemand zu diesem Schritt über­winden konnte. Die meisten hofften, ihre Akten seien ver­nichtet – oder waren einfach innerlich zu gebrochen.
Einer These zufolge rückten nach dem Mau­erfall die SED-Ver­ant­wort­lichen selbst die Stasi und ihr System in den Mit­tel­punkt, um einen Sün­denbock zu schaffen, an dem die Bürger ihre Wut aus­lassen konnten – damit hinter dieser dröh­nenden Kulisse die in PDS (heute Linke) umbe­nannte SED aus der Schuss­linie kam und als Phoenix aus den Trümmern der DDR wieder auf­steigen konnte. Diese Stra­tegie wäre zwei­fellos aufgegangen.
Die Erin­nerung muss wach­ge­halten werden
Aus­ge­rechnet jetzt, kurz vor dem 30. Jah­restag des Mau­er­falls beschließt der Bun­destag, die Akten der Stasi-Unter­la­gen­be­hörde dem Bun­des­archiv zu unter­stellen und die eigen­ständige Insti­tution auf­zu­geben. Die einen sagen, es sei nur eine formale Frage, die anderen sehen ein sym­bo­li­sches Schließen der Akten­deckel – das Thema Stasi solle unter „ferner liefen“ his­to­ri­siert und in den Hin­ter­grund geschoben werden.
Ob in einer eigenen Behörde oder im Bun­des­archiv: Die Erin­nerung an das tota­litäre System der DDR muß wach­ge­halten werden. Dass die Idee totaler Über­wa­chung mit der DDR nicht unter­ge­gangen ist, sehen wir heute nicht nur in kom­mu­nis­ti­schen Staaten wie Nord­korea und China. Diese Ver­su­chung hierzu ist all­ge­gen­wärtig und ohne funk­tio­nie­rende demo­kra­tische Kon­trolle der Mäch­tigen immer gegeben.
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David Berger — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog des Autors www.philosophia-perennis.com