Was im Whist­le­b­lower-Bericht des “Ukraine-Skandals” tat­sächlich steht

In den USA wurde nun auch der Wortlaut der Anzeige des Whist­le­b­lowers ver­öf­fent­licht, die den „Ukraine-Skandal“ los getreten hat. Was steht da drin und wie berechtigt ist der Hype in den Medien?
Die Anzeige des Whist­le­b­lowers ist wesentlich länger, als das Gesprächs­pro­tokoll des Tele­fo­nates zwi­schen Trump und Selensky. Daher werde ich die Anzeige nicht kom­plett über­setzen, sondern hier eine Zusam­men­fassung schreiben.
Der Whist­le­b­lower beschreibt zunächst, dass er in seinem Dienst Kontakt zu Leuten aus dem Weißen Haus und anderen Regie­rungs­mit­ar­beitern hat. Namen nennt er keine. Er schreibt lediglich, dass ihm „in den letzten vier Monaten mehr als ein halbes Dutzend US-Offi­zi­eller“ über die Dinge infor­miert hätten, die ihn zu der Sorge treiben, der Prä­sident könne sein Amt miss­brauchen, um die Ukraine dazu zu bewegen, Trump mit Infor­ma­tionen über Joe Biden im Wahl­kampf zu unter­stützen. Er selbst war nicht Zeuge des frag­lichen Telefonates.
Er beruft sich in seinem gesamten Bericht aus­schließlich auf etwas mehr als sechs namentlich nicht genannte Quellen. 
All das beschreibt er in der Ein­leitung sehr aus­führlich, wobei er sich sehr büro­kra­tisch aus­drückt, Gesetze und Bestim­mungen nennt, aber keine wei­teren Fakten, als den von mir genannten. Danach kommt er auf Seite zwei auf das Tele­fonat selbst.
Wörtlich schreibt er:
„Mehrere Offi­zielle aus dem Weißen mit direkter Kenntnis des Tele­fo­nates infor­mierten mich, dass der Prä­sident nach einem anfäng­lichen Aus­tausch von Höf­lich­keiten den Anruf für eine Erin­nerung an seine per­sön­lichen Inter­essen genutzt hat. So ver­suchte er, den ukrai­ni­schen Prä­si­denten zu Hand­lungen zu bringen, die bei den Prä­si­dent­schafts­wahlen 2020 helfen würden.“
Danach zählt er auf, was ihm die „Offi­zi­ellen aus dem Weißen Haus“ genau gesagt hätten. Es ging demnach darum, erstens die Unter­su­chungen gegen Bidens Sohn wieder auf­zu­nehmen oder fort­zu­setzen, zweitens um die rus­sische „Wahl­ein­mi­schung 2016“ und die Unter­su­chung des Servers der demo­kra­ti­schen Partei und die Firma Crowdstrike und drittens darum, dass Selensky sich mit Giu­liani und US-Gene­ral­staats­anwalt Barr treffen solle. Außerdem sei es auch um den dama­ligen Gene­ral­staats­anwalt der Ukraine, Lut­senko, gegangen.
Das ist alles zu dem Tele­fonat, mehr wurde seiner Infor­mation nach nicht besprochen. Und in der Tat waren das die Themen des Tele­fo­nates, wie die Mit­schrift zeigt. Nur ver­schweigt der Whist­le­b­lower (oder er weiß es nicht), dass Trump kei­nerlei Druck aus­geübt hat und dass er bei Selensky offene Türen ein­ge­rannt hat, wie man in der Mit­schrift deutlich sehen kann. Selensky hat selbst ein großes innen­po­li­ti­sches Interesse, diese Dinge zu unter­suchen. Trump brauchte, wie die Mit­schrift zeigt, kei­nerlei Druck auszuüben.
Der Whist­le­b­lower schreibt dann, es im Weißen Haus unter den Mit­ar­beitern Besorgnis und Dis­kus­sionen über das Tele­fonat gäbe.
Anschließend kommt er auf öffentlich zugäng­liche Infor­ma­tionen, wie die Tat­sache, dass die ukrai­nische Prä­si­di­al­ver­waltung als erste über das Tele­fonat berichtet hat, was aber nichts beson­deres ist, denn jede Regie­rungs­be­hörde gibt über solche Tele­fonate eine Pres­se­meldung heraus. Da steht in der Regel nicht viel mehr drin, als dass es ein Tele­fonat gegeben hat, manchmal gibt es auch noch all­ge­meine Worte über die bespro­chenen Themen, mehr nicht.
So auch hier. Der Whist­le­b­lower über­setzt dann die ent­spre­chende Pres­se­meldung der ukrai­ni­schen Präsidialverwaltung:
„Donald Trump hat seine Hoffnung aus­ge­drückt, dass die neue ukrai­nische Regierung schnell das Image der Ukraine ver­bessern und die Ermitt­lungen zu den zurück­ge­hal­tenen Kor­rup­ti­ons­fällen zwi­schen der Ukraine und den USA abschließen wird.“
Das ist eigentlich eine sehr tref­fende Zusam­men­fassung des Tele­fo­nates, die schon am 25. Juli von der Ukraine ver­öf­fent­licht worden ist. Wenn das ein Skandal gewesen wäre, dann hätte er damals schon los getreten werden müssen.
Dann teilt er mit, dass der Anruf keine Geheim­sache gewesen ist, der Zugang zu dem Gespräch sei intern nicht beschränkt gewesen, außer Mit­ar­beitern des Weißen Hauses sei das Tele­fonat und sein Inhalt auch dem Außen­mi­nis­terium und anderen, wie ihm selbst, bekannt gewesen.
Danach aller­dings sei das Gespräch auf Betreiben von Juristen des Weißen Hauses als geheim ein­ge­stuft, von dem nor­malen Server genommen und auf einen geson­derten Server geladen worden. Ins­be­sondere die wort­wört­liche Mit­schrift sei geheim gehalten worden. Aller­dings schränkt der Whist­le­b­lower dann ein, dass es möglich ist, dass auch mit anderen Tele­fo­naten ähnlich ver­fahren würde, er sei sich also nicht sicher, ob das eine andere Her­an­ge­hens­weise sei, als bei anderen Gesprächsmitschriften.
Dann beschreibt der Whist­le­b­lower, wie der US-Son­der­be­auf­tragte für die Ukraine, Volker, am Tag nach dem Tele­fonat zusammen mit seinem Kol­legen aus der EU, Sondberg, in Kiew gewesen sei und Selensky getroffen hat. Dabei habe Volker der ukrai­ni­schen Führung Tipps gegeben, wie mit den Dingen umzu­gehen sei, die der US-Prä­sident erwähnt habe.
Am 2. August habe es dann ein Treffen zwi­schen Trumps Anwalt Giu­liani und einem Berater von Selensky in Madrid gegeben. Das ist übrigens nichts Neues, darüber wurde in der Presse sei­nerzeit berichtet, wie der Whist­le­b­lower auch selbst schreibt. Das Gespräch sei eine direkte Folge des Tele­fo­nates gewesen, was glaubhaft ist, denn dass Giu­liani sich mit Beratern von Selensky treffen sollte, wurde ja in dem Gespräch zwi­schen den beiden Prä­si­denten ver­einbart. Auch ein Zitat, das Trump öffentlich vor der Presse abge­geben hat, kommt dann noch in dem Bericht des Whist­le­b­lowers vor.
Nach dem Teil über das Tele­fonat selbst enthält der Bericht also eigentlich nichts Geheimes mehr, sondern nur noch Infor­ma­tionen aus der Presse, die für jedermann zugänglich waren und sind. Der Whist­le­b­lower nennt sogar teil­weise selbst die Pres­se­quellen, auf die er sich bezieht.
Wenn nun die US-Demo­kraten und die Presse ver­suchen, aus diesem Bericht des Whist­le­b­lowers einen Slandal zu basteln, hoffen sie offen­sichtlich, dass niemand den Bericht selbst liest. Denn danach kommen die Vor­würfe gegen Biden und die Demo­kraten, über die man in den Berichten der Presse kein Wort liest.
Er berichtet von Pres­se­be­richten, in denen der damals noch amtie­rende ukrai­nische Gene­ral­staats­anwalt Lut­senko ukrai­ni­schen und US-Ver­tretern Vor­würfe macht, nämlich:
Erstens hätten ukrai­nische Spit­zen­beamte zusammen mit der US-Bot­schaft in Kiew und der Demo­kra­ti­schen Partei die US-Wahlen 2016 beeinflusst,
Zweitens habe die US-Bot­schaf­terin (die in dem Tele­fonat sowohl von Trump, als auch von Selensky heftig kri­ti­siert wurde) zwar offi­ziell Lut­senko beschuldigt, er tue zu wenig im Kampf gegen die Kor­ruption, aber gleich­zeitig habe sie ihm eine Liste mit Per­sonen gegeben, gegen die er nicht ermitteln dürfe und als er damit nach Washington reisen wollte, um diese „Beweise“ zu über­geben, habe sie ihm das Ein­rei­se­visum für die USA verweigert,
Drittens habe US-Vize­prä­sident Biden den dama­ligen Prä­si­denten Poro­schenko gezwungen, Gene­ral­staats­anwalt Schokin zu feuern und die Kor­rup­tions-Ermitt­lungen gegen Bidens Sohn und seinen ukrai­ni­schen Arbeit­geber, den Gas­konzern Burisma, zu beenden.
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Diese Dinge sind wie gesagt bekannt und ich habe sei­nerzeit darüber berichtet. Hier finden Sie einen Bericht von Ende März über das Verbot der US-Bot­schaf­terin, gegen bestimmte Per­sonen in der Ukraine zu ermitteln und hier finden Sie einen Artikel von mir über die Kor­rup­ti­ons­vor­würfe gegen Biden und seinen Sohn vom Mai.
Und dass Biden 2016 Poro­schenko dazu gezwungen hat, Gene­ral­staats­anwalt Schokin zu feuern, ist kein Geheimnis. Biden selbst hat die Geschichte stolz öffentlich erzählt.

All dies habe – schreibt der Whist­le­b­lower – Ende März ange­fangen, als klar wurde, dass Lut­senkos „poli­ti­scher Patron“ Poro­schenko die Wahlen ver­lieren würde und Selensky mit­ge­teilt hatte, dass er Lut­senko nach seiner Wahl ersetzen wolle.
Danach geht der Whist­le­b­lower darauf ein, dass er am 29. April erfahren haben will, dass die frag­liche US-Bot­schaf­terin aus Kiew abbe­rufen werden solle und dass Giu­liani ukrai­ni­schen Medien mit­ge­teilt haben soll, dass die Frau „ent­fernt wird, weil sie Teil der Bemü­hungen gegen den Prä­si­denten ist„.
Diese Aussage kann man kaum bestreiten, wenn sie bei der US-Wahl 2016 zusammen mit Poro­schenko und der Demok­tra­ti­schen Partei die Schmutz­kam­pagne gegen Trump mit orga­ni­siert hat.
Danach geht es um eine Reise, die Giu­liani Anfang Mai nach Kiew unter­nehmen sollte, um weitere Infor­ma­tionen zu sammeln. Die Reise wurde dann abgesagt, weil Giu­liani davon sprach, Selensky sei umgeben von „Feinden Trumps und der USA„. Es war die Zeit unmit­telbar nach Selenskys Wahsieg, als in Kiew poli­tisch ein abso­lutes Chaos herrschte. Und tat­sächlich hatte Lut­senko damals Selensky getroffen und darum gebeten, nach dem Macht­wechsel seinen Job behalten zu dürfen.
All das sind eben­falls keine Neu­ig­keiten, denn all das stand damals in den Medien und auch der Whist­le­b­lower selbst zitiert hierzu Medien und keine eigenen Erkenntnisse.
Danach berichtet er, er hätte Mitte Mai gehört, dass manche US-Offi­zielle besorgt seien, dass die ukrai­nische Regierung nicht zwi­schen Trumps pri­vatem Anwalt Giu­liani und offi­zi­ellen Ver­tretern der USA unter­scheiden könne. Und er schreibt, Offi­zielle hätten ihm erzählt, dass das Zustan­de­kommen eines Tele­fo­nates zwi­schen Trump und Selensky davon abhinge, dass Selensky „den Ball spielen“ würde, den Trump geworfen habe.
Zum Schluss schreibt er wieder über öffentlich bekannte Äuße­rungen. Trump hat am 13. Juni in einem Interview gesagt, er würde schmutzige Infor­ma­tionen aus dem Ausland im Wahl­kampf ver­wenden (ich habe hier darüber berichtet) und Giu­liani hat sich am 21. Juni auf Twitter darüber geäußert, dass der neue ukrai­nische Prä­sident immer noch zu den Ein­mi­schungen der Ukraine in den US-Wahl­kampf 2016 schweigt.
Mitte Juli dann habe der Whist­le­b­lower davon erfahren, dass die USA mög­li­cher­weise ihre Politik in Sachen Unter­stützung der Ukraine ver­ändern würden, wozu er im Anhang noch Infor­ma­tionen angefügt hat.
Der Anhang enthält dann aber auch nichts Neues, einige Pas­sagen sind geschwärzt, in anderen stellt der Whist­le­b­lower Ver­mu­tungen auf, schreibt aber selbst auch, er wisse nichts genaues.
Das war der Inhalt des Berichts des Whist­le­b­lowers, der seit Tagen die Schlag­zeilen beherrscht.
Fazit: Der Bericht gibt den Inhalt des Tele­fo­nates korrekt wieder, behauptet aller­dings, Trump habe Druck auf Selensky aus­geübt, was die Mit­schrift des Tele­fo­nates jedoch nicht bestätigt. Ansonsten besteht der Bericht aus einer chro­no­lo­gi­schen Anein­an­der­reihung längst bekannter Pres­se­mel­dungen aus Medien und von Regierungsstellen.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“