EU vs. Türkei: Wie Erdgas und Flücht­linge zusammenhängen

Die EU läuft offenbar poli­tisch Amok, denn einer­seits fordert sie von der Türkei, die über drei Mil­lionen Flücht­linge nicht in die EU zu lassen, die in der Türkei vege­tieren, ande­rer­seits kommt die EU der Türkei aber bei keinem Thema entgegen.
Das Ver­hältnis der EU – oder sogar des ganzen Westens – zur Türkei ist mise­rabel. Die Liste der Streit­punkte ist lang. Die EU fordert demo­kra­tische Reformen von der Türkei, sie kri­ti­siert (nicht zu Unrecht) das tür­kische Vor­gehen in Syrien und die EU setzt ihre Ver­pflich­tungen aus dem Flücht­lingsdeal mit der Türkei nicht um. Hinzu kommt noch ein Streit um Gas­vor­kommen vor der Insel Zypern, auf die sowohl die EU, als auch die Türkei Ansprüche erheben.
Das Problem ist, dass die EU derzeit weit mehr auf die Türkei ange­wiesen ist, als umge­kehrt. Wenn die Türkei es will, setzen sich morgen über drei Mil­lionen Flücht­linge in Richtung Europa in Bewegung. Gegen das, was dann pas­siert, war die Flücht­lings­krise von 2015 ein laues Lüftchen, denn damals waren es „nur“ etwas über eine Million Men­schen, die von dort über die Bal­kan­route nach Deutschland mar­schiert sind.
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Egal, wie sehr die Türkei in anderen Fragen auch von der EU abhängig sein mag, das größere Druck­mittel hat momentan Ankara.
Nun müsste man meinen, dass das in der EU irgend­jemand bedenkt, wenn man die eigene Politik plant. Die Türkei ist sowieso schon sauer auf die EU, weil sie ihre Ver­pflich­tungen aus dem Flücht­lingsdeal nie ein­ge­halten hat. In dem Deal hat sich die Türkei ver­pflichtet, ihre Grenzen zur EU für Flücht­linge zu schließen. Die Türkei hat ihren Teil erfüllt, der Flücht­lings­strom ist weit­gehend ver­siegt. Im Gegenzug hat die EU der Türkei Mil­li­arden ver­sprochen, um die Kosten für die Unter­bringung der Flücht­linge zu decken und sie hat der Türkei Rei­se­er­leich­te­rungen, also die Abschaffung der Visa­pflicht für Türken, ver­sprochen. Die EU hat aber die Visa­pflicht nie auf­ge­hoben und noch nicht einmal die volle ver­spro­chene Summe bezahlt. Die EU ist auf ganzer Linie vertragsbrüchig.
Die Türkei hat schon im Sommer ange­droht, sich nicht mehr so genau an den Deal halten zu wollen und seit dem lesen wir immer mal wieder etwas darüber, dass der Strom der Flücht­linge aus der Türkei nach Grie­chenland anwächst.
Eigentlich müsste man sich in einer solchen Situation in Brüssel Gedanken machen, was man der Türkei anbieten kann, damit sie die Schleusen nicht wieder öffnet. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Am Freitag wurde in der EU der Weg für Sank­tionen gegen die Türkei frei­ge­macht. Der Streit­punkt ist ein Erd­gas­vor­kommen in den Gewässern Zyperns. Die Insel ist in eine tür­kische und einen grie­chische Hälfte geteilt, wobei der tür­kische Teil Zyperns völ­ker­rechtlich nicht aner­kannt ist. Damit gehört das Gas dem völ­ker­rechtlich aner­kannten grie­chi­schen Teil der Insel Zypern. Die Türkei aber sieht das anders und weil das Gasfeld in den Gewässern Nord­zy­perns liegt, das von der Türkei kon­trol­liert wird, will die Türkei das Gas nun fördern.
Ja, was die Türkei macht ist völ­ker­rechts­widrig. Und ja, Gas ist eine wichtige Res­source, die die EU den Türken nicht schenken will. Aber wenn die EU nun zum Jah­resende des­wegen Sank­tionen gegen die Türkei ver­hängt, dann dürfte nicht schwer zu erraten sein, wie die Türkei darauf wohl reagiert.
Die Medien behandeln diese Themen, also den Streit um das Gas vor Zypern und die Frage der Flücht­linge, immer streng getrennt. Wenn wir etwas über Flücht­linge lesen, fehlt in den Artikel jede Erwähnung des Erdgas-Streits und umge­kehrt. Die Men­schen in Deutschland sollen den Zusam­menhang mög­lichst nicht erkennen. Dabei ist der Zusam­menhang mehr als offen­sichtlich, wenn man sich nur die Zeit­achse anschaut.
Im Spiegel kann man lesen:
„Die EU bezeichnet die Boh­rungen als illegal. Schon im Juli hat sie deshalb Gelder für die Türkei gekürzt, die Ver­hand­lungen über ein Luft­ver­kehrs­ab­kommen auf Eis gelegt und ver­einbart, mit Ankara vorerst keine wei­teren Spit­zen­ge­spräche über Wirt­schaft und Handel zu führen.“
Und eben­falls im Juli haben tür­kische Poli­tiker ange­fangen, den Flücht­lingsdeal in Frage zu stellen und seit Juli wächst die Zahl der Flücht­linge, die aus der Türkei nach Grie­chenland kommen.
Alles Zufall? Wohl kaum.
 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“