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Pul­verfass Süd­amerika: Putsche, soziale Unruhen mit Todes­opfern, zehn­tau­sende Verhaftete

Süd­amerika wird immer mehr zu einem Pul­verfass. Dort führt der Kampf zwi­schen sozialen Strö­mungen und den Ver­fechtern der neo­li­be­ralen Glo­ba­li­sierung zu Put­schen und Unruhen mit vielen Toten.
Vor einiger Zeit habe ich über die Lage in Chile geschrieben. Dort herrscht der Neo­li­be­ra­lismus in Rein­kultur, seit Pinochet seine Wirt­schafts­po­litik von Neo­li­be­ralen schreiben ließ, die in den USA aus­ge­bildet worden sind. Sogar das Bil­dungs­system ist dort pri­va­ti­siert worden, was dazu geführt hat, dass weniger als 10 Prozent der Schüler nach dem Schul­ab­schluss genug Bildung haben, um den Auf­nah­metest zur Hoch­schule zu bestehen. Das Ver­sprechen des Neo­b­li­be­ra­lismus, Wohl­stand für alle zu gene­rieren, hat dort ein­drücklich gezeigt, dass es ein leeres Ver­sprechen ist. Die Details zu Chile finden Sie hier.
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In Chile gibt es nun seit einiger Zeit massive Pro­teste gegen diese Ver­armung, denn trotz boo­mender Wirt­schaft lebt über die Hälfte der Bevöl­kerung unter der Armuts­grenze. Bei den Pro­testen sind nach Angaben chi­le­ni­scher Gerichte über 26.000 Men­schen fest­ge­nommen worden, alleine fast 9.000 in der Region der Haupt­stadt. Chile hat 17 Mil­lionen Ein­wohner, das bedeutet, dass 0,15 Prozent der Ein­wohner wegen der Pro­teste ver­haftet worden sind. Um das in Relation zu setzen: 0,15 Prozent der Ein­wohner würde in Deutschland bedeuten, dass 120.000 Men­schen ver­haftet worden wären.
Man kann sich die Unzu­frie­denheit in Chile gar nicht vor­stellen. In Deutschland sind schon Demons­tra­tionen mit 120.000 Teil­nehmern, bzw 0,15 Prozent der Bevöl­kerung, kaum vor­stellbar, aber in Chile ist das die Zahl der Ver­haf­teten. Und während die deut­schen Medien mit Ländern wie zum Bei­spiel Russland hart ins Gericht gehen, weil dort 19 Men­schen nach den Pro­testen im Sommer in Moskau wegen Gewalt­de­likten Gefäng­nis­strafen drohen, findet sich kaum ein Wort der Kritik gegen das unbe­schreib­liche Vor­gehen der chi­le­ni­schen Regierung.
Aber die Men­schen in Chile lassen sich nicht ein­schüchtern und trotz dieser bei­spiel­losen Ver­haf­tungs­welle gehen die Pro­teste bisher unver­mindert weiter.
Der Putsch in Bolivien, über den ich gestern berichtet habe, zeigt eben­falls bereits sein wahres Gesicht. Die neue Regierung kann gar nicht schnell genug auf einen kom­pro­miss­losen US-Kurs ein­schwenken. So greift die Regierung nicht nur im Innern hart durch und hat den Sicher­heits­kräfte bereits für Gewalt­an­wendung gegen Demons­tranten eine pau­schale Amnestie erteilt, was für die nächsten Tage ange­sichts der andau­ernden Pro­teste nichts Gutes erwarten lässt. Die Details finden Sie hier.
Auch außen­po­li­tisch ist Bolivien voll aus US-Kurs geschwenkt. Die neue Regierung hat Guaido in Vene­zuela als Prä­si­denten aner­kannt und die diplo­ma­ti­schen Bezie­hungen zu Vene­zuela und Kuba abgebrochen.
Apropos Vene­zuela: Auch wenn die deut­schen Medien darüber nicht mehr berichten, geht das Chaos dort weiter. Guaido hält sich inzwi­schen seit 10 Monaten für den Prä­si­denten, obwohl die staat­lichen Struk­turen nicht auf ihn hören und obwohl er sich ver­fas­sungs­widrig zum Prä­si­denten aus­ge­rufen hat. Auch hat ihn die Mehrheit der Welt­ge­mein­schaft nicht aner­kannt, lediglich ca. 50 US-Satel­li­ten­staaten haben ihn aner­kannt. Das bedeutet, dass ca. 140 Länder der Welt wei­terhin die Maduro-Regierung anerkennen.
Guaido macht in diesen Tagen einen wei­teren Versuch, Unruhe im Land zu orga­ni­sieren. Für den 16. November hat er erneut zu Mas­sen­de­mons­tra­tionen auf­ge­rufen und auch wieder das Militär auf­ge­fordert, sich ihm anzu­schließen. Aber pas­siert ist am Samstag nicht viel. Der Rückhalt von Guaido, den die USA nach wie vor unter­stützen, ist zu gering im Land.
Auch in Bra­silien stehen mög­li­cher­weise unruhige Zeiten bevor. Der ehe­malige Prä­sident Lula, der als sozial-ori­en­tiert gilt, wurde unter sehr frag­wür­digen Umständen zu einer Gefäng­nis­strafe ver­ur­teilt, aber in diesen Tagen vom Obersten Gericht frei­ge­lassen. Und er hat seinen Kampf gegen den extre­mis­ti­schen, aktu­ellen Prä­si­denten wieder aufgenommen.
Und auch in Haiti gibt es Mas­sen­de­mons­tra­tionen gegen die sozialen Pro­bleme in dem Land, nur haben die deut­schen Medien darüber nicht berichtet.
In Argen­tinien ist es bisher zwar ruhig, aber die Regierung dort, die dem neo­li­be­ralen Kurs ihrer Nachbarn sehr kri­tisch gegen­über­steht, hat sich in Sachen Bolivien posi­tio­niert. Der argen­ti­nische Prä­sident Fer­nandez hat es abge­lehnt, mit der boli­via­ni­schen Regierung in Kontakt zu treten, da er den Macht­wechsel als Putsch bezeichnet und wörtlich gesagt hat:
„Ich werde nicht mit Leuten reden, die Bolivien nicht vertreten.“
Auch in wei­teren Ländern der Region ist die Stimmung auf­ge­heizt. In Mexiko sorgt der Krieg gegen Dro­gen­kar­telle für Unruhe, in Ecuador gab und gibt es Mas­sen­pro­teste gegen den neo­li­be­ralen Kurs der neuen Regierung, die auch Julian Assange in London aus ihrer Bot­schaft geworfen hat, damit die USA ihn endlich in ihre Finger bekommen können.
Im von den USA so bezeich­neten „Hin­terhof“, über den sie seit der Ver­kündung der Monore-Doktrin vor fast 190 Jahren die Vor­herr­schaft bean­spruchen, brodelt es gewaltig und eine Beru­higung ist derzeit nicht absehbar. 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“