Der tiefste Grund für die Dege­ne­ration der west­lichen Welt

„Ich glaube, dass es heut­zutage kein inter­es­san­teres Thema gibt als die Bildung, als die Frage: Wie erziehen wir unsere Kinder? Welche Werte ver­mitteln wir Ihnen? Die Bildung ist das höchste Gut, das wir unseren Kindern bieten können.“ (Cat Stevens) – „Kinder werden als aso­ziale und ego­is­tische Wesen geboren. Die Werte der Zivi­li­sation, die des Men­schen Gemein­schaft von der Horde unter­scheidet, müssen ihnen erst nach und nach ver­mittelt werden. Das ist Aufgabe der Erziehung.“ (Ulrich Wickert) „Es kann keine Revo­lution ohne radikale Ver­än­de­rungen im Erzie­hungs­wesen geben.“ (H.G. Wells) – „Erziehung ist Erziehung zur Freiheit.“ (Ludwig Börne)
Vom Gleich­heits­fe­tisch zur Belie­bigkeit und Orientierungslosigkeit
Ist es nicht ver­rückt? Der Teil der Welt, der geistig und sittlich (mora­lisch, menschlich, cha­rak­terlich) am höchsten ent­wi­ckelt ist, lehnt seit geraumer Zeit ein drei­di­men­sio­nales Weltbild ab, frönt statt­dessen einem kul­tu­rellen und ethi­schen Rela­ti­vismus und Gleich­heits­fe­tisch. Das heißt, dort kennt man immer weniger ein Oben und ein Unten. Alles sei auf einer Ebene, reden ins­be­sondere die Eth­no­logen, Kultur- und Sozi­al­wis­sen­schaftler, denen es aus meiner Sicht an phi­lo­so­phi­scher Bildung mangelt, den Men­schen seit vielen Jahr­zehnten, teil­weise seit Jahr­hun­derten ein (z.B. Johann Gott­fried Herder, 1744 – 1803). Die Men­schen und Kul­turen wären nicht unter­schiedlich gut und unter­schiedlich wertvoll, nicht besser oder schlechter, sondern nur „anders“.

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Damit wird aber letztlich alles beliebig, wenn es kein besser und kein schlechter gibt. Und Belie­bigkeit führt in die Ori­en­tie­rungs­lo­sigkeit, erzeugt oft auch das Gefühl der Sinn­lo­sigkeit. Und noch etwas kommt hinzu, das mir der Schlüssel zum Ver­ständnis des Ganzen zu sein scheint.
Ziel der Erziehung ist es, die Fähigkeit zur Selbst­er­ziehung zu vermitteln
Die Bedingung der Mög­lichkeit von Erziehung geht ver­loren. Daher sprechen Neue Linke seit Jahr­zehnten kon­se­quen­ter­weise immer weniger von Erziehung statt­dessen von Sozia­li­sation, was nicht das­selbe ist. Erziehung ist ein plan­volles Handeln, Sozia­li­sation ein Geschehen ohne pla­nenden Akteur, ohne eine Ziel­richtung. „Ich sträube mich ja immer gegen Päd­agogik. Ich glaube ja, dass die Kinder die Eltern erziehen“, so Ber­na­dette La Hengst vor elf Jahren (Sonntag Aktuell Nr. 19/2008 vom 11.Mai 2008, S.7).
Der Erzie­hungs­prozess beruht auf einem hier­ar­chi­schen Ver­hältnis der Reife, des Wissens und Könnens: der Erzieher ist dem zu Erzie­henden über­legen. Sie stehen nicht auf einer Stufe. Und die Erzieher ent­werfen Pläne, Erzie­hungs- und Bil­dungs­pläne, wie die Kinder suk­zessive auf immer höhere Stufen gehoben werden können, bis sie endlich die gleiche Stufe erreicht haben wie die Erzieher (oder sogar höhere). Nun sind sie im Ide­alfall mündig und eman­zi­piert, können selbst­ständig ihr Leben bestreiten, sich in die Gemein­schaft ein­bringen, diese mit­tragen und mit­ge­stalten. Der Fremd-Erzie­hungs­prozess endet, nicht aber der Erziehungsprozess.
Denn Ziel der Erziehung zur Mün­digkeit, zur Freiheit, zur Selbst­be­stimmung ist, dass der zu Erzie­hende in die Lage ver­setzt wird, sich selbst weiter zu erziehen. Dazu müssen diese höheren Kräfte in ihm (der große Bruder in sich selbst, den manche nach außen pro­ji­zieren und dann für Gott halten, was vielen offenbar hilft) zunächst ent­wi­ckelt werden, damit er dazu fähig wird, damit er diesen inneren Dialog mit sich führen kann, damit er diese Stimme von oben ver­nehmen und ihr, damit sich selbst und anderen Rechen­schaft ablegen kann.
Ohne Ver­ti­ka­lität kein Nach-oben-Ziehen, keine Erziehung
Indem also die Hier­ar­chien abgebaut, zer­stört, negiert werden, wird gleichsam die Bedingung der Mög­lichkeit von Erziehung tor­pe­diert, sowohl der Fremd- wie auch der Selbst­er­ziehung, weil es ja kein Oben mehr gibt, das dorthin, zu sich hinauf ziehen könnte. Da die Erwach­senen – natürlich nicht alle, aber doch sehr viele – seit vielen Jahr­zehnten zunehmend diese ver­tikale Ori­en­tierung ver­loren haben, siehe Ber­na­dette La Hengst, teil­weise schon gar nicht mehr kennen, können sie natürlich auch keine echten Erzieher mehr sein, weil sie selbst keine Ori­en­tierung mehr haben. So begegnen sie dann auch ihren Kindern, Schülern und Stu­denten, denen sie somit eben­falls keine Ori­en­tierung zu geben ver­mögen, was bei diesen wie­derum bewirkt, dass sie wenig Respekt haben vor diesen Erwach­senen. Warum sollten sie den dann auch noch haben?
Fremd­steuerung oder Mani­pu­lation sei das Gegenteil von Erziehung, sagt die pro­mo­vierte Phi­lo­sophin Caroline Som­merfeld, eine der Vor­den­ke­rinnen der Neuen Rechten, nicht ganz richtig. Fremd­steuerung ist bei den ganz Kleinen natürlich noch not­wendig, darf aber – insofern ist es auch nicht ganz falsch, was sie sagt – nicht zum Selbst­zweck werden und muss ab einem bestimmten Zeit­punkt die Würde des anderen achten, immer aber, von Anfang an auf das lang­fristige Wohl des Kindes selbst aus­ge­richtet sein (Wohl­wollen, Liebe). Denn sonst artet es aus zur Dressur, wie wir das aus anderen Kul­tur­kreisen kennen, die ich hier lieber nicht namentlich erwähne.
Die Fremd­steuerung muss aber, wenn es echte Erziehung und nicht nur Dressur und Abrichtung sein soll, die Befä­higung zur Mün­digkeit, zur Eman­zi­pation (Befreiung von Fremd­be­stimmung) und die Befä­higung zur Selbst­er­ziehung zum Ziel haben. Es muss also tat­sächlich ein nach oben ziehen und kein nach unten drücken sein. Dies setzt wie­derum ein Oben und ein Unten, eine Hier­archie voraus. Nur wer schon oben ist, kann einen anderen dorthin ziehen, was wie­derum eine Ver­ti­ka­lität vor­aus­setzt. Ohne diese gibt es kein nach oben ziehen. Es setzt voraus, dass die Erzieher das selbst können, also selbst mündige Men­schen und Bürger, eman­zi­piert und zur Selbst­er­ziehung fähig sind. Ansonsten fehlt ihnen die Vor­aus­setzung, die Bedingung der Mög­lichkeit ein echter Erzieher sein zu können, das heißt nicht auf der gleichen Stufe zu stehen, sondern auf einer deutlich höheren.
Erziehung, nicht Mani­pu­lation und Gewalt ist der Schlüssel für eine bessere Welt
Vor diesem Hin­ter­grund kann man dann mit Caroline Som­merfeld wie­derum sagen: „Erziehung ist sou­ve­ränes Balan­cieren über dem offenen Abgrund im Men­schen.“ Der Abgrund oder die Abgründe sind immer da. Sie sind in uns, in jedem Ein­zelnen. Und der Kampf gegen diese muss jeden Tag aufs Neue geführt werden. Erziehung ist also immer auch ein Sich-selbst-Erziehen. Oder wie Helmut Schmidt zu sagen pflegte: Wir können alle noch ein bisschen besser werden.
Und jetzt wird viel­leicht auch ver­ständlich, warum ich gegen die Mas­sen­im­mi­gration Kul­tur­fremder bin. Nicht weil sie „anders“ sind, sondern weil sie oftmals völlig anders erzogen wurden. Genauer: weil sie diese Erziehung zur Freiheit, zur Mün­digkeit, zur Eman­zi­pation nicht mit­bringen, wie sie auch viel Wissen und Können nicht mit­bringen. Und weil man Jugend­liche und Erwachsene, die bereits völlig anders geformt wurden, nicht mal einfach so umer­ziehen kann, zumal man dies nicht erzwingen darf, wie es die kom­mu­nis­ti­schen Chi­nesen gerade mit den Uiguren in ihren Umer­zie­hungs­lagern praktizieren.
Eine liberale Gesell­schaft, die die Würde (Selbst­be­stimmung) des anderen achtet, kann nur Angebote unter­breiten, kann auf­klären, appel­lieren, auf­zeigen, im Ide­alfall vor­leben. Dies bewirkt aber erfah­rungs­gemäß bei Men­schen, die regel­recht abge­richtet wurden, meist eher wenig, weil der Dres­sierte sich in seinem and­res­sierten Kon­strukt sicher fühlt. Warum sollte er dieses Gefühl der Sicherheit auf­geben? Dazu sind – und da müssen wir uns ehrlich machen, auch wenn es eine bittere Erkenntnis ist – die wenigsten Men­schen fähig. Eine auf Freiheit beru­hende Umer­ziehung gelingt in den aller­we­nigsten Fällen, im Grunde, bis auf wenige Aus­nahmen, fast nie. Dies muss vielmehr von klein auf erlernt werden. Daher ist Erziehung und nicht Mani­pu­lation und Gewalt so wichtig, ja ist der Schlüssel für die Gesell­schaft von morgen, der Schlüssel für eine bessere Welt.

Jürgen Fritz — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com