Die EU ist beliebt wie lange nicht, so heißt es in der Kleinen Zeitung aus Österreich. Basis der Behauptung: Zahlen aus dem Eurobarometer, der regelmäßigen Meinungsumfrage der EU.
Das Ansehen der EU ist auf einem Allzeithoch, so meldet der ORF mit Verweis auf den Eurobarometer.
Der Kurier weiß aus dem Eurobarometer, dass die EU mit dem Brexit unter denen, die verbleiben, beliebter wird.
Europa ist bei den Bürgern so beliebt wie nie. Der Tagesspiegel bringt den Jubelbericht. Quelle: Der Eurobarometer.
Im Presseportal von dpa verbreitet das Europaparlament Nachrichten in eigener Sache. “Eurobarometer: Rekord-Zustimmung für EU 8 von 10 Deutschen halten EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache.”
Der Eurobarometer ist die Haus- und Hofgrundlage der Europäischen Kommission, wenn es darum geht, die eigenen Vorhaben mit Legitimität durch Wähler zu versorgen. Der Eurobarometer wird zitiert, wenn die Probleme mit Diskriminierung europaweit beschworen und Gelder zur Bekämpfung locker gemacht werden sollen. Er dient dazu, den Nationalisten in den Ländern zu zeigen, wie sehr sie in der Minderheit sind und dazu, den Euroskeptikern zu demonstrieren, dass sie nicht ins Gewicht fallen.
Der Eurobarometer, eine – wie könnte es anders sein – vermeintlich repräsentative Meinungsumfrage, die in regelmäßigen Abständen zweimal pro Jahr regulär und in Sonder-Eurobarometern durchgeführt wird, er ist vielfältig verwendbar und einsetzbar und nutzbar und unzuverlässig, verzerrt, alles, nur nicht repräsentativ.
Schon zu Beginn der 1990er Jahre hat sich der damalige Verantwortliche für den Eurobarometer, der zwischenzeitlich verstorbene Karl-Heinz Reif, redlich bemüht, die Wissenschaft, vor allem die Politikwissenschaft für die Nutzung der Eurobarometer-Datensätze, die damals in Mannheim gewartet wurden, zu begeistern. Der Erfolg war mäßig. Die Aversion gegen einen Datensatz, der im politischen Auftrag erstellt wird, war damals zu groß, als dass sich die empirisch arbeitenden Politikwissenschaftler in großer Zahl auf die Daten gestürzt hätten. Heute gibt es keine empirisch arbeitenden Politikwissenschaftler mehr in großer Zahl. Also hat sich das erledigt.
Der politische Stallgeruch des Eurobarometer war eines seiner Probleme, die anderen, bekannten, lange bekannten Probleme sind in zwei Begriffe zu fassen: Reliabilität und Validität. Probleme mit der Validität schlagen sich z.B. in Befragten nieder, die sich als ultra-links einstufen und – weil sie in Belgien interviewt wurden, angeben, den ultrarechten Vlaams Blog zu wählen. Sie finden sich als 20jährige, die angeblich an den letzten Europawahlen vor drei Jahren teilgenommen haben und in vielem mehr, was als Datenfehler in die Geschichte des Eurobarometer eingeht. Hinzu kommt das leidige Thema der Reliabilität: Die Fragen im Eurobarometer waren nicht selten das, was empirische Wissenschaftler zum Haare raufen bewegt. Die Daten, die selbst mit guten Fragen gesammelt wurden, das, was in der Branche als “anrüchig” bekannt ist.
Und nun stinkt die Datenqualität oder besser: die nicht vorhandene Datenqualität so zum Himmel, dass der Gestank in Dänemark wahrgenommen wurde. Dort gibt es noch mindestens einen Politikwissenschaftler, der empirisch tätig ist, der zudem kritisch ist und der mit den Daten des Eurobarometer rechnet, den Eurobarometer nachrechnet. Verhängnis nimm’ deinen Lauf: Kasper Møller Hansen, so sein Name, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kopenhagen. Er hat die Antwortraten im Eurobarometer nachgerechnet. Ergebnis: verheerend: Neue Daten zeigen ernsthafte Probleme mit der Qualität der Daten des Eurobarometer, so titel die Zeitung “information” und schreibt weiter:
“Of every one hundred Germans who were asked to participate in a Eurobarometer survey in early 2018, only fifteen accepted: a response rate of 15%. Experts consulted by Information estimate that the response rate ought to reach 45–50% before a survey is representative.
In the most recent Eurobarometer survey for which response rates have been calculated, percentages were too low in a number of countries: 14% in Finland, 15% in Germany, 20% in Luxembourg, 22% in Italy, 27% in the United Kingdom, 28% in Denmark, 31% in Greece and France, 33% in Ireland, 34% in Spain, 38% in Latvia, and 40% in Portugal.”
This is a serious problem, a very serious problem indeed …
Um das Problem zu verstehen, muss man wissen, wie die Daten im Eurobarometer gesammelt werden. Fortschrittliche Meinungsforscher nutzen das Internet, konservative Meinungsforscher, vielleicht auch vorsichtige, telefonieren. Rückstände Meinungsforscher laufen von Haus zu Haus und führen face-to-face-Interviews. Die Meinungsforscher, die den Eurobarometer erstellen, gehören zu den Rückständigen. Nicht, dass Rückständigkeit nicht auch Vorteile hätte: Die Rechnung, die man als Meinungsforscher an die Europäische Kommission stellen kann, die sie dann mit dem Geld der europäischen Steuerzahler begleicht, ist ungleich höher, um ein Vielfaches höher, als eine vergleichbare Rechnung für eine telefon- oder gar eine internetbasierte Umfrage.
Man muss Mitgefühl mit dem armen Interviewer eines Meinungsforschungsinstituts haben, der eine Antwortquote von 15% in Deutschland erreicht, eine 15%ige-Erfolgsquote mit seinen Versuchen, ein Interview zu führen, hat. D.h. er klopft rund sechsmal umsonst, bis ihm jemand Antworten auf seine Fragen geben will. Das ist für die Methode der Datensammlung verheerend, die reklamiert nämlich für sich Repräsentativität per Zufallsauswahl. Das funktioniert in der Regel so, dass man einen Interviewer in einen Teil einer bestimmte Stadt in Deutschland schickt und ihm den Auftrag gibt, pro Straße an jedem fünften Haus auf der rechten Seite die dritte Türklingel zu bedienen und wenn ein männlicher Bewohner die Tür öffnet, mit diesem ein Interview zu führen – weibliche Interviewpartner werden hinter der zweiten Türklingel, des jeweils vierten Hauses auf der linken Seite gesucht.
Das ganze System lebt natürlich davon, dass man als Interviewer nicht ständig einen Korb bekommt.
Die Interviewer des Eurobarometer bekommen aber mehr Körbe als Interviews, was zum einen die reklamierte Repräsentativität zur Farce werden ließe, selbst wenn es möglich wäre, repräsentativ Daten zu erheben, was es, wie wir hier argumentiert haben, nicht ist, schon gar nicht zu Fuß. Zum anderen erhalten die Interviewer der Europäischen Union in vielen Fällen nicht zufällig Körbe, wie man vermuten kann, sondern von Personen, die nicht motiviert sind, Auskunft über ihre Einstellung zur Europäischen Union zu geben (vielleicht weil sie nicht unhöflich oder unnötig grob sein wollen). Euroskeptiker, Personen, die sich im Widerspruch zu dem befinden, was ihnen z.B. die Medien zu erzählen versuchen, nämlich, dass die EU von so vielen gemocht wird und so toll ist, sind die ersten, die den entsprechenden Interviewern einen Korb geben. Ergebnis: Die Zustimmung zur EU wird regelmäßig und erheblich überschätzt; die Ablehnung, die Skepsis gegenüber der EU regelmäßig und um ein Vielfaches unterschätzt.
Selbstverständlich sind professionelle Interviewer, die zu den Berufen gehören, die in Deutschland nicht schlecht, sondern miserabel bezahlt werden und die in der Regel nur für abgeschlossene Interviews bezahlt werden, nicht so blöd, stundenlang durch Straßen zu irren, und sich ständig abweisen zu lassen, sie werden Kniffe und Tricks finden, Interviews zu führen. Heiner Dorroch hat sie vor Jahren aufgeschrieben. Ein Buch mit dem Titel “Meinungsmacher-Report” ist daraus geworden. Die Antwort auf das Korbproblem der Interviewer, die darin gegeben wird in Kurz: Selbst ausfüllen.
Der Eurobarometer produziert Datenmüll.
Das tut er nicht erst seit heute. Aber heute ist es offenkundig herausgekommen.
Wenn Sie also demnächst eine Jubelmeldung in der Zeitung lesen: “90% der Deutschen wollen Jean-Claude Juncker den Verdienstorden zusprechen”, dann schauen Sie zunächst nach der Quelle. Ist der Eurobarometer die Quelle, dann können Sie das Ergebnis getrost vergessen.
Quelle: sciencefiles.org
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