Wie nützlich sind Antidiskriminierungs-Gesetze?

Die liberale Auf­klä­rungs­be­wegung richtete sich gegen die staat­liche Will­kür­herr­schaft und plä­dierte für uni­ver­selle Men­schen­rechte, ver­standen als Abwehr­rechte. An der Wurzel der Auf­klärung stand der Gedanke des Dis­kri­mi­nie­rungs­verbots für den Staat: Es soll keine gesetz­lichen Son­der­pri­vi­legien für spe­zi­fische Gruppen, Klassen oder Ein­zel­per­sonen mehr geben. Alle Men­schen sollen vor dem Gesetz gleich­be­handelt werden.
(von Olivier Kessler)
Seit einiger Zeit wird dieses liberale Para­digma gehörig auf die Probe gestellt. Mit immer neuen regu­la­to­ri­schen Vor­haben wird ver­sucht, als Anti­dis­kri­mi­nie­rungs-Gesetz­gebung zu ver­kaufen, was einem Ver­ei­ni­gungs­zwang zwi­schen Pri­vaten gleich­kommt. Die Moti­vation dahinter – die Gleich­stellung aller Mit­glieder einer Gesell­schaft und der Abbau von Vor­ur­teilen – ist eine löb­liche. Auf den ersten Blick mögen gesetzlich ver­ordnete Dis­kri­mi­nie­rungs-Verbote denn durchaus ver­nünftig und fort­schrittlich klingen. Doch in Wahrheit sind solche Gesetze gross­mehr­heitlich Sym­bol­po­litik, die durch die Anwendung von Zwang gerade jenen Per­sonen Schaden zufügen, die man besonders schützen möchte.

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Die Wirkung von Quoten
Betrachten wir uns zur Ver­an­schau­li­chung das Bei­spiel einer Frau­en­quote in bestimmten Berufen. Nehmen wir an, es gäbe eine Frau­en­quote bei Chir­urgen zur Stei­gerung der Anzahl Frauen in diesem Beruf. Dies impli­ziert, dass bei der Besetzung offener Posi­tionen nicht in erster Linie der oder die Fähigste ange­stellt werden soll, sondern die­je­nigen Bewer­benden mit dem «pas­senden» Geschlechtsteil.
Wie würden die Pati­enten auf diese neue Regel reagieren? Viele würden wohl alles dar­an­setzen, dass sie von einem Mann behandelt werden, der seine Fähig­keiten auf­grund der Frau­en­quote und der höheren Ein­tritts­hürden für Männer noch stärker unter Beweis stellen musste und daher besonders qua­li­fi­ziert zu sein scheint. Denn ob eine Chir­urgin nun auf­grund ihrer Qua­li­fi­kation ange­stellt wurde oder ob es sich um eine weniger qua­li­fi­zierte, gesetzlich begüns­tigte Ange­stellte handelt, weiss kaum jemand.
So werden auch gut­qua­li­fi­zierte Ange­hörige dieser rechtlich pri­vi­le­gierten Gruppe der ange­stellten Chir­ur­g­innen letztlich stärker dis­kri­mi­niert und gemieden. Ihre Löhne dürften im Ver­gleich zu jenen der männ­lichen Berufs­kol­legen sinken, weil sie für ihre Arbeit­geber weniger Wert schaffen auf­grund der gerin­geren Kun­den­nach­fragen nach ihrer Leistung. Eine solche Gesetz­gebung hätte daher unge­wollt eine stärkere Dis­kri­mi­nierung von Frauen zur Folge.
Anti­dis­kri­mi­nie­rungs-Gesetze schaffen nicht nur neue Unge­rech­tig­keiten, sondern ver­ur­sachen auch einen Schaden am wirt­schaft­lichen Gefüge und der gesell­schaft­lichen Koor­di­nation. Wenn Unter­nehmen nicht mehr jene Leute anstellen dürfen, welche sie als am geeig­netsten erachten, sondern anhand von staatlich defi­nierten Quoten ent­scheiden müssen, hat dies zur Kon­se­quenz, dass «die rich­tigen Leute nicht mehr am rich­tigen Ort sind», wie es der nie­der­län­dische Ökonom Frank Karsten for­mu­lierte. Die Arbeits­teilung, der die Menschheit zu einem grossen Teil die wach­senden Lebens­stan­dards zu ver­danken hat und die zur Folge hat, dass sich jeder auf das kon­zen­triert, was er am besten kann, wird ver­zerrt und ad absurdum geführt. Die ver­häng­nis­vollen Ein­griffe in die wirt­schaft­liche Freiheit schaden ins­be­sondere den Gering­ver­dienern, weil diese bei abneh­mender wirt­schaft­licher Freiheit ver­hält­nis­mässig die stärksten Lohn­ein­bussen hin­nehmen müssen, wie Studien zeigen.
Auch das Betriebs­klima in den Unter­neh­mungen dürfte sich auf­grund sich ver­schär­fender Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­mass­nahmen ver­schlechtern, weil ten­den­ziell weniger darauf geachtet werden darf, wer am besten ins unter­neh­me­rische System und ins bestehende Team passt. Vielmehr schreibt man den Ver­ant­wort­lichen vor, auf ober­fläch­liche Grup­pen­merkmale der Anstel­lungs­kan­di­daten zu schauen, um damit die staat­lichen Quo­ten­vor­schriften zu erfüllen. Kon­flikte und Span­nungen am Arbeits­platz dürften daher bei einer erzwun­genen Inte­gration unpas­sender Kan­di­daten zunehmen.
Grund­rechts­widrige Eingriffe
Anti­dis­kri­mi­nie­rungs-Vor­schriften, die sich nicht auf die Beziehung zwi­schen Bürger und Staat, sondern auf das Ver­hältnis zwi­schen Pri­vaten beziehen, stellen auch einen Ein­griff in ele­mentare Grund­rechte dar.
In einer libe­ralen Gesell­schafts­ordnung soll jeder seine Ziele und Mittel selbst bestimmen dürfen. Jeder ent­scheidet eigen­ver­ant­wortlich, bei wem er ein­kauft, was er ein­kauft, mit wem er Handel treibt, zusam­men­ar­beitet, redet, inter­agiert und zusam­menlebt. Solche Ent­scheide haben allesamt eine Ungleich­be­handlung ver­schie­dener Men­schen aus ver­schie­densten Motiven zur Folge. Wenn einige dieser Hand­lungen nun von Aus­sen­ste­henden als «dis­kri­mi­nierend» ein­ge­stuft und gesetzlich ver­hindert werden können, ist die Wahl- und Ver­trags­freiheit in Gefahr. Ver­träge sind dann von gegen­sei­tigem Nutzen, wenn sie frei­willig geschlossen werden: Anti­dis­kri­mi­nie­rungs-Gesetze ersetzen diese Frei­wil­ligkeit zumindest par­tiell durch Zwang. Sie sind deshalb ein Angriff auf dieses ele­mentare Grundrecht.
Letztlich führen solche Anti­dis­kri­mi­nie­rungs-Vor­schriften auch dazu, dass die staat­liche Willkür auf Kosten der Rechts­gleichheit aus­ge­dehnt wird. Heute hat jede Person Anspruch darauf, von den staat­lichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Ein Ver­ei­ni­gungs­zwang zwi­schen Pri­vaten gefährdet dieses Grund­prinzip. Denn letztlich müssten staat­liche Stellen anhand von will­kür­lichen Kri­terien darüber ent­scheiden, in welchen Bereichen unseres Lebens wir noch frei wählen dürfen und wo unsere Ent­schei­dungen bereits eine «Dis­kri­mi­nierung» im wie auch immer defi­nierten juris­ti­schen Sinne dar­stellen. Ständig würden dann neue Gruppen ins Ram­pen­licht treten und für sich eine gesetz­liche Son­der­be­handlung ver­langen. Damit würde Schritt für Schritt wieder eine Kas­ten­ge­sell­schaft ein­ge­führt mit pri­vi­le­gierten Über- auf der einen und rechtlich benach­tei­ligten Unter­men­schen auf der anderen Seite.
Eine liberale Gesell­schaft wäre keine liberale Gesell­schaft mehr, wenn Pri­vaten die Wahl- und Ver­trags­freiheit aberkannt würde – auch dann, wenn dies unter dem noblen Vorsatz der Dis­kri­mi­nie­rungs-Bekämpfung geschieht. Wird die Mög­lichkeit, frei zu wählen, ein­ge­schränkt oder gar ver­boten, bedeutet dies, dass jemand anders die Ent­schei­dungen für die Betrof­fenen trifft: also Poli­tiker und Ver­wal­tungs­funk­tionäre. Anstelle der Selbst­ver­ant­wortung tritt die Fremd­be­stimmung, das staat­liche Dis­kri­mi­nie­rungs­verbot würde aus­ge­hebelt und die Ziele der Auf­klärung letztlich in ihr Gegenteil verkehrt.
Die Bekämpfung von vor­ur­teils­be­la­dener, ver­leum­dender Dis­kri­mi­nierung und die För­derung von Toleranz und gesell­schaft­licher Inklusion durch Auf­klärung und Über­zeugung sind gewiss im Sinne einer libe­ralen Gesell­schaft. Ein Ver­ei­ni­gungs­zwang zwi­schen Pri­vaten ist es jedoch nicht.
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Olivier Kessler ist Vize­di­rektor des Libe­ralen Instituts in Zürich.

Quelle: misesde.org