Eine satirische Glosse von Phil Mehrens
Im 15. Jahr deiner Amtszeit, liebe Angie, ist es einfach mal an der Zeit, Danke zu sagen. Ohne dich wäre ich heute ein anderer Mensch. Ohne dich würde ich sicher auch heute noch CDU wählen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das CDU-Wahlprogramm zur Europawahl zu lesen, und ich hätte dessen Inhaltsleere und platte Rhetorik des Weiter-so daher auch nie durchschauen können.
Die CDU, das war die Partei unseres Vertrauens, die Partei, die Oma und Opa gewählt haben, die Mama und Papa gewählt haben und die auch ich – wozu da ein Parteiprogramm lesen? – immer weiter gewählt hätte. Wenn es dich nicht gegeben hätte, dich, die große Augenöffnerin.
Am Anfang deiner Amtszeit, beim Atomausstieg, für die Franz-Josef dir ordentlich die Leviten gelesen hätte, und bei der Abschaffung der Wehrpflicht, die Konrad vermutlich mit einem barschen: »Spinnst du?« quittiert hätte, dachte ich noch – so hat mir auch die WELT AM SONNTAG das mal zu erklären versucht –, dass es normal ist, wenn Parteien ihre Positionen ändern. Die Welt ändere sich, schrieb der Autor der WELT, also müssten sich die Parteien auch ändern, sich anpassen, geschmeidig bleiben. Man dürfe ja den Anschluss nicht verpassen, wenn der Zug in eine neue Zeit aufbreche. Ich dachte zwar schon damals: Hmja, die Zeiten ändern sich. Aber muss ich mich denn deswegen auch ändern? Auch wenn ich das gar nicht will? Aber man soll ja mit gutem Beispiel vorangehen. Deswegen hab‘ ich die Sache mit dem D, das ja während deiner Kanzlerinnenschaft offiziell eingeführt wurde, auch ganz ernst genommen und mir gleich drei neue Kaninchenställe gebaut, weil meine Frau, die Inge, ja Kaninchen so liebt. Ich also mit drei Käfigen ab zur Zoohandlung, wollte von jeder Sorte drei haben: einen Bock, eine Zippe und ein D‑Kaninchen. Liebe Angie, ich kann dir kaum beschreiben, was der Verkäufer für ein Gesicht gemacht hat, als ich das D‑Kaninchen, also das dritte Geschlecht, verlangte.
Ich hab‘ das mit den Kaninchen dann aufgegeben und es noch mal versucht mit Meerschweinchen und schließlich mit Goldhamstern – nix zu machen. Nicht mal einen D‑Fisch konnte der Kerl auftreiben. Am Ende bin ich dann mit zwei Kaninchen und einem Regenwurm nach Hause. Der Zoohändler meinte, Regenwürmer seien zweigeschlechtlich, und das käme dem dritten Geschlecht doch immerhin schon recht nahe. Naja, wenigstens habe ich jetzt endlich verstanden, warum die Leute, die immer Werbung machen für Geschlechtervielfalt, Regenwurm-Bewegung heißen.
Das hört man ja jetzt immer öfter: die Farben des Regenwurms. Aber was mach‘ ich jetzt mit dem dritten Kaninchenstall? Da schlüpft mir ja der Wurm durch die Maschen. Am besten hätte ich es wohl mit deinem bewährten Wahlspruch: »Wir schaffen das!« gehalten und mir gesagt: In einem Land, wo Millionen von Ausländern über die Grenze gewinkt und im Handumdrehen zu deutschen Sozialhilfeempfängern werden, wird sich ja wohl auch der richtige Stall für polyamore Regenwürmer auftreiben lassen. Aber dann kam die Sache mit den Eiern.
In der Zeitung stand neulich nämlich, dass sich der Heiko, wenn er nicht als Außenminister, sondern als Frühstücksei auf die Welt gekommen wäre, mit Güteklasse B begnügen müsste. Das hat mich gleich auf die Frage gebracht, wie das wohl aussehen würde, wenn deine ganze Regierungstruppe aus Eiern bestünde. Als Erstes ins Auge springen würden wohl die angeschlagenen Eier, die mit einem Sprung in der Schale, die man sofort aussortieren muss, weil die einem sowieso keiner mehr abkauft. Es sei denn, man hat wie du einen Freund wie den Emmanuel, der einem selbst so ein ramponiertes Ei wie die Flinten-Uschi abnimmt und es dann auch noch so geschickt flickt, dass alle es für das tollste Frühstücksei aller Zeiten halten.
Bin mal gespannt, ob sich der Trick mit deinem anderen lädierten Ei, dem bescheuerten Andreas, noch mal wiederholen lässt. Dass wir uns richtig verstehen: Natürlich war das Bescheuerte nicht, dass der Andreas was verhökert hat, das es gar nicht gibt (seit der Bankenkrise wissen wir ja, dass so was total normal ist). Aber man darf natürlich nicht so bescheuert sein, sich erwischen zu lassen!
Das bunte Osterei in der Runde oder besser noch: Überraschungsei, das wäre natürlich der Jens, weil er immer so schöne Überraschungen für freie Bürger hat. Wer nicht wie er ein buntes Osterei sein will, darf sich nicht mehr dagegen therapieren lassen, und wer keine Lust hat, sich mit der Frage zu befassen, ob er sich nach seinem Tod ausnehmen lassen soll wie ’ne Weihnachtsgans, der kann sich darauf verlassen, dass, kaum dass er das Zeitliche gesegnet hat, der Jens wie ein Partyluder aus der Torte gesprungen kommt und seine Organe einfach einkassiert. Wenn das keine tolle Überraschung für jeden frisch Verstorbenen ist!
Am spannendsten ist aber natürlich die Frage, was du darauf antworten würdest, für was für’n Ei du dich hältst. Ich kann mir das schon so ungefähr vorstellen. In deiner unnachahmlich verschmitzten Art würdest du vermutlich sagen: »Ooch, ich glaub‘, so’n ganz normales. Aus der Legebatterie.« Diese Schlichtheit des Denkens und Redens, gewürzt mit einer Prise Understatement, das haben wir ja immer an dir geliebt. Naja, für die einen ist es Understatement, für die andern ganz einfach bodenständiger Realismus.
Aber warum sollte ein schlichtes Gemüt wie ich wegen ein paar faulen Eiern gleich an der gesamten Regierungspolitik zweifeln? Hauptsache war doch, dass wir eine CDU-Frau und keinen Sozi an der Spitze des Landes hatten. So hätte Papa das ausgedrückt. Das mit dem Euro haben der Wolfgang und du doch auch prima hinbekommen. Es gibt seither zwar keine Zinsen mehr auf Sparguthaben, und alles wird teurer, obwohl sie im Fernsehen immer sagen, dass nichts teurer wird. Aber was soll man da machen?
Dass es der Jens, also jetzt nicht der Überraschungsei-Jens, sondern der andere, der Banken-Jens, dass der es also wieder nicht geschafft hat, endlich EZB-Chef zu werden, ist auch nicht deine Schuld. Man darf ja seine Freunde, ich meine jetzt den Emmanuel, der einem so uneigennützig die faulen Eier abnimmt, nicht verärgern. Sonst gibt es am Ende noch wieder Krieg mit Frankreich. Nie wieder Krieg in Europa – das war ja auch die Botschaft in eurem Europawahlprogramm. Tolles Programm eigentlich, wenn es darin noch ein paar konkrete andere Punkte gegeben hätte.
Dass sie dich in Griechenland in die Höhe hoben, also nicht dich persönlich, sondern ein Bild von dir mit einem kurzen schwarzen Schnauzer und einer merkwürdigen Uniform, also, ich fand das, gerade mit Blick auf deine absolute Friedensliebe, unerhört! Du willst Einheit und Frieden in Europa – und die blöden Griechen erklären dich zur Kriegstreiberin. Irgendwas muss da schiefgelaufen sein.
Das dämmerte mir schon damals. Ich wusste nur nicht, was. Aber es war ehrlich toll, wie gelassen und gleichmütig du damit umgegangen bist. Und als du dafür sorgtest, dass Tausende oder meinetwegen auch Hunderttausende Hilfsbedürftige nicht in kalten Notunterkünften vor der deutsch-österreichischen Grenze leiden mussten, sondern hier bei uns eine warme Suppe, Brot und erst mal ein vernünftiges Bett bekamen, fand ich das ganz richtig. Ich habe mich natürlich darauf verlassen, dass du schon dafür sorgen würdest, dass das kein Dauerzustand wird und die Gäste wieder abreisen, nachdem sie sich ausgeruht, gestärkt und auf besseres Wetter gewartet haben, und nicht etwa damit endet, dass man bei Penny und Netto Deutsch nur noch an der Kasse hört. Ich habe auch schon arme Menschen beherbergt. Aber ich wäre durchgedreht, wenn ich die nie wieder losgeworden wäre. (Das bleibt aber bitte unter uns. Ich habe Angst, dass man den Satz falsch verstehen könnte.)
Jedenfalls ist ein Staat keine karitative Einrichtung und der deutsche Steuerzahler keine Melkkuh, die sämtliche Hungernde und Arme dieses Planeten mit einem täglichen Glas Milch, einer Wohnung, Gratis-Gesundheitsversorgung und monatlich 1000 Mark zu versorgen hat. Es wäre natürlich schön, wenn es so eine Kuh gäbe und ich würde ihr auch gern regelmäßig was zu fressen geben, damit das Euter immer schön prall gefüllt bleibt. Aber ich fürchte, mit dieser Kuh verhält es sich genau wie mit den D‑Kaninchen und D‑Goldhamstern, die es ja auch nicht gibt. Und dann muss man sich für die ja auch nichts vom Mund absparen, oder? Du hättest in deiner Neujahrsansprache gern was dazu sagen können, damit einfache Leute wie ich es auch verstehen. Naja, nix für ungut.
Aber dann kam der 30. Juni 2017. Ich sage es dir ganz offen und ehrlich, Angie, mein Leben teilt sich in zwei Hälften: mein Leben bis zum 30. Juni 2017 und mein Leben danach. Ich weiß, du meintest es nicht böse. Einige behaupteten, du habest den Jungs von der SPD ein Schnippchen schlagen wollen, weil die dich im Wahlkampf damit unter Druck setzen wollten, dass du so rückständig seist wie einst unser aller großes Vorbild Konrad. Aber dann kam eine Abstimmung, bei der, wie ich erschrocken feststellen musste, auch ein Drittel der CDU-Abgeordneten dafür waren, dass ein Mann jetzt auch einen Mann und eine Frau auch eine Frau heiraten darf. Und es ging dabei tatsächlich um Menschen, nicht etwa um Regenwürmer, wo ja beides eins und eines beides, also alles einerlei ist. Da aber ja Menschen keine Regenwürmer sind, hab‘ ich einfach nur noch gedacht, ich in meinem schlichten Gemüt: Die spinnen, die Politiker! Schließlich gibt es diese Erde jetzt schon eine ganze Weile, aber auf so eine bekloppte Idee ist bisher noch keiner gekommen, nicht mal Kaiser Nero. Und dem wäre es ja noch am ehesten zuzutrauen gewesen.
Seit dem 30. Juni 2017 stimmt bei mir was nicht mehr, liebe Angela. Manchmal wache ich morgens auf und denke: Ist jetzt wirklich Winter, oder ist es nicht eher ein diskriminiertes Frühjahr, dem Linke und Grüne nur noch nicht zu seinem Recht verholfen haben? Ich frage mich: Ist in einer Welt, die Kopf steht, der Nordpol wirklich der Nordpol – oder kommt vielleicht bald eine Abstimmung im Bundestag, in der der Südpol zum Nordpol erklärt wird und umgekehrt? Oder der Mond wird zum Mars gemacht und der Mars zur Venus.
Du siehst, Angie, in mir ist etwas in Aufruhr geraten. Alte Sicherheiten haben sich aufgelöst. Und dazu gehört leider auch die Sicherheit, dass die CDU für mich die richtige Partei ist. Gut, ich weiß, du hast gegen diesen Blödsinn mit der Regenwurmehe gestimmt, und das war auch irgendwie beruhigend. Aber warum hast du nicht vorher in der Öffentlichkeit oder in der Debatte im Bundestag deutlich gemacht, warum? Schließlich gibt es ja schon ein paar triftige Gründe, warum ein Mensch kein Regenwurm ist, angefangen beim gesunden Menschenverstand. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dir war das alles total egal. Und seit dem 30. Juni 2017 denke ich immer öfter: Der Angie ist alles total egal: wer in Deutschland lebt, wer von den ganzen Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträgen profitiert, womit die EU und der EUGH uns schikanieren, wie viele Zinsen ich morgen auf meinem Sparkonto kriege und ob aus einer Ehe Kinder hervorgehen oder Enddarmbeschwerden.
Sei mir nicht böse, Angie, die CDU hat viele Jahre lang gute Arbeit geleistet, und der Helmut war längst nicht so schlecht, wie ihn der Joschka, der Jürgen und die Jutta und die anderen Jungs und Mädels von den Grünen, deinen neuen Freunden, immer gemacht haben. Und ich fand auch nicht, dass er Ähnlichkeit mit einer Birne hatte. Heute würden Joschka, Jürgen und die anderen das sicher auch nicht mehr sagen. Sie heißen ja jetzt Robert und Annalena, und da merkt man schon an den Namen, dass die niemals Steine schmeißen würden, jedenfalls keine, die sie selbst in die Hand nehmen müssen, und vor allem: nicht auf dich. Die Zeiten haben sich geändert. Das schrieb ja, ich wiederhole mich, schon die WELT.
Vielleicht wäre ja auch alles beim Alten geblieben, und ich würde dich trotz allem noch mal wählen, wenn ich nicht irgendwann irgendwo diesen Spruch gelesen hätte: »Ändern Sie nicht Ihre Meinung, ändern Sie die Politik.« Ehrlich, Angie, ich wünschte, dieser Wahlslogan wäre dir eingefallen. Also, ich kann dir nicht sagen, was für ein Stein mir vom Herzen gefallen ist, als ich das las. Mensch, sagte ich so zu mir selbst, du musst das alles gar nicht gut finden, was die Angie und der Heiko und der Jens in der letzten Zeit so verzapft haben. Und wenn das, was früher der Konrad oder der Rainer oder meinetwegen auch der Helmut gesagt hat, wenn das jetzt andere sagen, dann kann ich ja auch die wählen. Man spricht dann, das habe ich inzwischen auch gelernt, von einer politischen Alternative.
In einer Demokratie, das habe ich jetzt endlich begriffen, zählen nämlich nicht Namen, nicht die Namen von Politikern und erst recht nicht die von Parteien, sondern Inhalte. Und ich muss mich gar nicht ändern. Ich kann die Politik ändern. Dafür kann ich zwar dir und deiner Partei nicht so wie früher Opa, Oma, Papa und Mama bis an mein Lebensende treu bleiben, weil du ja deine eigene Politik niemals ändern würdest, auch dann nicht, wenn sie völlig bekloppt wäre. So bist du eben, beharrlich und unnachgiebig, manche sagen auch: stur. Aber das ist ja das Tolle an dir, Angie: Meinen Sinneswandel, den würdest du mir in deiner unnachahmlichen Art niemals übelnehmen. Du würdest ihn so wunderbar gelassen und gleichmütig, so herrlich unaufgeregt und unbekümmert zur Kenntnis nehmen, dass du es einem ja wirklich leicht machst, dir und der CDU für immer den Rücken zu kehren. Du weißt eben: Loyalität gilt in der Politik nur dem Erfolg bei der nächsten Wahl. Und deswegen, Angie, du große Augenöffnerin, du Wegbereiterin eines neuen Konservatismus jenseits deiner eigenen Partei, an dieser Stelle ein ganz großes Dankeschön dafür, dass du mir gezeigt hast, was das Richtige für mich ist. Und möge dir dein Abschied von der großen Politik so leicht fallen wie mir meiner von dir.
Dieser lesenswerte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com
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