Danke, Angie! — Angela Merkel geht in ihr 15. Amtsjahr als Kanz­lerin. Grund genug, endlich einmal umfassend “Danke” zu sagen

Eine sati­rische Glosse von Phil Mehrens

Im 15. Jahr deiner Amtszeit, liebe Angie, ist es einfach mal an der Zeit, Danke zu sagen. Ohne dich wäre ich heute ein anderer Mensch. Ohne dich würde ich sicher auch heute noch CDU wählen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das CDU-Wahl­pro­gramm zur Euro­pawahl zu lesen, und ich hätte dessen Inhalts­leere und platte Rhe­torik des Weiter-so daher auch nie durch­schauen können.

Die CDU, das war die Partei unseres Ver­trauens, die Partei, die Oma und Opa gewählt haben, die Mama und Papa gewählt haben und die auch ich – wozu da ein Par­tei­pro­gramm lesen? – immer weiter gewählt hätte. Wenn es dich nicht gegeben hätte, dich, die große Augenöffnerin.

Am Anfang deiner Amtszeit, beim Atom­aus­stieg, für die Franz-Josef dir ordentlich die Leviten gelesen hätte, und bei der Abschaffung der Wehr­pflicht, die Konrad ver­mutlich mit einem bar­schen: »Spinnst du?« quit­tiert hätte, dachte ich noch – so hat mir auch die WELT AM SONNTAG das mal zu erklären ver­sucht –, dass es normal ist, wenn Par­teien ihre Posi­tionen ändern. Die Welt ändere sich, schrieb der Autor der WELT, also müssten sich die Par­teien auch ändern, sich anpassen, geschmeidig bleiben. Man dürfe ja den Anschluss nicht ver­passen, wenn der Zug in eine neue Zeit auf­breche. Ich dachte zwar schon damals: Hmja, die Zeiten ändern sich. Aber muss ich mich denn des­wegen auch ändern? Auch wenn ich das gar nicht will? Aber man soll ja mit gutem Bei­spiel vor­an­gehen. Des­wegen hab‘ ich die Sache mit dem D, das ja während deiner Kanz­le­rin­nen­schaft offi­ziell ein­ge­führt wurde, auch ganz ernst genommen und mir gleich drei neue Kanin­chen­ställe gebaut, weil meine Frau, die Inge, ja Kaninchen so liebt. Ich also mit drei Käfigen ab zur Zoo­handlung, wollte von jeder Sorte drei haben: einen Bock, eine Zippe und ein D‑Kaninchen. Liebe Angie, ich kann dir kaum beschreiben, was der Ver­käufer für ein Gesicht gemacht hat, als ich das D‑Kaninchen, also das dritte Geschlecht, verlangte.

Ich hab‘ das mit den Kaninchen dann auf­ge­geben und es noch mal ver­sucht mit Meer­schweinchen und schließlich mit Gold­hamstern – nix zu machen. Nicht mal einen D‑Fisch konnte der Kerl auf­treiben. Am Ende bin ich dann mit zwei Kaninchen und einem Regenwurm nach Hause. Der Zoo­händler meinte, Regen­würmer seien zwei­ge­schlechtlich, und das käme dem dritten Geschlecht doch immerhin schon recht nahe. Naja, wenigstens habe ich jetzt endlich ver­standen, warum die Leute, die immer Werbung machen für Geschlech­ter­vielfalt, Regenwurm-Bewegung heißen.

Das hört man ja jetzt immer öfter: die Farben des Regen­wurms. Aber was mach‘ ich jetzt mit dem dritten Kanin­chen­stall? Da schlüpft mir ja der Wurm durch die Maschen. Am besten hätte ich es wohl mit deinem bewährten Wahl­spruch: »Wir schaffen das!« gehalten und mir gesagt: In einem Land, wo Mil­lionen von Aus­ländern über die Grenze gewinkt und im Hand­um­drehen zu deut­schen Sozi­al­hil­fe­emp­fängern werden, wird sich ja wohl auch der richtige Stall für poly­amore Regen­würmer auf­treiben lassen. Aber dann kam die Sache mit den Eiern.

In der Zeitung stand neulich nämlich, dass sich der Heiko, wenn er nicht als Außen­mi­nister, sondern als Früh­stücksei auf die Welt gekommen wäre, mit Güte­klasse B begnügen müsste. Das hat mich gleich auf die Frage gebracht, wie das wohl aus­sehen würde, wenn deine ganze Regie­rungs­truppe aus Eiern bestünde. Als Erstes ins Auge springen würden wohl die ange­schla­genen Eier, die mit einem Sprung in der Schale, die man sofort aus­sor­tieren muss, weil die einem sowieso keiner mehr abkauft. Es sei denn, man hat wie du einen Freund wie den Emmanuel, der einem selbst so ein ram­po­niertes Ei wie die Flinten-Uschi abnimmt und es dann auch noch so geschickt flickt, dass alle es für das tollste Früh­stücksei aller Zeiten halten.

Bin mal gespannt, ob sich der Trick mit deinem anderen lädierten Ei, dem bescheu­erten Andreas, noch mal wie­der­holen lässt. Dass wir uns richtig ver­stehen: Natürlich war das Bescheuerte nicht, dass der Andreas was ver­hökert hat, das es gar nicht gibt (seit der Ban­ken­krise wissen wir ja, dass so was total normal ist). Aber man darf natürlich nicht so bescheuert sein, sich erwi­schen zu lassen!

Das bunte Osterei in der Runde oder besser noch: Über­ra­schungsei, das wäre natürlich der Jens, weil er immer so schöne Über­ra­schungen für freie Bürger hat. Wer nicht wie er ein buntes Osterei sein will, darf sich nicht mehr dagegen the­ra­pieren lassen, und wer keine Lust hat, sich mit der Frage zu befassen, ob er sich nach seinem Tod aus­nehmen lassen soll wie ’ne Weih­nachtsgans, der kann sich darauf ver­lassen, dass, kaum dass er das Zeit­liche gesegnet hat, der Jens wie ein Par­ty­luder aus der Torte gesprungen kommt und seine Organe einfach ein­kas­siert. Wenn das keine tolle Über­ra­schung für jeden frisch Ver­stor­benen ist!

Am span­nendsten ist aber natürlich die Frage, was du darauf ant­worten würdest, für was für’n Ei du dich hältst. Ich kann mir das schon so ungefähr vor­stellen. In deiner unnach­ahmlich ver­schmitzten Art würdest du ver­mutlich sagen: »Ooch, ich glaub‘, so’n ganz nor­males. Aus der Lege­bat­terie.« Diese Schlichtheit des Denkens und Redens, gewürzt mit einer Prise Under­statement, das haben wir ja immer an dir geliebt. Naja, für die einen ist es Under­statement, für die andern ganz einfach boden­stän­diger Realismus.

Aber warum sollte ein schlichtes Gemüt wie ich wegen ein paar faulen Eiern gleich an der gesamten Regie­rungs­po­litik zweifeln? Haupt­sache war doch, dass wir eine CDU-Frau und keinen Sozi an der Spitze des Landes hatten. So hätte Papa das aus­ge­drückt. Das mit dem Euro haben der Wolfgang und du doch auch prima hin­be­kommen. Es gibt seither zwar keine Zinsen mehr auf Spar­gut­haben, und alles wird teurer, obwohl sie im Fern­sehen immer sagen, dass nichts teurer wird. Aber was soll man da machen?

Dass es der Jens, also jetzt nicht der Über­ra­schungsei-Jens, sondern der andere, der Banken-Jens, dass der es also wieder nicht geschafft hat, endlich EZB-Chef zu werden, ist auch nicht deine Schuld. Man darf ja seine Freunde, ich meine jetzt den Emmanuel, der einem so unei­gen­nützig die faulen Eier abnimmt, nicht ver­ärgern. Sonst gibt es am Ende noch wieder Krieg mit Frank­reich. Nie wieder Krieg in Europa – das war ja auch die Bot­schaft in eurem Euro­pa­wahl­pro­gramm. Tolles Pro­gramm eigentlich, wenn es darin noch ein paar kon­krete andere Punkte gegeben hätte.

Dass sie dich in Grie­chenland in die Höhe hoben, also nicht dich per­sönlich, sondern ein Bild von dir mit einem kurzen schwarzen Schnauzer und einer merk­wür­digen Uniform, also, ich fand das, gerade mit Blick auf deine absolute Frie­dens­liebe, unerhört! Du willst Einheit und Frieden in Europa – und die blöden Griechen erklären dich zur Kriegs­trei­berin. Irgendwas muss da schief­ge­laufen sein.

Das däm­merte mir schon damals. Ich wusste nur nicht, was. Aber es war ehrlich toll, wie gelassen und gleich­mütig du damit umge­gangen bist. Und als du dafür sorgtest, dass Tau­sende oder mei­net­wegen auch Hun­dert­tau­sende Hilfs­be­dürftige nicht in kalten Not­un­ter­künften vor der deutsch-öster­rei­chi­schen Grenze leiden mussten, sondern hier bei uns eine warme Suppe, Brot und erst mal ein ver­nünf­tiges Bett bekamen, fand ich das ganz richtig. Ich habe mich natürlich darauf ver­lassen, dass du schon dafür sorgen würdest, dass das kein Dau­er­zu­stand wird und die Gäste wieder abreisen, nachdem sie sich aus­geruht, gestärkt und auf bes­seres Wetter gewartet haben, und nicht etwa damit endet, dass man bei Penny und Netto Deutsch nur noch an der Kasse hört. Ich habe auch schon arme Men­schen beher­bergt. Aber ich wäre durch­ge­dreht, wenn ich die nie wieder los­ge­worden wäre. (Das bleibt aber bitte unter uns. Ich habe Angst, dass man den Satz falsch ver­stehen könnte.)

Jeden­falls ist ein Staat keine kari­tative Ein­richtung und der deutsche Steu­er­zahler keine Melkkuh, die sämt­liche Hun­gernde und Arme dieses Pla­neten mit einem täg­lichen Glas Milch, einer Wohnung, Gratis-Gesund­heits­ver­sorgung und monatlich 1000 Mark zu ver­sorgen hat. Es wäre natürlich schön, wenn es so eine Kuh gäbe und ich würde ihr auch gern regel­mäßig was zu fressen geben, damit das Euter immer schön prall gefüllt bleibt. Aber ich fürchte, mit dieser Kuh verhält es sich genau wie mit den D‑Kaninchen und D‑Goldhamstern, die es ja auch nicht gibt. Und dann muss man sich für die ja auch nichts vom Mund absparen, oder? Du hättest in deiner Neu­jahrs­an­sprache gern was dazu sagen können, damit ein­fache Leute wie ich es auch ver­stehen. Naja, nix für ungut.

Aber dann kam der 30. Juni 2017. Ich sage es dir ganz offen und ehrlich, Angie, mein Leben teilt sich in zwei Hälften: mein Leben bis zum 30. Juni 2017 und mein Leben danach. Ich weiß, du meintest es nicht böse. Einige behaup­teten, du habest den Jungs von der SPD ein Schnippchen schlagen wollen, weil die dich im Wahl­kampf damit unter Druck setzen wollten, dass du so rück­ständig seist wie einst unser aller großes Vorbild Konrad. Aber dann kam eine Abstimmung, bei der, wie ich erschrocken fest­stellen musste, auch ein Drittel der CDU-Abge­ord­neten dafür waren, dass ein Mann jetzt auch einen Mann und eine Frau auch eine Frau hei­raten darf. Und es ging dabei tat­sächlich um Men­schen, nicht etwa um Regen­würmer, wo ja beides eins und eines beides, also alles einerlei ist. Da aber ja Men­schen keine Regen­würmer sind, hab‘ ich einfach nur noch gedacht, ich in meinem schlichten Gemüt: Die spinnen, die Poli­tiker! Schließlich gibt es diese Erde jetzt schon eine ganze Weile, aber auf so eine bekloppte Idee ist bisher noch keiner gekommen, nicht mal Kaiser Nero. Und dem wäre es ja noch am ehesten zuzu­trauen gewesen.

Seit dem 30. Juni 2017 stimmt bei mir was nicht mehr, liebe Angela. Manchmal wache ich morgens auf und denke: Ist jetzt wirklich Winter, oder ist es nicht eher ein dis­kri­mi­niertes Frühjahr, dem Linke und Grüne nur noch nicht zu seinem Recht ver­holfen haben? Ich frage mich: Ist in einer Welt, die Kopf steht, der Nordpol wirklich der Nordpol – oder kommt viel­leicht bald eine Abstimmung im Bun­destag, in der der Südpol zum Nordpol erklärt wird und umge­kehrt? Oder der Mond wird zum Mars gemacht und der Mars zur Venus.

Du siehst, Angie, in mir ist etwas in Aufruhr geraten. Alte Sicher­heiten haben sich auf­gelöst. Und dazu gehört leider auch die Sicherheit, dass die CDU für mich die richtige Partei ist. Gut, ich weiß, du hast gegen diesen Blödsinn mit der Regen­wurmehe gestimmt, und das war auch irgendwie beru­higend. Aber warum hast du nicht vorher in der Öffent­lichkeit oder in der Debatte im Bun­destag deutlich gemacht, warum? Schließlich gibt es ja schon ein paar triftige Gründe, warum ein Mensch kein Regenwurm ist, ange­fangen beim gesunden Men­schen­ver­stand. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dir war das alles total egal. Und seit dem 30. Juni 2017 denke ich immer öfter: Der Angie ist alles total egal: wer in Deutschland lebt, wer von den ganzen Steu­er­ein­nahmen und Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trägen pro­fi­tiert, womit die EU und der EUGH uns schi­ka­nieren, wie viele Zinsen ich morgen auf meinem Spar­konto kriege und ob aus einer Ehe Kinder her­vor­gehen oder Enddarmbeschwerden.

Sei mir nicht böse, Angie, die CDU hat viele Jahre lang gute Arbeit geleistet, und der Helmut war längst nicht so schlecht, wie ihn der Joschka, der Jürgen und die Jutta und die anderen Jungs und Mädels von den Grünen, deinen neuen Freunden, immer gemacht haben. Und ich fand auch nicht, dass er Ähn­lichkeit mit einer Birne hatte. Heute würden Joschka, Jürgen und die anderen das sicher auch nicht mehr sagen. Sie heißen ja jetzt Robert und Annalena, und da merkt man schon an den Namen, dass die niemals Steine schmeißen würden, jeden­falls keine, die sie selbst in die Hand nehmen müssen, und vor allem: nicht auf dich. Die Zeiten haben sich geändert. Das schrieb ja, ich wie­derhole mich, schon die WELT.

Viel­leicht wäre ja auch alles beim Alten geblieben, und ich würde dich trotz allem noch mal wählen, wenn ich nicht irgendwann irgendwo diesen Spruch gelesen hätte: »Ändern Sie nicht Ihre Meinung, ändern Sie die Politik.« Ehrlich, Angie, ich wünschte, dieser Wahl­slogan wäre dir ein­ge­fallen. Also, ich kann dir nicht sagen, was für ein Stein mir vom Herzen gefallen ist, als ich das las. Mensch, sagte ich so zu mir selbst, du musst das alles gar nicht gut finden, was die Angie und der Heiko und der Jens in der letzten Zeit so ver­zapft haben. Und wenn das, was früher der Konrad oder der Rainer oder mei­net­wegen auch der Helmut gesagt hat, wenn das jetzt andere sagen, dann kann ich ja auch die wählen. Man spricht dann, das habe ich inzwi­schen auch gelernt, von einer poli­ti­schen Alternative.

In einer Demo­kratie, das habe ich jetzt endlich begriffen, zählen nämlich nicht Namen, nicht die Namen von Poli­tikern und erst recht nicht die von Par­teien, sondern Inhalte. Und ich muss mich gar nicht ändern. Ich kann die Politik ändern. Dafür kann ich zwar dir und deiner Partei nicht so wie früher Opa, Oma, Papa und Mama bis an mein Lebensende treu bleiben, weil du ja deine eigene Politik niemals ändern würdest, auch dann nicht, wenn sie völlig bekloppt wäre. So bist du eben, beharrlich und unnach­giebig, manche sagen auch: stur. Aber das ist ja das Tolle an dir, Angie: Meinen Sin­nes­wandel, den würdest du mir in deiner unnach­ahm­lichen Art niemals übel­nehmen. Du würdest ihn so wun­derbar gelassen und gleich­mütig, so herrlich unauf­geregt und unbe­kümmert zur Kenntnis nehmen, dass du es einem ja wirklich leicht machst, dir und der CDU für immer den Rücken zu kehren. Du weißt eben: Loya­lität gilt in der Politik nur dem Erfolg bei der nächsten Wahl. Und des­wegen, Angie, du große Augen­öff­nerin, du Weg­be­rei­terin eines neuen Kon­ser­va­tismus jen­seits deiner eigenen Partei, an dieser Stelle ein ganz großes Dan­ke­schön dafür, dass du mir gezeigt hast, was das Richtige für mich ist. Und möge dir dein Abschied von der großen Politik so leicht fallen wie mir meiner von dir.


Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com