Ira­nische Frauen trotzen den Mullahs — west­liche Femi­nis­tinnen nir­gends in Sicht

Im Oktober 1979 warf die ver­storbene ita­lie­nische Jour­na­listin Oriana Fallaci in einem sel­tenen Interview mit Aya­tollah Ruhollah Kho­meini ihm vor, der Schleier sei ein Symbol für die Segre­gation, in die die Frauen der isla­mi­schen Revo­lution die Frauen gezwungen hätten. “Unsere Sitten”, ant­wortete Kho­meini, “gehen Sie nichts an. Wenn Sie die isla­mische Kleidung nicht mögen, sind Sie nicht ver­pflichtet, sie zu tragen, denn die isla­mische Kleidung ist für gute und anständige junge Frauen.”

(von Giulio Meotti)

“Das ist sehr nett von Ihnen”, ant­wortete Fallaci. “Und da Sie das gesagt haben, ziehe ich diesen dummen, mit­tel­al­ter­lichen Lumpen sofort aus.” Fallaci nahm ihren Schleier ab und verließ den Raum, ohne ein wei­teres Wort zu sagen. Ira­nische Frauen, die Fallaci nach­eifern, führen jetzt die Pro­teste gegen das Regime an.

Kurz nachdem das ira­nische Regime zuge­geben hatte, am 8. Januar ein ukrai­ni­sches Pas­sa­gier­flugzeug abge­schossen zu haben, begannen ira­nische Frauen außerhalb Teherans damit, Plakate des getö­teten Ter­ro­risten General Qasem Sol­eimani nie­der­zu­reißen. Wenige Stunden zuvor hatten die Aya­tollahs den Stütz­punkt Ain al-Assad im Irak ange­griffen, in dem sich US-Truppen befinden. Kurz davor war in den sozialen Medien ein Bild einer ira­ni­schen Schieds­rich­terin bei der Schach­welt­meis­ter­schaft der Frauen, Shohreh Bayat, in Umlauf gebracht worden, die eine Partie ohne Kopftuch leitete. “Die Men­schen sollten das Recht haben, die Art und Weise zu wählen, wie sie sich kleiden wollen, man sollte sie nicht dazu zwingen”, sagte Bayat und stellte damit die ira­nische Herr­schaft in Frage, die eine strenge isla­mische Klei­der­ordnung für Frauen vorschreibt.

“Soll ich mit Hallo, Auf Wie­der­sehen oder Mein Beileid beginnen? Hallo unter­drücktes Volk des Iran, auf Wie­der­sehen edles Volk des Iran, mein Beileid an euch Men­schen, die ihr immer trauert”, schrieb Kimia Ali­zadeh, ira­nische Tae­kwondo-Bron­ze­me­dail­len­ge­win­nerin bei den Olym­pi­schen Spielen von Rio 2016, nachdem sie nach Europa gezogen war. Auch sie pro­tes­tierte gegen den “obli­ga­to­ri­schen Schleier”.

Am 13. Januar traten drei ira­nische Fern­seh­mo­de­ra­to­rinnen des Regime­senders Islamic Republic of Iran Broad­casting (IRIB), zurück. “Ver­zeihen Sie mir die 13 Jahre, in denen ich Ihnen Lügen erzählt habe”, ent­schul­digte sich Gelare Jabbari in einem Instagram-Posten, nachdem Staats­beamte tagelang bestritten hatten, dass ein ukrai­ni­sches Pas­sa­gier­flugzeug vom Korps der Isla­mi­schen Revo­lu­ti­ons­garden abge­schossen worden war, wobei 176 Pas­sa­giere und Besat­zungs­mit­glieder getötet wurden.

Diese sich selbst exi­lie­renden ira­ni­schen Frauen sind den Dis­si­denten hinter dem sowje­ti­schen Eisernen Vorhang ähnlich, die schließlich im Westen Zuflucht fanden. Ihre Rolle bei der Nie­derlage der Sowjet­union war grund­legend: Sie öff­neten der west­lichen Öffent­lichkeit die Augen für die Rea­lität in ihrem Land.

Die ira­ni­schen Frauen, die jetzt offen die Mullahs her­aus­fordern, erinnern an die Zeit vor der isla­mi­schen Revo­lution von 1979, als der Schleier noch nicht obli­ga­to­risch war. Bilder aus dieser Zeit zeigen Frauen, die keinen Schleier tragen. Über Nacht wan­delte sich die Kleidung dann “vom Minirock zum Hid­schab”.

“Es tut mir leid, sagen zu müssen, dass der Tschador den Frauen auf­ge­zwungen wurde”, sagte Zahra Eshraghi, eine Enkelin von Aya­tollah Kho­meini. “Erzwungen — in Regie­rungs­ge­bäuden, in der Schule, die meine Tochter besucht. Dieses tra­di­tio­nelle ira­nische Klei­dungs­stück wurde zu einem Symbol der Revo­lution gemacht”.

Die letzte Kai­serin des Iran, Farah Diba, bemerkte, dass “in unserer Zeit die Frauen in allen mög­lichen Bereichen aktiv waren. Irgendwann war die Zahl der ira­ni­schen Frauen, die zur Uni­ver­sität gingen, größer als die der Männer. Aber sie “werden jetzt belästigt und miss­achtet und man hat ihnen ihre Rechte genommen, und trotzdem sind sie so unglaublich mutig”.

Auf einem Foto von 1979 kann man sehen, wie Frauen auf die Straße gingen, um gegen den Schleier zu pro­tes­tieren. “Dies wurde am 8. März 1979 auf­ge­nommen, am Tag nach der Ein­führung des Hijab-Gesetzes, das besagt, dass Frauen im Iran Schals tragen müssen, wenn sie das Haus ver­lassen”, sagte die Foto­grafin Hen­gameh Golestan. “Viele Men­schen in Teheran streikten und gingen auf die Straße. Es war eine riesige Demons­tration mit Frauen — und Männern… Wir kämpften für die Freiheit”. Seitdem sind die Frauen nicht mehr unbe­deckt auf die Straße gegangen.

Damals pro­tes­tierten 100.000 Frauen gegen die isla­mis­tische Herr­schaft. Heute führen mutige ira­nische Frauen den Auf­stand gegen das ira­nische Regime an. Sie kennen den Preis: Viele, die sich an den Pro­testen gegen das Regime beteiligt haben, wurden im Gefängnis ver­ge­waltigt und gefoltert. Auch die Mullahs wissen, dass 40 Mil­lionen ira­nische Frauen unter ihrer Über­wa­chung stehen und dass die isla­mische Revo­lution implo­dieren wird, wenn diese Frauen als Gruppe gegen die Scharia rebel­lieren. Diese Furcht könnte ein Grund dafür sein, dass das Regime den Westen zum Sün­denbock macht.

Als der der­zeitige oberste “Führer” des Iran, Aya­tollah Ali Kha­menei, eine Rede über den Schleier hielt, beschul­digte er die “Feinde” des Irans, “eine Handvoll Mädchen zu täu­schen und dazu zu bringen, ihren Hid­schab auf der Straße zu ent­fernen”. 2009 war das Symbol der ira­ni­schen Pro­teste Neda Agha-Soltan, eine junge Frau, die vom Regime ermordet wurde. Der Fall von Sakineh Mohammadi Ash­tiani, einer ira­ni­schen Frau, die wegen “Ehe­bruchs” zum Tod durch Stei­nigung ver­ur­teilt worden sein soll, hat in Frank­reich Kund­ge­bungen aus­gelöst, die mög­li­cher­weise eine Rolle bei ihrer spä­teren Frei­lassung gespielt haben. Vor zwei Jahren wurde eine andere Ira­nerin, Vida Movahedi, in Teheran zum Symbol des Trotzes, nachdem sie mit einem weißen Schal gewunken hatte.

Bücher über ira­nische Dis­si­denten — wie Per­se­polis und Reading Lolita in Tehran — wurden von Frauen geschrieben. Frauen kämpfen gegen die Aya­tollahs. Unter den 1.500 Men­schen, die das ira­nische Regime bei der jüngsten Razzia gegen die Demons­tranten getötet hat, waren nach Angaben des ira­ni­schen Innen­mi­nis­te­riums gegenüber Reuters etwa 400 Frauen.

Nach Angaben der ira­nisch-fran­zö­si­schen Schrift­stel­lerin Chahla Chafiq:

“Ihre Tat fordert uns vor allem über die infernale Ordnung heraus, die die Isla­mische Republik errichtet, indem sie Dis­kri­mi­nierung und Gewalt gegen Frauen im Namen Gottes heilig macht… Die Dämo­ni­sierung des Frau­en­körpers als Ort der Sünde, sym­bo­li­siert durch die Ver­pflichtung, den Schleier zu tragen, impli­ziert eine Reihe von Ver­boten, die das Leben der Frauen, die ständig gede­mütigt werden und leiden müssen, verändern.

Eine Men­schen­rechts­an­wältin, Nasrin Sotoudeh, die Frauen, die gegen den Schleier pro­tes­tierten, ver­treten hat, wurde im März zu 38,5 Jahren Gefängnis ver­ur­teilt, von denen sie 12 Jahre absitzen muss. Die Akti­vis­tinnen Yasaman Aryani, ihre Mutter Monireh Arabshahi und Mojgan Kes­havarz wurden ver­haftet, nachdem sie ein Video ver­öf­fent­licht hatten, in dem sie sich ohne Kopftuch beim Ver­teilen von Blumen an die Mit­rei­senden zeigten. Drei Frauen, die wegen “Miss­achtung des obli­ga­to­ri­schen Hid­schab” ange­klagt wurden, wurden zu ins­gesamt 55 Jahren ver­ur­teilt. Shaparak Shaja­rizadeh, eine 43-jährige Frau aus Teheran, wurde zu zwei Jahren Gefängnis ver­ur­teilt, weil sie ihren Schleier abgelegt hatte. Azam Jan­gravi, die ihr Kopftuch in der Luft hielt und es über ihrem Kopf in einer belebten Straße in Teheran schwenkte, sagte, sie habe es für ihre acht­jährige Tochter getan. “Ich sagte mir: ‘Viana sollte in diesem Land nicht unter den gleichen Bedin­gungen auf­wachsen, unter denen Du auf­ge­wachsen bist’ ”, sagte sie.

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Die ira­ni­schen Mullahs scheinen bereit zu sein, alles in ihrer Macht ste­hende zu tun, um diese Frau­en­be­wegung zu zer­stören. Sie haben Frauen, die Videos über das Ent­fernen ihrer Schleier gezeigt haben, zu 10 Jahren Gefängnis ver­ur­teilt und 2.000 neue “Moral­po­lizei”-Ein­heiten ein­ge­führt, um die Frau­en­be­wegung zu zer­schlagen. Das ira­nische Regime pro­du­ziert auch Pro­pa­gan­da­videos über den Hid­schab. Ein Mädchen, das ver­sucht hatte, als Mann ver­kleidet ein Fuß­ball­stadion in Teheran zu betreten, hat sich nach ihrem Prozess selbst in Brand gesteckt. Ira­nische Frauen haben “die höchste Selbst­mordrate unter Frauen und Mädchen im Nahen Osten”. Siebzig Prozent der Selbst­morde im Iran werden von Frauen begangen, die unter diesem Regime so viel zu ver­lieren haben.

Der Schleier ist jedoch nicht ihr ein­ziges Problem. Hinter dem Schleier gibt es mehr Akti­vi­täten, die für Frauen im Iran riskant sind: Tanzen, Singen, Musi­zieren oder Hän­de­schütteln mit Männern. Vor 1979 hatten ira­nische Frauen Freiheit. Sie wollen sie zurück.

“Die Flamme des Femi­nismus ist im Iran lebendig”, berichtete Foreign Policy. Wo ira­nische Femi­nis­tinnen mutig sind und sich weigern, den Hid­schab zu tragen, haben ihre west­lichen Kol­le­ginnen, die rosa Hüte tragen, sie elen­diglich im Stich gelassen. Federica Mog­herini, die ehe­malige Lei­terin der EU-Außen­po­litik, die bei offi­zi­ellen Besuchen im Iran einen Tschador trug, während sie mit ira­ni­schen Par­la­men­ta­riern Selfies schoss, hat kein Wort über diese außer­ge­wöhn­lichen Frauen gesagt.

Masih Ali­nejad, die an der Spitze der ira­ni­schen Frau­en­kam­pagne gegen das zwangs­weise Tragen von Kopf­tü­chern stand, wandte sich an west­liche Poli­ti­ke­rinnen, die sich bei ihren Besuchen im Iran bedeckten: “Lassen Sie mich eines klar­stellen: ein dis­kri­mi­nie­rendes Gesetz als Teil unserer Kultur zu bezeichnen — das ist eine Belei­digung für eine Nation”, sagte sie. Das ira­nische Regime ver­haftete umgehend Mit­glieder ihrer Familie.

Einem kürzlich in Brunei erlas­senen Straf­gesetz — Tod durch Stei­nigung für Sex zwi­schen Männern oder Ehe­bruch — folgte ein inter­na­tio­naler Auf­schrei. Der Iran tut jedoch das­selbe: Homo­se­xuelle töten und Frauen wegen “Ehe­bruchs” erhängen. Warum wird die ira­nische Bar­barei im Westen so leicht verziehen?

Die ira­nische Revo­lution von 1979 schuf den ersten modernen Staat, der auf isla­mi­schen Prin­zipien basiert. Die Aya­tollahs bewiesen, dass eine auf der Scharia basie­rende Regie­rungs­führung mit dem ersten modernen Versuch, eine mus­li­mische Theo­kratie zu errichten, möglich war. Das Zentrum ihres Systems war die Unter­drü­ckung der Frauen.

Vor dreißig Jahren wurde die Ber­liner Mauer von ein­fachen Bürgern nie­der­ge­rissen, die ihre Bewe­gungs­freiheit zurück­for­derten. Heute könnte die Mauer des ira­ni­schen Regimes von diesen ein­fachen Frauen nie­der­ge­rissen werden, die die Freiheit zurück­fordern, das tragen zu können, was ihnen gefällt. Sie weigern sich mutig, über die Flaggen Israels und der USA zu laufen — und genießen wieder den Wind in ihren Haaren.

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Giulio Meotti, Kul­tur­re­daktor für Il Foglio, ist ein ita­lie­ni­scher Jour­nalist und Autor.


Quelle: gatestonetinstitute.org