Poli­ti­scher Islam in Deutschland (z.B. DiTiB) – reli­giöse statt welt­liche Normen

„Wir haben einiges zu verteidigen“

Im Fol­genden gebe ich u.a. ein Interview zu spe­zi­ellen Aspekten des Islam wieder, das ich Ihrer beson­deren Auf­merk­samkeit emp­fehle. Ins­be­sondere geht es um die Inter­pre­tation des „Cha­rakters“ des Islam und seiner Reprä­sen­tanten in ver­schie­denen Moslem-Orga­ni­sa­tionen, allen voran die DiTiB.

Dieser Mos­lem­verband spielt sich immer mehr als DER Reprä­sentant der Moslems in Deutschland auf, ver­tritt aber nur einen sehr kleinen Teil von ihnen. Aber sein Hin­ein­wirken in die welt­liche Gesell­schaft ist nicht zu über­sehen. Es wäre gefährlich, seinen Ein­fluss zu unterschätzen. 

Dass deutsche Poli­tiker – auch der CDU – die Gefahr nicht erkennen, die von der DiTiB ausgeht, bestätigt zwei Erkenntnisse: 

  • Annä­herung offen­sichtlich um jeden Preis
  • Man­gelnde Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft unserer tra­dierten Werte

Gerade deshalb ist die Beschäf­tigung mit den DiTiB-Akti­vi­täten hier­zu­lande unverzichtbar. 

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Die DITIB, der ver­län­gerte Arm Erdogans, „sinkt immer tiefer“

Wer über den Islam redet, kommt am radi­kalen Islam („Isla­mismus“) nicht vorbei – und landet u.a. auch bei der DiTiB.

Da die meisten Muslime hier­zu­lande eher als finanz­schwach gelten, wird deshalb ver­mutet, dass ein Großteil des Geldes, mit dem die deut­schen Moscheen unter­halten werden, aus dem Ausland kommt. Dies trifft vor allem für den größten isla­mi­schen Dach­verband in Deutschland zu, die DITIB. Sie ist der deutsche Arm des tür­ki­schen Religionsministeriums.

Die Imame ihrer knapp 1.000 Moscheen sind tür­kische Staats­beamte, die von Ankara ent­sandt und bezahlt werden. 

Sie ver­treten einen staats­of­fi­zi­ellen tür­ki­schen Islam und kommen in der Regel für fünf Jahre nach Deutschland. Für Moscheen, die unter dem Dach der DITIB orga­ni­siert sind, ist der Ent­sen­de­dienst des tür­ki­schen Reli­gi­ons­mi­nis­te­riums ein großer Vorteil. Denn ohne ihn, sagt Bekir Alboga, der Inte­gra­ti­ons­be­auf­tragte der DITIB, hätten sie erheb­liche Finanzprobleme:

„Die größte finan­zielle Hilfe für uns ist natürlich, dass die Imame, die aus der Türkei hierher ent­sandt werden, uns nichts kosten. Das ist eine enorme Erleich­terung. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden einen Imam so brutto mit 5.000, 6.000 monatlich hono­rieren. 1.000 Imame, das ist eine enorme Summe, viele unserer Moschee­ge­meinden wären finan­ziell an ihren Grenzen.“

DITIB-Imane sind tür­kische Staatsbeamte

Ob es außer der DITIB noch andere isla­mische Ver­bände und Moschee­vereine gibt, die regel­mäßig Geld aus dem Ausland bekommen, ist schwer zu sagen. Denn bislang gibt es hierüber nur wenige Infor­ma­tionen – zumal dieses Thema bislang in der deut­schen Öffent­lichkeit kaum dis­ku­tiert wurde. Folglich könne sie, sagt Hamideh Mohag­highi, nur unge­fähre Angaben machen:

„Ditib-Imame kommen ja aus der Türkei, sie werden von dort bezahlt. Das ist einmal das. Dann gibt es ein­zelne Moscheen, die dann durchaus von Saudi-Arabien scheinbar finan­ziert werden. Weil, das sind ja kleine mus­li­mische Grup­pie­rungen, die dann auf einmal eine Moschee haben, wenn sie auch Anhänger dieser Ideo­logie sind. Dass sie dann durchaus finan­ziert werden. Ein­zelne ira­nische Moscheen, die hier sind, die bekommen natürlich auch ihre Gehälter, ihr Geld aus dem Iran.“

Auch wenn etliche Details der externen Finanz­hilfen für deutsche Moscheen noch unbe­kannt sind – ein wich­tiger Aspekt dieses Themas gibt bereits jetzt Anlass zur Sorge: Das Geld dürfte aller Wahr­schein­lichkeit nach Abhän­gig­keiten vom Ausland schaffen und damit eine gute Inte­gration von Mus­limen in Deutschland unter­graben. Denn zusammen mit den Spenden fließt auch eine bestimmte poli­tische Ideo­logie in die hie­sigen Moscheen. So ist bekannt, dass sala­fis­tische Gruppen oft aus Saudi-Arabien unter­stützt werden. Das König­reich gilt auch als die geistige Heimat der Ter­ror­gruppe Isla­mi­scher Staat. Ent­spre­chend betont die Islam-Wis­sen­schaft­lerin Riem Spielhaus:

„Wenn regel­mäßig Geld fließt und die Moschee­arbeit abhängig ist von diesem Geld aus dem Ausland, dann ist die Wahr­schein­lichkeit höher, dass da auch Anfor­de­rungen mit ver­bunden werden.“

Dass diese Sorge nicht unbe­gründet ist, zeigt sich bei der DITIB: Das tür­kische Reli­gi­ons­mi­nis­terium als Geld­geber kann bis in die Per­so­nal­struktur hie­siger Moschee­ge­meinden hinein mit­be­stimmen und Vor­gaben machen. So ist es wie­derholt geschehen, dass dort Türkei-kri­tische Per­sonen ohne Angaben von Gründen von ihren Auf­gaben ent­bunden wurden – ins­be­sondere im Nachgang zum letzten Umsturz­versuch gegen Erdogan.

Die DITIB und die 6.000 Spitzel für Erdogan

Die Zusam­men­arbeit mit der DITIB, so schädlich sie auch sein mag, ist offen­sichtlich nur der eine, sichtbare Teil dieser deutsch-tür­ki­schen „Freund­schaft“. Hinzu kommt die (neue?) Erkenntnis über die Existenz von 6.000 „Infor­manten“ der Türkei in Deutschland.

Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ liegen der Bun­des­re­gierung schon seit Jahren Hin­weise auf tür­kische „Hilfen“ für ter­ro­ris­tische Grup­pie­rungen vor. Indes – die Regierung schweigt. Das meldete am 21.08.16 die „Welt am Sonntag“:

„Der tür­kische Geheim­dienst MIT soll in Deutschland ein Infor­manten-Netz mit Tau­senden Mit­ar­beitern unter­halten. Deutsche Poli­tiker sind alar­miert ange­sichts der zunehmend aggres­siven Prak­tiken der Agenten.

Der MIT verfüge über rund 800 haupt­amt­liche Offi­ziere in West­europa, berichtete die „Welt am Sonntag“ (WamS). Das Blatt beruft sich auf einen „ein­fluss­reichen Sicher­heits­po­li­tiker“, der namentlich nicht genannt wird. Demnach befinden sich die meisten der Agenten in Deutschland. Dazu kämen noch 6000 weitere Spitzel des MIT…“ (Quelle: http://www.t‑online.de/nachrichten/deutschland/id_78759440/tuerkei-hat-6000-spitzel-in-deutschland.html#xtor=EPR-5001-[t‑online-eilmeldungen-newsletter]-20160821-[T%C3%BCrkei-hat-6000-Spitzel-in-Deutschland]-)

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Ein sehr lehr­reiches Gespräch zwi­schen dem Dlf und der Imamin Seyran Ateş: „Muslime, orga­ni­siert Euch!“

Die tür­kisch­stämmige Anwältin Seyran Ateş hat moderate Muslime auf­ge­rufen, „gegen Isla­mismus zu kämpfen“. Eine his­to­risch-kri­tische Koran-Inter­pre­tation sei nötig, um „gewalt­be­ja­hende Pas­sagen im Koran“ neu zu deuten, sagte Seyran Ateş im Dlf. Sie hat vor wenigen Wochen die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin eröffnet.

Benedikt Schulz: Dass eine Frau eine Moschee gründet, das ist an sich bemer­kenswert. Und das noch umso mehr, als dass Seyran Ateş bislang eher mit islam­kri­ti­schen Äuße­rungen in Erscheinung getreten ist. Die Juristin und Frau­en­recht­lerin will eine, wie sie sagt, liberal-isla­mische Gebets­stätte gründen. Der Islam hat ein schwie­riges Image. Die Zahl isla­mis­tisch moti­vierter Anschläge in Europa hat zuge­nommen. Ein Unsi­cher­heits­gefühl hat sich breit­ge­macht. So sehr, dass schon eine an sich recht harmlose Gebets­formel wie „Allahu akbar“ („Gott ist am größten“) angst­be­setzt ist. Und für friedlich lebende Muslime ist das eine Zumutung. Nur, wo sind die Muslime, die sich nicht nur von isla­mis­tisch moti­vierter Gewalt hier und da distan­zieren, sondern auch offen und offensiv ihren fried­lichen Glauben ver­tei­digen? Diese Frage steht auch hinter der Gründung der „Ibn Rushd-Goethe Moschee“ in Berlin.

Über die Gründung der Moschee hat Seyran Ateş auch ein Buch geschrieben – „Selam, Frau Imamin!“, also „Hallo, Frau Imamin“ und für streng kon­ser­vative Muslime ist viel­leicht das schon eine Provokation.

Schulz: Jetzt habe ich gesagt gerade, hinter Ihrer Moschee­gründung steht ja auch die Frage: Wo sind sie: die vielen fried­lie­benden Muslime?

Ateş: Genau.

„Moderate Muslime endlich in die Pflicht nehmen“

Schulz: Das frage ich jetzt Sie. Wo sind die­je­nigen Muslime, die sich aktiv wenden gegen Islamismus?

Ateş: Das ist auch meine Frage. Und deshalb fordere ich jetzt die Men­schen auf. Das habe ich im letzten Jahr durch einen großen Artikel in der „Zeit“ gemacht, „Gründet mit mir eine Moschee“, habe das erklärt.

Und vor allem müssen wir liberale, moderate Muslime endlich in die Pflicht nehmen. Ich tue das mit mir selbst, dass ich sage, es reicht nicht aus, dass wir Ver­bände, andere Ver­ei­ni­gungen, Moschee-Gemeinden dafür kri­ti­sieren, dass sie in den Moscheen nicht Demo­kratie lehren oder ver­künden, dass sie dies und jenes falsch machen. Das reicht nicht aus. Wir müssen uns auch immer fragen: Was machen wir denn gegen den isla­mis­ti­schen Terror?

„Das Private ist politisch“

Schulz: Der Islam in Deutschland hat jetzt nicht so einen Orga­ni­sa­ti­onsgrad, wie es zum Bei­spiel die großen christ­lichen Kirchen haben. Und der Staat weiß ja immer noch nicht so richtig, wie er damit umgehen soll. Die Folge ist eben, dass die kon­ser­va­tiven Ver­bände im Dialog mehr oder weniger alleine das Sagen haben.

Ateş: Ja.

Schulz: Müssen sich liberale Muslime politisieren?

Ateş: … orga­ni­sieren. Ja, sie müssen sich orga­ni­sieren. Poli­ti­sieren – das sind wir ja sowieso. Das Private ist poli­tisch. Das ist das, woran ich glaube, sowieso auf der poli­ti­schen Ebene. Und deshalb kann kein Moslem sagen, so friedlich er auch ist: ‚Mein Glaube ist nur privat, und deshalb mische ich mich jetzt nicht ein in irgend­welche Debatten.‘ Nein, das Private ist poli­tisch – und aus dieser Ver­ant­wortung heraus hat Herr Schäuble, habe ich gesagt, am Ende des Tages recht, am Ende der Islam­kon­ferenz 2009. Er hat Recht.

Wir müssen uns auch orga­ni­sieren, damit die Politik Ansprech­partner hat. Auch da wie­derhole ich: Wir können doch nicht kri­ti­sieren, dass die Ver­bände als einzige Ansprech­partner zurzeit in der Islam­kon­ferenz sitzen. Die Ein­zel­per­sonen sind raus­ge­kickt. Die Politik sagt: Ich brauche aber Orga­ni­sa­tionen. Es geht nicht mit Ein­zel­per­sonen aus­schließlich. Dann ist es doch an uns, uns zu orga­ni­sieren. Deshalb mein Appell: Orga­ni­siert euch!

„Die DITIB sinkt immer tiefer“

Schulz: Jetzt hat der Liberal-Isla­mische Bund, mit dem teilen Sie ja zumindest den Anspruch eines modernen, libe­ralen Islams, zu einer Demo auf­ge­rufen – „Nicht mit uns“, jetzt für den Samstag. Und jetzt haben sich die Ver­bands­ver­treter dazu ja schon geäußert. Zum Bei­spiel die DITIB, die hat gesagt, die nehmen da nicht dran teil, mit fol­gendem Argument: Man habe sich ja schon oft genug distan­ziert von isla­mis­ti­scher Gewalt. Was sagen Sie dazu?

Ateş: Na, das reicht voll­kommen nicht aus. Und das ist tra­gisch und traurig für die DITIB, ja, dass sie nichts dazu­lernt offen­sichtlich und immer weiter, auch wirklich tiefer sinkt und Abstand nimmt zu, meiner Ansicht nach, auch der Demo­kratie und den Ver­pflich­tungen, die innerhalb der Demo­kratie pas­sieren müssen.

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Der Zen­tralrat der Muslime macht ja, soweit ich weiß, mit bei dieser Demons­tration. Und ich kann nur sagen, so was war schon längst über­fällig. Das hätte schon lange statt­finden müssen und am besten hätte das eben von den Ver­bänden aus schon orga­ni­siert werden müssen – seit dem 11. Sep­tember 2001.

Schulz: Wenn jetzt aber ein gläu­biger Muslim sagt, die­je­nigen, die da Ter­ror­an­schläge verüben, das sind keine Muslime. Das kommt ja oft vor, dieses Argument wird ja oft vor­ge­tragen: „Ich muss mich des­wegen nicht davon distan­zieren.“ Dann erklären Sie mir mal, warum er damit nicht Recht hat?

Ateş: Der wird für sein tiefes Ver­ständnis damit Recht haben. Aber das ist keine aus­rei­chende Argu­men­tation. Sie über­zeugt deshalb nicht, weil diese Men­schen „Allahu akbar“-rufend andere Men­schen köpfen oder Terror ver­ur­sachen. Gleich­zeitig sind das Men­schen, die aus dem Koran nicht nur rezi­tieren, sondern nach den Vor­schriften dort meinen richtig zu handeln. Sie begreifen sich als Muslime. Sie sagen, dass sie es sind. Also, kann ich nicht sagen, sie sind keine, weil ich nicht Allah bin. Der ent­scheidet am Ende, ob jemand den Glauben richtig lebt oder nicht. Und zudem, diese Men­schen beten fünfmal am Tag. Sie gehen in Moscheen. Sie haben einen Muezzinruf.

Ich möchte wissen, auf was sich die­je­nigen berufen, die meinen, das sind keine Muslime. Dass es keine Muslime sind, die den Glauben von der fried­lichen Seite betrachten, das ist doch was anderes. Man kann sagen, liebe Leute, ihr seid irre­ge­leitet. Es kann nicht sein, dass wir Gewalt­pas­sagen aus dem 7. Jahr­hundert nehmen und sie jetzt hier 1:1 über­setzen. Das ist was anderes. Aber denen abzu­sprechen, dass sie Muslime sind, das ist eine Schutz­be­hauptung. Und das ist so einfach. Man macht sich das so einfach damit.

„Das Hin­ter­fragen ver­drängen diese Dschihadisten“

Schulz: Also, hat die Gewalt mit dem Islam zu tun?

Ateş: Ja, selbst­ver­ständlich gibt es auch im Islam gewalt­be­ja­hende und begrün­dende Pas­sagen im Koran. Aus dem schöpfen doch diese Leute das. Der Dschihad wird daraus begründet. Aber dass es gleich­zeitig aber auch einen Idschtihad gibt, nämlich die Aus­ein­an­der­setzung, das Nach­denken, den Ver­stand nutzen, dass man immer wieder hin­ter­fragt, das Hin­ter­fragen gefordert wird im Koran, das ver­drängen halt diese Dschihadisten.

Schulz: Viele liberal ori­en­tierte Muslime argu­men­tieren ja immer wieder, man muss diese Text­stellen, wo es eben um die Gewalt geht, die muss man in ihrem his­to­ri­schen Kontext sehen, eben im Kontext einer bedrängten Reli­gi­ons­ge­mein­schaft im 7. Jahrhundert.

Ateş: Ja.

„Den Koran his­to­risch-kri­tisch auslegen“

Schulz: Aber auf der anderen Seite ist es ja doch so, dass der Koran als das geof­fen­barte Wort Gottes gilt. Bei den Hadithen, da sehe ich das ein, da kann man die his­to­rische Genese ja noch eher ver­stehen. Aber wie wollen Sie denn Men­schen davon über­zeugen, dass der Koran, oder dass eben Gottes Wort nicht all­ge­mein­gültig ist?

Ateş: All­ge­mein­gültig nicht in dem Sinne, dass wir jetzt im 21. Jahr­hundert genau das machen, was im 7. Jahr­hundert her­ab­ge­sandt wurde – his­to­risch-kri­tisch aus­legen. Ich denke, das ist durchaus auch möglich. Es gibt ver­schie­denste Les­arten sowieso des Korans, ganz unab­hängig eben von Über­set­zungen und Inter­pre­ta­tionen. Muss man einfach his­to­risch-kri­tisch auslegen.

Was war in der Zeit, als die ein­zelnen Suren offenbart wurden, innerhalb eines Zeit­raums von 23 Jahren immerhin? Es war ja ein Prozess. Und in was für einer Lebens­si­tuation befand sich der Prophet gerade mit seiner Gemein­schaft? Das muss man nämlich alles im Zusam­menhang sehen und dann nach dem Sinn und Zweck fragen.

Die Sufis schauen noch viel tiefer, ja, und sehen Worte natürlich immer im über­tra­genen Sinne. Und man muss dann im nächsten Schritt sich über­legen: Was ist der Sinn und Zweck? Was sollte damit geregelt werden? Aus diesem gesamten Kontext heraus. Wie gesagt, Lebens­si­tuation des Pro­pheten, der Gesell­schaft und in der Phase, in der sich die Gemein­schaft befand. Und das dann über­setzt ins 21. Jahr­hundert, kann es ja durchaus sein, dass man sich erwehren muss, dass es heißt: ‚Ver­teidigt eure Religion!‘, aber dass das nicht bedeutet: ‚Geht los und tötet andere Leute!‘

„Auf­klärer im Islam und die die Chance einer Renaissance“

Schulz: Also, dass man die Bibel eben als his­to­risch gewor­denes Kon­strukt liest, das ist in west­lichen Gesell­schaften aner­kannt. Das ist eine Errun­gen­schaft der Auf­klärung. Die wurde auch von Theo­logen vor­an­ge­trieben. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass diese viel­be­spro­chene Auf­klärung auch im Islam ver­ankert ist.

Ateş: Ja.

Schulz: Aber es sieht doch danach derzeit nicht so aus.

Ateş: Na ja, im 11./12. Jahr­hundert haben es die Radi­kalen und Ortho­doxen geschafft, und zwar haupt­sächlich betrieben durch den Gelehrten al-Ghazālī, Gelehrte wie Ibn Rushd und Ibn Sînâ, zu unter­drücken. Das sind die großen Denker gewesen, die Auf­klärer im Islam. Es hat einen Wandel genau und Bruch in dieser Phase gegeben. Und deshalb gibt es durchaus die Chance einer Renais­sance. Denn, wenn man sich diese Gelehrten anschaut, die ja auch koranfest argu­men­tieren, ja, kann man durchaus sagen, es gibt auch einen anderen Weg, den auch der Islam hätte damals gehen können. Aber es ist nicht zu spät, ihn jetzt zu gehen.

„Sala­fisten dürften kein Auto fahren“

Schulz: Jetzt haben Sie Ibn Rushd schon erwähnt. Das ist einer der beiden Namens­geber Ihrer Moschee …

Ateş: Ja.

Schulz: Die Ibn Rushd-Goethe Moschee, so heißt sie ja. Es gibt dennoch trotzdem Leute, die den Islam ja nicht für refor­mierbar halten.

Ateş: Ja.

Schulz: Eben, weil das Ganze eben … eine Reform die Sub­stanz gefährden würde.

Ateş: Ja.

Schulz: Warum glauben Sie denn trotzdem, dass das Ganze refor­mierbar ist?

Ateş: Na ja, ich bin da eher eine Anhän­gerin der soge­nannten Anka­raner Schule, dass ich sage, es liegt am Ende auch an uns, an Men­schen, wie wir unsere Religion theo­lo­gisch ja begreifen und in unserer Zeit auch ver­stehen. Und die Erlaubnis, his­to­risch-kri­tisch das zu betrachten, die haben wir meiner Ansicht nach selbst auch aus den hei­ligen Schriften, wo es wirklich oft genug an vielen ver­schie­denen Stellen heißt: „Du hast deinen Ver­stand und du hast Ver­nunft und die musst du nutzen.“

Und die Begriff­lich­keiten, die so ein­deutig zu sein scheinen, die sehe ich, gerade auch als Juristin, die mit unbe­stimmten Rechts­be­griffen arbeitet oder mit Para­graphen, immer inter­pre­tiert werden müssen, gar nicht so ein­deutig, wie Sala­fisten das immer so sehen oder darstellen.

Und die Kri­tiker, die sagen, der Islam ist nicht refor­mierbar, ich glaube, natürlich gibt es auch im Judentum, auch im Katho­li­zismus, ja Men­schen, die sagen, hier ist kei­nerlei Bewegung da. Aber da bin ich eher auch aus der Praxis sehr prag­ma­tisch und denke, das ist möglich. Warum sollte das nicht möglich sein? Das würde ja bedeuten … dass eine Reform nicht möglich ist, würde als Kon­se­quenz haben, dass wir wei­ter­leben sollten wie im 7. Jahr­hundert. Und das tun wir ja jetzt schon nicht.

Dann dürfte auch kein Salafist ein Auto fahren oder Mobil­te­lefone benutzen. Denn es wird ja argu­men­tiert: ‚Wir machen keinen Sport, weil der Prophet keinen Sport gemacht hat. Es wird keine Musik gehört, weil das nicht zu unserer Religion passt.‘

Schulz: Ist nicht einfach auch ein Problem, dass der Islam eben von diesen Fun­da­men­ta­listen keine Religion ist, sondern eher eine poli­tische Ideologie?

Ateş: Es ist auf jeden Fall eine poli­tische Ideo­logie, die sich aber bezieht und begründet auf die Heilige Schrift, die wir anderen nur in seiner fried­li­cheren Seite vor­der­gründig sehen, ja.

„Der Islam ist reformierbar“

Schulz: Hoffen Sie noch auf den viel­zi­tierten Euro-Islam, nachdem ja schon der Erfinder des Begriffs selber nicht mehr so recht dran glauben mag?

Ateş: Bassam Tibi ist ein bisschen frus­triert, das weiß ich. Aber am Ende des Tages, glaube ich nach wie vor, dass er … er war ja immer ein opti­mis­ti­scher Mensch und hat immer uns groß­artige Ideen geliefert und Erklä­rungen, dass er weiter auch das unter­stützen wird.

Denn der Islam hat sich in allen Ländern, in denen er ange­kommen ist, von der ara­bi­schen Halb­insel aus­gehend, in jedem Land, von Marokko bis Indo­nesien, den Tra­di­tionen und den natio­nalen Gege­ben­heiten ent­spre­chend ent­wi­ckelt. Und so verhält es sich mit dem Euro-Islam. Der Islam ent­wi­ckelt sich auch in Europa in eine sehr vom Euro­päi­schen vor­ge­fun­denen Ver­hält­nissen geprägt. Und darin sehen Sie ja auch noch mal die Mög­lichkeit, dass da durchaus was Refor­mier­bares da ist im Islam.

„Inner­mus­li­misch Frieden finden“

Frau Ateş, wir haben jetzt viel über Theo­logie gesprochen. Sie haben diese Moschee ja auch aus einem, ich nenne es jetzt mal, gesell­schafts­po­li­ti­schen Impuls gegründet. Was ist das jetzt? Ist es ein reli­giöser Ort, oder ist es ein liberal-mus­li­mi­scher Think-Tank?

Ateş: Es ist in aller­erster Linie ein reli­giöser Ort, ein spi­ri­tu­eller Ort, wo wir inner­mus­li­misch vor allem Frieden finden möchten – Ale­viten, Sun­niten, Schiiten und Sufis zusammen. Inner­mus­li­misch, unsere Spi­ri­tua­lität, die wir haben als Men­schen­recht­lerin, Frau­en­recht­lerin, als Homo­se­xuelle, als eben Demo­kraten, die in den bis­he­rigen exis­tie­renden Moscheen sich mit ihrer Spi­ri­tua­lität nicht zu Hause fühlen, dass wir in erster Linie Religion ausüben. Das ist wirklich das vor­derste Ziel. Aber, dass wir dadurch auch gleich­zeitig in das Gesell­schafts­po­li­tische hin­ein­wirken, das ist – wie gesagt – aus dem ganz ein­fachen und rich­tigen Satz sich ergebend, dass das Private poli­tisch ist.

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Schulz: Sind dann auch die­je­nigen will­kommen, die Ihre Ideale ablehnen oder gar bekämpfen?

Ateş: Nun, wenn sie kommen wollen, um mit uns zu dis­ku­tieren, um zu ver­stehen, was wir da machen, sind natürlich alle will­kommen. Aber was soll es am Ende des Tages bringen, wenn sie kommen, um uns zu beschimpfen? Das wollen wir natürlich nicht.

„Befürch­tungen, dass es Über­griffe geben könnte“

Schulz: Lassen Sie uns zum Schluss noch mal auf Ihre Person zu sprechen kommen. Sie haben – ich habe das ganz am Anfang erwähnt – mehrfach Gewalt und Anfein­dungen in Ihrem Leben erlebt. Sie wurden ja auch einmal ange­schossen. Sie müssen ja eigentlich davon aus­gehen, dass das jetzt wieder pas­siert, oder?

Ateş: Selbst­ver­ständlich gibt es Befürch­tungen, dass es da Über­griffe geben könnte. Aber die bis­he­rigen Nach­richten, die ich bekommen habe, das sind drei an der Zahl gewesen, die gehen unter die Gür­tel­linie mit dem „F‑Wort“, ja, was die mit mir machen wollen, damit ich zu Ver­stand komme.

Aber 95 Prozent der Reak­tionen sind positiv. Die Leute sagen: „Es reicht endlich, ja. Wir können das nicht mehr hören, dass unsere Religion nur noch mit Terror in Ver­bindung gebracht wird. Das, was du da machst, ist groß­artig. Wir können einer wis­senden Person folgen, auch, wenn sie eine Frau ist, als Männer.“

Das sagen vor allem Kurden, bei denen es tat­sächlich solch eine Tra­dition gibt. Und ich hoffe mal, dass es auch so ruhig bleibt, wie es ist. Ansonsten habe ich „Mut, Angst zu haben“, wie Kant das sagt, und bin trotzdem ein ver­nünf­tiger Mensch und achte selbst­ver­ständlich auf die Men­schen um mich herum und auf mich selbst.

Schulz: Und was glauben Sie, welche Resonanz werden Sie bekommen? Wie viele Muslime werden sich inter­es­sieren für Ihren libe­ralen Islam?

Ateş: Das ist eine Frage, die Jour­na­listen sehr gerne in Zahlen beant­wortet wissen würden. Ich kann das nicht machen. Das ist wie Kaf­fee­satz­lesen. Ich bin nur glücklich, dass wir sieben Gesell­schafter und Gesell­schaf­te­rinnen sind. Das ist schon mal groß­artig. Und ich finde das gut, dass wir auch schon ungefähr 20 Mit­glieder sozu­sagen sind. Men­schen, die gemeinsam diese Idee ver­folgen. Aber ich bekomme schon so viel Zuspruch und … von Mus­limen, die auch zum Gebet kommen wollen. Ich lasse mich über­ra­schen. Ich hoffe, dass das so weitergeht.


Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com