Anhörung über Aus­lie­ferung von Julian Assange haben begonnen — Die aktu­ellen Entwicklungen

Heute beginnt in London die Ver­handlung um die Aus­lie­ferung von Julian Assange in die USA. Aus diesem Anlass fass ich die aktu­ellen Ent­wick­lungen um Julian Assange zusammen.

Vor einer Woche haben erneut über hundert Ärzte in einem offenen Brief das „Ende der Folter“ von Assange gefordert. Es ist der vierte der­artige Brief, aber London hat auf keinen davon reagiert, obwohl die Ärzte Assange in Lebens­gefahr sehen und obwohl auch die UNO von Folter spricht. Als Unter­zeichner der Folter-Kon­vention wäre Groß­bri­tannien eigentlich dazu ver­pflichtet, den Fall zu unter­suchen. Statt­dessen igno­riert London die Berichte der UNO.

Besonders dreist hat die Bun­des­re­gierung gehandelt. Sie hat mit­ge­teilt, die UNO-Berichte über Assange zwar erhalten, aber nicht gelesen zu haben. Und selbst die OSZE fordert nun offi­ziell, Assange nicht an die USA aus­zu­liefern. Der Beauf­tragte für Pres­se­freiheit der OSZE teilte mit:

„Ich fordere die bri­ti­schen Behörden auf, Julian Assange bei der Anhörung am Montag nicht aus­zu­liefern. Besonders beun­ru­higen mich die zahl­reichen Ankla­ge­punkte und die unver­hält­nis­mäßige Haft­strafe von bis zu 175 Jahren, die ihm im Falle einer Aus­lie­ferung und Ver­ur­teilung drohen könnten“, sagte Désir. „Das öffent­liche Interesse der Ver­öf­fent­li­chungen von Wiki­Leaks im Jahr 2010 sollte berück­sichtigt werden, da es zu wich­tigen inves­ti­ga­tiven Berichten und Nach­rich­ten­be­richten bei­getragen hat. Es ist wichtig, die Aus­wir­kungen auf die Mei­nungs- und Pres­se­freiheit zu berück­sich­tigen, wenn er aus­ge­liefert und ver­ur­teilt wird. Das könnte einen abschre­ckenden Effekt auf den Jour­na­lismus und die Pres­se­freiheit haben.“

Vor dem Gericht in London haben die Unter­stützer von Assange Ver­an­stal­tungen abge­halten, bei denen unter anderem auch der Gründer von Pink Floyd, Roger Walters, auf­ge­treten ist. Er sagte:

„Wir leben nicht in einem freien Land, sondern in einer ein­fachen Hun­de­hütte. Auf Kom­mando unseres Herren jen­seits des Atlantik bellen wir und wedeln mit dem Schwanz.“

Inter­es­san­ter­weise erscheinen nun auch im Main­stream Berichte, die Assange zumindest ein wenig unter­stützen, nachdem das Thema Assange vorher mona­telang – oder sogar jah­relang – tot­ge­schwiegen oder er sogar unter­schwellig in ein schlechtes Licht gestellt wurde. Aller­dings scheinen diese Berichte nur eine Reaktion auf die wach­sende Unter­stützung für Assange zu sein. In den Berichten der „Qua­li­täts­medien“ wird nur das absolute Minimum dessen berichtet, was es im Fall Assange an Unge­reimt­heiten gibt.

Im Spiegel erschien heute einer dieser Artikel. Dort kommen die Unter­stützer von Assange zu Wort. Edward Snowden wird zitiert und auch der aktuelle Chef von Wiki­leaks. Der wird im Spiegel so zitiert:

„Der Isländer berichtete von merk­wür­digen Vor­gängen. Mehrere Wikil­Leaks-Mit­streiter, selbst solche mit nach­ran­gigen Rollen in der Orga­ni­sation, hätten zuletzt Besuch von Ermittlern bekommen. Ihnen sei Immu­nität ange­boten worden, sollten sie im Prozess gegen Assange aus­sagen. „Man hat ihnen quasi die Pistole an die Schläfe gesetzt, damit sie sich an einer Men­schenjagd betei­ligen“, sagte Hrafnsson. „Ich nenne das ein Angebot wie aus dem Film ‚Der Pate’. Man kann es nicht ablehnen.“ Hart­näckig recher­chie­rende Jour­na­listen könnten bald überall Gefahr laufen, „als Extremist oder Spion behandelt zu werden“, so Hrafnsson. „Das ist ein Krieg gegen den Journalismus.““

Auf­fällig ist an dem Artikel – wie auch an den anderen Berichten im Main­stream, die sich vor­geblich kri­tisch mit dem Fall befassen – dass die Kritik am Vor­gehen der Briten und Ame­ri­kaner immer nur als Zitat gekenn­zeichnet wird. Die Redak­tionen ver­meiden es akkurat, selbst kri­tische Worte zu formulieren.

Das fällt besonders deutlich auf, wenn man diese Berichte mit Artikeln über die angeb­liche Unter­drü­ckung der Pres­se­freiheit in Ländern wie Russland ver­gleicht. In diesen Artikeln kri­ti­sieren die Autoren der west­lichen „Qua­li­täts­medien“ die Situation selbst und in direkter Rede. Bei Assange hin­gegen werden nur Zitate gebracht, die Redak­tionen halten sich mit eigenen Ein­schät­zungen weit­gehend zurück. Das Maximum an kri­ti­schen For­mu­lie­rungen im Spiegel klang so:

„Tat­sächlich ist auf­fällig, wie massiv vor allem die USA derzeit gegen Inves­ti­gativ-Jour­na­listen und Whist­le­b­lower vor­gehen. Bereits seit März 2018 sitzt die einst von US-Prä­sident Barack Obama begna­digte Chelsea (ehemals Bradley) Manning, die Quelle des von Wiki­Leaks 2010 ver­öf­fent­lichten „Col­la­teral Murder“-Videos, in Beu­gehaft. Sie weigert sich, gegen Assange aus­zu­sagen. Ähnlich geht es dem Hacker Jeremy Hammond und wei­teren Wikil­Leaks-Quellen. Vor mas­siven Ein­griffen in die Presse- und Mei­nungs­freiheit warnt der Uno-Son­der­be­richt­erstatter für Folter Nils Melzer. Im Fall Assange gehe es „nicht einfach um ein Ein­zel­schicksal, sondern um die Zukunft unserer Demo­kratie und Rechs­staat­lichkeit“, sagte Melzer vor Kurzem in einem SPIEGEL-Interview.“

Nils Melzer hat in letzter Zeit einige Inter­views gegeben. Im Spiegel kann man lesen:

„Scharfe Kritik äußerte Melzer auch an den Ermitt­lungen gegen Assange in Schweden, die 2010 in Stockholm anfingen: „Dort wurde die öffent­liche Meinung ganz gezielt gegen ihn gewendet und seine poli­tische Ver­folgung und sys­te­ma­tische Miss­handlung über­haupt erst ermög­licht.“ Die Ermitt­lungen hatten begonnen, als zwei Frauen zur Polizei gingen, nachdem sie unab­hängig von­ein­ander Sex mit Assange hatten. Ihr Vorwurf: Er habe sie zu unge­schütztem Geschlechts­verkehr gedrängt und in einem Fall während des Akts heimlich ein Kondom zer­rissen. Ein jah­relang anhän­giges Ver­fahren wegen des Ver­dachts auf Ver­ge­wal­tigung wurde im ver­gan­genen November eingestellt.“

Die Jour­na­listen im deut­schen Main­stream scheinen nicht zu ver­stehen, dass kri­ti­scher Jour­na­lismus im Westen bereits gefährlich geworden ist. Immer mehr Jour­na­listen werden im Westen unter Vor­wänden ver­haftet oder mit Straf­ver­fahren bedroht, wenn sie vom gewollten Nar­rativ abweichen. Eigentlich müsste daher jeder Jour­nalist schon aus Eigen­in­teresse pro­tes­tieren und immer wieder auf den Fall Assange hin­weisen und Assange unter­stützen. Denn morgen kann es auch sie selbst treffen, wenn sie sich allzu kri­tisch an „das falsche Thema“ heranwagen.

Aber im Spiegel findet sich zu den wich­tigsten Vor­würfen von Melzer kein Wort. In einem Interview des schweizer Portals „Republik“ hat Melzer sich sehr aus­führlich geäußert. Ich emp­fehle das Interview aus­drücklich, Sie finden es hier.

Melzer ziegt dort direkt und mit Unter­lagen auf, wie in Schweden die Ermitt­lungs­akten gegen Assange mani­pu­liert wurden und wie der Ver­ge­wal­ti­gungs­vorwurf von Ermittlern durch Mani­pu­la­tionen künstlich kon­struiert worden ist. Die Frauen sind nicht wegen Ver­ge­wal­ti­gungs­vor­würfen zur Polizei gegangen, sondern nur, weil sie wissen wollten, ob man Assange zu einem AIDS-Test zwingen kann, nachdem er mit beiden Frauen unge­schützten – und ein­ver­nehm­lichen – Sex gehabt hat. Erst die Ermittler haben daraus die angeb­liche Ver­ge­wal­tigung konstruiert.

Im Spiegel findet sich über diese Dinge – und all die anderen Vor­würfe von Melzer – jedoch kein Wort. Der Spiegel kratzt nur sehr ober­flächlich an dem Fall und berichtet seinen Lesern nicht von all den Unge­reimt­heiten, die Melzer detail­liert dar­gelegt hat.

Zum Schluss möchte ich noch darauf hin­weisen, dass Sie einen Online-Appell unter­zeichnen können, um die Bun­des­re­gierung auf­zu­fordern, Julian Assange endlich zu unter­stützen und sich gegen seine Aus­lie­ferung an die USA einzusetzen.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“