Roboter-Arbeit bedroht die Mittelschicht

Die WELT zitiert mich in einem Beitrag im Zusam­menhang mit den Folgen zuneh­mender Auto­ma­ti­sierung für den Arbeitsmarkt:

  • „Als erste der großen euro­päi­schen Indus­trie­na­tionen werden wir lernen müssen, was es heißt, wenn die arbei­tende Bevöl­kerung zurückgeht. (…)  Auf dem Arbeits­markt wirkt der rapiden Alterung der Beschäf­tigten zugleich eine ganz andere Kraft ent­gegen (…): Immer mehr mensch­liche Tätig­keiten werden von Com­putern und Maschinen über­nommen.“ – Stelter: Ich selbst habe noch keine gute Berechnung gesehen, die beide Effekte kom­bi­niert auf die Gesamt­wirkung analysiert.
  • „Der stel­len­de­zi­mie­rende Effekt der Digi­ta­li­sierung (sollte) nicht unter­schätzt werden, sagt Carsten Brzeski, Chef­ökonom von ING Deutschland. Der Volkswirt hat die Beschäf­ti­gungs­daten einer Tie­fen­analyse unter­zogen und findet Hin­weise darauf, dass der Auf­stieg der maschi­nellen Intel­ligenz hier­zu­lande bereits seinen Tribut fordert – wenn­gleich nicht da, wo man ver­muten würde. (…) Die detail­lierten Daten decken den Zeitraum vom ersten Quartal 2014 bis zum ersten Quartal 2019 ab. Dabei stießen sie auf ein inter­es­santes Muster: Es gibt eine deut­liche negative Beziehung zwi­schen Beschäf­ti­gungs­wachstum und Auto­ma­ti­sie­rungs­wahr­schein­lichkeit, sagt der Wirt­schafts­wis­sen­schaftler. Nun ist es zwar nicht so, dass intel­li­gente Maschinen zu stei­gender Arbeits­lo­sigkeit oder gar Mas­sen­ar­beits­lo­sigkeit führen, aber in manchen Bereichen des Job­markts scheinen sie das Beschäf­ti­gungs­wachstum schon jetzt aus­zu­bremsen. Am stärksten ist dieser Effekt bei den soge­nannten ‘fach­lichen Tätig­keiten’ im Zentrum des deut­schen Job­markts. Hier war das Beschäf­ti­gungs­wachstum in den ver­gan­genen fünf Jahren am geringsten. Fach­liche Tätig­keiten defi­nieren Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisse, die ein mitt­leres Qua­li­fi­ka­ti­ons­niveau vor­aus­setzen.“ – Stelter: Klartext, es gibt keinen abso­luten Rückgang, aber die Auto­ma­ti­sierung wird bereits probiert.
  • „Je leichter ein Arbeits­platz zu auto­ma­ti­sierten ist, desto schwächer hat sich die Beschäf­tigung ent­wi­ckelt. Brzeski ver­weist auf die Kate­gorie Büro­kräfte und ver­wandte Berufe. Relativ ein­fache und monotone Tätig­keiten fallen durch eine 86-pro­zentige Auto­ma­ti­sie­rungs­mög­lichkeit auf, das ist der höchste Wert in der ent­spre­chenden Typi­sierung der Bun­des­agentur für Arbeit. (…) das Beschäf­ti­gungs­wachstum zwi­schen 2014 und 2019 war mit nur vier Prozent deutlich unter­durch­schnittlich.“ – Stelter: was ein­leuchtet, aber deshalb gefährlich ist, weil es gegen die typi­schen Mit­tel­schichtsjobs geht.

  • „Bei sehr ein­fachen Tätig­keiten, für die keine formale Qua­li­fi­kation erfor­derlich ist, fand teils mehr Beschäf­ti­gungs­wachstum statt als bei anspruchs­vol­leren Büro­tä­tig­keiten, obwohl Com­puter und Maschinen in diesem Bereich eben­falls eine mate­rielle Kon­kurrenz sein sollten. So konnten Jobs, die zur Kate­gorie „Hilfs­ar­beits­kräfte“ gehören, trotz einer Auto­ma­ti­sie­rungs­wahr­schein­lichkeit von 85 Prozent einen Stel­len­zu­wachs von sechs Prozent ver­buchen. Die Kor­re­lation ‘hohe Kon­kurrenz durch Roboter geht mit nied­rigem Job­zu­wachs einher’ scheint hier durch­brochen.“ – Stelter: was nicht über­ra­schen kann. Ist das doch der einzige Weg, um die Migranten zu inte­grieren, was dann zu den posi­tiven Nach­richten in den Medien führt. Das geht aber nur über tiefe Löhne und nur solange, wie die Auto­ma­ti­sierung noch relativ zu teuer ist.
  • „Auf der Ver­lie­rer­seite stehen Arbeit­nehmer mit einem mitt­leren Abschluss. Inter­es­san­ter­weise gilt das auch für die Gehalts­ent­wicklung: Sie war oben und unten pro­zentual am stärksten, in der Mitte der Gesell­schaft hin­gegen unter­durch­schnittlich. Dass sich die Beschäf­tigung in der Kate­gorie Helfer und Ange­lernte relativ gut ent­wi­ckelt hat, könnte mit der starken Migration der ver­gan­genen Jahre zusam­men­hängen, mithin indirekt mit den demo­gra­fi­schen Umwäl­zungen. Während für Büro­tä­tig­keiten nämlich in der Regel gute deutsche Sprach­kennt­nisse erfor­derlich sind, ist das bei Hel­fer­tä­tig­keiten oft nicht der Fall. Es könnte also sein, dass es nicht nur um die Alter­native Roboter oder mensch­licher Arbeit­nehmer geht, sondern auch um die Frage: Sind über­haupt genügend geeignete Bewerber vor­handen, um alle Stellen zu besetzen? Um das in Relation zu setzen: Die Geburts­jahr­gänge, die jetzt eine Aus­bildung beginnen können, umfassen nur etwas mehr als 700.000 Per­sonen. Die gebur­ten­starken Jahr­gänge der 1960er-Jahre waren fast doppelt so stark. Wenn Arbeit­nehmer der Baby­boomer-Gene­ration aus dem Berufs­leben aus­scheiden, stehen ihnen nur rund halb so viele poten­zielle Nach­folger ent­gegen.“ – Stelter: Das stützt meine These, dass es eine Chance sein kann, zu automatisieren.
  • „Brzeski ver­mutet, dass die Deut­schen auf die Struk­tur­ver­än­derung reagieren und auf Berufe aus­weichen, von denen sie glauben, den Gra­vi­ta­ti­ons­kräften und dem Wett­bewerb der Roboter weniger aus­ge­setzt zu sein. „Der hohe Stel­len­zu­wachs bei Aka­de­mikern könnte eine Stra­tegie der Arbeit­nehmer aus­drücken, sich in hoch qua­li­fi­zierten Bereichen wei­ter­zu­bilden, um sich gegen Auto­ma­ti­sierung und Digi­ta­li­sierung fit zu machen.“ Ins­gesamt mas­kiert das starke Jobplus der ver­gan­genen Jahre aus seiner Sicht tief grei­fende Ver­än­de­rungen, die Deutschland in den Zwan­zi­ger­jahren ein­holen könnten.“ – Stelter: Ich denke auch, dass es einen großen Umbruch geben wird. Ich denke aber nicht, dass unsere Aka­de­mi­sie­rungs­welle die richtige Antwort ist, weil wir in den fal­schen Gebieten aus­bilden. Pro­mi­nentes – wenn auch zah­len­mäßig irrele­vantes – Bei­spiel ist die Gen­der­for­schung. Diese dürfte die Pro­duk­ti­vität nicht heben.

Habe mal kurz bei Sta­tista geschaut:

Anzahl der Stu­die­renden an deut­schen Hoch­schulen in den 20 am stärksten besetzten Stu­di­en­fä­chern im Win­ter­se­mester 2018/2019:

Jetzt über­lasse ich jedem seinen eigenen Blick auf die Sinn­haf­tigkeit der Fächer. Als Betriebswirt weiß ich, dass das nicht gerade das Top-Fach ist. IT, Inge­nieur­wesen, Mathe und Physik sind klar, auch Lehramt würde ich gut finden. Natürlich brauchen wir Ärzte. Nur sieht das für mich nicht nach einer Aus­richtung auf die kom­mende Auto­ma­ti­sie­rungs­welle aus.

Nun zu meiner Rolle in dem Stück:

  • „Einen anderen Akzent setzt der Ökonom Daniel Stelter, bekannt durch seinen Blog und Podcast „Beyond the obvious“. Stelter fürchtet einen sich selbst ver­stär­kenden Effekt durch Tech­nik­feind­lichkeit und man­gelnde Inves­ti­ti­ons­be­reit­schaft in Deutschland. ‘Die Japaner gehen seit Jahren weitaus offener mit dem Thema Roboter um als wir’, sagt er. Infol­ge­dessen habe sich dort die Pro­duk­ti­vität pro Erwerbs­tä­tigem besser ent­wi­ckelt als bei uns. ‘Wenn weniger Leute arbeiten, müssen wir die Pro­duk­ti­vität hoch­treiben. Wir brauchen mehr Roboter, nicht weniger’, sagt der Ökonom. Die Alter­native zu pro­duk­ti­veren Arbeit­nehmern seien noch höhere Steuern und Abgaben, um den Sozi­al­staat am Laufen zu halten. Dann aber bestehe die Gefahr, dass andere Gesell­schaften mit nied­ri­geren Belas­tungen unsere Kinder abwerben könnten.“ – Stelter: Liebe Leser, Sie sehen, ich sage auch woanders, was ich hier regel­mäßig schreibe.
  • „Tat­sächlich lassen For­schungen ver­muten, dass sich die Pro­duk­ti­vität vor allem dort schwach ent­wi­ckelt, wo das Bil­dungs­system nicht mit den Erfor­der­nissen der digi­talen Wirt­schaft mit­halten kann. ‘Wir müssen unsere Kinder mit einer 1a-Aus­stattung ver­sehen’, fordert der Ökonom. ‘Bildung, Bildung, Bildung’, laute die Devise. Außerdem müsse Deutschland dringend etwas gegen die weithin unzu­rei­chenden Infra­struktur unter­nehmen. Sonst drohe nicht nur ein Verlust an Industrie, sondern auch eine Flucht junger Men­schen ins Ausland.“ – Stelter: Ich finde das durchaus einleuchtend.
  • „Diese Abwan­derung könne durch die Pola­ri­sierung noch beschleunigt werden. Wird die Mitte des Arbeits­markts weiter aus­ge­dünnt, könnten das viele Familien aus der Mit­tel­schicht als Ver­drängung emp­finden. Dort, wo noch Jobs zu finden sind, in den Städten nämlich, sehen sich die Beschäf­tigten gleich­zeitig mit kräftig gestie­genen Mieten und Preisen kon­fron­tiert. Was sich die hoch Qua­li­fi­zierten viel­leicht noch leisten können, wird für Teile der Arbeit­neh­mer­schaft mit mitt­lerem Abschluss unbe­zahlbar. Die Kon­kurrenz durch Roboter ver­eitelt die Aus­sicht auf stei­gende Löhne.“ – Stelter: Und damit ver­schärfen sich die sozialen Probleme.

Ich denke, wir sind schlecht vor­be­reitet auf den Umbruch und wir brauchen einen anderen, offen­si­veren Umgang mit dem Thema Automatisierung.


Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com