Coro­na­virus: Erleb­nis­be­richt eines Lesers aus Wuhan über einen Monat Qua­rantäne und Ausgangssperre

Am 7. Februar habe ich den Erleb­nis­be­richt eines Lesers aus dem chi­ne­si­schen Wuhan ver­öf­fent­licht. Heute kommt die Fort­setzung, die auf­zeigt, was auch in Europa bei einem mas­sen­haften Corona-Aus­bruch im schlimmsten Fall auf die Men­schen zu kommt.

Der erste Erleb­nis­be­richt meines Leser, der mit seiner chi­ne­si­schen Frau nach China aus­ge­wandert ist, war inter­essant, aber weniger spek­ta­kulär, als man erwarten konnte. Der Leser war zum chi­ne­si­schen Neu­jahrsfest mit seiner Frau zu seinen Schwie­ger­eltern im Großraum Wuhan gefahren und dort von der Qua­rantäne über­rascht worden. Seit knapp einem Monat sitzt er dort fest. Seinen ersten Erleb­nis­be­richt finden Sie hier.

Vorweg nehmen möchte ich, dass in China bereits die Qua­rantäne stel­len­weise wieder auf­ge­hoben wurde. Darüber wird merk­wür­di­ger­weise in Deutschland nicht berichtet, die Medien bringen nur Mel­dungen über eine Ver­schlim­merung der Lage. Das ist für Europa ja auch zutreffend, aber ich denke, die Men­schen sollten auch wissen, dass die Lage in China sich bereits merklich ent­spannt hat.

Die Berichte meines Lesers zeigen anschaulich auf, was im schlimmsten Fall – also der Abrie­gelung einer Stadt und Aus­gangs­sperren – tat­sächlich bevor­steht. Und da sind die Berichte meines Lesers sehr inter­essant, weil das nun knapp einen Monat selbst durchlebt hat.

Eine weitere inter­es­sante Meldung meines Lesers ist, das – zumindest in China – Hams­ter­käufe unnötig waren. Es gab eine Hotline, die man anrufen konnte und es wurden Lebens­mittel zur Wohnung geliefert. Es musste also niemand hungern.

Mehr möchte ich nicht vor­weg­nehmen, jetzt kommt der Bericht meines Lesers. Er schreibt seine Berichte auf einem pri­vaten Blog, den er für seine Freunde und Ver­wandten in Deutschland betreibt, um ihnen von seinem Leben in China zu erzählen. Daraus habe ich Teile seiner Texte mit seiner Geneh­migung per copy/paste übertragen.

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Ein Ende ist in Sicht!

12. Februar 2020

Seit meinem letzten Beitrag ist erneut nicht allzu viel geschehen – wie sollte es auch anders sein? In den zurück­lie­genden zwei Wochen habe ich die Wohnung kein ein­ziges Mal ver­lassen. Doch es gibt ein Licht am Horizont: Unsere neu­esten Infos besagen, dass die Qua­rantäne am 24. Februar auf­ge­hoben wird. Natürlich ist dieses Datum nicht in Stein gemeißelt, doch es fühlt sich sehr gut an, endlich ein gewisses Ziel vor Augen zu haben. Sich die ganze Zeit in geschlos­senen Räumen auf­zu­halten, ist äußerst unan­genehm. Es können Pro­bleme auf­treten, von denen man vorher gar nicht wusste, dass es sie wirklich geben kann.

Immer wieder tun mir die Augen weh und außerdem habe ich das Gefühl, schlechter sehen zu können. Das liegt bestimmt einer­seits daran, dass es in Gebäuden ver­hält­nis­mäßig dunkel ist. Ande­rer­seits müssen sich meine Linsen per­manent auf kurze Distanz ein­stellen. Auf Dauer ist das gewiss nicht för­derlich. Wenn ich auf den Balkon gehe und bewusst in die Ent­fernung blicke, ver­schwinden meine Beschwerden in kür­zester Zeit. Hier muss ich irgend­einen Mit­telweg finden, da ich unmöglich meine gesamte Freizeit auf dem Balkon ver­bringen kann. Son­derlich viel Bewegung habe ich selbst­redend auch nicht.

Generell ist die Epi­demie inzwi­schen (Gott sei Dank) auf dem abstei­genden Ast. Die Zahl der Infi­zierten steigt wesentlich lang­samer. Vor zehn Tagen waren es noch über 20 Prozent pro Tag. Ver­gangene Woche sank dieser Wert kon­ti­nu­ierlich und liegt am heu­tigen Mittwoch bei nur noch vier Prozent. Von expo­nen­ti­ellem Wachstum kann also keine Rede mehr sein. Der Rückgang der Neu­in­fek­tionen ist sogar schon in Abso­lut­zahlen zu erkennen. Im selben Zeitraum sank jener Wert von über 3.000 auf etwa 1.500. Die Qua­rantäne zeigt also tat­sächlich Wirkung. Trotzdem wird es noch dauern, bis die Epi­demie gänzlich abge­klungen ist.

Wenn wir zurück nach Hause fahren, werden wir ver­mutlich nicht ohne Wei­teres in die Stadt hin­ein­ge­lassen. Allem Anschein nach müssen wir dort erneut für min­destens zwei Wochen in Qua­rantäne. Es wäre toll, wenn wir diese Zeit in unserer Wohnung ver­bringen könnten – und nicht in irgend­einem Zelt am Orts­eingang. Das möchten wir natürlich vorab regeln. Meine Frau ver­sucht bereits, die nötigen For­ma­li­täten zu klären. Ich kann momentan nicht genau sagen, wie es für uns wei­tergeht oder wann wir uns auf den Weg nach Hause machen können. Ver­mutlich werden wir aber am Wochenende nach dem 24. Februar losfahren.

Mir ist nach wie vor ziemlich lang­weilig. Morgens stehe ich in der Regel irgendwann zwi­schen neun und zehn Uhr auf und lade mir die neu­esten YouTube-Videos her­unter. Mal hat man Glück und es sind einige inter­es­sante Bei­träge vor­handen, mal hat man Pech und man muss sich mit weniger begnügen. Gegen zwölf Uhr gibt es Mit­tag­essen. Danach ruhe ich mich ent­weder aus oder spiele zusammen mit der Familie ein paar Runden Majong. Von 15 bis 20 Uhr arbeite ich. Im Anschluss gibt es Abend­essen. Danach wird meistens wieder gemeinsam Majong gespielt und hin­terher schauen sich meine Frau und ich noch eine Serie an.

Irgendwie muss ich die Zeit totschlagen!

19. Februar 2020

Als Erstes möchte ich ver­künden, dass es absolut nichts Inter­es­santes zu ver­künden gibt. Deshalb fasse ich die Situation zunächst kurz zusammen und berichte im Anschluss, wie ich die Zeit tot­schlage und welche unge­ahnten Wid­rig­keiten es dabei gibt. Wir sind nach wie vor alle gesund. Dabei meine ich nicht nur die unmit­telbare Ver­wandt­schaft, sondern auch den gesamten Bekann­ten­kreis. Immer wieder höre ich aus Deutschland von angeblich Mil­lionen von Infi­zierten, die von den chi­ne­si­schen Behörden ver­tuscht werden. Das kann ich mir über­haupt nicht vor­stellen, weil es meiner All­tags­er­fahrung völlig widerspricht.

Nach meinem letzten Beitrag kam es zu einem Sprung von knapp 15.000 Infi­zierten über Nacht. Dabei han­delte es sich jedoch nicht um Neu­in­fek­tionen. Es wurden lediglich zusätz­liche Kran­ken­häuser in die Sta­tistik auf­ge­nommen, bei deren Pati­enten vorher nur ein Ver­dacht vorlag, die defi­nitive Bestä­tigung jedoch aus­blieb. Der Trend der Epi­demie ent­wi­ckelt sich wei­terhin in eine sehr positive Richtung. Dennoch wird es noch viel Zeit brauchen, bis die Neu­in­fek­tionen gänzlich abgeebbt sind. In unserer Hei­mat­stadt gibt es – soweit wir wissen – keine Infi­zierten. Min­destens 2.000 beträgt deren Anzahl hier in Chibi.

Unglück­li­cher­weise bin ich seit Frei­tag­mittag auf einem meta­pho­ri­schen Auge blind. Die VPN ver­bindet selbst mit den emp­foh­lenen Servern nicht mehr. Solche Blo­ckier­ver­suche sind seitens der chi­ne­si­schen Regierung nicht unge­wöhnlich. Im letzten Jahr durch­lebte ich sie mehrfach. Ob gewollt oder nicht: Diesmal war der Zeit­punkt besonders ungünstig. Im immer­wäh­renden Katz- und Maus­spiel zwi­schen den hie­sigen Behörden und VPN-Anbietern ist an Wochen­enden meistens Pause. Somit kamen die ersten Ver­si­ons­ak­tua­li­sie­rungen erst am Montag. Diese funk­tio­nieren leider noch nicht, wes­wegen ich auf neue Updates warten muss.

Erwäh­nenswert ist außerdem, dass es letzte Woche geschneit hat. Schnee ist in der Provinz Hubei extrem selten und eigentlich hatte der Frühling bereits begonnen. Über den kurzen Win­ter­ein­bruch hatte ich mich durchaus gefreut. Da es in den Woh­nungen aller­dings keine Hei­zungen gibt, musste ich wohl oder übel ein wenig frieren. Übrigens haben wir nach wie vor mehr als genug zu Essen. Das liegt unter anderem daran, dass wir zahl­reiche Lebens­mit­tel­spenden aus anderen Pro­vinzen erhalten. Diese werden mus­ter­gültig ver­teilt. Wer kein Essen bekommt, kann sogar eine Hotline anrufen. Anschließend bekommt er eine Lieferung.

Da ich sowohl Buch als auch Hörbuch abge­schlossen hatte, musste ich mir eine neue Beschäf­tigung suchen. Oben­drein trübt der VPN-Ausfall meine Situation nochmals erheblich, da ich mir nicht einmal mehr YouTube-Videos ansehen kann – und die wenigen BVB-Spiele sind als Allein­un­ter­halter eher dürftig. Zum Glück hatte ich auf meinem Laptop noch ein paar Com­pu­ter­spiele instal­liert. In „Roller Coaster Tycoon 2“ baute ich zwei Frei­zeit­parks auf. Da ich dieses Spiel inzwi­schen ziemlich gut beherrsche, stellt es leider keine Her­aus­for­derung mehr dar. Der Weg zu einem gut lau­fenden Park ist immer dergleiche.

Auf Rat eines Freundes habe ich mit einem Pokémon-Game­boy­spiel ange­fangen, weil hierfür unheimlich viel Zeit drauf geht. In meiner Kindheit habe ich diese Spiele geliebt, wes­wegen mir diese Beschäf­tigung ein nost­al­gi­sches Gefühl bereitet. Ich besorgte mir zunächst einen Emu­lator für Android, also für mein Handy. Hin­terher lud ich „Pokémon Blattgrün“ (Remake der Ori­gi­nal­ver­sionen) her­unter. Beides erfor­derte etwas Mühe, weil in China zahl­reiche aus­län­dische Web­sites ohne VPN nicht anständig funk­tio­nieren. Bislang bin ich schon über 30 Stunden durch die vir­tuelle Welt gelaufen und es bereitet mir immer noch Freude.

Die Lage ent­spannt sich sehr langsam…

26. Februar 2020

In einem zurück­lie­genden Beitrag schrieb ich, dass die Qua­rantäne am 24. Februar even­tuell auf­ge­hoben würde. Das hat sich leider nur teil­weise bewahr­heitet. Wir können uns nach wie vor nicht ohne Wei­teres auf den Heimweg begeben, doch immerhin konnten wir einen wich­tigen Grund­stein für unsere Rück­reise legen. Inzwi­schen ist es möglich, einen Antrag auf Aus­reise zu stellen, was wir natürlich sofort gemacht haben. Sollte dieser genehmigt werden, dürfen wir die Qua­ran­tä­nezone ver­lassen. Die Chancen hierzu stehen gar nicht so schlecht. Meine Frau übt eine wichtige Tätigkeit im Bereich der Land­wirt­schaft aus.

Dass die Lebens­mit­tel­ver­sorgung in China aktuell höchste Prio­rität genießt, bedarf keiner wei­teren Erläu­terung. Aller­dings reicht eine Aus­rei­se­ge­neh­migung nicht aus. Der Ver­wal­tungs­kreis, in dem wir wohnhaft sind, lässt momentan nämlich nie­manden ohne ent­spre­chende Geneh­migung ein­reisen. Ergo müssen wir noch einen zweiten Antrag ein­reichen, der natürlich ebenso bewilligt werden muss. Nach erfolg­reicher Rückkehr werden wir schließlich erneut für zwei Wochen iso­liert. Ich hoffe inständig, dass wir diesen Zeitraum in unserer Wohnung ver­bringen dürfen. Alle anderen Mög­lich­keiten wären wirklich sehr unangenehm.

Letzten Mittwoch – kurz nachdem ich meinen Beitrag ver­öf­fent­licht hatte – bekam ich Kopf­schmerzen und mir wurde übel. Ich musste einige Stunden bei Dun­kelheit und Stille im Bett liegen, dann wurde es besser. Ich weiß nicht genau, was mir fehlte. Es war für eine kurze Zeit sehr unan­genehm, wurde aber schnell besser. Mög­li­cher­weise han­delte es sich um Migräne. Nor­ma­ler­weise habe ich keine Pro­bleme damit, aber meine gegen­wärtige Situation ist schließlich auch nicht normal. Richtig gesund fühle ich mich erst wieder seit dem Wochenende. Kein anderer aus der Familie wurde krank. Der Coro­na­virus war das sicherlich nicht.

Während die täg­lichen Neu­in­fek­tionen im Rest der Welt stetig steigen, gehen sie hier­zu­lande wei­terhin zurück. In den letzten beiden Tagen gab es sogar extrem wenige. So wie es aus­sieht, wird die Epi­demie in China zeitnah vorbei sein. Die Nach­wir­kungen werden jedoch noch einen län­geren Zeitraum anhalten. Auf­grund des mitt­ler­weile geringen Anste­ckungs­ri­sikos wagten wir am Sonntag einen Spa­ziergang. Wir hatten groß­ar­tiges Wetter. Nach über vier Wochen endlich nochmal die Wohnung zu ver­lassen, sich in fri­scher, warmer Luft frei zu bewegen und den Son­nen­schein im Gesicht zu spüren war einfach unheimlich wohltuend.

Dabei habe ich zum ersten Mal die zahl­reichen Stra­ßen­sperren gesehen, die überall auf­ge­stellt wurden. Mit dem Auto kommt man tat­sächlich keine 200 Meter weit. Die grö­ßeren Stra­ßen­sperren sind jeweils mit einem Poli­zisten besetzt, der in einem pro­vi­so­ri­schen Zelt unter­ge­bracht ist. Dieser lässt uns ver­mutlich nur pas­sieren, wenn wir einen geneh­migten Aus­rei­se­antrag vor­zeigen. Auch Orts­aus­gänge in klei­neren Sei­ten­straßen sind gesperrt – eigentlich sogar für Per­sonen. Natürlich findet sich zu Fuß trotzdem ein Weg heraus. Zumindest haben wir es an einer Stelle hinaus und an einer anderen Stelle wieder hinein geschafft.

Generell sind einige Men­schen auf den Straßen unterwegs oder befinden sich auf den Feldern, aber das Gesamtbild wirkt letzt­endlich trist und sogar ein wenig aus­ge­storben. Ein derart ruhiges Stadtbild kenne ich sonst eher aus Deutschland. In China ist Ruhe etwas völlig Unty­pi­sches. Zu meiner großen Freude hat meine Frau beim Her­um­kramen im Gerüm­pel­schrank eine Packung Kaffee gefunden. Ich war baff. Niemand wusste von diesem Kaffee, der sogar aus Deutschland zu stammen scheint. Der neue Vorrat sollte nun aus­reichen, bis wir wieder nach Hause fahren dürfen. Das gestaltet die rest­liche Zeit ein gutes Stück einfacher.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“