Lizenz zum Geld­drucken — Oder: Gäbe es den Kli­ma­wandel nicht – man müsste ihn erfinden!

Die Welt bleibt gefangen in einer großen Depression in Zeitlupe. Gut, dass es den Kli­ma­wandel gibt, mit dem sich radikale Maß­nahmen zur Ankur­belung der Welt­wirt­schaft recht­fer­tigen lassen.

Ein ent­täu­schendes Jahr­zehnt liegt hinter der Welt­wirt­schaft. Überall blieb das Wachstum deutlich hinter den Erwar­tungen zurück. Ein Ver­gleich des „Trend­wachstums“ – also der Ent­wicklung der Wirt­schaft, wenn alles so weiter gegangen wäre wie vor der Krise – mit der tat­säch­lichen Ent­wicklung zeigt einen dra­ma­ti­schen Wohlstandsverlust.

Für die USA beläuft sich der Verlust nach Berech­nungen der Rabobank auf rund vier Bil­lionen US-Dollar, was rund 20 Prozent des lau­fenden BIP ent­spricht. Das ist unge­wöhnlich, weil die US-Wirt­schaft sich von allen vor­an­ge­gan­genen Rezes­sionen – inklusive Platzen der Dotcom-Blase 2000 – immer voll­ständig erholt hat.

In der Eurozone sieht es noch schlechter aus. Auf 3,5 Bil­lionen Euro wird der soge­nannte Output-Gap geschätzt, relativ noch mehr als in den USA. Schlimmer noch: Wenn man den Zeitraum seit 2000 betrachtet, könnte man sogar zum Schluss kommen, dass sich die Eurozone, abge­sehen von der kurzen Aus­nahme der Jahre 2006/2007, schon seit zwei Jahr­zehnten im Nie­dergang befindet.

Deutschland die Aus­nahme? Nun, das denken nur die Deut­schen, die in der Tat ein paar gute Jahre erlebten – ver­ur­sacht durch bil­liges Geld und den schwachen Euro. Trotzdem liegt selbst hier­zu­lande das BIP um rund 700 Mil­li­arden unter dem Niveau, das sich beim Fort­schreiben des Vor­kri­sen­trends ergeben hätte.

Depression in Zeitlupe

Diese ent­täu­schende Ent­wicklung haben wir trotz des his­to­risch ein­ma­ligen Bemühens der Noten­banken, zu sti­mu­lieren. Die Bilanzen der Noten­banken der west­lichen Welt haben sich seit 2009 von rund vier Bil­lionen auf über 16 Bil­lionen ver­vier­facht. Die Zinsen sind eben­falls deutlich zurück­ge­gangen. Prak­tisch überall liegen sie unter dem Niveau von vor zehn Jahren. Jeder Versuch, das Zins­niveau anzu­heben und aus der Politik der Bilanz­aus­weitung aus­zu­steigen, ist bisher kläglich gescheitert. Die EZB beschloss noch unter Mario Draghi weitere Wert­pa­pier­käufe, die US-Fed musste unter dem Ein­druck hef­tiger Span­nungen am Markt für kurz­fristige Finan­zie­rungen massiv inter­ve­nieren und weitet zurzeit die eigene Bilanz schneller aus als noch zum Höhe­punkt der Finanzkrise.

Dies kann bei nüch­terner Betrachtung nicht über­ra­schen. Die Ursache jeder Krise ist der vor­an­ge­gangene Boom. Dabei fällt die Krise umso schärfer aus, je mehr Schulden gemacht und je mehr falsche Inves­ti­tionen mit diesem Geld getätigt wurden. 2009 war es vor­der­gründig die Krise im ame­ri­ka­ni­schen Immo­bi­li­en­markt, wo mit zu vielen Schulden zu viele Häuser gebaut und gehandelt wurden. In Wahrheit war es die Krise eines Systems, das bereits seit Anfang der 1980er-Jahre auf immer mehr Schulden ange­wiesen war, um sta­gnie­rende Ein­kommen und abneh­mende Pro­duk­ti­vi­täts­fort­schritte zu kom­pen­sieren. Befördert wurde sie von einem Geld­system, in dem Banken weit­gehend unbe­grenzt neues Geld schaffen können und Noten­banken nur zu bereit­willig bei jeder kleinen Krise die Zinsen gesenkt haben. Ein wahres Ponzi-Schema, das darauf beruht, immer mehr Schulden zu gene­rieren, um die bestehenden Schulden bedienbar zu halten.

Als das Ponzi-Schema 2009 zu kol­la­bieren drohte, waren die Schulden der west­lichen Welt schon zu hoch und die Fehl­in­ves­ti­tionen zu eklatant. Statt eine Berei­nigung der faulen Schulden und der Über­ka­pa­zi­täten zuzu­lassen, wurde die Krise, die durch zu bil­liges Geld und zu viele Schulden aus­gelöst wurde, durch noch bil­li­geres Geld und noch mehr Schulden bekämpft. Prak­tisch überall liegt die Gesamt­ver­schuldung von Staaten und Pri­vaten über dem Niveau von 2007. Die Weltbank warnt in ihrem jüngsten Bericht laut­stark vor den Folgen dieser weiter gestie­genen Ver­schuldung und sieht erheb­liche Risiken für eine erneute Finanzkrise.

Lösen kann die Politik bil­ligen Geldes und weiter stei­gender Ver­schuldung die Pro­bleme offen­sichtlich nicht. Statt­dessen erleben wir eine Depression in Zeitlupe mit erheb­lichen Neben­wir­kungen. Die frische Liqui­dität für zu neuen Blasen an den Märkten für Ver­mö­gens­werte – Wall Street und auch deutsche Immo­bilien – und ver­schärft so die wahr­ge­nommene Ungleichheit in der Vermögensverteilung.

Zugleich sta­gniert die Pro­duk­ti­vi­täts­ent­wicklung und damit die Lohn­ent­wicklung für breite Bevöl­ke­rungs­schichten. Kein Wunder also, dass der Zuspruch für Popu­listen in der west­lichen Welt so hoch ist, wie seit den 1930er-Jahren nicht mehr.

Vor 90 Jahren war es nicht anders

Als im Jahre 2008 die Welt­wirt­schaft kol­la­bierte, ver­glichen die Öko­nomen Barry Eichen­green und Kevin O’Rourke den Ein­bruch mit der Großen Depression der 1930er-Jahre. Das alar­mie­rende Bild: Bei jedem wich­tigen Indi­kator wie Indus­trie­pro­duktion, Welt­handel und Akti­en­märkte war der Absturz dra­ma­ti­scher als 80 Jahre zuvor. Bekanntlich kam es zu keiner neuen großen Depression, weil Staaten und Noten­banken massiv inter­ve­niert haben. Doch nun zeigt sich, dass es nicht genügt, auf Zeit zu spielen. Wir brauchen dras­ti­schere Maßnahmen.

Hier lohnt der Blick in die Geschichte: Die Große Depression der 1930er-Jahre wurde erst über­wunden, als die Staaten dazu über­gingen, ihre Aus­gaben massiv zu erhöhen. Vor­reiter war damals Japan, wo der Chef der Notenbank Taka­hashi Korekiyo mit seiner Politik ent­scheidend dazu beitrug, dass das Land die Krise schnell überwand. Sein Rezept: Aufgabe der Gold­bindung, tiefere Zinsen und die direkte Finan­zierung des Staates, der mit höheren Aus­gaben die Kon­junktur ankur­belte. Die USA und auch Nazi-Deutschland folgten diesem Vorbild später. Noten­bank­fi­nan­zierte Kon­junk­tur­pro­gramme waren also die Lösung. Kein Wunder, dass von immer mehr Seiten der Ruf laut wird, mehr Staats­aus­gaben zu tätigen und dabei auch – wie beim his­to­ri­schen Vorbild – dazu über­zu­gehen, dass die Noten­banken die Staaten direkt finanzieren.

Aller­dings muss man auch kon­sta­tieren, dass die Indus­trie­länder die Depression letztlich erst durch den Zweiten Welt­krieg über­wanden. Dies gilt gerade auch für die USA. Nicht wenige Beob­achter befürch­teten deshalb vor zehn Jahren, dass sich die damalige Kata­strophe wie­der­holen würde. Zum Glück war das nicht der Fall und es spricht auch wenig dafür, dass Krieg die einzige Mög­lichkeit ist, die Sta­gnation der letzten Jahre – ich nenne es Eiszeit – zu überwinden.

Gegen einen erneuten Krieg spricht allein schon die demo­gra­fische Ent­wicklung, wie For­schungen von Pro­fessor Gunnar Heinsohn zeigen. Nur Gesell­schaften mit starkem Bevöl­ke­rungs­wachstum, wo die nach­fol­gende Gene­ration keine Per­spek­tiven für sich sieht, neigen zu Krieg, Bür­ger­krieg und Terror. Da die gesamte west­liche Welt und auch China vor einem Rückgang der Bevöl­kerung stehen, ist von dieser Seite keine Gefahr zu erwarten. Dass es in anderen Regionen, namentlich in Afrika und dem Nahen Osten anders aus­sieht, ist ein erheb­liches Problem, aber nicht Thema an dieser Stelle.

Green Deal statt Krieg

Doch warum hat es vor 90 Jahren letztlich eines Krieges bedurft, um die Krise zu über­winden? Es ging im Kern darum, vor­han­denes Ver­mögen – Maschinen, Anlagen – zu ent­werten (nicht unbe­dingt durch Zer­störung, sondern durch die rasche Inves­tition in bessere Tech­no­logien etc.) und damit die Grundlage für neue Nach­frage zu schaffen, die dann über die staat­lichen Kon­junk­tur­pro­gramme und die Aus­weitung der Geld­menge finan­ziert wurde.

Der Kampf gegen den Kli­ma­wandel funk­tio­niert im Kern genauso:

  • Die Abkehr von fos­silen Brenn­stoffen führt zu einer Ent­wertung vor­han­denen Ver­mögens bei Unter­nehmen und Pri­vaten: Ölraf­fi­nerien, Auto­mo­bil­her­steller, Auto­fahrer, Ölhei­zungs­nutzer, Immo­bi­li­en­be­sitzer – sie alle stehen vor einer deut­lichen Reduktion ihres Ver­mögens. Jede Politik, die den Ausstoß von CO2 bestraft, führt öko­no­misch zu einer Min­derung des Ver­mögens bei den­je­nigen, die CO2 verursachen.
  • Daraus erwächst der Zwang zu neuen Inves­ti­tionen: Lade­sta­tionen statt Tank­stellen, Elek­tro­autos statt Ver­bren­nungs­motor, Wär­me­pumpe und Solar- statt Ölheizung …
  • Worauf der Staat mit ent­spre­chender För­derung reagiert: direkte Inves­ti­tionen, Sub­ven­tio­nierung von neuen Tech­no­logien, For­schungs­för­derung. Ange­sichts des enormen Umbaus sprechen wir hier von Beträgen in Bil­lio­nenhöhe. So rechnet der BDI mit Kosten von 1,5 bis 2,3 Bil­lionen Euro allein für Deutschland und unter der Annahme, dass alle Inves­ti­tionen effi­zient durch­ge­führt werden.
  • Diese gigan­ti­schen Beträge werden sich nicht durch Umschichten in den Staats­haus­halten mobi­li­sieren lassen. Steu­er­erhö­hungen werden eben­falls nicht aus­reichen. Hinzu kommen noch die unge­deckten Ver­sprechen für Renten und Gesund­heits­ver­sorgung der Boo­mer­ge­ne­ration, die in diesem Jahr­zehnt in Rente gehen will. (Deutschland müsste ab sofort 58 Mil­li­arden Euro zusätzlich dafür sparen)
  • Womit die Noten­banken ins Spiel kommen. Intel­lek­tuell schon lange vor­be­reitet, beginnt die nächste Phase: die direkte Finan­zierung der Staaten durch die Notenbanken.

In Europa laufen die Vor­be­rei­tungen. Christine Lagarde, neue Chefin der EZB hat nicht nur in ihrer Rolle als Chefin des Inter­na­tio­nalen Wäh­rungs­fonds ent­spre­chend „engere Koor­di­nation“ von Fiskal- und Geld­po­litik ange­mahnt, sie hat schon bei ihrer Anhörung im Euro­pa­par­lament, den Kampf gegen den Kli­ma­wandel zu einem Ziel der EZB erklärt. Zwar steht in den Sta­tuten der EZB lediglich, dass die EZB auf den Geldwert achten soll. Aber was soll es? Es wäre nicht das erste Mal, dass die Ver­träge der Eurozone über­gangen werden. Ich erinnere an die No-Bailout-Klausel, die schon 2011 über Bord geworfen wurde.

Denn was bedeutet es, wenn die EZB gegen den Kli­ma­wandel kämpft? Scherzhaft sage ich immer, es wird wohl nicht darin bestehen, die Euro­noten ab sofort auf Alt­papier zu drucken oder auf dem Dach des EZB-Turms Solar­zellen zu mon­tieren. Auch die offi­zielle Idee „grüne Invest­ments“ bei den Wert­pa­pier­käufen und der Bank­re­gu­lierung gegenüber „braunen Invest­ments“ bes­ser­zu­stellen (und Letztere noch zusätzlich zu bestrafen) dürfte nicht viel bringen. Bei Nega­tiv­zinsen ist es für Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen herzlich egal, ob der Kredit ein Prozent mehr oder weniger kostet.

Deshalb ist klar, was gemeint ist. Christine Lagarde wird in die Fuß­stapfen von Taka­hashi Korekiyo treten und in die direkte Finan­zierung des Green Deals ein­steigen. Ursula von der Leyen hat ihrer­seits mit der Ankün­digung des Green Deals mit einem Volumen von einer Billion auf zehn Jahre (warum nicht gleich fünf Bil­lionen?) begonnen, die Vor­aus­setzung zu schaffen, den Geld­segen der EZB in die Wirt­schaft zu bekommen.

Damit dürfte es gelingen, den CO2-Ausstoß deutlich zu senken und gleich­zeitig das Problem der öko­no­mi­schen Eiszeit zu über­winden. Übrigens rechne ich nicht mit Wider­stand aus der Politik, auch nicht aus Deutschland. Dies liegt am breiten Konsens in Medien und Öffent­lichkeit, dass dringend mehr gegen den Kli­ma­wandel getan werden muss. Eine absehbare Regierung hier­zu­lande unter Betei­ligung oder Führung der Grünen, würde begeistert mitmachen.

Bedau­erlich ist, dass die EU dem (nicht guten) deut­schen Vorbild folgt und beim Umbau der Wirt­schaft in Richtung Kli­ma­neu­tra­lität voll auf Plan­wirt­schaft setzt. Als würden Poli­tiker und Büro­kraten in Brüssel besser wissen, wie sich CO2 ein­sparen lässt, als der Markt. Richtig wäre, den Preis für CO2 deutlich zu erhöhen und im Gegensatz Bürger und Wirt­schaft dras­tisch zu ent­lasten. Gern auch ver­bunden mit der von mir schon früher ange­regten Zahlung von 10.000 Euro an jeden Bürger. Statt­dessen gehen wir den wohl inef­fi­zi­en­testen und auch inef­fek­tivsten Weg, der Europa im inter­na­tio­nalen Wett­bewerb weiter zurück­werfen wird.

Wie groß das Potenzial ist, über Inno­va­tionen den Wohl­stand zu steigern und zugleich etwas für die Umwelt zu tun, zeigt bei­spiels­weise der Zukunfts­for­scher Tony Seba. Jene Regionen, die diesen Weg gehen und statt Geld für die Ver­gan­genheit aus­zu­geben – Bei­spiel 40 bis 80 Mil­li­arden für den Koh­le­aus­stieg, der zudem dem Klima nicht hilft – werden die Gewinner sein und sich Märkte der Zukunft sichern.

Endlich Inflation!

Es mag noch ein paar Jahre dauern, bis das hier dar­ge­legte Sze­nario ein­tritt. Sicher ist, dass es in diesem Jahr­zehnt soweit sein wird. Nicht unbe­dingt wegen der Dring­lichkeit des Kli­ma­wandels, sondern wegen der sozialen und poli­ti­schen Folgen anhaltend geringen Wachstums. Man denke nur an Italien: Nachdem in Italien schon von 2000 bis 2009 das Wachstum gering war, hat sich das Land bis heute nicht von der Krise erholt. Das BIP liegt auf dem Niveau von 2002: Kein reales Wirt­schafts­wachstum für fast 20 Jahre! Ver­glichen mit dem Trend fehlen beein­dru­ckende 1000 Mil­li­arden bei einem Ist-BIP von 1600 Mil­li­arden. Lange werden die Ita­liener ange­sichts dieser Umstände nicht mehr frei­willig im Euro mitmachen.

Sobald die EZB anfängt, direkt zu finan­zieren, können wir fest damit rechnen, dass die Politik Gefallen finden wird am Zugriff auf fri­sches Geld. Warum nicht auch für die Finan­zierung der Sozi­al­systeme auf die Hilfe der EZB zurück­greifen? Vor allem, wenn – wie zu erwarten – die Inflation zunächst tief bleibt, dürften diese Wünsche erhört werden.

Am Ende wird sie aber kommen, die Inflation. Auch nicht uner­wünscht, ist es doch schon seit zehn Jahren das Ziel aller Bemü­hungen, die Schulden durch höhere Inflation aus der Welt zu bekommen. Schon jetzt kün­digen die Noten­banken an, zunächst gegen eine solche Inflation nichts zu unter­nehmen. Zunächst müsste die Inflation nach­geholt werden, die in den letzten Jahren gefehlt hat.

Das war übrigens auch im Japan der 1930er-Jahre der Fall. Die Inflation zog deutlich an. Taka­hashi Korekiyo erlebte das aller­dings nicht mehr. Er wurde 1936 von japa­ni­schen Militärs ermordet – weil er die direkte Staats­fi­nan­zierung nicht mehr fort­setzen wollte.


Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com