Die Zins­wende ist abge­blasen, was kommt jetzt?

Für all jene, die sich intensiv mit den Finanz­märkten aus­ein­an­der­setzen oder beruflich mit ihnen zu tun haben, war der Dezember 2018 ein hoch­in­ter­es­santer, geradezu dra­ma­ti­scher Monat, nicht nur auf­grund dessen, was pas­siert ist, sondern vor allem auf­grund dessen, was hätte pas­sieren können.

(von Fer­dinand Lengsfeld)

Die Wirt­schaft ist 2018 in den Ver­ei­nigten Staaten im zweiten und dritten Quartal um knapp 3% gewachsen, die Arbeits­lo­sigkeit war gering und das Ver­brau­cher­ver­trauen hoch. Diese makro­öko­no­mi­schen Daten waren für Jerome Powell, Prä­sident der ame­ri­ka­ni­schen Notenbank FED, Grund genug, die Zinsen kon­ti­nu­ierlich anzu­heben. Im Oktober 2018 sagte er, die FED sei „a long way from a neutral rate“ und im Dezember beschrieb er die Zins­er­hö­hungen „as being on autopilot“.

Für viele Kri­tiker der Politik der Zen­tral­banken war dies ein inter­es­santer Moment. War die Kritik even­tuell doch unbe­rechtigt? War es im Nach­hinein doch die richtige Stra­tegie, die Zinsen auf 0% zu senken und anschließend in einer Phase stär­keren Wachstums wieder vor­sichtig anzuheben?

Der Heilige Abend läutete das Ende der Zins­er­hö­hungen ein

Aus dem vor­sich­tigen Anheben wurde dann aber nichts. Was sich nämlich anschließend in der zweiten Dezem­ber­hälfte abspielte, war filmreif. Die Finanz­märkte waren durch Powells ris­kante Hoch­zins­po­litik ohnehin ange­spannt. Was noch hin­zukam, war der eska­lie­rende Han­dels­streit zwi­schen den USA und China. Täglich wurden über Twitter Neu­ig­keiten über die Ver­hand­lungen bekannt. Der Grund­tenor war über­wiegend negativ. USA und China erhöhten gegen­seitig die Zölle und griffen sogar zu noch wei­teren Optionen, um den Gegner zu schwächen. So nutzte China zum Bei­spiel seine Mono­pol­stellung bei den Sel­tenen Erden aus, und dros­selte deren Export.

Die ‚Mini-Panik‘ von 2018 mar­kierte das Ende der Zins­er­hö­hungen und man kehrte von da an langsam wieder zurück in den sicheren Hafen der Politik des bil­ligen Geldes

Für Powell war dies keine ein­fache Situation. Stei­gende Zinsen sowie ein Han­dels­streit mit China könnten zu viel sein für die Märkte. Am 23. Dezember 2018 kam es dann zu einer wei­teren skur­rilen Szene: Finanz­mi­nister Mnuchin traf sich mit den CEOs der großen Banken und ver­kündete anschließend, dass die Banken sehr gut kapi­ta­li­siert seien. Das Problem an der Aussage war nicht der Inhalt, sondern vielmehr die Tat­sache, dass er die Kapi­ta­li­sierung über­haupt ange­sprochen hat. Das war eine Szene, die sehr starke Erin­ne­rungen an 2007/08 her­vor­ge­rufen hat, als sich der damalige Finanz­mi­nister Hank Paulson eben­falls häufig mit den Ban­ken­chefs treffen musste.

Am 24. Dezember 2018 fiel der Dow Jones dann nochmals um knapp 3%. Die wich­tigsten inter­na­tio­nalen Indizes rutschten in einen Bären­markt (minus 20% vom All­zeithoch) und an den Finanz­märkten drohte Panik aus­zu­brechen. Diese „Mini-Panik“ von 2018 mar­kierte dann auch das Ende der Zins­er­hö­hungen und man kehrte von da an langsam wieder zurück in den sicheren Hafen der Politik des bil­ligen Geldes.

Die Zen­tral­banken fürchten die Panik an den Finanzmärkten

Was pas­siert wäre, wenn Powell die Zinsen doch auf „auto­pilot“ erhöht hätte, weiß keiner. Die Ver­mutung liegt jedoch nahe, dass es zu dra­ma­ti­schen Kor­rek­turen an den Akti­en­märkten geführt hätte, und die Welt­wirt­schaft in eine Rezession gerutscht wäre.Stattdessen wurden die Zinsen 2019 wieder gesenkt und die Bilanz der Zen­tralbank wurde stark aus­gebaut. Die Akti­en­märkte erreichten im Laufe von 2019/20 mehrere All­zeit­hochs und Trump jubelte begeistert auf Twitter mit.

Eine erneute Auf­nahme der Zins­er­hö­hungen wird zurzeit von keiner Zen­tralbank auf der Welt in Aus­sicht gestellt. Für viele hat 2018 statt­dessen gezeigt: Es ist unmöglich, die Zinsen wieder auf ein nor­males Niveau zu bringen, ohne dass es zu enormer Panik an den Finanz­märkten kommt. Und immer wenn es Panik an den Finanz­märkten gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich diese auf die Real­wirt­schaft aus­breitet. Derzeit scheint keine Zen­tralbank den Mut zu haben, diese Phase der Panik für den Preis eines nor­ma­li­sierten Zins­ni­veaus in Kauf zu nehmen.

Hinzu kommt, dass die Vor­aus­set­zungen wesentlich schlechter sind als noch 2018. Das Wirt­schafts­wachstum hat sich in den Ver­ei­nigten Staaten abge­kühlt, die wach­senden Aus­sichten des Kan­di­daten Bernie Sanders und das neu­artige Coro­na­virus sind zusätz­liche Belastungsfaktoren.

Uns erwarten bisher unbe­kannte Szenarien

Wir müssen also Fol­gendes als sehr wahr­scheinlich fest­halten: Die Zinsen werden während des „Auf­schwungs“ nicht mehr ange­hoben, und daher wird die nächste Rezession nicht mit Zins­sen­kungen abge­mildert werden können. Eine Situation, wie es sie in diesem Ausmaß noch nie gegeben hat.

Welche Sze­narien uns künftig erwarten, wird in Fach­kreisen bereits lei­den­schaftlich dis­ku­tiert. Viele ver­muten den Einsatz von sog. Heli­ko­ptergeld, also eine Extrem­maß­nahme der Noten­banken, um die Liqui­dität zu erhöhen, was unaus­weichlich eine stark stei­gende Inflation nach sich ziehen würde. Ein Blick auf jüngste Ereig­nisse in Hongkong zeigt: Dieses Sze­nario findet bereits in Ansätzen Anwendung.

Andere ver­muten Zustände wie in Japan. Dort droht bereits eine Rezession und die Zinsen sind bei Null. Die außer­ge­wöhn­lichen Aus­wir­kungen sind alles andere als schön. Holger Zsch­äpitz  beschreibt sie in der WELT: „Viele (Japaner) haben nach den tra­di­tionell langen Arbeits­tagen schlicht keine Lust mehr oder emp­finden Part­ner­schaft und Geschlechts­verkehr generell für zu kom­pli­ziert. Auf die Sex-Ver­wei­gerung folgt nun die Kon­sum­ver­wei­gerung. Im vierten Quartal haben Japaner zwei Prozent weniger gekauft als in den drei Monaten zuvor, auf annua­li­sierter Basis brach der Konsum um nicht weniger als acht Prozent ein.“

Zins­er­hö­hungen, und damit ein Zurück­kehren zum ‚nor­malen Zins­zyklus‘, sind unrea­lis­tisch. Darüber hinaus ist eine Rezession in den kom­menden Jahren höchstwahrscheinlich

Japan ist für viele ein Nega­tiv­bei­spiel, das die Kon­se­quenzen einer lang­fris­tigen Null­zins­po­litik sichtbar macht. Die „Japa­nische Sklerose“ ist schon seit Langem ein Begriff unter Ana­lysten. Damit werden meist ver­schiedene Fak­toren zusam­men­ge­fasst: Sta­gnie­rende Real­löhne, wach­sende Schulden, aus­blei­bendes Wirt­schafts­wachstum und sogar weit­rei­chendere kul­tu­relle Folgen wie die von Zsch­äpitz angesprochenen.

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Fest­halten lässt sich Fol­gendes: Zins­er­hö­hungen, und damit ein Zurück­kehren zum „nor­malen Zins­zyklus“, sind unrea­lis­tisch. Darüber hinaus ist eine Rezession in den kom­menden Jahren höchst­wahr­scheinlich. Die Ver­ei­nigten Staaten befinden sich mitt­ler­weile im 129. Monat eines wirt­schaft­lichen Auf­schwungs, des längsten seit 1854, dem Beginn der US-Geschichts­schreibung für Kon­junktur. (Die Zahlen sind etwa beim National Bureau of Eco­nomic Research öffentlich zugänglich.) Auf eine Rezession wird es mit Sicherheit eine Reaktion von­seiten der Politik bzw. der Zen­tralbank geben. Wie genau diese Reaktion dann aus­sieht und welches der Sze­narien ein­tritt, das bleibt abzuwarten.

Mehr Eigen­ver­ant­wortung der Sparer wird nötig sein

Was wir aber tun können, ist uns klar zu machen, welche unmit­tel­baren Folgen die end­gültige Fort­führung der Null­zins­po­litik hat. Die für Sparer ein­deutig wich­tigste Folge sind wahr­scheinlich die Nega­tiv­zinsen und die damit ver­bundene Frage, was mit dem eigenen Ersparten gemacht werden soll. Dass Nega­tiv­zinsen von immer mehr Geld­in­sti­tuten ein­ge­führt werden, ist offen­sichtlich. Hier müssen sich Sparer Ver­gleichs­por­talen bedienen, um den Nega­tiv­zinsen ggf. aus­zu­weichen. Banken werden aber auch andere Wege suchen, um Geld zu ver­dienen. Seien das Gebühren für das Giro­konto, unge­fragte Kon­to­auszüge, stei­gende Trans­ak­ti­ons­kosten für den Erwerb von Wert­pa­pieren etc.

Auf­grund der Nega­tiv­zinsen fällt es den Pri­vat­kun­den­sparten der Groß­banken schlicht immer schwerer, noch pro­fi­tabel zu wirt­schaften. Ein Beitrag der WELT mit dem zuge­spitzten Titel „Wenn der Kunde der Bank nur noch lästig ist“ legt die Misere offen. Mit vielen Kunden, die einem Unter­nehmen ja nor­ma­ler­weise den Profit bringen, wird schlichtweg zu wenig Geld ver­dient, um die Kosten zu über­treffen. Beliebter Weg um auf diesen Ertrags­druck zu reagieren sind Stel­len­kür­zungen. Die Lan­desbank Hessen-Thü­ringen (Helaba) hat erst vor wenigen Tagen ange­kündigt, 400 Arbeits­plätze abzu­bauen. Der Chef der Bank, Herbert Hans Grüntker, bezeichnet den Abbau sogar als „alter­na­tivlos“.

Sicher ist: Die Banken werden es auch in den kom­menden Jahren nicht leicht haben, Geld im Pri­vat­kun­den­ge­schäft zu ver­dienen, und daher müssen sich Kunden neben den poten­ti­ellen Nega­tiv­zinsen auf Pri­vat­ein­lagen auch auf zusätz­liche Kosten ein­stellen. Glück­li­cher­weise gibt es – zumindest aktuell – noch sehr viele Institute, die für Pri­vat­kunden sehr attraktive Kon­di­tionen bieten. Hier ist etwas Due Dili­gence von Seiten der Sparer gefragt.

Fakt ist auch: Sparer müssen heut­zutage wesentlich mehr Eigen­ver­ant­wortung über­nehmen. Es gibt keine „sicheren“ Zinsen mehr, die die Inflation aus­gleichen. Und es wird diese auch in der nahen Zukunft nicht mehr geben. Leider ist die Geld­anlage in andere Ver­mö­gens­werte eben­falls kein Kin­der­spiel. Lösungen für diese Fragen kann und will ein Artikel diesen Umfangs nicht ansprechen. Wie gesagt: An Eigen­ver­ant­wortung und Eigen­in­itiative führt kein Weg vorbei.

Auf dem makro­öko­no­mi­schen Level sollte die nächste Zeit eben­falls sehr inter­essant werden. Der neu­artige Coro­na­virus stellt die Wirt­schaft vor eine zusätz­liche Belas­tungs­probe. Eine poten­tielle Wahl Bernie Sanders zum US-Prä­si­denten wäre eben­falls eine Belastung. Viel­leicht werden wir also schon wesentlich früher als gedacht sehen, wie die Zen­tral­banker trotz Null­zinsen auf einen Abschwung oder auf eine Panik an den Finanz­märkten reagieren werden.


Quelle: austrian-institute.org