Immer mehr Geld ist keine Lösung

André de Godoy, ein bra­si­lia­ni­scher Jour­nalist von der Mackenzie-Uni­ver­sität in São Paulo, inter­viewte den Ökonom Pro­fessor Dr. Antony Mueller zu den Ursachen und Folgen der Kre­dit­aus­weitung sowie den Zusam­menhang zwi­schen Kredit, Geld und Preisinflation.

Herr Mueller, bitte erläutern Sie den Zusam­menhang zwi­schen Geld­menge, Preis­niveau und wirt­schaft­licher Aktivität …

Die Geld­menge bestimmt lang­fristig das Preis­niveau. Ob die Preise steigen oder fallen, hängt von der rela­tiven Ver­än­derung des Geld­um­laufs im Ver­gleich zur Ver­än­de­rungsrate des Waren­an­gebots ab. Man muss jedoch berück­sich­tigen, dass der Prozess der Geld­schöpfung durch die Zen­tralbank, von der soge­nannten „Geld­basis“ bis zu den Aus­wir­kungen auf die Wirt­schaft in Bezug auf die Nach­frage lang ist und eine Reihe von Variablen enthält. Diese Schalt­stellen des Geld­im­pulses können zusam­men­ar­beiten und den ursprüng­lichen Impuls ver­stärken oder sie können gegen­ein­ander wirken. Lassen Sie mich ein Bei­spiel geben: In den letzten zwölf Jahren haben die wich­tigsten Zen­tral­banken die Politik der „quan­ti­ta­tiven Lockerung“ prak­ti­ziert, die ihre Bilanz um den Faktor fünf erweitert hat. In den USA stieg die Geld­basis von 830 Mil­li­arden US-Dollar im Januar 2008 auf über vier Bil­lionen US-Dollar im Sep­tember 2014 und liegt derzeit im Januar 2020 bei 3,4 Bil­lionen US-Dollar. Dieser dras­tische Anstieg hat jedoch nicht zu einer Preis­in­flation bei den Kon­sum­gütern geführt und die Wirt­schafts­tä­tigkeit nur mäßig sti­mu­liert. Der Grund dafür ist, dass der Geschäfts­ban­ken­sektor nur einen Teil dieses Basis­geldes in Umlauf gebracht hat und die Wirt­schafts­ak­teure die Trans­ak­ti­ons­ge­schwin­digkeit ver­ringert haben. Für das Geld­ag­gregat M1 hal­bierte sich die Geschwin­digkeit von 10,6 Anfang 2008 auf 5,5 im vierten Quartal 2019.

Autoren wie Ludwig von Mises und Milton Friedman halten Inflation für ein mone­täres Phä­nomen. Ich habe jedoch gehört, dass es möglich ist, den Geld­umlauf zu erhöhen, ohne negative Aus­wir­kungen auf die Wirt­schaft zu haben, da Infla­ti­ons­ef­fekte durch die Anpassung des Zins­satzes gesteuert werden könnten. Ist das wahr oder nur ein Heilmittel?

Dies ist eine sehr konfuse Ansicht. Welchen Sinn macht es, die Geld­menge zu erweitern und dann zu ver­suchen, sie durch Erhöhung des Zins­satzes wieder zu redu­zieren? Das Ergebnis einer solchen Politik sind Markt­tur­bu­lenzen und Ver­wirrung. Es ist Inter­ven­tio­nismus der schlimmsten Art. Warum sollte die Geld­menge über­haupt steigen? Wenn das Geld­an­gebot kon­stant bleibt und die Pro­duk­ti­vität in der Wirt­schaft steigt, fallen die Preise. Das ist eine vor­teil­hafte Deflation. Warum sollte man sich beschweren, wenn die Waren für die Ver­braucher bil­liger werden? Der ent­schei­dende Punkt ist, ob eine Preis­de­flation ent­weder auf­grund von Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rungen in der Wirt­schaft langsam erfolgt oder abrupt als starker Liqui­di­täts­rückgang auf­grund einer Finanz­markt­krise stattfindet.

Warum ver­suchen die Zen­tral­banken, die Geld­menge zu manipulieren?

Zen­tral­banker haben eine tief­sit­zende Angst vor Preis­de­flation. Sie gehen davon aus, dass eine Preis­de­flation zu einem wirt­schaft­lichen Rückgang führen wird. Wenn die Zen­tral­banken das System jedoch in Ruhe gelassen hätten, würde eine solche Deflation nur sehr all­mählich ver­laufen und als solche nicht nur nicht schädlich, sondern vor­teilhaft für die Wirt­schaft sein, in erster Linie für die Ver­braucher. Wenn die Zen­tral­banken ein­greifen und die Geld­menge erweitern und, wie es heute der Fall ist, eine „Null­zins­po­litik“ (ZIRP) oder sogar eine „Nega­tiv­zins­po­litik“ (NIRP) betreiben, ent­steht eine Spannung zwi­schen der natür­lichen Tendenz der Preise zu fallen auf­grund von Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rungen und der infla­tio­nären Geld­menge. Es ent­steht eine tiefe Dis­krepanz zwi­schen der mensch­lichen Zeit­prä­ferenz und dem mone­tären Zinssatz, das heißt zu dem Zinssatz, der auf einem freien Markt ohne Inter­ven­tionen der Zen­tral­banken sich ein­stellen würde. Diese Dis­krepanz ist nicht viel anders als jene, die auf­tritt, wenn der Staat in die Preis­bildung von Gütern ein­greift. Die rela­tiven Preise reflek­tieren dann nicht mehr die Prä­fe­renzen der Kon­su­menten und es kommt zu wirt­schaft­lichen Stö­rungen bei der Güterversorgung.

Wäre eine stabile Geld­menge für die Wirt­schaft nicht zu starr?

Man muss bedenken, dass ein fal­lendes oder stei­gendes Preis­niveau das Ergebnis der Dif­ferenz zwi­schen der Ände­rungsrate des Waren­an­gebots, des Geld­be­stands und der Umlaufs­ge­schwin­digkeit, das heißt der Schnel­ligkeit der wirt­schaft­lichen Trans­ak­tionen, ist. Das Wäh­rungs­system hat eine natür­liche Elas­ti­zität. Selbst wenn die Geld­menge an eine feste Ver­sorgung mit Zen­tral­bankgeld gebunden wäre, würden Aus­deh­nungen und Kon­trak­tionen bei den gesamt­wirt­schaft­lichen Aus­gaben und dem nomi­nalen Volks­ein­kommen statt­finden. Geld hat lose Gelenke, aber wenn die Geld­basis stabil ist, hat das System einen bestimmten Anker. Unter einem Gold­standard zum Bei­spiel besteht eine Elas­ti­zität des Geldes, selbst wenn der Gold­be­stand kon­stant ist. Anders als wir heute jedoch beob­achten, sind unter einem Gold­standard keine lang­fris­tigen und extremen Abwei­chungen möglich. Wir müssen unser gegen­wär­tiges Wäh­rungs­system ändern, das sehr dys­funk­tional ist.

Einige pro­mi­nente Öko­nomen erwähnen die keyne­sia­nische und post-keyne­sia­nische Theorie als Kon­tra­punkt zur klas­si­schen Quan­ti­täts­theorie des Geldes und behaupten, dass die soge­nannte „moderne Geld­theorie“ ein bes­seres Modell für die Gegenwart dar­stellen würde.

Wie ich oben erklärt habe, ist die Ver­wendung von Geld selbst dann volatil, wenn die Geld­menge fixiert ist, und daher weist selbst ein Gold­standard eine monetäre Elas­ti­zität auf. Es ist falsch, zu behaupten, dass nur das künstlich geschaffene, das soge­nannte „Fiat-Geld“ finan­zielle Fle­xi­bi­lität bieten würde. Der Punkt ist vielmehr, dass bei einem ver­an­kerten Geld­system der Grad der Abwei­chung begrenzt ist, während unter dem gegen­wär­tigen Fiat-Geld­regime keine Ein­schränkung besteht. Das ist auch das Haupt­problem mit der soge­nannten „modernen Geld­theorie“. Ihre Anhänger loben ein System ohne Anker, weil es eine unbe­grenzte Finan­zierung der Staats­aus­gaben ermög­lichen würde. Selbst diese Theo­re­tiker erkennen jedoch das Problem der Preis­in­flation, wenn die Geld­menge zu hoch ist. Sie behaupten, dass in diesem Fall die Regierung die Preis­in­flation durch höhere Steuern ein­dämmen und so das über­schüssige Geld abziehen könne. Während die Anhänger dieser Geld­theorie das ankerlose Geld als Segen loben, weil sie unter der Illusion leben, dass die Wirt­schaft per­manent ein makro­öko­no­mi­sches Management benötigt, ist die Wahrheit, dass nicht der freie Markt Boom und Crash pro­du­zieren, sondern die Inter­ven­tionen von Regie­rungen und Notenbanken.

Können Sie einige Bei­spiele anführen, wie die Inflation in unseren Tagen auf­grund der Geld­po­litik, die die Regie­rungen kürzlich betrieben haben, zustande kommt?

Vene­zuela ist derzeit ein trau­riges Bei­spiel zusammen mit dem sehr tra­gi­schen Fall Sim­babwe. Kon­zen­trieren wir uns auf Vene­zuela. Massive Staats­aus­gaben, dummer Inter­ven­tio­nismus und die Aus­weitung der Geld­menge stehen hinter der gigan­ti­schen Preis­in­flation in Vene­zuela. Diese Politik ist Teil des umfas­sen­deren Plans zur Umsetzung eines „Sozia­lismus des 21. Jahr­hun­derts“. Aber was ent­stand, war nicht Wohl­stand und Gleichheit, sondern noch schärfere soziale Spaltung, eine brutale Hyper­in­flation und Mas­sen­elend. Vene­zuela ist die empi­rische Über­prüfung dessen, was wir besprochen haben: Der Prozess beginnt mit den fal­schen Ver­spre­chungen von sozialer Gerech­tigkeit und mehr Wohl­fahrts­staat. Pri­vat­ei­gentum ist nicht mehr sicher, staat­liche Ein­griffe nehmen zu und die Unter­neh­mens­in­ves­ti­tionen sinken. Doch anstatt dass die sich ver­schlech­ternde Wirt­schaft die poli­tische Führung dazu ver­an­lassen würde, ihren Kurs zu ändern, und die Staats­aus­gaben, die auf der Kre­dit­aus­weitung beruhen, zu kürzen, erhöhen sie diese nun noch mehr und damit steigt auch die Geld­menge. Während mehr Regu­lierung und Inter­ven­tio­nismus die güter­wirt­schaft­liche Ange­bots­seite abwürgen, steigt die infla­tionär ange­triebene Nach­frage. Das Land gerät in eine töd­liche Spirale wirt­schaft­licher, poli­ti­scher und sozialer Krisen, die sich gegen­seitig ver­stärken. Ganz am Anfang dieses Pro­zesses treten einige illu­sionäre Vor­teile auf. Nach kurzer Zeit sind es jedoch haupt­sächlich die Ärmsten, die zuerst am meisten leiden, bis auch der Rest der Gesell­schaft in einen kata­stro­phalen Zusam­men­bruch gerät.

Soweit ich weiß, ist die Geld­men­gen­aus­weitung selbst nicht das Problem, das zu einem Anstieg des Preis­ni­veaus führt. Die Pro­bleme sind die Erwar­tungen der Men­schen und die Geschwin­digkeit, mit der Trans­ak­tionen statt­finden. Ist das richtig?

Nun, lassen Sie es uns so sagen: Der Grund für Fett­lei­bigkeit ist nicht das Nah­rungs­mit­tel­an­gebot, sondern wie viel man davon isst. Die Aus­weitung der Geld­menge ist das Essen. Ob die Wirt­schafts­ak­teure das Angebot annehmen, ist eine andere Frage. Bei dieser Ent­scheidung spielen Erwar­tungen eine große Rolle. Hier müssen wir jedoch berück­sich­tigen, dass Erwar­tungen nicht aus dem Nichts kommen. Sie haben einen Bezugs­punkt in der wirt­schaft­lichen Rea­lität und im öffent­lichen Diskurs, ein­schließlich der Medien. Eine freie Geld­ordnung bedeutet nicht das Fehlen von Kon­trolle. Es ist eher so, dass das gegen­wärtige Wäh­rungs­system mit stän­diger Inter­vention der Zen­tral­banken und dem unge­bremsten Hang der Regie­rungen nach Defi­zit­aus­gaben außer Kon­trolle ist. Im Gegensatz zu einem Fiat-Geld­system würde ein Gold­standard oder ein ähn­liches System mit einem starken Anker kurz­fristige Fle­xi­bi­lität mit lang­fris­tiger Sta­bi­lität verbinden.

Ist der Mecha­nismus, der die Inflation mit­hilfe von Zins­sätzen kon­trol­liert, tat­sächlich eine Mög­lichkeit, Preis­er­hö­hungen in einem Fiat-Geld­system einzudämmen?

Für die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­träger sind die Zins­sätze ein Inter­ven­ti­ons­in­strument, während sie für die Öster­rei­chische Wirt­schafts­schule die Zeit­prä­ferenz wider­spiegeln sollten und als solche der natür­liche Zinssatz wären. Poli­tische Ent­schei­dungs­träger können nur den mone­tären Zinssatz mani­pu­lieren. Was zählt, sind die Geld­menge und die Erwar­tungen. Ein höherer Zinssatz ver­teuert die Kre­dit­auf­nahme und kann somit die Aus­weitung des Geld­um­laufs in der Wirt­schaft stoppen. Darüber hinaus können höhere Zins­sätze die Erwar­tungen über die künftige Preis­in­flation ver­ändern und somit die Umlauf­ge­schwin­digkeit ver­ringern. Der Haupt­punkt bei der Erhöhung des Zins­satzes ist jedoch, dass die Zen­tralbank die Geld­basis redu­zieren muss, um höhere Zins­sätze zu erhalten. Die Zen­tral­banken können nicht einfach den Zinssatz erhöhen und die Geld­basis unver­ändert lassen. Wenn die Zen­tral­banken ein bestimmtes Niveau ihres Leit­zinses anstreben, müssen sie die Geld­basis ent­spre­chend kontrollieren.

Ludwig von Mises erwähnt in seinen Büchern, dass die Kre­dit­aus­weitung eine der Ursachen für die Inflation ist, wenn die Kre­dit­schöpfung über die bloße monetäre Aus­weitung hin­ausgeht. Was sind die Ähn­lich­keiten und Unter­schiede zwi­schen diesen beiden Phänomenen?

Geld kommt über den Kre­dit­kanal in Umlauf. Geschäfts­banken erhalten einen Kredit von der Zen­tralbank und gewähren Kredite an Ver­braucher, Unter­nehmen und den staat­lichen Ein­rich­tungen, ein­schließlich der Bun­des­re­gierung. Somit gibt es zwei Quellen für die Schaffung von Kre­diten und zwei grund­le­gende Gel­d­arten: Zen­tral­bankgeld und Depotgeld. Das moderne Wäh­rungs­system ist ein reines Kre­dit­system, das auf Fiat-Geld ohne phy­sische Absi­cherung wie bei­spiels­weise Gold basiert. Die Regie­rungen ver­ließen den Gold­standard zu Beginn des Ersten Welt­kriegs und kehrten nie wieder dorthin zurück. Heut­zutage kann der Staat über die Zen­tralbank so viel Geld schaffen, wie man will.

Wie genau ist das Ver­hältnis zwi­schen Kredit und Geld?

Während Fiat-Geld auf Kre­diten basiert, wirkt sich nicht alles Geld auf die Wirt­schaft aus. Zum Bei­spiel können sich die Geschäfts­banken Geld von der Zen­tralbank leihen, es aber nicht für Kredite ver­wenden, sondern es auf ihre Konten bei der Zen­tralbank ein­zahlen. Dann bedeutet mehr Geld der Zen­tralbank nicht mehr Geschäfts­kredite für die Inves­toren und Ver­braucher in der Wirt­schaft. Außerdem bedeutet mehr Geld, das in die Wirt­schaft gelangt, nicht unbe­dingt mehr Nach­frage, da die Geld­in­haber die Häu­figkeit von Trans­ak­tionen ver­lang­samen können. Wenn die Wirt­schafts­ak­teure weniger aus­geben und ihr Geld­ver­mögen für einen län­geren Zeitraum halten, ver­langsamt sich die Geschwin­digkeit des Geld­um­laufs. Daher ist es falsch, zu pos­tu­lieren, dass mehr Geld not­wen­di­ger­weise mehr Kredit bedeutet und dass mehr Geld immer zu mehr Aus­gaben führt. Das war die falsche Annahme der Mone­ta­risten. Auch muss man bedenken, dass nicht alles neu geschaf­fenes Geld in die Real­wirt­schaft fließen muss, sondern im Finanz­markt, also dann haupt­sächlich auf den Anleihen- und Akti­en­märkten zirkuliert.

Wie können die Wech­sel­kurs­schwan­kungen in Bezug auf die Wech­sel­kurs­po­litik zur Inflation führen?

Auf lange Sicht spiegelt der Wech­selkurs die Kauf­kraft­pa­rität wider. Kurz­fristig kommt es jedoch zu erheb­lichen Abwei­chungen auf­grund poli­ti­scher Inter­ven­tionen und weil die Zen­tral­banken den Zinssatz mani­pu­lieren. Ein Ein­griff führt zum nächsten und schließlich wird alles durch­ein­an­der­ge­bracht. Wenn die Regie­rungen bei­spiels­weise ver­suchen, ihre Volks­wirt­schaften durch zusätz­liche Defi­zit­aus­gaben anzu­kurbeln, sollte der Zinssatz auf­grund der Infla­ti­ons­er­war­tungen steigen, doch die Zen­tralbank kann dem zeit­weise ent­ge­gen­wirken und die Geld­zinsen künstlich unter ihrem natür­lichen Satz halten. In diesem Fall ver­lässt intel­li­gentes Geld das Land und die Währung wertet ab. Wenn, wie es häufig in Ent­wick­lungs- und Schwel­len­ländern der Fall ist, die Impor­telas­ti­zität gering ist, wird die Menge der Importe nicht sehr stark sinken, selbst wenn der Preis der Ein­fuhren – in Lan­des­währung gerechnet – infolge der Wech­sel­kurs­ab­wertung steigt. Dies kann dann die Preis­in­flation im Inland aus­lösen und wie­derum dazu führen, dass noch mehr Geld das Land ver­lässt. In ihrer Ver­zweiflung fühlt sich die Regierung dann nor­ma­ler­weise gezwungen, den Wech­selkurs noch mas­siver zu mani­pu­lieren oder Kapi­tal­kon­trollen ein­zu­führen. Am Ende ist das Chaos so groß, dass das Sti­mulus-Expe­riment nach hinten losgeht und anstelle der beab­sich­tigten wirt­schaft­lichen Expansion sich das Land unter einer Devi­sen­krise sowie einer wirt­schaft­lichen Kon­traktion oder sogar einem finan­zi­ellen Zusam­men­bruch aus­ge­setzt sieht.

Inflation ist ein Thema, das häufig in den Nach­richten auf­taucht, aber die Ursachen der Inflation erhalten nicht so viel Auf­merk­samkeit wie ihre Folgen. Was sind die Ursachen der Inflation und wie inter­agieren die Faktoren?

Lassen Sie mich zunächst klar­stellen, dass der Begriff „Inflation“ falsch ver­wendet wird. Die genaue Bedeutung der Inflation ist die Aus­weitung der Geld­menge. Zu sagen, dass die Inflation steigt, ergibt keinen Sinn, weil sich der Begriff Inflation auf ein Volumen bezieht, das Geld­vo­lumen, das sich aus­dehnen (auf­blasen) oder zusam­men­ziehen (schrumpfen) kann. Wenn ich über das Preis­niveau spreche, bevorzuge ich den Begriff „Preis­in­flation“, um den Rückgang und Anstieg des Preis­ni­veaus von der Inflation zu unter­scheiden, die mit der Expansion und Kon­traktion der Geld­menge ein­hergeht. Darüber hinaus betont die Öster­rei­chische Schule der Natio­nal­öko­nomie, dass das Ver­hältnis zwi­schen mone­tärer Expansion und Preis­niveau nicht mecha­nisch und gleich­mäßig abläuft, sondern auch struk­tu­relle Effekte hat.

Können Sie den Vorgang erklären?

Um das Problem so einfach wie möglich zu kenn­zeichnen, kann man sagen, dass eine Preis­in­flation auf­tritt, wenn die Aus­gaben schneller wachsen als die Pro­duktion. Ein Über­schuss der Aus­gaben gegenüber der Pro­duktion ent­steht, wenn die Geld­menge wächst und wenn Unter­nehmen, Ver­braucher und Regierung Kredite auf­nehmen, um mehr aus­zu­geben. Die Dis­krepanz zwi­schen Angebot und Nach­frage nach Waren und Dienst­leis­tungen führt zu stei­genden Preisen. Die Preis­in­flation kann auch ohne die Aus­weitung der Geld­menge bei einem soge­nannten Ange­bots­schock und der Kürzung der Pro­duktion, zum Bei­spiel auf­grund von Embargos, Krieg und Natur­ka­ta­strophen erfolgen. Dann steigen die Preise, weil das Waren­vo­lumen geschrumpft ist, während sich die Geld­menge nicht geändert hat. Um die Inflation zu ver­stehen, müssen ver­schiedene Fak­toren berück­sichtigt werden: Der Prozess, wie Geld in die Wirt­schaft gelangt, beginnend mit den Zen­tral­banken und der Kre­dit­po­litik der Geschäfts­banken, die Ände­rungs­raten des Umlaufs der Geld­menge, das Kre­dit­vo­lumen und das Ver­hältnis zwi­schen der Trans­ak­ti­ons­ge­schwin­digkeit sowie den nomi­nalen Gesamt­aus­gaben im Ver­gleich zum tat­säch­lichen Angebot an Waren und Dienst­leis­tungen. Die Öko­nomie von Inflation und Deflation ist kein ein­faches Thema.

Wenn die Regierung die Geld­basis erweitert, die Geschäfts­banken jedoch nicht den Über­schuss an Geld in Umlauf bringen, steigt das Geld in den Händen der Wirt­schafts­sub­jekte nicht an. Bedeutet dies, dass es in diesem Fall nicht zu einer Erhöhung der Preise und einer Ver­rin­gerung der Kauf­kraft kommt?

Ja, so funk­tio­niert das. Am Ende hängt das Ergebnis vom mensch­lichen Handeln ab. Mensch­liches Handeln findet von Augen­blick zu Augen­blick statt und daher sind Erwar­tungen wichtig. Infla­ti­ons­er­war­tungen nähren sich von sich selbst und ebenso defla­tionäre Erwar­tungen. Deshalb sind beide Pro­zesse, sobald sie an Dynamik gewonnen haben, so schwer umkehrbar. Wenn wir ein solides Wäh­rungs­system hätten, wären die Erwar­tungen relativ stabil. Wir haben jedoch ein staat­liches Fiat-Wäh­rungs­system mit einer nur teil­weisen Deckung durch die Bank­re­serven. Das heißt, die Geschäfts­banken bringen mehr Geld als Giralgeld in Umlauf als sie an Bargeld haben. Ein solches Wäh­rungs­system ist nicht nur sehr volatil, sondern auch anfällig für lang­an­hal­tende und extreme Phasen der Kre­dit­aus­weitung und ‑kon­traktion. Diese großen Zyklen können Jahr­zehnte umfassen. Seit dem Ende der Ver­bindung des US-Dollars zu Gold in den 1970er Jahren erleben wir in den Indus­trie­ländern einen solchen Expansionszyklus.

Kann dieser Zyklus enden?

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Dieser aktuelle Zyklus ist längst über­fällig, um sich in eine Kon­traktion zu ver­wandeln. Aller­dings haben alle großen Zen­tral­banken wie ver­rückt gegen den Trend gekämpft. In Japan begann das Gefecht gegen die Kre­dit­schrumpfung bereits in den 1990er Jahren, in den USA zu Beginn des neuen Jahr­tau­sends. Seit der euro­päi­schen Schul­den­krise vor etwa zehn Jahren hat sich auch die Euro­päische Zen­tralbank ange­schlossen. Wir beob­achten heute einen ver­zwei­felten Kampf gegen die Deflation. Das Paradoxe daran ist, dass dieser Krieg der Noten­banken gegen die natür­liche Defla­ti­ons­tendenz, als Kor­rektur zur lang­an­hal­tenden Kre­dit­aus­weitung, so viel an Liqui­dität im System geschaffen hat, dass die defla­tionäre Tendenz sich schlag­artig in eine Preis­in­flation umkehren kann.

Wie kommt es unter einem Fiat-System zu einer Abnahme des Geldwerts?

Auch unter dem Gold­standard oder einem ähn­lichen System mit einem starken Anker, der die Geld­menge fest­macht, wird es kurz­fristig zu Schwan­kungen der Geld­menge kommen. Lang­fristig werden die Preise ten­den­ziell sinken, wenn die Pro­duk­ti­vität steigt. Die Erwar­tungen geraten nicht aus dem Ruder, weil Inflation und Deflation nicht über­pro­por­tional abweichen können. Unter einem Fiat-Wäh­rungs­system können Inflation und Deflation jedoch über­mäßige Ausmaße annehmen. Ich befürchte, dass das Ketchup-Gleichnis von Inflation Bestand hat. Sie schütteln und schlagen auf den Boden der Ket­chup­flasche, aber es kommt nichts heraus. Plötzlich spritzt die Sauce in einem Mal auf Teller, Tisch, Hemd und Kra­watte. Ähnlich verhält es sich mit der Geld­in­flation. Die Zen­tral­banken drängen und zittern und schöpfen immer mehr Geld, um gegen die Deflation anzu­kämpfen und trotzdem kommt es zu keinem Preis­auf­trieb bis es ganz plötzlich zu einem mas­siven Anstieg kommt und sogar eine Hyper­in­flation droht. Die Ana­logie gilt auch für das, was danach kommt. Während die Ketchup-Sauce sich in einem Spritzer in einer Sekunde aus der Flasche ergießt, ist jede Mühe umsonst, um die über­schüssige Sauce wieder in die Flasche zu bringen. In der Tat ist es unmöglich, den Vorgang rück­gängig zu machen. In einem Fiat-Wäh­rungs­system kommt nicht nur die Inflation plötzlich als Schock, sondern auch die Deflation. Unter einem Fiat-System ist eine Geld­kon­traktion schädlich, da sie nor­ma­ler­weise aus hei­terem Himmel auf­taucht und die zeitlich aus­ge­dehnten Geschäfts­tä­tig­keiten (Zins- und Raten­ge­schäfte, lang­lau­fende Kon­trakte) in Mit­lei­den­schaft zieht.

Als letzte Frage möchte ich Sie nach Ihren Aus­sichten für die US-ame­ri­ka­nische Wirt­schaft im Ver­gleich zu Bra­silien fragen.

Die beiden Volks­wirt­schaften befinden sich in sehr unter­schied­lichen Phasen des Kon­junk­tur­zyklus. Bra­silien hat immer noch mit dem Kon­junk­tur­ein­bruch zu kämpfen, der vor fünf Jahren begann und eine Arbeits­lo­sen­quote von über zehn Prozent mit sich brachte. Diese Quote liegt immer noch über dieser Marke, während die Ver­ei­nigten Staaten offi­ziell Voll­be­schäf­tigung haben. Die Frage ist, wann sich Bra­silien erholen könnte und ob und wann die Wirt­schaft der Ver­ei­nigten Staaten schrumpfen wird. Zuerst nach Bra­silien: Seit dem 1. Januar 2019 hat Bra­silien eine neue Regierung, die sich von seinen Vor­gängern unter­scheidet, da sie ein stark markt­freund­liches Profil hat. Das Ver­trauen steigt und in dieser Hin­sicht ist es nur eine Frage der Zeit, wann sich die bra­si­lia­nische Wirt­schaft erholen wird. Es gibt jedoch zwei Risiken: Erstens, dass die Inflation Bra­silien heim­sucht, wenn sich die Erholung ver­stärkt, und zweitens, was pas­siert, wenn sich das inter­na­tionale Wirt­schafts­umfeld weiter abschwächt und Bra­si­liens wich­tigster Han­dels­partner, ein­schließlich China, in eine Wirt­schafts­krise gerät.

Wie steht es um die Ver­ei­nigten Staaten?

Die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­träger haben einen rie­sigen Ballon pro­du­ziert, der die reale Wirt­schaft auf die Spitze einer Geld­py­ramide gehoben hat. Die reale Wirt­schaft sitzt sozu­sagen auf Luft. Wir wissen, dass diese Situation nicht nach­haltig ist, aber wir wissen nicht, auf welche Seite der Pyramide der Schaden auf­tritt, wenn die Blase platzt. Die ame­ri­ka­nische Zen­tralbank hat mehrmals ver­sucht, den Ballon zu ent­leeren, schreckte jedoch zurück, sobald der Akti­en­markt zu wackeln begann. Wie die Fis­kal­po­litik hat sich auch die Geld­po­litik in eine Sack­gasse manö­vriert: Fis­kal­po­litik mit zu viel Staats­ver­schuldung und die Geld­po­litik mit zu viel Liqui­dität. Die Ver­treter der Öster­rei­chi­schen Schule der Natio­nal­öko­nomie haben immer gewarnt, dass eine solche Politik der über­mä­ßigen Geld­schöpfung in einer Kata­strophe enden wird. Ich vermute, dass wir über den kri­ti­schen Bereich, wo noch eine Umkehr möglich gewesen wäre, schon hin­aus­ge­gangen sind und uns einer Kata­strophe nähern, die hof­fentlich als Weckruf dient und die Öffent­lichkeit und die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­träger auf die Not­wen­digkeit einer Reform des Wäh­rungs­systems auf­merksam machen wird.

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Antony P. Mueller hat jüngst bei Amazon die Taschen­bücher „Kapi­ta­lismus ohne Wenn und Aber“ und „Feinde des Wohl­stands“ ver­öf­fent­licht. Im Juli dieses Jahres ist eine erwei­terte Ausgabe seines Traktats „Prin­ciples of Anarcho-Capi­talism and Demarchy“ erschienen.

Dr. Antony P. Mueller (antonymueller@gmail.com) ist habi­li­tierter Wirt­schafts­wis­sen­schaftler der Uni­ver­sität Erlangen-Nürnberg und derzeit Pro­fessor der Volks­wirt­schafts­lehre, ins­be­sondere Makro­öko­nomie, an der bra­si­lia­ni­schen Bun­des­uni­ver­sität UFS (www.ufs.br), wo er am Zentrum für ange­wandte Wirt­schafts­for­schung und an deren Kon­junk­tur­be­richt mit­ar­beitet und im Dok­to­rats­pro­gramm für Wirt­schafts­so­zio­logie mit­wirkt. Er ist Mit­glied des Ludwig von Mises Institut USA, des Mises Institut Bra­silien und Senior Fellow des Ame­rican Institute of Eco­nomic Research (AIER). Außerdem leitet er das Web­portal Con­ti­nental Eco­nomics (www.continentaleconomics.com).


Quelle: misesde.org