In Deutschland wuchert der Spaltpilz: Zwi­schen links vs. rechts und arm vs. reich

Das Wort „Ungleichheit“ ist eines der Trig­ger­worte im poli­ti­schen Diskurs geworden. „Soziale Ungleichheit“ ist der Begriff, der so ziemlich alles umfasst, was es an Zünd­stoff innerhalb der „Gesell­schaft“ gibt. Gedacht sind diese Begriffe eigentlich als abs­trakte, theo­re­tische Fach­termini im Disput der gebil­deten Eliten der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.

Solange die „Sozialen Ungleich­heiten“ noch zu klein sind, um „gesell­schaft­liche Ver­wer­fungen“ zu „triggern“, bleibt das alles Sozio­logen-Theorie. Die Praxis wird schlagend, wenn es um den Gegensatz zwi­schen Not, Hunger, Obdach­lo­sigkeit, Arbeits­lo­sigkeit, Schulden und chro­ni­schen Geld­mangel bei den wütenden Armen einer­seits und dem gut­si­tu­ierten, PC-veganen Ete­pe­tismus der  rea­li­täts­fernen, links­grünen Bil­dungs- und Herr­schafts­schicht ande­rer­seits geht. Der mit seiner eigenen Vor­bild­haf­tigkeit zufriedene Gut­ver­diener, der in seinem teuren E‑Auto sitzend, seinen veganen Latte Mac­chiato mit Man­del­milch nippend, an der Ampel ver­ächtlich und ange­widert auf den abge­ranzten Diesel mit roter ASU-Pla­kette schaut, der seinen Umweltsau-Fahrer von der Maloche heim in seine kleine, kaum beheizte Unter­klassen-Miet­wohnung befördert.

NEU!!! Hier bestellen!

Die Wahr­schein­lichkeit, dass der wohl­be­stallte e‑autofahrende Gut­mensch Links-Grün-Wähler ist, liegt bei fast 100 Prozent, während die die­sel­fah­rende Umweltsau sehr wahr­scheinlich ihr Kreuz bei der AfD machen wird. Irgendwie seltsam, dass die gut­ver­die­nenden Edel­men­schen heute das Kli­entel der Linken sind, während die Arbeiter und „Ver­lierer“ des Gesell­schafts­umbaus heute eher auf der „rechten“ Seite zu finden sind.

Was aber nicht bedeutet, dass die satu­rierte Linke nicht doch am lau­testen „Unge­recht!“ schreit und FDP, Union und AfD weniger Unge­rech­tigkeit am Werk sehen. Am aller­meisten findet die SPD die Ungleichheit unge­recht, hat aber im Wider­spruch dazu ihr ange­stammtes Arbei­ter­milieu kom­plett verraten.

Die Bun­des­zen­trale für poli­tische Bildung schwurbelt : „In vielen hoch­ent­wi­ckelten Gesell­schaften wachsen die sozialen Ungleich­heiten: Gering Qua­li­fi­zierte haben es immer schwerer, eine Erwerbs­tä­tigkeit zu finden. Die Inte­gration vieler Zuwan­derer wird schwie­riger. Arbeits­losen fehlt es an Geld, Selbst­achtung und Aner­kennung. Immer mehr Men­schen gelten als arm. Die einst ton­an­ge­benden und poli­tisch sta­bi­li­sie­renden Mit­tel­schichten schrumpfen. Die Zahl der hoch Qua­li­fi­zierten und der gut Ver­die­nenden wächst.“

Um das mal zu über­setzen: Wer ein ganz nor­maler Arbeiter ist und einen ganz nor­malen Haupt- oder Real­schul­ab­schluss hat, wird nur ein beschei­denes Ein­kommen erzielen (wenn er über­haupt einen Job findet). Und dann muss er sich noch mit einer großen Zahl Zuwan­derer messen, die bei den ein­fachen Jobs oft bevorzugt ein­ge­stellt werden müssen, staatlich oft Unter­stützung bekommen und die wenigen, bil­ligen Woh­nungen leichter bezahlen können, als er. Die deutsche Mit­tel­schicht, das breite, starke Rückgrat der Wirt­schaft und der zuver­läs­sigste Kon­sument, boden­ständig, Häus­le­bauer, Arbeit­nehmer und Arbeit­geber, selten ver­schuldet, zwei bis drei Kinder, stabile Ver­hält­nisse, beschei­dener bis erfreu­licher Wohl­stand, ist eine vom Aus­sterben bedrohte Art geworden. Nur wenige sind aus der gesell­schaft­lichen Mitte in die Gefilde der Reichen empor­ge­stiegen. Die meisten sind auf dem Weg zum Uralt-Diesel-Umweltsau-Fahrer oder schon dort ange­kommen. Manche auch auf der Straße.

Nach einer Civey-Umfrage spiegelt sich das Emp­finden der Ungleichheit auch genauso wieder. Über­ra­schung: Fast 30 Prozent der lei­tenden Ange­stellten emp­finden die Ver­teilung als gerecht, die Arbei­ter­schicht findet das aber nur zu 11 Prozent.

Das Mei­nungs­in­stitut Civey hat etwa 5.000 Men­schen in Deutschland befragt. Drei von vier halten die Ungleichheit in Deutschland für unge­recht. Nur 17 Prozent emp­finden sie als eher gerecht oder gerecht. Beim Ein­kommen, so Civey, sei die Schere zwi­schen Armen und Reichen eigentlich nicht ganz so groß, aber beim Ver­mögen sieht es schon sehr krass aus: In Deutschland besitzen die 45 reichsten Haus­halte so viel, wie die gesamte unter Hälfte der deut­schen Bevölkerung.

Alle Par­teien, Institute und Umfragen stellen unisono fest, dass die soziale Ungleichheit bei den Ein­kommen stark zuge­nommen hat. Sie hat heute den höchsten gemes­senen Wert seit der Wie­der­ver­ei­nigung erreicht. Ganz besonders die unteren 20% der Bevöl­kerung rut­schen regel­recht in die Armut ab. Aber warum ver­fügen die einen heute über deutlich weniger Geld für die gleiche Arbeit wie vor 20 Jahren und die anderen mehr?

Ein sehr wich­tiger Faktor ist der starke Preis­an­stieg bei Wohn­ei­gentum und Mieten. Schon seit Langem hat sich die Lage am Woh­nungs­markt und die Wohn­kos­ten­be­lastung in den unteren Ein­kom­mens­schichten dras­tisch ver­schlechtert. Die Zahlen und Miet-Indizes zeigen eine dra­ma­tische Ent­wicklung. Solange die Wirt­schaft noch gut lief, konnten die wach­senden Löhne die Teuerung noch halbwegs auf­fangen. Seit 2015 aber kamen Mil­lionen Kon­kur­renten gerade für billige Miet­woh­nungen nach Deutschland, was das Angebot stark ver­knappt und gleich­zeitig die Preise nach oben trieb und treibt. Zur selben Zeit wie die Wohn­kosten nach oben strebten, drehte sich die Kurve des Wirt­schafts­wachstums und der Lohn­ent­wicklung nach unten. Das ist eine ganz eigene Sorte von Schere, in die ins­be­sondere die unteren vierzig Prozent geraten sind.

Im Nied­rig­lohn­sektor sind überdies die meisten Jobs in den Bal­lungs­zentren zu finden und genau da ist die Kon­kurrenz um bil­ligen Wohnraum besonders hart und sind die Mieten besonders steil nach oben abgeflogen.

Die Zeit schreibt:

„Die aktu­ellsten Daten der Ein­kommens- und Ver­brauchs­stich­probe aus dem Jahr 2013 zeigen, dass für Haus­halte, die zu den 20 Prozent mit den geringsten Ein­kommen zählen – dem soge­nannten ersten Quintil –, die Wohn­kosten zwi­schen 1993 und 2013 um mehr als ein Drittel gestiegen sind. Für Men­schen im zweiten Quintil haben die Wohn­kosten um ein Viertel zugelegt.“

Das sind beacht­liche Stei­ge­rungen, die gerade bei kleinen Ein­kommen schmerz­hafte Aus­wir­kungen haben. In den oberen 20 Prozent der Bevöl­kerung ist das Wohnen dagegen sogar preis­werter geworden: Um fast zehn Prozent fielen die Preise in diesem Segment. Der Grund: Durch die Nied­rig­zins­po­litik sind Kredite weniger teuer, man hat die Schulden schneller abbe­zahlt. Es ist kaum teurer als die Miete, ein Haus zu kaufen oder bauen und man hat im Alter eine eigene Immo­bilie. In den oberen 20 Prozent der Wohl­ha­benden ist Wohn­ei­gentum keine Seltenheit.

Sehr hohe Ein­kommen sind aber in den Zahlen kaum wirklich erfasst. Die wirklich Super­reichen sind „auf Dis­kretion bedacht“, schreibt das Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaft­liche Institut (WSI). Deshalb ist davon aus­zu­gehen, dass das Ausmaß der Ungleichheit ins­gesamt unter­schätzt wird.

Die Zahlen machen es fassbar: „Dies bedeutet, dass, während im Jahr 1993 die ärmsten 20 Prozent der Deut­schen 27 Prozent ihres ver­füg­baren Ein­kommens für Wohnen aus­gaben, es zwanzig Jahre später schon 39 Prozent waren. Auch für das zweite Quintil stiegen die Wohn­kosten deutlich, von 20 auf 25 Prozent des Ein­kommens in diesem Zeitraum. Für die ein­kom­mens­stärksten 20 Prozent ist dieser Anteil von 16 auf 14 Prozent gefallen. Da die Arbeits­ein­kommen und Löhne der unteren 40 Prozent seit den Neun­zi­ger­jahren nicht mit dem Anstieg der Wohn­kosten mit­halten konnten, sank der Anteil der sons­tigen Kon­sum­aus­gaben (ohne Wohn­kosten) der ein­kom­mens­schwächsten 20 Prozent der Deut­schen von 72 Prozent im Jahr 1993 auf 63 Prozent im Jahr 2013. “

Das bedeutet, dass das soge­nannte „ver­fügbare Ein­kommen“, was unter‘m Strich zum Leben übrig­bleibt, weit bis in die Mit­tel­schicht hinein stetig schrumpft. Das fräst Jahr für Jahr am unteren Rand dieses Mit­tel­schicht-Blocks viele Familien weg, die in die Unter­schicht fallen. Die Deut­schen haben heute merklich weniger Geld zum Leben als vor 25 Jahren.

Dazu kommt, dass nichts mehr für Anschaf­fungen oder den Ruhe­stand zurück­gelegt werden kann. Bis 2013 schrumpften die Erspar­nisse immer weiter. Das Jahr 2013 war der Punkt, an denen die Erspar­nisse dann „negativ“ wurden. Will sagen: Man begann Schulden zu machen, um seinen Lebens­standard auf­recht zu halten oder nicht all­zusehr ein­zu­schränken – und diese Schulden wachsen stetig. Das ver­schärft die Ungleichheit noch einmal deutlich. Denn während die Ober­schicht Rück­lagen für ein aus­kömm­liches Alter bilden konnte und kann, wird die bessere Mit­tel­schicht mit Null pri­vaten Rück­lagen, aber wenigstens schul­denfrei in die Rente gehen, die unteren vierzig Prozent werden am Ende ihrer langen Lebens­ar­beitszeit ver­schuldet sein und nur kleine Renten haben, von denen sie kaum leben und in keinem Fall Schulden abzahlen können.