Indien: Grau­en­hafter Gewalt­aus­bruch zwi­schen „bösen“ Hindus und „armen“ Mus­limen? – Teil II

Unab­hän­gigkeit und Teilung „Bri­tisch Indiens“ in Pakistan (mus­li­misch) und Indien (andere Religionen)

Ver­ein­facht gesagt: Gerade wegen der gewalt­tä­tigen Kon­flikte zwi­schen Mus­limen und anderen Reli­gionen wurde ja der indische Sub­kon­tinent kurz nach dem Zweiten Welt­krieg in einen isla­mi­schen Teil (Pakistan) und einen „mul­ti­re­li­giösen“ Teil (Indien) aufgeteilt.

Das „bri­tische Indien“, eine Kolonie des bri­ti­schen Empires, strebte während des zweiten Welt­krieges unter der berühmten Führung Mahatma Ghandis die Freiheit Indiens von der Besetzung Groß­bri­tan­niens an. Die „Cripps-Mission“ sollte Anfang der 1940er Jahre die Frage der indi­schen Unab­hän­gigkeit und mög­liche Lösungen erörtern, doch das endete in einem Fehl­schlag, weil die bri­ti­schen Unter­händler prak­tisch keine Kom­pe­tenzen hatten und eigentlich nur dafür sorgen sollten, dass indische Sol­daten auf ihrer Seite gegen Deutschland kämpfen sollten – gegen Gewährung einer halb­her­zigen Auto­nomie. Der Indische Natio­nal­kon­gress (INC) fasste dar­aufhin eine Reso­lution („Quit India Reso­lution“ – Raus aus Indien-Reso­lution). Ein Auf­stand quer durch die Bevöl­kerung gegen die bri­tische Kolo­ni­al­be­satzung, konnte nur durch massive Gewalt des bri­ti­schen Militärs nie­der­ge­schlagen werden. Das Mas­saker von Amritsar war in Indien nicht ver­gessen worden.

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Um die indische Natio­nal­be­wegung zum gemein­samen Kampf gegen Deutschland und Italien zu gewinnen, hatten London und Washington die Atlantik-Charta unter­schrieben, die das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker zur Staats­gründung fest­legte. Im Kampf gegen Deutschland, Japan und Italien wurden 2,5 Mil­lionen Inder mobi­li­siert. Nach dem Sieg for­derten die Unab­hän­gig­keits­be­we­gungen massiv das Ein­halten der Ver­spre­chungen. Die Lage geriet immer weiter außer Kon­trolle. Groß­bri­tannien musste ein­lenken und unter­schrieb am 18. Juli 1947 den „Indian Inde­pen­dence Act“.

Als nach Ende des Krieges eine Inte­rims­re­gierung gebildet wurde, die bis zur end­gül­tigen Regelung der Unab­hän­gigkeit amtieren sollte, wei­gerte sich der Führer der Muslim-Liga, Mohammad Ali Jinnah, ihr anzu­ge­hören. Da sie nun nur aus Mit­gliedern des INC bestand, rief Jinnah für den 16. August 1946 zu einem nicht näher bezeich­neten “Tag der direkten Aktion” auf. In Kal­kutta (heute Kolkata) brachen dar­aufhin schwere Unruhen zwi­schen Hindus und Mus­limen aus, bei denen nach offi­zi­ellen Angaben 4000 Men­schen – über­wiegend Hindus – getötet wurden.

Jetzt, wo man nicht mehr gemeinsam gegen den Unter­drücker „Bri­ti­sches Empire“ kämpfte, brachen die Gegen­sätze zwi­schen Mus­limen und den anderen Reli­gionen, besonders den Hindus, sich Bahn. Diese größte, indische Religion stellte sich nun bewusst gegen den Islam. Die Briten ver­suchten noch mit Lord Mount­batten als Emis­sionär, eine Einigung zwi­schen den Gruppen zu erzielen, doch das schei­terte. Die Führung des Indi­schen Natio­nal­kon­gresses stimmte schluss­endlich resi­gniert einer Teilung Indiens zu. Es ent­stand das isla­mische Pakistan und das syn­kre­tis­tische Indien. Pakistan bestand aller­dings aus zwei Lan­des­hälften, West und Ost-Pakistan. Dann gab es Indien und diverse Klein­staaten, denen es frei stand, sich einem der beiden Staaten anzuschließen.

Der wahre Grenz­verlauf wurde erst einen Tag nach der Unab­hän­gigkeit bekannt gegeben. Es war ein Desaster:

Dorf­ge­mein­schaften und Familien wurden aus­ein­ander gerissen, als sich im neuen West-Pakistan Hindus und Sikhs auf den Weg in die Indische Union machten und Muslime nach West-Pakistan aus­wan­derten. Die Metropole Amritsar, wo der Goldene Tempel der Sikhs steht, verlor nicht nur sein frucht­bares agra­ri­sches Hin­terland, sondern mit Lahore ein wei­teres wich­tiges urbanes Zentrum. In Ben­galen verlor Kal­kutta sein agra­ri­sches Hin­terland und Ost-Pakistan seine ehe­malige Kultur- und Handelsmetropole.
Zwi­schen 1947 und 1950 wan­derten nach Schät­zungen mehr als 10 Mil­lionen Men­schen über die neuen Grenzen – ein weltweit nie da gewe­sener Bevöl­ke­rungs­aus­tausch. Der auf beiden Seiten poli­tisch geschürte Hass entlud sich im Zuge der Teilung entlang reli­giöser Trenn­linien. In den ersten Monaten nach der Unab­hän­gigkeit fielen der Gewalt mehr als eine Million Men­schen zum Opfer. Die Folgen dieses Risses durch den süd­asia­ti­schen Sub­kon­tinent sind bis heute in vielen Bereichen der Gesell­schaft zu spüren, vor allem aber der Politik zwi­schen der Indi­schen Union und der Isla­mi­schen Republik Pakistan.

Ein Blutbad begleitete die Auf­teilung in ein isla­mi­sches Pakistan und das säkulare Indien mit ver­briefter Religionsfreiheit.

Schon vor der offi­zi­ellen Teilung hat eine Mas­sen­flucht ein­ge­setzt, die jetzt anschwillt: Mil­lionen Muslime fliehen nach Pakistan, Hindus und Sikhs aus dem Westen suchen eine neue Bleibe in Indien. Auf beiden Seiten der neuen Grenze kommt es zu Mas­sakern. Dörfer werden aus­ge­löscht, Tau­sende Men­schen ver­hungern und ver­dursten. Fotos aus dieser Zeit zeigen Aas­geier, die sich um die Leichen in den Straßen kümmern. Schät­zungen zufolge kostet die Teilung des Sub­kon­ti­nents min­destens einer Million Men­schen das Leben.

Die „Welt“ ver­öf­fent­lichte am15. 8.2017 zum 50sten Jah­restag der Unab­hän­gigkeit Bri­tisch Indiens:

„Lauf Milkha, lauf“, schrie der Vater, bevor ihn die Angreifer mit Messern erstachen. Der Olympia-Sportler Milkha Singh war um die 15, als sein Vater vor seinen Augen ermordet wurde. (…) Im August 1947 wurde das kleine Dorf davon über­rascht, dass der indische Sub­kon­tinent nun in zwei Staaten geteilt war: Als ein mord­lus­tiger Muslimmob in dem Dorf ein Mas­saker ver­an­staltete, ver­tei­digte Singhs Vater tapfer seine Familie, bis er getötet wurde. Auch seine Frau, ein Bruder und zwei Schwestern starben. Milkha gelang es zu fliehen. Er schloss sich Zehn­tau­senden Sikhs und Hindus an, die sich mit dem Zug auf den Weg nach Indien machten.

Ein Ein­bür­ge­rungs­gesetz zum Schutz religiöser/ethnischer Minderheiten

Vor diesem Hin­ter­grund wird deutlich, warum die indische Regierung dieses Angebot aus­drücklich nicht an Muslime richtet.

Es ist auch vom Sinn und Zweck her, nämlich dem Schutz reli­giöser und eth­ni­scher Min­der­heiten, gar nicht auf Muslime anwendbar. Denn außerhalb Indiens sind die Muslime in den Staaten rund­herum nicht in der Min­derheit, sondern in der abso­luten Mehrheit von über 90% der Bevöl­ke­rungen. Sie werden auch in diesen Ländern nicht ver­folgt, sondern nur die Nicht-Muslime.

Und selbst in Indien sind Muslime keine kleine, wehrlose Minderheit.

Dennoch ent­brennt ein gewalt­tä­tiger Kampf in Indien um das Gesetz. Die west­lichen Main­stream­m­edien ergreifen sofort die Partei der Muslime.

Die Süd­deutsche Zeitung schreibt unter dem Titel „Schlachtruf des Mobs“:
Was mit Zusam­men­stößen zwi­schen Gegnern und Befür­wortern eines umstrit­tenen Gesetzes der Modi-Regierung begann, ver­wan­delte sich am zweiten Tag in eine andere Form der Gewalt. Die Unruhen sahen nun aus wie ein Pogrom, schreibt Varshney im Indian Express. Opfer waren nicht mehr junge Männer beider Seiten, die anein­an­der­ge­raten waren. Opfer waren nun über­wiegend Muslime, gejagt von einem Hindu-Mob, der “Jai Shri Ram” brüllte. “Sieg Gott Ram”. Die rasende Menge bemächtigt sich einer Formel aus dem reli­giösen Leben und deutet sie um zum Schlachtruf, um Stärke, Dominanz und Herr­schaft zu signa­li­sieren. Die Angreifer prü­gelten hilflose Men­schen zu Tode, zün­deten Geschäfte an, ver­wüs­teten einen Schrein und eine Moschee. Kräfte der Polizei schauten nach Berichten von Augen­zeugen immer wieder weg, griffen nicht ein. (…)
Ange­sichts der offen­kun­digen Islam­feind­lichkeit radi­kaler Hindu-Natio­na­listen ist unter Mus­limen die Sorge besonders groß, aus­ge­grenzt und ent­rechtet zu werden.

Der gesamte Beitrag geißelt – zu Recht – die Gewalt gegen Muslime, stellt sie aber ein­seitig als bloße Opfer und hilflose Min­derheit dar, was der Situation im Land nicht gerecht wird. Aber da ist die Süd­deutsche in guter Gesellschaft:

Die “Zeit” schreibt unter dem Titel „Sie sollen sich schämen“:
Eine junge Frau mit Narben durch Säu­re­ver­ät­zungen im Gesicht führt einen Sprechchor an, sie schreit: “Delhi Police.” Die Demons­trie­renden ant­worten ihr: “Haye, haye” – “schämt euch, schämt euch”.

Ein anderer  Artikel der „Zeit“ zeigt ein Foto, auf dem pro­tes­tie­rende Mus­li­minnen ein Schild hoch halte „Stoppt die Hass-Politik!“

Die Welt pole­mi­siert: „Indien erklärt vier Mil­lionen Ein­wan­derer auf einmal für illegal“. Erst im Text zeigt sich, dass das mit­nichten von der Regierung gemacht wurde und nur „Ängste aus­gelöst“ wurden. Shailesh Nayak, oberster Regis­trier­be­amter Indiens, sagt im Gegenteil: „Echte indische Staats­bürger müssten sich keine Sorgen machen“. Sie würden „aus­rei­chend Gele­genheit“ für Beschwerden bekommen, sollten sie noch nicht in das Register auf­ge­nommen worden sein.“

Die Welt titelt in einem zweiten Artikel forsch weiter „Muslime sind doch auch Inder“.

Das sind die vier Mil­lionen ein­ge­wan­derten Muslime, die keine Staats­bür­ger­schaft haben, aber kei­neswegs. Sie sind geduldet – und bisher gab es keine Ver­laut­barung, dass sie depor­tiert werden sollen.  Die Schreiber dieser Bei­träge sollen doch einmal bitte ver­suchen, nach Kanada, USA, Aus­tralien oder andere Länder außer der EU ein­zu­wandern und sich dort einfach nie­der­lassen. Sie würden im Hand­um­drehen ener­gisch abgeschoben.

Auch Deutsch­landfunk Kultur greift in die Tasten: „Orga­ni­sierter Hass in Indien: Lynch­morde an Mus­limen“.

„Es sind wahr­scheinlich nur Muslime, die das kom­pli­zierte und unfaire Beschwer­de­ver­fahren durch­laufen müssen“, erklärte die in den USA ansässige Men­schen­rechts­gruppe Avaaz in einer Mit­teilung und dem Aufruf „Stop deleting Muslims!“ (Hört auf, die Muslime aus­zu­lö­schen!) und warnt gar vor einem Genozid.

Ein Blick auf die Daten der angren­zenden mus­li­mi­schen Länder (siehe Anfang Teil I dieses Bei­trages) zeigt das Gegenteil: In den isla­mi­schen Staaten rund um Indien schrumpft der Anteil der Nicht-Muslime in der Bevöl­kerung beständig gegen null Prozent. Die nicht-mus­li­mi­schen Inder haben einfach Angst, dass es ihnen in ihrem Land irgendwann ebenso ergeht. Indien hat das Staats­gebiet Pakistan an die Muslime abge­treten und möchte in seinem eigenen Land nicht isla­mi­siert werden. Das ist der Knack­punkt. Und das darf nicht gebilligt werden, denn sonst könnten ja auch gewisse andere Länder, die nicht so weit weg sind, ein solches Recht für sich beanspruchen.

Selbst­ver­ständlich ist Gewalt gegen Muslime genauso ein Ver­brechen, wie bei jedem anderen auch und kei­nes­falls zu bil­ligen. Dennoch recht­fertigt das nicht eine der­maßen ein­seitige Dar­stellung der Ver­hält­nisse in Indien und das Unter­schlagen aller Tat­sachen, die die indische Position unter­mauern würden.