Coro­na­virus: Älteren Euro­päern Behandlung verweigert

Ange­sichts von weit über einer halben Million bestä­tigter Fälle der Coro­na­virus-Krankheit 2019 (COVID-19) in Europa hat eine wach­sende Zahl regio­naler medi­zi­ni­scher Behörden damit begonnen, Richt­linien und Pro­to­kolle her­aus­zu­geben, die die Kran­ken­häuser dazu auf­fordern, jüngere Pati­enten gegenüber älteren Pati­enten zu bevorzugen.

(von Soeren Kern)

In Italien und Spanien, den beiden Ländern, die am stärksten von der Coro­na­virus-Pan­demie in Europa betroffen sind, ent­scheiden die Ärzte auf den über­las­teten Inten­siv­sta­tionen seit Wochen über Leben und Tod, wer eine Not­fall­be­handlung erhält. Die neuen Pro­to­kolle laufen jedoch auf Regie­rungs­an­wei­sungen hinaus, die das medi­zi­nische Per­sonal effektiv anweisen, ältere Pati­enten ihrem Schicksal zu überlassen.

Hier bestellen!

Neben den ethi­schen Fragen, die die Ratio­nierung der Gesund­heits­für­sorge nach Alter auf­wirft, wirft die Ver­wei­gerung der medi­zi­ni­schen Ver­sorgung älterer Men­schen, von denen viele ihr ganzes Leben lang in das Sozi­al­für­sor­ge­system ein­ge­zahlt haben, auch ein Schlag­licht auf die Unzu­läng­lich­keiten der sozia­li­sierten Medizin in Süd­europa, wo die von der Euro­päi­schen Zen­tralbank auf­er­legten Spar­maß­nahmen zu mas­siven Bud­get­kür­zungen im öffent­lichen Gesund­heits­wesen geführt haben.

In Spanien hat die Regio­nal­re­gierung in Kata­lonien, einem vom Coro­na­virus stark betrof­fenen Gebiet, ein ver­trau­liches Pro­tokoll her­aus­ge­geben, in dem effektiv emp­fohlen wird, dass ältere, vom Coro­na­virus befallene Men­schen zu Hause sterben sollten.

In Doku­menten, die meh­reren spa­ni­schen Medien zuge­spielt wurden, wies der kata­la­nische medi­zi­nische Not­fall­dienst (Ser­vicio de Emer­gencias Médicas, SEM) Ärzte, Kran­ken­schwestern und Kran­ken­wa­gen­per­sonal an, die Familien älterer Pati­enten, die am Coro­na­virus erkrankt sind, darüber zu infor­mieren, dass “der Tod zu Hause die beste Option ist”.

Das Dokument erklärt, dass das Sterben zu Hause humaner sei, da es Leiden ver­meidet: Pati­enten können sterben, während sie von ihren Familien umgeben sind, was in über­füllten Kran­ken­häusern nicht möglich ist. Das Pro­tokoll riet dem medi­zi­ni­schen Per­sonal auch, den Mangel an Kran­ken­haus­betten in Kata­lonien nicht zu erwähnen.

In den Emp­feh­lungen, die vom Rat der Ärz­te­ver­bände Kata­lo­niens (Consejo de Colegios de Médicos de Cataluña) gebilligt wurden, hieß es, dass Pati­enten über 80 Jahre nicht intu­biert werden sollten und ihnen nur eine “Sau­er­stoff­mas­ken­the­rapie” ange­boten werden sollte. Die Richt­linien emp­fahlen, dass Pati­enten über 80 Jahren, die ersticken, eine “Kom­fort­be­handlung mit Morphin zur Lin­derung des Gefühls der Dyspnoe” ver­ab­reicht werden sollte.

Das SEM riet den Ange­hö­rigen der Gesund­heits­berufe auch, die medi­zi­ni­schen Res­sourcen in der aktu­ellen Not­fall­si­tuation zu opti­mieren und “die Auf­nahme von Pati­enten mit geringem Nutzen zu ver­meiden”. Das medi­zi­nische Per­sonal wurde gebeten, das Material “für die­je­nigen Pati­enten zu reser­vieren, die in Bezug auf die geret­teten Lebens­jahre am meisten pro­fi­tieren können”.

Die kata­la­nische Gesund­heits­mi­nis­terin Alba Vergés bestritt, dass die Richt­linie ältere Pati­enten dis­kri­mi­niere. Der medi­zi­nische Direktor des SEM, Xavier Jiménez, leugnete es eben­falls, räumte aber ein, dass das Dokument exis­tiert. “Alles, was wir tun, ist, den Pati­enten die beste Option für ihre Situation anzu­bieten”, sagte er.

Anderswo in Spanien empfahl die in Madrid ansässige spa­nische Gesell­schaft für intensive und kri­tische medi­zi­nische Ver­sorgung (Sociedad Española de Medicina Intensiva, Crítica y Uni­dades Coro­narias, SEMICYUC), dass maximale the­ra­peu­tische Anstren­gungen jün­geren Men­schen mit mehr Über­le­bens­chancen vor­be­halten bleiben sollten. Wenn ein Mangel an Kran­ken­haus­betten besteht, sollten Men­schen über 80 Jahren oder Men­schen mit Alz­heimer-Erkrankung von der Behandlung aus­ge­schlossen werden.

In Italien schlug ein von einem Kri­senstab in der nörd­lichen Stadt Turin erstelltes Dokument eben­falls vor, dass Coro­na­virus-Opfern im Alter von 80 Jahren oder älter oder Per­sonen in schlechtem Gesund­heits­zu­stand der Zugang zur Inten­siv­pflege ver­weigert werden sollte, wenn nicht genügend Kran­ken­haus­betten zur Ver­fügung stehen.

In einem Dokument, das der bri­ti­schen Zeitung The Tele­graph zuge­spielt wurde, erklärte die Kata­stro­phen­schutz­ab­teilung der Region Piemont, dass der Zugang zur Inten­siv­pflege ver­weigert werden sollte, wenn nicht genügend Kran­ken­haus­betten zur Ver­fügung stünden:

“Zu den Kri­terien für den Zugang zu einer Inten­siv­the­rapie in Not­fällen muss ein Alter von weniger als 80 Jahren oder eine Punktzahl auf dem Charlson-Kom­or­bi­di­täts­index [der angibt, wie viele andere Krank­heiten der Patient hat] von weniger als 5 gehören.

“Das Wachstum der gegen­wär­tigen Epi­demie macht es wahr­scheinlich, dass ein Punkt des Ungleich­ge­wichts zwi­schen den kli­ni­schen Bedürf­nissen von Pati­enten mit COVID-19 und der effek­tiven Ver­füg­barkeit von Inten­siv­mitteln erreicht wird.

“Sollte es unmöglich werden, alle Pati­enten mit Inten­siv­pfle­ge­leis­tungen zu ver­sorgen, wird es not­wendig sein, Kri­terien für den Zugang zur Inten­siv­be­handlung anzu­wenden, die von den begrenzten ver­füg­baren Res­sourcen abhängen.”

Ein pie­mon­te­si­scher Gesund­heitsrat, Luigi Icardi, sagte:

“Einen solchen Moment wollte ich nie erleben. Es [das Dokument] wird ver­bindlich sein und im Falle einer Sät­tigung der Sta­tionen einen Prio­ri­tätscode für den Zugang zur Inten­siv­station fest­legen, der auf bestimmten Para­metern wie dem poten­zi­ellen Über­leben basiert.”

In den Nie­der­landen wurde Ärzten vor­ge­worfen, sie hätten ver­sucht, knappe Betten auf Inten­siv­sta­tionen zu ratio­nieren, indem sie älteren Pati­enten, die an COVID-19 leiden, rieten, auf eine Kran­ken­haus­be­handlung zu ver­zichten, so die Nach­rich­ten­agentur Reuters.

Nie­der­län­dische Par­la­ments­ab­ge­ordnete äußerten Bedenken, nachdem sich Senioren über Anrufe von Ärzten beschwert hatten. Der Abge­ordnete Henk Krol, der die Senio­ren­partei 50PLUS leitet, warnte vor Altersdiskriminierung:

“Ein Acht­zig­jäh­riger ist nicht gleich wie ein anderer. Es gibt Acht­zig­jährige, die fit sind und Marathon laufen, und es gibt Fünf­zig­jährige, die bei schlechter Gesundheit sind.”

Gesund­heits­mi­nister Hugo de Jonge bestritt, dass die Anrufe der Ärzte offi­zielle Regie­rungs­po­litik seien. Er sagte Reuters, dass Gespräche zwi­schen All­ge­mein­me­di­zinern und Pati­enten mit schweren Erkran­kungen über “Erwei­terte Pfle­ge­planung” nicht unge­wöhnlich seien:

“Dies ist gängige Praxis für Ärzte. Wir nennen es fort­ge­schrittene Pfle­ge­planung, das bedeutet, mit den Men­schen darüber zu sprechen, ‘was Sie sich wün­schen würden, wenn Sie krank würden’.

“Die Pati­enten können dann sagen: ‘Wenn es so weit kommt, dass ich ein Beatmungs­gerät brauche, dass ich auf die Inten­siv­station gehen muss, würde ich das lieber nicht tun.’ Das ist eine Mög­lichkeit, aber diese Gespräche basieren nicht auf dem Alter der Patienten.”

In einem Interview mit der nie­der­län­di­schen Fern­seh­sendung WNL Op Zondag am 15. März sagte Marc Bonten, Mikro­biologe an der Uni­ver­si­täts­klinik Utrecht:

“Wie kann man der Menschheit am besten dienen? Aspekte wie die Frage, wer die größten Chancen hat, eine Auf­nahme auf der Inten­siv­station zu über­leben, werden ins Spiel kommen. Es liegt an den Ärzten zu erkennen, wer die besten Über­le­bens­chancen hat.”

Zurück in Spanien beschrieb Óscar Haro, Direktor eines Motorrad-Renn­stalls, in einem viralen YouTube-Video, wie sein älterer Vater am Coro­na­virus starb, nachdem ihm auf­grund seines Alters ein Beatmungs­gerät ver­weigert wurde:

“Mein Vater hat im Alter von 14 Jahren zu arbeiten begonnen bis er 65 Jahre alt war. Er hat nie um etwas gebeten. Am 18. März brauchte er ein Beatmungs­gerät, um nicht zu sterben, und das wurde ihm ver­weigert… Dies ist das Spanien, das wir haben. Die Gene­ration meines Vaters baute dieses Land, seine Stauseen, Straßen, Land­wirt­schaft, arbeitete 14 Stunden am Tag und kam aus einer Nach­kriegszeit. Und sie werden dem Tod überlassen.

“Ich ver­stehe nicht, wie ein Mensch wie mein Vater, der sein ganzes Leben lang gear­beitet und zur sozialen Sicherheit in diesem Land bei­getragen hat, sterben konnte, weil es keine Beatmungs­geräte gibt, weil er nicht in der Lage war, sich behandeln zu lassen, weil es Vor­schriften gibt, die besagen, dass es bei Men­schen über 75 Jahren nicht mehr inter­essant ist, sich um sie zu kümmern, und sie dem Tod über­lassen werden. Wir über­lassen eine Gene­ration, die dieses Land auf­gebaut hat, dem Tod.

“Wir sagen, dass wir eine unglaub­liche soziale Sicherheit haben, während das Gesund­heits­per­sonal nicht einmal Hand­schuhe zum tragen hat. Heute Morgen hatten sie keine Arbeits­kittel oder Masken. Ich ver­stehe nicht, dass es meinem Vater, der seit seinem 15. Lebensjahr mit seiner Frau zusammen ist, nicht erlaubt war, sich von ihr zu ver­ab­schieden.”

Unter­dessen schrieb Ivan Calle Zapata, Fuß­ball­trainer in Mar­torell, einer Gemeinde in Kata­lonien, davon, wie er seine Groß­eltern väter­licher- und müt­ter­li­cher­seits durch das Coro­na­virus verlor:

“Meine 82-jährige Groß­mutter und mein 71-jäh­riger Groß­vater starben nicht an #COVID-19, man ÜBER­LIESS SIE DEM TOD. @salutcat [kata­la­nische Gesund­heits­be­hörden] ver­wei­gerten ihnen Beatmungs­geräte und die Ein­weisung auf die Inten­siv­station, genau wie anderen älteren Men­schen in Kata­lonien. Es folgt ein offener Dis­kus­si­ons­strang, für sie und für all die gebro­chenen Familien:”

Ange­sichts der wach­senden öffent­lichen Empörung über die man­gelnde Behandlung älterer Men­schen gab die spa­nische Regierung am 3. April eine Erklärung heraus, in der sie sagte, dass die Ver­wei­gerung der Gesund­heits­für­sorge für ältere Men­schen ver­fas­sungs­widrig sei:

“Bei extremer Knappheit der Gesund­heits­res­sourcen sollten ältere Pati­enten unter den gleichen Bedin­gungen wie der Rest der Bevöl­kerung behandelt werden, d.h. nach den kli­ni­schen Kri­terien des jewei­ligen Ein­zel­falls. Eine solche Dis­kri­mi­nierung zu akzep­tieren, würde zu einer Unter­schätzung bestimmter alters­be­dingter mensch­licher Leben führen, was den Grund­lagen unserer Rechts­staat­lichkeit wider­spricht, ins­be­sondere der Aner­kennung der jedem Men­schen inne­woh­nenden gleichen Würde”.

Die Erklärung der Regierung hat keine recht­liche Wirkung, was bedeutet, dass es den Regio­nal­re­gie­rungen in Spanien nicht aus­drücklich untersagt ist, die Praxis der Ver­wei­gerung der Gesund­heits­ver­sorgung für ältere Men­schen zu beenden.

Die Knappheit der Gesund­heits­res­sourcen in Spanien und Italien, den beiden euro­päi­schen Ländern, die am stärksten von der Coro­na­virus-Pan­demie betroffen sind, kann direkt auf ein Jahr­zehnt der Spar­maß­nahmen zurück­ge­führt werden.

Während der euro­päi­schen Schul­den­krise in den Jahren 2011 und 2012, als viele ita­lie­nische und spa­nische Banken am Rande des Zusam­men­bruchs standen, erlegten die nord­eu­ro­päi­schen Länder im Aus­tausch für Ret­tungs­ak­tionen strenge Haus­halts­auf­lagen auf. Infol­ge­dessen wurden die Staats­aus­gaben für das öffent­liche Gesund­heits­wesen dras­tisch redu­ziert.

In Spanien ver­kündete die Regierung im April 2012 Spar­maß­nahmen, die darauf abzielten, das öffent­liche Defizit bis 2014 um 65 Mil­li­arden Euro zu senken. Die von der Euro­päi­schen Zen­tralbank auf­er­legten Kür­zungen redu­zierten die spa­ni­schen Aus­gaben für das öffent­liche Gesund­heits­wesen um satte 10%. Der damalige spa­nische Pre­mier­mi­nister Mariano Rajoy erläu­terte: “Diese Maß­nahmen sind nicht angenehm, aber sie sind not­wendig. Unsere öffent­lichen Aus­gaben über­steigen unsere Ein­nahmen um Dut­zende von Mil­li­arden Euro”.

Im November 2019, zwei Monate vor dem ersten Auf­treten des Coro­na­virus in Spanien, gab die spa­nische Regierung bekannt, dass fast 700.000 Pati­enten auf einer War­te­liste für Ope­ra­tionen stünden. Lan­desweit müssen die Pati­enten durch­schnittlich 115 Tage auf eine Ope­ration warten; in Kata­lonien müssen die Pati­enten fast sechs Monate warten, in Madrid sechs Wochen.

Ein ähn­liches Sze­nario lief in Italien ab, wo die Regierung seit 2012 Mil­li­arden Euro an Aus­gaben für die öffent­liche Gesund­heits­für­sorge im Tausch gegen Ret­tungs­gelder der Euro­päi­schen Union einsparte.

Viele Öko­nomen haben gesagt, dass Italien und Spanien niemals dem Euro, der ein­heit­lichen Währung, die von 19 der 27 Mit­glied­staaten der Euro­päi­schen Union ver­wendet wird, hätten bei­treten dürfen, weil sie dadurch ihre wäh­rungs­po­li­tische Sou­ve­rä­nität ver­loren haben: Sie haben die Fähigkeit ver­loren, ihre Währung auf­zu­werten oder abzu­werten, um ihre Wirt­schaft zu steuern und auf wirt­schaft­liche Schocks zu reagieren.

Die Schwere der Coro­na­virus-Krise in Italien und Spanien, wo ältere Pati­enten zum Wohle der Jugend dem Tod über­lassen werden, ist zu einem großen Teil auf die Spar­maß­nahmen im Zusam­menhang mit ihrer Mit­glied­schaft in der Eurozone zurück­zu­führen. Die hohe Zahl der Toten, ins­be­sondere unter den älteren Men­schen, scheint der Preis zu sein, den Ita­liener und Spanier zahlen, um Teil einer Wäh­rungs­union zu sein, der sie niemals hätten bei­treten sollen.

——————

Soeren Kern ist ein Senior Fellow am New Yorker Gatestone Institute.


Quelle: gatestoneinstitute.org