Bill Gates spendet dem Spiegel 2,3 Mio. Euro – Wie unab­hängig kann der Spiegel sein?

Medien sollen die Mäch­tigen der Welt kri­tisch beob­achten. Wie kri­tisch kann aber der Spiegel gegenüber Bill Gates sein, wenn er von ihm 2,3 Mil­lionen Euro bekommen hat?

Das ist keine Ver­schwö­rungs­theorie, man kann es auf der Seite der Bill & Melinda Gates Foun­dation nach­lesen: 2018 hat Spiegel-Online eine Spende in Höhe von 2.537.294 Dollar, das waren etwa 2,3 Mil­lionen Euro, bekommen. Auch der Spiegel hat das mal erwähnt, aber um das zu finden, muss man schon ein wenig suchen.

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Bei Spiegel-Online (heute nur noch „Spiegel“) gibt es die Rubrik „Globale Gesell­schaft“, die durch die Spende von Bill Gates erst geschaffen wurde. Wenn man die Rubrik anklickt, erscheint über der Artikel-Liste fol­gender Text:

„Für unser Projekt Globale Gesell­schaft berichten Repor­te­rInnen aus Asien, Afrika, Latein­amerika und Europa über Men­schen, soziale Brenn­punkte und gesell­schaft­liche Ent­wick­lungen. In Repor­tagen, Ana­lysen, Fotos, Videos und Pod­casts erzählen wir von Unge­rech­tig­keiten vor dem Hin­ter­grund der Glo­ba­li­sierung – aber auch von viel­ver­spre­chenden Ansätzen. Das Projekt wird von der Bill & Melinda Gates Foun­dation unter­stützt, die redak­tio­nellen Inhalte ent­stehen ohne Ein­fluss durch die Stiftung.“

Als ich früher die Artikel aus dieser Rubrik gelesen habe, ist mir zwar auf­ge­fallen, dass sie massiv ein bestimmtes Nar­rativ stützen, aber da der Spiegel das ohnehin immer tut, bin ich darüber nicht gestolpert. Ich hatte den Ein­druck, dass es sich bei „Globale Gesell­schaft“ um eine Art inter­na­tio­nales Gemein­schafts­projekt handelt, an dem der Spiegel beteiligt ist. Das ist Unsinn, wie man in dem oben zitierten Text sehen kann, wenn man ihn auf­merksam liest. Es ist „unser Projekt“ und kein Gemeinschaftsprojekt.

Damit kennen wir den Preis für Spiegel-Artikel: 2,3 Mil­lionen Euro und man bekommt nicht nur einen Artikel, sondern gleich eine ganze Rubrik, um die gewünschte Sicht auf die Welt unter die Leute zu bringen.

Dem Leser wird das weit­gehend ver­schwiegen. Ich habe bei meiner Stich­proben-Suche nur einen Artikel gefunden, in dem der Spiegel selbst es ganz offen (fast so, wie es korrekt wäre) ein­ge­standen hat. Am 16. April hat der Spiegel über eine 150-Mil­lionen-Spende der Gates-Stiftung an die WHO berichtet. Unter dem Artikel findet sich fol­gender Text:

„Offen­legung: Die Bill & Melinda Gates Foun­dation (BMGF) unter­stützt das SPIEGEL-Projekt Globale Gesell­schaft über drei Jahre mit einer Gesamt­summe von rund 2,3 Mio. Euro. Unter dem Titel Globale Gesell­schaft berichten Repor­te­rinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Latein­amerika und Europa, die Bei­träge erscheinen im Aus­lands­ressort des SPIEGEL.“

Korrekt wäre es, wenn der Spiegel darauf zu Beginn des Artikels hin­weisen würde und nicht am Ende, das viele schon gar nicht mehr lesen. So etwas gehört an den Anfang eines Artikels, damit der Leser es beim Lesen im Hin­terkopf hat.

Aber okay, da mag ich kleinlich sein. Aber in jedem Fall gehört so eine „Offen­legung“ unter jeden Artikel des Pro­jektes „Globale Gesell­schaft“, damit der Leser weiß, dass er gespon­serte Artikel liest. Der Spiegel behauptet zwar, dass „die redak­tio­nellen Inhalte ohne Ein­fluss durch die Stiftung“ ent­stehen, aber das darf man bezweifeln. Natürlich legt der Spiegel Bill Gates nicht jeden Artikel zur Geneh­migung vor. Das braucht er auch nicht, denn ich habe keinen Zweifel daran, dass bei der Gründung des Pro­jektes „Globale Gesell­schaft“ und vor der Spende von Gates abge­sprochen wurde, welches Nar­rativ „Globale Gesell­schaft“ unter­stützen soll. Wenn das abge­macht ist, ent­stehen die ein­zelnen Artikel natürlich „ohne Ein­fluss durch die Stiftung”.

Was wir danach vom Spiegel nicht erwarten dürfen, sind kri­tische Berichte über Bill Gates. Da der Spiegel – wie alle Medien – massive Umsatz­rück­gänge hat, wird er es sich mit Bill Gates nicht ver­derben wollen, schließlich könnte es ja eine Fort­setzung des Pro­jektes oder ein neues Projekt und damit neue Mil­lionen geben. Das wird man sicher nicht riskieren.

Nun könnte man sagen „Schwamm drüber“, der Spiegel schreibt unter die Artikel ja die zitierte Offen­legung. Aber falsch, ich fand sie bei meiner Stich­proben-Suche nur einmal. Nor­ma­ler­weise findet man unter den Artikeln des Res­sorts „Globale Gesell­schaft“ nur einen Kasten mit einigen Fragen zu dem Projekt. Die muss man anklicken, damit sie sich öffnen, ansonsten sieht man die Ant­worten nicht. Und das ist schade, denn unter den Artikeln steht unter anderem Fol­gendes:

„Haben auch andere Medien ähn­liche Projekte?
Ja. Große euro­päische Medien wie „The Guardian“ und „El País“ haben mit „Global Deve­lo­pment“ bezie­hungs­weise „Planeta Futuro“ ähn­liche Sek­tionen auf ihren Nach­rich­ten­seiten mit Unter­stützung der Gates-Stiftung aufgebaut.“

Dann ist ja alles gut! Nicht nur der Spiegel lässt sich von der Bill und Melinda Gates Stiftung bezahlen, nein, auch füh­rende Medien in anderen euro­päi­schen Ländern. Natürlich völlig unei­gen­nützig und ohne die Richtung der Berichte vorzugeben.

Auch Fol­gendes erfährt man unter dem Artikeln, wenn man sich die Mühe macht, die Fragen anzuklicken:

„Gab es beim SPIEGEL bereits ähn­liche Projekte?
Der SPIEGEL hat in den ver­gan­genen Jahren bereits zwei Pro­jekte mit dem European Jour­nalism Centre (EJC) und der Unter­stützung der Bill & Melinda Gates Foun­dation umge­setzt: Die „Expe­dition Über­morgen“ über globale Nach­hal­tig­keits­ziele sowie das jour­na­lis­tische Flücht­lings­projekt „The New Arrivals“, in deren Rahmen mehrere preis­ge­krönte Mul­ti­media-Repor­tagen zu den Themen Migration und Flucht ent­standen sind.“

Wie ich schon sagte, der Spiegel hofft sicherlich, auch in Zukunft auf weitere Pro­jekte und weitere Mil­lionen von Bill Gates. Darf man da vom Spiegel kri­tische Berichte zu Themen erwarten, die Bill Gates wichtig sind?

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Noch dreister ist aber, dass man in der Rubrik „Globale Gesell­schaft“ auch Artikel findet, bei denen dieser Kasten mit den Fragen und Ant­worten fehlt und die nicht deutlich als Teil des Pro­jektes gekenn­zeichnet sind. Vor einigen Tagen war das zum Bei­spiel ein Artikel über Libyen und „die euro­päische Flücht­lings­po­litik am Pranger„, der im Ressort „Politik“ erschienen ist, aber auch in der Rubrik „Globale Gesell­schaft“ auf­taucht. Oder ein Artikel über das Coro­na­virus in einem Flücht­lings­lager in Ban­gla­desch. Ich habe mir nur die Artikel vom 28. April bis heute ange­schaut und schon in diesem kurzen Zeitraum zwei solcher nicht klar gekenn­zeich­neten Bei­spiele gefunden.

In diesen Artikeln fehlt der Kasten mit den anklick­baren Fragen. In diesen Artikeln ist lediglich im Text ein kleiner Kasten ein­gebaut, in dem man fol­genden, unschul­digen Hinweis über das Projekt „Globale Gesell­schaft“ lesen kann:

„In Repor­tagen, Ana­lysen, Fotos, Videos und Pod­casts berichten wir weltweit über soziale Unge­rech­tig­keiten, gesell­schaft­liche Ent­wick­lungen und viel­ver­spre­chende Ansätze für globale Probleme.“

Weder die 2,3 Mil­lionen Euro, noch Infor­ma­tionen darüber, von wem sie gekommen sind, findet man in den Artikeln. In diesen Artikeln ver­schweigt der Spiegel seinen Lesern, von wem er sich bezahlen lässt. Und sie alle haben eines gemeinsam: Sie erscheinen im Ressort „Politik“. Ein Schelm wer dabei auf die Idee kommt, Bill Gates könnte auf die Bericht­erstattung zu bestimmten poli­ti­schen Themen Ein­fluss nehmen wollen.

Stellen Sie sich einmal vor, ich würde von einem rus­sische Olig­archen (Bill Gates ist ja auch nichts anderes, er ist ein ame­ri­ka­ni­scher Oligarch) auch nur tausend Euro für ein Projekt bekommen. Was glauben Sie, was man dann über mich behaupten würde? Könnte es sein, dass man mir vor­werfen würde, ich wäre gekauft?

Aber der Spiegel ist natürlich über jeden Ver­dacht erhaben…

In eigener Sache zu dem Thema: Ich bekomme immer wieder Mails mit der Auf­for­derung, fremde Artikel zu ver­öf­fent­lichen. Dazu ganz deutlich:

Erstens: Auf dem Anti-Spiegel erscheinen nur Artikel von mir, Gast­ar­tikel sind die große Aus­nahme (in diesem Jahr gab es erst zwei) und sie erscheinen deutlich als solche gekenn­zeichnet. Geld ist dabei keines im Spiel, solche Gast­ar­tikel erscheinen auf meine Initiative hin, wenn ich ein Thema inter­essant finde, aber andere mehr Expertise dazu haben, als ich. Hier finden Sie ein Bei­spiel.

Zweitens: Ich emp­finde es als Belei­digung, wenn man mir Geld anbietet, damit ich dies oder jenes schreibe, oder gar einen fremden Text veröffentliche!


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.