Jim Knopf — oder wie „anti­ras­sis­tische“ Bil­der­stürmer aus Ignoranz und blindem Eifer genau die Fal­schen treffen

Michael Ende, der Autor von „Jim Knopf und Lukas, der Loko­mo­tiv­führer“ war der Sohn des sur­rea­lis­ti­schen Malers Edgar Ende, dessen Künst­ler­laufbahn in den 30ger Jahren ein jähes Ende nahm, als seine Kunst­werke von der NS-Reichs­kul­tur­kammer als ent­artete Kunst ein­ge­ordnet wurden. Michael Endes Familie musste mit­an­sehen, wie Künst­ler­kol­legen und Freunde des Vaters depor­tiert wurden. Einige dar­unter waren Juden. Michael Ende wuchs in einer Familie auf, die absolut in Oppo­sition zu den Natio­nal­so­zia­listen stand. Schon als kleines Kind wusste er, wie über­le­bens­wichtig es war, mit keinem Wort zu ver­raten, was er zu Hause hörte, wer da ein und aus ging und was man dort mit Freunden besprach.

Als er 15 Jahre alt wurde, sollte er wenige Wochen vor Kriegsende noch zur Hei­mat­ver­tei­digung ein­ge­zogen werden. Er zerriss seinen Stel­lungs­befehl und schloss sich der Frei­heits­aktion Bayern, einer Wider­stands­gruppe gegen die Natio­nal­so­zia­listen, an. Später wollte er Thea­ter­autor werden, war aber darin nicht erfolg­reich. Doch als Buch­autor gelangen ihm wun­der­schöne Werke. Dar­unter das bezau­bernde Kin­derbuch „Jim Knopf und Lukas, der Loko­mo­tiv­führer“. „Jim Knopf“ gewann den Deut­schen Lite­ra­tur­preis und begleitete Hun­dert­tau­sende in ihrer Kin­derzeit. Das Buch war am 9. August 1960 erschienen. Im Jahr 2010, zum 50sten Geburtstag gra­tu­lierten viele dem Kin­derbuch-Helden Jim Knopf.

Aber schon damals gab es die, die so viel besser wussten, was für Kinder gut ist. Ihm wurde „Eska­pismus“ vor­ge­worfen. Mit seinen lie­bens­würdig fan­ta­sie­vollen, posi­tiven Märchen bereite er die Kinder nicht auf das wahre Leben vor. Fragt man jedoch die Kinder und die Erwach­senen, die mit diesen Märchen groß wurden, fangen die Augen an zu leuchten und sie erinnern sich an die vielen auf­re­genden, tröst­lichen, schönen Momente, die ihnen Michael Endes Geschichten geschenkt haben.

Nun gibt es wieder eine Debatte um eines seiner Bücher: Jim Knopf, Lukas, der Loko­mo­tiv­führer und Emma, die Loko­motive auf Lummerland.

Eine Kita-Lei­terin aus Groß-Flottbek hat sich der ras­sis­mus­kri­ti­schen Früh­bildung in den Kitas ver­schrieben. Die Dame heißt Chris­tiane Kassama. Das ist ein nicht unüb­licher Fami­li­enname in dem west­afri­ka­ni­schen Staat Mali. Frau Kassama ist in Baden-Baden geboren und auf­ge­wachsen, verrät die „Zeit“.
„Seit 1985 lebt und arbeitet sie in Hamburg, wo Kassama für eine dis­kri­mi­nie­rungs­sen­sible, ras­sis­mus­kri­tische Früh­bildung von Kindern in Kita und Vor­schule ein­tritt. Die Päd­agogin war früher aktiv in der Initiative Schwarze Men­schen in Deutschland und orga­ni­siert bis heute das Afri­ka­fes­tival Alafia in Hamburg mit.“

Das ist vor­bildlich und schön und ver­dient Aner­kennung. Dennoch muss man fragen dürfen, ob ihre per­sön­liche Ver­bindung zu Afrika, wahr­scheinlich durch ihren Ehemann, auch für den Rest der Welt Prio­rität haben muss. Dass kein ver­nünf­tiger Mensch mit Herz und Hirn Rassist ist, ver­steht sich von selbst. Aber ihr Feldzug gegen Jim Knopf und Lukas, den Loko­mo­tiv­führer ist – um im Bild zu bleiben – ziemlich ent­gleist. Weil die Haupt­person der Geschichte ein schwarzer Junge ist, setzt auch sofort der blinde Eifer des Anti­ras­sismus ein. Dabei ver­steht die Dame über­haupt nichts von dieser Figur und hat offen­sichtlich die Geschichte nicht wirklich mit offenem Geist und Herzen gelesen.

Da wird ein schwarzes Baby in einem Schuh­karton auf der win­zigen Insel (mit zwei Bergen) Lum­merland ange­schwemmt. Die Bewohner von Lum­merland schauen in den Karton und rufen erstaunt: „Ein schwarzes Baby!“ und Herr Ärmel erklärt: „Das dürfte ver­mutlich ein kleiner Neger sein“. Oohoooh! Michael Ende hat das N‑Wort gebraucht! Er muss Rassist sein! Und schon laufen die reflex­ar­tigen Reak­tionen unauf­haltsam ab. Frau Kassama ist tief betrübt, dass dieses Buch immer noch gelesen wird. Sie scannt alles und jedes auf mög­liche ras­sis­tische Muster ab und wo sie eins findet, wird der Bann ver­hängt: Weg damit ins Altpapier!

Eine Kost­probe aus ihrem Interview mit dem Magazin „Die Zeit“:

ZEIT ONLINE: Welche Bücher sind es in den Kitas, die ins Alt­papier müssen?
Kassama: Jim Knopf wird leider noch oft gelesen. Jim Knopf repro­du­ziert viele Kli­schees, zum angeblich typi­schen Wesen und Äußeren von Schwarzen. Jim Knopf ist so, wie sich Weiße ein lus­tiges, freches, schwarzes Kind vor­stellen. Auch Pippi Lang­strumpf liegt als Buch fast in jeder Kita.

ZEIT ONLINE: Pippi Lang­strumpf, die Heldin von Gene­ra­tionen von Kindern, gehört entsorgt?

Kassama: Der Vater von Pippi erzählt von den Ländern, die er bereist hat. Zu jedem Land weiß er eine komische Eigenart. Am Ende zieht er diese Kli­schees lachend zurück, bloß das Kli­schee vom Kongo nicht und deshalb bleibt hängen: Im Kongo lügen die Men­schen. Genau das bleibt auch bei den Kindern hängen, die das vor­ge­lesen kriegen.

Diese Kli­schee-Vor­würfe sind jetzt der neueste Ras­sismus-Vor­wurfs-Hebel. Was ist eigentlich kli­scheehaft an einem pfif­figen, lus­tigen, frechen schwarzen Jungen? Gibt es so jemanden nicht? Jim Knopf ist sym­pa­thisch, fan­ta­sievoll, selbst­be­wusst, hat Humor und weiß sich und anderen zu helfen. Es ist auch eine will­kür­liche, kli­schee­hafte Behauptung, dass Weiße sich einen schwarzen Jungen grund­sätzlich als lustig und frech vor­stellen. Sicher, in einem hat sie Recht. Weiße – und nicht nur Weiße —  stellen sich ein schwarzes Kind schwarz vor. Ist natürlich ein Kli­schee, ganz klar.

Jim Knopf ist ein kleiner Held. Jemand, der unge­ahnte Fähig­keiten bei all den Aben­teuern ent­wi­ckelt, ein Vorbild für Jungen und Mädchen und ein absolut guter Kerl, der hilfs­bereit ist und für andere ein­steht und ein guter Freund. Was ist daran kli­scheehaft und verurteilenswert?

Frau Kassama reagiert anscheinend einfach pau­schal- reflexhaft „anti­ras­sis­tisch“. Weder ver­steht sie, wie positiv und vor­bildhaft Jim Knopf für Kinder ist, noch ver­steht sie, wer der Buch­autor Michael Ende war – und schon gar nicht hat sie eine Ahnung davon, wer die his­to­rische Figur hinter Jim Knopf war. Viel­leicht sollte Frau Kassama einmal das Buch von Julia Voss, „Darwins Jim Knopf“ lesen.

Julia Voss ist Kunst­kri­ti­kerin, Wis­sen­schafts­his­to­ri­kerin und Jour­na­listin. Sie war stell­ver­tre­tende Lei­terin des Feuil­letons der Frank­furter All­ge­meinen Zeitung und ist seit 2015 Hono­rar­pro­fes­sorin an der Leu­phana Uni­ver­sität Lüneburg.

In ihrem Buch „Darwins Jim Knopf“ hat sie das Kin­derbuch  von Michael Ende sauber seziert und die dahin­ter­lie­gende Struktur auf­ge­deckt. Der his­to­rische Jim Knopf hieß Jemmy Button und er war eine Geisel an Bord des Schiffes von Charles Darwins For­schungs-Mann­schaft, der „Beagle“. Er war ein kleiner Junge und gehörte einem der dun­kel­häu­tigen Indi­genen Stämme auf Feu­erland an. Darwin schrieb über Jemmy Button, dass er so genannt wurde, weil sein Name seinen Kauf­preis wie­dergab: Die Crew der Beagle hatte den Jungen auf Feu­erland  im Tausch für einen Perl­mutt­knopf erworben.

Es gab mehrere dieser Geiseln, die man auf den Schiffen mit­führte, um ein „Faust­pfand“ gegen die rebel­li­schen Urein­wohner zu haben, wenn man an Land ging oder irgend­welche Pflanzen und Tiere ein­sam­melte. Am Ende der Reise sollten die Kinder frei­ge­lassen werden. Nur wurden die Eng­länder  nicht alle Geiseln wieder los, weil es viele ver­schiedene Stämme entlang der Küste gab, und diese kein Interesse an irgend­welchen Jungs anderer Stämme hatten. Also kam Jemmy Button mit der „Beagle“ nach England.

Der Klap­pentext des Buches von Julia Voss lautet:

Michael Endes “Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer” ist eines der popu­lärsten Kin­der­bücher der Nach­kriegszeit. Bisher dachte man auch, dass damit alles gesagt sei. In einer span­nenden Spu­ren­suche legt Julia Voss jedoch eine tiefere Dimension dieses Klas­sikers der Kin­der­li­te­ratur frei: Wie eine Detek­tivin weist sie nach, dass zahl­reiche Anspie­lungen auf Darwin und die Evo­lu­ti­ons­theorie das gesamte Buch durch­ziehen — es sind so viele, dass sich dahinter ein Plan ver­bergen muss. Diesen Plan legt sie Schritt für Schritt frei und zeigt, dass Michael Endes Buch mehr ist als das Produkt reiner eska­pis­ti­scher Phantasie.

Julia Voss inter­pre­tiert Michael Endes Kin­derbuch „Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer“ als Gegenrede zu der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Aus­legung von Darwins Evo­lu­ti­ons­theorie des Über­lebens und der Auslese der Stär­keren. Michael Ende habe für seine Erzählung, die im Grunde das Hel­denepos von Jim Knopf ist — nur in kind­lichem Gewand — den Gegen­entwurf nicht nur zu dem Schicksal des his­to­ri­schen Jemmy Button (der als Erwach­sener ein Mörder wurde), sondern zual­lererst die Gegen­these zur natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Mythenwelt beabsichtigt.

Die kennt­nis­reichen Inter­pre­ta­tionen von Julia Voss und die klare Glie­derung ihrer Gedanken finden den Beifall aller Rezen­senten. Die Hin­weise und Meta­phern in Endes Buch sind, betrachtet  man die Geschichte aus diesem Blick­winkel, nicht zu über­sehen und auch nicht misszuverstehen:

„Lukas und Jim dringen in die Dra­chen­stadt Kum­merland ein, die nicht rein­ras­sigen Besu­chern mit der Todes­strafe droht; sie befreien die Kinder aus der Erzie­hungs­an­stalt der Frau Mahlzahn, die ihre jungen Lehr­linge an die Schul­bänke kettet und in Angst und Schrecken hält. Sie ver­helfen dem Halb­drachen Nepomuk, der sich für sein Misch­lings­dasein schämt, zu neuen Freunden und einem neuen Leben. (…) Sie machen aus Lum­merland, das so klein wie eine Wohnung ist, einen Staat, der so groß wie ein Kon­tinent ist und alle Völker der Welt auf­nehmen kann und in Frieden zusam­men­leben lässt.“

In dieser Welt, schreibt Julia Voss, gibt es keine unum­stöß­lichen Gesetze. „Alles kann sich ver­wandeln, zum Guten wenden. Selbst aus dem bösen Drachen kann ein gol­dener Drachen der Weisheit werden.“

Oh, mein Gott, Frau Voss. Schon wieder so ein Kli­schee. Wie sich Weiße ebenso einen Drachen der Weisheit vor­stellen. Da hat Frau Voss aber mächtig Glück, dass es noch keine anti­ras­si­tische Lobby für Drachen gibt.