Seit Monaten werden wir gezwungen, „zu unserem eigenen und zum Schutz der anderen“ Masken zu tragen. Nur Frau Merkel, die gebetsmühlenartig wiederholt, wie wichtig der Mund-Nasenschutz ist, trägt keine.
(von Vera Wagner)
In den sozialen Medien kursieren Bilder, die zeigen, dass unsere Politiker vor Beginn einer Pressekonferenz maskenfrei und ohne Sicherheitsabstand plaudern – im Glauben, die Kameras seien aus. Kurz bevor die Show beginnt, veranstalten sie dann wieder ihren Maskenball für den naiven Nachrichtenzuschauer. Dumm nur, dass eben manchmal eine Kamera schon vor der offiziellen Veranstaltung an ist. Und komisch, dass sich kaum einer am „vorbildlichen Verhalten“ unserer Politiker stört. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann, der immer wieder nach dem Motto „Aber bitte mit Maske!“ für das Tragen des Mundschutzes wirbt, hält sich nicht an seine eigene Verordnung. Ohne Maske saß er im Wartebereich des Berliner Flughafens, und im Flieger hat ihn eine Zeugin beobachtet. Aus dem Ministerium kam die Begründung, Herr Kretschmann habe etwas gegessen, und das gehe ja nur ohne Mundschutz. Na, da hatte er offenbar einen Bärenhunger!
Wer mich richtig auf die Palme bringt, da ich mich ja intensiv mit dem Thema Ernährung und Tierhaltung befasse, ist Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner. Ihre angeblichen Bemühungen um Verbraucherschutz und Tierwohl sind aus meiner Sicht nichts als Show. Anfang Juni hatte Klöckner versucht, eine Verordnung durchzubringen, die es Millionen Bauern weitere acht Jahre erlaubt, ihre armen Sauen in engen Metallkäfigen zu halten, in denen sie sich nicht rühren können. Im letzten Moment hatten sich die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung geweigert, diesem Kompromiss zuzustimmen. Das ist jetzt aber alles andere als ein Happy End! Die schon 2015 als illegal eingestufte Haltungsform wird somit nämlich weiter von der Politik geduldet. Wie lange noch? Der Ethikrat forderte ein Ende dieser erbärmlichen Tierhaltung. Um die Ethik vieler Politiker ist es offenbar schlecht bestellt.
Beim Ernährungsreport 2020 fand Klöckner wohlklingende Worte über das geänderte Ernährungsverhalten der Deutschen in Zeiten von Corona: “Lebensmittel aus der Region haben an Bedeutung gewonnen. Es ist ein neues Bewusstsein für Lebensmittel entstanden – und für die Arbeit derjenigen, die sie produzieren. Diese neue Wertschätzung gilt es, aufrecht zu erhalten.” Na fein, dann sollte sie aber bitte auch mit gutem Beispiel vorangehen. Oder fehlt ihr dieses Bewusstsein? Frau Klöckner hat sich von BILD TV einladen lassen als Gast zu „Kochen mit Lafer“. Online haben die beiden ein Drei-Gänge-Menü für sechs Euro zubereitet. Kann man ein solches Menü mit hochwertigen Lebensmitteln aus der Region zubereiten? Beim Fleisch waren es Produkte der Tierwohlstufe eins. Das ist unterste Schublade. Die schlechteste Kategorie, in der Minimalanforderungen für Kühe, Schweine, Jungbullen, Hähnchen und Puten eingehalten werden. Viele Verbraucher halten diese Mindestanforderungen nicht für ausreichend: So teilen sich 26 Hühner einen Quadratmeter. Frau Klöckner findet es anscheinend politisch korrekt, Fleisch aus der Haltung mit dem roten Siegel öffentlichkeitswirksam zuzubereiten und zu essen. Doch damit nicht genug: Die verwendeten Produkte waren von Kaufland gesponsort. Sternekoch Lafer hielt sie in die Kamera und betonte, dass er für die „frischen Lebensmittel, die tollen Produkte“ nicht mehr als 25 Euro ausgegeben habe. Die FDP verlangte Aufklärung, und aus dem Ministerium kam die Erklärung, Sponsoring sei weder im Vorfeld noch zum Zeitpunkt der Aufzeichnung bekannt gewesen. Na, dann ist ja alles gut! Wahrscheinlich war Frau Klöckner mal kurz austreten, als Herr Lafer die Produkte werbewirksam präsentierte. Oder wurde das nachträglich reingeschnitten? Die Sendung wurde aufgezeichnet.
Glaubt unsere Ministerin wirklich, dass man mit 6 Euro ein dreigängiges Menü mit „frischen, tollen Lebensmitteln“ zaubern kann? Haben sie und Herr Lafer mal darüber nachgedacht, ein (Billig)fleischfreies Menü zuzubereiten?
Der Unmut wächst, nicht nur bei mir. Sterne-Koch Jan Hartwig vom Restaurant Atelier im Hotel Bayerischer Hof hat sich persönlich an Agrarministerin Klöckner gewandt und sie zum Rücktritt aufgefordert. Im Interview mit der Abendzeitung sagte er, er sei immer noch zornig auf sie wegen dieses Fernsehauftrittes mit Lafer. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung äußerte Hartwig sich kritisch über die Praktiken in der Fleischproduktion. Die Ausbeutung der Tiere und der Menschen in dieser Branche müsse aufhören. Der streitbare Koch tut seine Meinung auch in den sozialen Netzwerken kund und nimmt es der Ministerin übel, dass sie seine Nachrichten dort lösche und ihn komplett ignoriere. „Ich weiß auch nicht, was die Frau glaubt, wie die Leute sich verarschen lassen. Ich bekomme so viel Resonanz auf Facebook und Instagram nach dem Motto: Endlich ist da mal einer, der seine Bekanntheit und seine Reichweite für etwas Positives nutzt. Und dann nichts. Eine Frechheit!“, so Jan Hartwig im Interview.
Frau Klöckner geht nicht mit gutem Beispiel voran. Sie duldet die untragbaren Zustände in der Massentierhaltung in Deutschland und schämt sich nicht, bei einer Koch-Show PR für Billigfleisch zu machen. Vorbildcharakter hat das nicht. Kein Wunder, dass es Menschen gibt, die sich über die massenhaften Skandale in der Massentierhaltung zwar aufregen, aber trotzdem beim nächsten Discounter ein Schweinenackensteak für 1,99 Euro kaufen. Oder Spanferkel für 3,99 Euro das Kilo. Wahrscheinlich würde es unkritische Verbraucher auch nicht abschrecken, wenn auf Fleisch- und Wurstpackungen Aufnahmen von leidenden und sterbenden Tieren kleben würden. Die ekligen Bilder auf Zigarettenpackungen schrecken die Raucher ja auch nicht ab.
Größere Handelsketten wie Lidl und Aldi Süd haben angekündigt, die Zusammenarbeit mit dem skandalumwitterten Fleischbetrieb Tönnies einzufrieren. Ein Engpass in den Regalen sei nicht zu befürchten. Ich frage mich: Woher kommt dann das billige Schweinenackensteak? 54 Mio. Schweine werden in Deutschland jedes Jahr geschlachtet, drei große Firmen teilen sich die Hälfte des Marktes untereinander auf. Bleiben also noch zwei, die – mit Sicherheit unter ebenso erbärmlichen Bedingungen wie Tönnies – Fleisch am Fließband produzieren. Ein Skandal ist das!
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-fleisch-debatte-jan-hartwig‑1.4947943?reduced=true
Bildquelle Spanferkel: facebook-post von Tatjana Gessler, Tierschutz, vom 15.6.2020
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