Die EZB auf den Spuren der Reichsbank

Nach­stehend findet sich ein Auszug des Vor­trages, den Thorsten Polleit am 22. Juni 2020 beim Friedrich August von Hayek-Club Köln gehalten hat.

„It is no coin­ci­dence that the century of total war 

coin­cided with the century of central banking.“

—Ron Paul

Ein­leitung

Lassen Sie uns den Vortrag beginnen mit einem Zitat des öster­rei­chi­schen Öko­nomen Ludwig von Mises (1881–1973):

Wir sahen, daß eine Regierung sich immer dann genötigt sieht, zu infla­tio­nis­ti­schen Maß­nahmen zu greifen, wenn sie den Weg der Anlei­he­be­gebung nicht zu betreten vermag und den der Besteuerung nicht zu betreten wagt, weil sie fürchten muß, die Zustimmung zu dem von ihr befolgten System zu ver­lieren, wenn sich seine finan­zi­ellen und all­gemein wirt­schaft­lichen Folgen allzu schnell klar ent­hüllen. So wird die Inflation zu dem wich­tigsten psy­cho­lo­gi­schen Hilfs­mittel einer Wirt­schafts­po­litik, die ihre Folgen zu ver­schleiern sucht. Man kann sie in diesem Sinne als ein Werkzeug anti­de­mo­kra­ti­scher Politik bezeichnen, da sie durch Irre­führung der öffent­lichen Meinung einem Regie­rungs­system, das bei offener Dar­legung der Dinge keine Aus­sicht auf die Bil­ligung durch das Volk hätte, den Fort­be­stand ermöglicht.

Viel­leicht geht es Ihnen wie mir; als ich diese Worte las, dachte ich: Was für eine frap­pie­rende Par­allele! Mises‘ Gedanken – die er vor fast 100 Jahren zu Papier brachte – könnten aktu­eller nicht sein. Mises for­mu­lierte sie im Januar 1923, nur wenige Monate bevor die Mark im Wir­bel­sturm der Hyper­in­flation zer­stört wurde.

Wie kam es zu dieser Wäh­rungs­ka­ta­strophe – dem Trauma der Deut­schen? Und was ist aus dieser Episode zu lernen mit Blick auf den Euro? Was ist dran an der Ein­schätzung, dass die EZB auf den Spuren der Reichsbank wandele – wie mein Vor­trags­titel es suggeriert?

Reichsbank

Die Reichsbank mit Sitz in Berlin wird am 1. Januar 1876 gegründet. Sie dient dem Kai­ser­reich als Zen­tralbank. Seit dem 4. Dezember 1871 wird im Reich die Reichs­gold­münze geprägt mit der Rechen­einheit “Mark”.

Eine Mark ent­spricht 0,358423 Gramm Feingold. Der Reichsbank wird es per Gesetz erlaubt, Mark in Form von Bank­noten aus­zu­geben, und zwar „nach dem Bedürfnis ihres Ver­kehrs“, wie es heißt. Ein Drittel der aus­ge­ge­benen Bank­noten muss durch gül­tiges deut­sches Geld (als Gold­münzen), Reich­kas­sen­scheine oder Gold in Barren oder aus­län­di­schen Münzen abge­deckt sein, die übrigen zwei Drittel durch dis­kon­tierte Wechsel und Schecks.

Die Reichsbank ope­riert folglich mit einer Teil­re­serve: Wenn es hart auf hart kommt, kann sie nicht alle von ihr aus­ge­ge­benen Noten wie ver­sprochen in Gold voll­um­fänglich eintauschen.

Das können übrigens auch die deut­schen Geschäfts­banken nicht, denn auch sie ope­rieren mit einer Teil­re­serve. Das Teil­re­ser­ve­system führt immer wieder zu Ban­ken­pleiten und Wirt­schafts­stö­rungen. Doch nicht die Praxis der Teil­re­serve soll beendet werden, sondern man will eine Zen­tralbank als “Lender of Last Resort” errichten, um das Teil­re­serve-Bank­wesen mög­lichst unge­stört betreiben zu können.

Natürlich lässt sich das Grün­dungs­motiv der Reichsbank auch ver­klären, wie es vielfach geschieht unter His­to­rikern: Die Zen­tralbank sei Aus­druck des Fort­schrittes, der Schaffung eines trans­pa­renten geord­neten Wäh­rungs­wesens im Reich, ein Projekt, das sogar getragen werde von libe­ralen Kräften.

Ent­scheidend bei der Schaffung der Reichsbank ist aber das poli­tische Macht­kalkül: Das Kai­ser­reich will eine Zen­tralbank mit Bank­noten-Monopol, denn wer das Geld­wesen kon­trol­liert, der hat große Macht, das Wirt­schafts- und Gesell­schafts­leben zu beeinflussen.

Erster Welt­krieg

Mit dem Aus­bruch des Ersten Welt­krieges im August 1914 wird die Gold­ein­lös­barkeit der Mark auf­ge­hoben. Die Mark wird zur Papiermark.

Das Reich finan­ziert die Kriegs­aus­gaben zunächst mit Schulden – denn man hofft, Frank­reich nie­der­zu­ringen und es die Rechnung zahlen zu lassen. Die Staatschulden steigen von 5,1 Mrd. Mark in 1914 auf 105,3 Mrd. Mark in 1918 (ein Anstieg von 1.965 Prozent).

Ab 1917 gibt die Reichsbank aller­dings immer mehr neue Mark aus, die nicht durch Gold gedeckt sind: Die Geld­menge steigt von 5,9 Mrd. Mark auf 32,9 Mrd. Mark (ein Zuwachs von 458 Prozent).

In der Zeit von 1914 bis 1918 steigen die Groß­han­dels­preise um 96 Prozent. (Um ein Bei­spiel zu geben, was das bedeutet: Eine Tasse Kaffee, die 1914 10 Pfennig gekostet hat, kostet nun 19,6 Pfennig.)

Der Preis des US-Dollar in Mark gerechnet steigt um etwa 84 Prozent – das heißt also, für eine Mark bekommt man beinahe nur noch halb so viel US-Dollar wie vor dem Krieg.

Wir sehen: Nicht der Krieg hat die Hyper­in­flation gebracht. Sie kam erst viel später, viele Jahre nach Kriegsende. Wie und warum, das will ich nun erläutern.

Wei­marer Republik

Die Wei­marer Republik, die per Revo­lution her­bei­ge­führte Demo­kratie, lebt von Anfang an auf Pump, und die Reichsbank finan­ziert die Haus­halts­löcher mit neu gedrucktem Geld.

Von Dezember 1919 bis Oktober 1922 steigt die Papiermark-Geld­menge von 68 auf 485 Mrd. Mark – ein Zuwachs von 613 Prozent in knapp drei Jahren (oder knapp 93 Prozent pro Jahr).

Die poli­tische Lage in der Republik dra­ma­ti­siert sich, als Reichs­au­ßen­mi­nister Walther Rathenau (1867–1922) am 24. Juni 1922 in Berlin ermordet wird.

Schlag­artig schwindet das inter­na­tionale Ver­trauen in die Wei­marer Republik. Der Außenwert der Papiermark hal­biert sich fast von Juni auf Juli 1922.

Als Ende des­selben Jahres Deutschland beschuldigt wird, mit seinen Repa­ra­tionen im Rück­stand zu sein, beginnt die Lage zu eska­lieren. Im Januar 1923 besetzen fran­zö­sische und bel­gische Truppen das Ruhrgebiet.

Reichs­kanzler Wilhelm Kuno ruft zum pas­siven Wider­stand auf. Er ver­spricht, die Löhne der Arbeiter, Ange­stellten und Beamten mit neu gedrucktem Geld zu bezahlen.

Die Reichsbank gibt immer mehr Bank­noten aus, um die Finan­zie­rungs­wünsche der Reichs­re­gierung zu erfüllen. Bald gibt es kein Halten mehr.

Die Geld­menge und als Folge die Güter­preise steigen mit immer grö­ßeren Raten an. Aus hoher Inflation wird galop­pie­rende Inflation, dann Hyper­in­flation, die ihren Hoch­punkt im Herbst 1923 erreicht. (Eine all­gemein akzep­tierte Defi­nition der Hyper­in­flation gibt es nicht. Häufig wird auf den Öko­nomen Phillip D. Cagan ver­wiesen, der Hyper­in­flation mit Preis­stei­ge­rungen von 50 Prozent pro Monat (Jah­resrate von 12.900 Prozent) einstuft.)

Die Ent­wicklung der Geld­menge und der Güter­preise wird schwin­del­erregend. Ein Alb­traum für die breite Bevöl­kerung, der Elend und Ver­armung bringt.

Die Hyper­in­flation kam nicht – und das sei hier betont – wie eine Natur­ka­ta­strophe über die Deutschen.

Es waren nicht Repa­ra­ti­ons­zah­lungen oder Zah­lungs­bi­lanz­pro­bleme, die die Hyper­in­flation aus­gelöst haben.

Nein, es war die Reichsbank, die die Hyper­in­flation erzeugte, indem sie für eine nicht enden wol­lende, sich immer weiter beschleu­ni­gende Geld­men­gen­ver­mehrung gesorgt hatte.

Ganz wichtig an dieser Stelle: Die Reichsbank war von den Alli­ierten am 26. Mai 1922 in die Auto­nomie ent­lassen worden. Man wollte sie unab­hängig von der Politik machen. Dem Geldwert hat das jedoch nicht geholfen. Die Unab­hän­gigkeit der Reichsbank war kein wirk­sames Bollwerk gegen Hyperinflation.

Hjalmar Schacht (Reichs­bank­prä­sident von 1923 bis 1930 und von 1933 bis 1939) schrieb dazu:

In immer wach­sendem Maße musste das Reich auf die Reichsbank zurück­greifen, um seine Existenz zu fristen, und weil es sich um die Existenz des Reiches han­delte, glaubte die Reichsbank sich auch dann nicht ver­sagen zu können, als ihr durch die Gesetz­gebung von 1922 die for­melle Auto­nomie zuteil geworden war. Die Absicht des Gesetzes von 1922, die Reichsbank von den Ansprüchen des Staates frei­zu­machen, schei­terte gerade im ent­schei­denden Moment, weil das Reich keine andere Lösung fand, sich finan­ziell über Wasser zu halten, als den infla­tio­nis­ti­schen Rück­griff auf die Notenpresse.

Etwas zum Geld 

Bevor ich zum Euro und zur Euro­päi­schen Zen­tralbank über­leite, seien noch zwei kurze Anmer­kungen zum Geld – dem all­gemein akzep­tierten Tausch­mittel – gemacht.

(1) Öko­no­misch gesehen bedeutet die Aus­weitung der Geld­menge Inflation. – Heut­zutage wird unter Inflation ein Ansteigen der Güter­preise ver­standen („Güter­preis­in­flation“). Doch das ist eine ver­kürzte Sicht. Öko­no­misch sinnvoll lässt sich Inflation als ein Aus­weiten der Geld­menge interpretieren.

Eine stei­gende Geld­menge kann, muss aber nicht mit stei­genden Güter­preisen ein­her­gehen. Güter­preis­in­flation ist so gesehen nur eine mög­liche Folge der Geldmengenvermehrung.

Ein Aus­weiten der Geld­menge führt zur Umver­teilung von Ein­kommen und Ver­mögen. Dabei gibt es Gewinner und Ver­lierer. Dazu ein Beispiel:

Seit Euro-Ein­führung im Januar 1999 ist die Geld­menge M3 bis heute um jah­res­durch­schnittlich 5,2% ange­stiegen. Die Löhne in Deutschland sind in dieser Zeit aller­dings nur um 2,1% gestiegen.

Wenn, liebe Leserin, lieber Leser, ihr Ein­kommen nur um durch­schnittlich 2,1% pro Jahr gestiegen ist, können sie ver­si­chert sein, dass viele andere relativ reicher geworden sind im Ver­gleich zu Ihnen.

(2) Edel­me­talle sind gutes Geld, Gold und Silber sind gutes Geld. – Die wäh­rungs­his­to­rische Norm ist, dass Edel­me­talle, allen voran Gold und Silber, als Geld ver­wendet wurden. Dass heute unge­decktes Papiergeld oder Fiat-Geld (ich werde dazu gleich noch etwas sagen) umläuft, ist nicht etwa einer öko­no­mi­schen Not­wen­digkeit geschuldet.

Es hat vielmehr einen poli­ti­schen Grund: Mit der zuneh­menden Ver­breitung kol­lek­ti­vis­ti­scher-sozia­lis­ti­scher Ideen wollten die Regie­rungen die Kon­trolle über das Geld und damit vor allem die Mög­lichkeit, die Geld­menge nach Belieben aus­zu­weiten. Dem stand das Goldgeld im Wege – und wurde daher abge­schafft. Mit schlimmen Folgen, wie das Zitat von Hjalmar Schacht nahelegt:

Die Banknote oder das Staats­pa­piergeld haben sich nur dadurch ein­führen können, daß der Staat oder die Notenbank ver­sprachen, den aus­ge­ge­benen Papier­geld­schein jederzeit in Gold umzu­tau­schen. Diese Mög­lichkeit der Ein­lösung in Gold jederzeit sicher­zu­stellen, muss also das Bestreben aller Papier­geld­her­aus­geber sein. Ein Staat oder eine Notenbank, die diese Mög­lichkeit durch Fahr­läs­sigkeit oder Willkür ver­scherzen, ver­sün­digen sich gegen die Staatsbürger.

In der Tat: Mit dem Ende des Gold­geldes kam die chro­nische Geld­ent­wertung – mit all ihren wirt­schaft­lichen und gesell­schaft­lichen Negativeffekten.

Nach diesen zwei Anmer­kungen zum Geld will ich jetzt über­leiten zur EZB und dem Euro.

EZB und Fiat-Euro

Seit dem 1. Januar 1999 ist der Euro für viele Men­schen in Europa die Währung. Mitt­ler­weile haben 19 der 27 Länder der Euro­päi­schen Union (EU) den Euro als Währung übernommen.

Der Euroraum hat derzeit eine Bevöl­kerung von knapp 342 Mil­lionen Men­schen. Rechnet man die Nationen dazu, die den Euro ver­wenden oder sich mit ihrer eigenen Währung an ihn gebunden haben, dann zeigt sich, dass mitt­ler­weile 539 Mil­lionen Men­schen am Euro­ein­heitsgeld hängen.

Grund genug, dass wir uns den Euro etwas genauer anschauen sollten. – Der Euro reprä­sen­tiert Geld, das nicht durch Gold oder durch irgendeine andere Ware gedeckt ist.

Er ist vielmehr unge­decktes Geld – genauso wie es die Papiermark ab August 1914 war. Der Euro lässt sich beim Emit­tenten, der EZB, in nichts eintauschen.

Wir haben es also mit einem Fiat-Euro zu tun, der Euro ist Fiat-Geld. Das Wort Fiat stammt aus dem Latei­ni­schen und heißt „so sei es“. Fiat-Geld ist also ver­ord­netes, auf­ge­zwun­genes Geld.

Fiat-Geld hat eine Reihe von öko­no­mi­schen und ethi­schen Defekten. Es ist infla­tionär. Es sorgt für eine unge­rechte Ver­teilung von Ein­kommen und Ver­mögen, ist im wahrsten Sinne des Wortes sozial ungerecht.

Fiat-Geld treibt die Volks­wirt­schaften in die Über­schul­dungs­falle, und es ist vor allem auch ein Wachs­tums­elixier für den Staat, den „tiefen Staat“ („Deep State“).

Die staats­eigene Zen­tralbank kann die Fiat-Geld­menge beliebig aus­weiten und den Staat mit Kre­diten zu güns­tigsten Kon­di­tionen finan­zieren. Die Finanz­kraft des Staates wächst auf diese Weise über alle Maßen an.

In Demo­kratien setzt das regel­mäßig einen unheil­vollen Prozess in Gang. Die Regie­rungen kaufen Wäh­ler­stimmen auf Pump. Die Wähler lassen sich das gefallen, wenn das finan­zielle Füllhorn über ihnen aus­ge­schüttet wird.

Der Staat dehnt sich immer weiter aus, dringt in jeden Wirt­schafts- und Gesell­schafts­be­reich vor. Die freie Markt­wirt­schaft, die freie Gesell­schaft fallen ihm zu Opfer.

Das Fiat-Geld leidet also nicht nur unter öko­no­mi­schen, sondern auch ethi­schen Defekten. Der US-Ökonom Irving Fisher (1867–1947) schrieb dem Fiat-Geld sogar zer­stö­re­rische Wirkung zu: ”Irre­de­emable paper money has almost inva­riably proved a curse to the country employing it.“

Im Zuge der Erschaffung des Fiat-Euro gab es Bemü­hungen, ihn gegen poli­ti­schen Miss­brauch abzu­si­chern. Drei Maß­nahmen dazu will ich erwähnen.

Maß­nahme 1: Im Maas­tricht-Vertrag heißt es aus­drücklich, die Aufgabe der EZB sei es, Preis­sta­bi­lität zu gewähr­leisten. Doch was wurde daraus gemacht?

Der EZB-Rat hat sich zum Ziel gesetzt, die Kon­sum­gü­ter­preise jedes Jahr um 2 Prozent ansteigen zu lassen, also den Euro um 2 Prozent pro Jahr zu infla­tio­nieren, ihn also um 2 Prozent zu ent­werten. Das ist natürlich alles andere als Preis­sta­bi­lität! (Ich komme auf dieses Pro­blemfeld gleich noch genauer zu sprechen.)

Maß­nahme 2: Man hat den Rat der EZB poli­tisch unab­hängig gemacht. Sie dürfen keine Wei­sungen von außen, von den Regie­rungs­ver­tretern aus den Euro-Teil­neh­mer­ländern entgegennehmen.

Die EZB-Rats­mit­glieder genießen Amts­zeiten, die meist länger sind als die Amts­zeiten der Poli­tiker auf den Regie­rungs­bänken. Auch das soll die poli­tische Unab­hän­gigkeit der Rats­mit­glieder fördern.

Ins­gesamt betrachtet ist der EZB-Rat derart unab­hängig, dass er sich de facto ganz und gar der Kon­trolle durch die natio­nalen Par­la­mente entzieht.

Wer kon­trol­liert eigentlich das, was der EZB-Rat macht? Was, wenn die EZB-Räte Kli­en­tel­po­litik betreiben – indem sie zum Bei­spiel Banken begüns­tigen? Wer hält sie davon ab, Fehler und Dumm­heiten zu machen?

Die EZB hat zwar eine Rechen­schafts­pflicht, die aber nur in einer Erläu­terung ihrer Politik gegenüber dem EU-Par­lament (als Anhörung und Gedan­ken­aus­tausch) besteht.

Die EZB ist supra­na­tional, und der Ver­dacht drängt sich in der Tat auf, dass es gar keine wirk­samen Kon­troll­mög­lich­keiten durch den Wahl­bürger mehr gibt.

Maß­nahme 3: Man hat ver­sucht, die Aus­weitung der Staats­ver­schuldung zu ver­hindern, und zwar durch den Sta­bi­litäts- und Wachs­tumspakt. Er sieht eine Ober­grenze der Schul­denlast von 60 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­duktes (BIP) vor und eine Ober­grenze für das lau­fende Defizit von 3 Prozent des BIP.

Denn die Euro-Planer wussten: Wenn der Staat erst einmal über­schuldet ist, dann ist es zu spät. Dann brechen alle Dämme. Der Staat fängt an, sich das benö­tigte Geld zu drucken, also eine Infla­ti­ons­po­litik zu betreiben.

Der Sta­bi­litäts- und Wachs­tumspakt hat nicht ver­hindert, dass die Staats­schulden in vielen Euro-Ländern immer weiter ange­schwollen sind; und im März 2020, im Zuge der poli­tisch dik­tierten Lockdown-Krise, wurde er sogar außer Kraft gesetzt.

Wo ist denn die Inflation?

Viel­leicht werden einige nun sagen: Warum die ganze Kritik? Die EZB hat doch ihren Auftrag bislang ganz gut erfüllt!

Doch es ist schlichtweg Unsinn zu sagen, es hätte keine Geld­ent­wertung gegeben.

Seit seiner Ein­führung 1999 bis heute hat der Euro 30 Prozent seiner Kauf­kraft ein­gebüßt, gemessen auf Basis der Konsumgüterpreise.

Legt man die Häu­ser­preise im Euroraum zugrunde, betrug der Kauf­kraft­verlust des Euro 50%.

Wenn man die Preise der US-Aktien zugrun­delegt, beläuft sich der Kauf­kraft­verlust des Euro auf 62%.

Und gegenüber dem Gold hat der Euro seit seiner Ein­führung 81% seiner Kauf­kraft verloren.

Sie sollten also nicht denken, der Euro sei sta­biles Geld, dass er nicht infla­tio­niert worden sei!

Und dass die Ent­wertung der Kauf­kraft des Euro, die Güter­preis­in­flation bald schon zu einem großen Thema wird, wird immer wahr­schein­licher. Das führt mich zu der Politik der Anleihekäufe.

Anlei­he­käufe der EZB

Spä­testens seit der Wirt­schafts- und Finanz­krise 2008/2009 befindet sich der Euro auf der Inten­siv­station, wird künstlich beatmet.

Ein geld­po­li­ti­sches Ret­tungs­pro­gramm reiht sich an das andere. Der Aus­nah­me­zu­stand ist zum Nor­mal­zu­stand geworden. Dazu eine kurz­ge­fasste Chronologie.

Im Juli 2009 begann die EZB, Pfand­briefe auf­zu­kaufen („Covered Bond Purchasing Pro­gramme“, CBPP). Seine Laufzeit wurde im November 2011 bis Oktober 2012 erweitert.

Im Mai 2010 ver­kündete die EZB, Euro-Staats­an­leihen zu kaufen und die Käufe (grie­chi­scher, por­tu­gie­si­scher und ita­lie­ni­scher Anleihen) mit neu geschaf­fenen Euro zu bezahlen. Das fand unter dem soge­nannten SMP („Secu­rities Markets Pro­gramme“) statt.

Im Sep­tember 2012 ver­kündete die EZB das OMT Pro­gramm („Out­right Monetary Trans­ak­tions“). Es soll der EZB erlauben, die Anleihen eines Staates in unbe­grenzter Höhe zu kaufen, wenn er Ret­tungs­mittel vom Euro­päi­schen Sta­bi­li­täts­me­cha­nismus (ESM) erhält und dessen Auf­lagen erfüllt.

Im Herbst 2014 ver­kündet die EZB ein „Expanded Asset Purchase Pro­gramme“ (EAPP). Es umfasst vier Einzelprogramme:

(1) ein neues (drittes) Auf­kauf­pro­gramm für Hypo­the­ken­an­leihen (CBPP3); (2) den Kauf von Asset Backed Secu­rities, das Pro­gramm heißt ABSPP; (3) ein Auf­kauf­pro­gramm für Staats­an­leihen, das seit 2015 unter den Namen Public Sector Purchasing Pro­gramme (PSPP) fir­miert; (4) ab 2016 werden auch Unter­neh­mens­an­leihen gekauft – wenn es sein muss auch gleich beim Emit­tenten. Die Käufe fir­mieren unter der Über­schrift „Cor­porate Sector Purchase Programme“.

Im März 2020 wird das Pan­demic Emer­gency Pro­gramme (PEPP) auf den Weg gebracht – mit dem öffent­liche und private Schulden in Höhe von 1,35 Bil­lionen Euro mone­ti­siert werden sollen.

Was viel­leicht tech­nisch und kom­pli­ziert klingt, ist im Grunde einfach zu ver­stehen: Die Anlei­he­kauf­pro­gramme der EZB sind nichts anderes als Geldmengenvermehrungsprogramme.

Wie die Reichsbank damals die Dru­cker­presse laufen ließ, um die Wei­marer Republik vor dem Bankrott zu bewahren, lässt auch die EZB die elek­tro­nische Dru­cker­presse laufen, um das Euro-Projekt durchzufinanzieren.

Monetäre Staats­fi­nan­zierung

Sie werden fragen: Wie ver­trägt sich das mit dem Verbot der mone­tären Staats­fi­nan­zierung, das in Artikel 123 des Ver­trags über die Arbeits­weise der Euro­päi­schen Union nie­der­ge­schrieben ist?

Hiernach darf die EZB Staats­an­leihen nicht „unmit­telbar“ erwerben, also nicht im Pri­mär­markt, wohl aber „mit­telbar“ im Sekun­där­markt kaufen.

Warum hat man einen „unmit­tel­baren“ Erwerb ver­boten? Man wollte dadurch sicher­stellen, dass die Staaten sich nur zu „markt­üb­lichen“ Zinsen finan­zieren können, und dass dadurch ihr Ver­schul­dungs­anreiz gebremst würde.

Doch mit ihren Anlei­he­käufen bestimmt die EZB mitt­ler­weile die Markt­zinsen im Sekun­där­markt. Und damit werden auch die Zinsen im Pri­mär­markt geld­po­li­tisch bestimmt.

Der Grund: Die Zins­findung im Pri­mär­markt erfolgt mit Blick auf den Sekun­där­markt. Handelt eine Anleihe zum Bei­spiel bei 99 Euro im Sekun­där­markt, wird der Kurs der Anleihe im Pri­mär­markt nicht unter 99 Euro fallen; der Kurs im Sekun­där­markt mar­kiert quasi die Kurs­un­ter­grenze im Primärmarkt.

Öko­no­misch gesehen ist durch die EZB-Anlei­he­käufe also eine Situation ent­standen, in der die Zen­tralbank die Staats­an­leihen zu Kon­di­tionen kauft, wie sie sich bei einem unmit­tel­baren Erwerb ein­stellen würden.

Es gehört einige Phan­tasie dazu, wenn man argu­men­tiert, die EZB betreibe mit ihren Staats­an­lei­he­auf­käufen keine monetäre Staatsfinanzierung.

Doch diese Phan­tasie scheinen der EuGH und das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt zu besitzen. Beide haben geur­teilt, die EZB betreibe keine monetäre Staats­fi­nan­zierung, der EuGH im Dezember 2018, Karlsruhe im Mai 2020

Warum nicht stärkere Inflation?

Warum, werden Sie jetzt viel­leicht fragen, ist im Zuge der Geld­men­gen­aus­weitung in den letzten Jahren die Preis­in­flation nicht noch stärker ausgefallen?

In der Zeit vor dem Coro­na­virus war die EZB-Politik im Wesent­lichen darauf beschränkt, den Staaten und Banken günstige Finan­zie­rungs­kon­di­tionen zu ver­schaffen. Dazu wurden die Markt­zinsen und Kre­dit­prämien heruntermanipuliert.

Es wurde vor allem die Basis­geld­menge (in Form von Gut­haben der Banken bei der EZB) aus­ge­weitet. Die aber blieb ein­ge­kapselt im Ban­ken­sektor. Sie hat nicht dazu geführt, die Geld­mengen in den Händen der Kon­su­menten und Pro­du­zenten in die Höhe zu treiben.

Im Zuge der Lockdown-Krise wurden die Weichen nun aber anders gestellt. Die EZB kauft neu emit­tierte Staats­an­leihen in großem Stil (Stichwort PEPP), finan­ziert die öffent­lichen Haus­halte mit neu geschaf­fenem Geld.

Die neu geschaf­fenen Euro zahlen die Staaten aus: an ihre Bediens­teten und begünstige Gruppen, als Kurz­ar­bei­tergeld, Pen­si­ons­zah­lungen, Sub­ven­tionen etc.

Das neue Geld gelangt auf diese Weise unmit­telbar auf die Bank­konten der Emp­fänger – und das erhöht die für Zah­lungs- und Nach­fra­ge­zwecke ver­füg­baren Geld­mengen M1, M2 und M3.

Wohin führen die Anlei­he­käufe und die damit ein­her­ge­hende Geld­men­gen­ver­mehrung? Machen wir in diesem Sinne eine über­schlägige Rechnung auf.

Die gesamten Euro-Staats­schulden beliefen sich Ende 2019 sich auf gut 10 Bil­lionen Euro. (Der Lockdown-Kri­sen­effekt wird an dieser Stelle nicht betrachtet.) Davon hat die EZB bereits 2,8 Bil­lionen aufgekauft.

Würde die EZB die rest­lichen Staats­schulden über die kom­menden fünf Jahre auf­kaufen (und zwar von Nicht­banken) und dabei auch noch Staats­de­fizite in Höhe von 5% pro Jahr finan­zieren, würde die Geld­menge M3 um ca. 80% steigen.

Über den Daumen betrachtet, liefe ein Anstieg der Güter­preise um 80% (man unter­stellt eine 1:1‑Wirkung der Geld­menge auf die Preise) auf eine Ver­rin­gerung der Kauf­kraft des Geldes in Höhe von 44% hinaus.

Gestreckt über fünf Jahre wäre das ein Kauf­kraft­verlust des Euro von 8,8% pro Jahr – in Form von stei­genden Kon­sum­gü­ter­preisen und/oder Vermögenspreisen.

Hyper­in­flation

Die Gefahr, dass der Infla­tio­nie­rungs­prozess aus dem Ruder gerät, dass aus einer Hoch­in­flation eine Hyper­in­flation wird, ist nicht von der Hand zu weisen.

Denn die Inflation wirkt bekanntlich nur, wenn sie über­ra­schend kommt; Öko­nomen sprechen in diesem Zusam­menhang auch von „Über­ra­schungs­in­flation“.

Wenn neues Geld in Umlauf gegeben wird, steigen auch die Güter­preise, und die Kauf­kraft des Geldes nimmt ab. Daher wird die EZB die nominale Geld­menge noch stärker anwachsen lassen, um die Kauf­kraft der­je­nigen zu erhalten, die mit neuer Kauf­kraft aus­ge­stattet werden sollen (das sind vor allem die Staaten).

Es kommt ein sich selbst beschleu­ni­gender Prozess zustande von immer stärker zuneh­mender Geld­menge, und immer stärker stei­genden Güterpreisen.

Und genau das geschah in der Wei­marer Republik. Die Geld­men­gen­ver­mehrung nahm der­artige Ausmaße und eine Geschwin­digkeit an, dass die Men­schen erwar­teten, die Geld­men­gen­ver­mehrung werde sich immer weiter beschleu­nigen, und eine Flucht aus dem Geld setzte ein. Die Mark ging sprich­wörtlich kaputt.

Täu­schung

Daraus – und auch anderen Hyper­in­fla­tions-Erfah­rungen – haben die Zen­tral­bankräte der Neuzeit gelernt und den betrü­ge­ri­schen Umgang mit dem unge­deckten Papiergeld quasi per­fek­tio­niert. Vier wichtige Maß­nahmen seien kurz angeführt.

(1) Die Ver­schleie­rungs­taktik. Die Zen­tral­bankräte ver­nebeln geschickt die wahren Folgen ihrer Politik.

Sie erklären der Öffent­lichkeit, dass sie für stabile Güter­preise ein­stehen, dass sie die Inflation bekämpfen. Doch das ist eine Unwahrheit.

Die Zen­tralbank bekämpft nicht etwa die Inflation, sie ver­ur­sacht sie vielmehr! Schließlich erhöht das Aus­weiten der Geld­mengen – und das ist die Haupt­tä­tigkeit der Zen­tral­banken – die Güter­preise, ver­ur­sacht Preis­in­flation und Kauf­kraft­verlust des Geldes.

Zu behaupten, eine Güter­preis­in­flation von 2 Prozent pro Jahr sorge für stabile Preise und sta­biles Geld, ist eine Täu­schung: Beträgt die Güter­preis­in­flation 2 Prozent p.a., ent­wertet sich die Kauf­kraft des Geldes um 2 Prozent p.a.

Oder die Zen­tral­bankräte sprechen von Anlei­he­käufen, nie aber von der Aus­weitung der Geld­menge – weil das Wort „Anlei­he­käufe“ weniger bedrohlich klingt als das Wort „Geld­men­gen­ver­mehrung“.

Die Ver­treter der Haupt­strom-Öko­nomik geben dabei den Zen­tral­bank­räten kräftig Schüt­zen­hilfe, geben ihnen dienst­be­flissen die pas­senden Theorien vor:

dass ein Ansteigen der Güter­preise von 2 Prozent pro Jahr keine Inflation ist; dass Fiat-Geld gut und richtig ist; dass das Geld­schaffen „aus dem Nichts“ Wachstum und Beschäf­tigung fördert; dass Nega­tiv­zinsen ein Gleich­ge­wicht mar­kieren können.

(2) Die Mani­pu­lation der Zins­märkte. Die Zen­tral­bankräte wissen um die Macht des Zinses. Deshalb drücken sie das gesamte Zins­spektrum herab, weil sie auf diese Weise die Schul­den­trag­fä­higkeit der Volks­wirt­schaften erhöhen, die Dauer und das Ausmaß des Ver­schul­dungs­rau­sches künstlich strecken können.

Die Fol­ge­wir­kungen sind geradezu fatal. Die Ver­schuldung und damit die wirt­schaft­liche Abhän­gigkeit der Men­schen von der Nied­rig­zins­po­litik der Zen­tralbank wächst immer stärker an.

(3) Über­nahme der vollen Kon­trolle der Geld­pro­duktion. Die Zen­tralbank über­nimmt nach und nach die volle Kon­trolle über die Geld­pro­duktion. Schritt 1: Um den Ban­ken­sektor jederzeit zah­lungs­fähig zu halten, stellt die Zen­tralbank ihm alle benö­tigten Kredite voll­um­fänglich bereit.

Wenn die Banken dennoch nicht in der Lage oder willens sind, neue Kredite zu ver­geben, vor allem die Staaten mit neuen Kre­diten zu ver­sorgen, kommt Schritt 2: Die EZB kauft Staats­an­leihen und weitet die Basis­geld­menge und damit auch die Geld­menge in den Händen der Pri­vaten direkt aus.

Schritt 3 besteht in der Ausgabe von Heli­ko­ptergeld: Die Zen­tralbank über­weist neues Geld auf die Bank­konten der Pri­vaten und öffent­lichen Stellen, ohne dass dafür eine private oder staat­liche Ver­schuldung erfor­derlich wäre.

Solange es geht, wird die Zen­tralbank ver­suchen, die Geld­men­gen­aus­weitung kon­trol­liert zu voll­ziehen; erst dann, wenn die kon­trol­lierte Geld­men­gen­aus­weitung an ihre Grenzen zu drohen stößt, kommt die unkon­trol­lierte Geld­men­gen­ver­mehrung zum Einsatz, wenn es gilt, den großen Schul­den­kollaps abzuwenden.

Cui bono?

Fragen wir uns, wem nutzt das unge­deckte Geld, das Fiat-Geld oder kurz: Cui bono? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beant­worten. Es ist unzwei­felhaft, dass das Fiat-Geld Gewinner und Ver­lierer schafft. Doch wer gehört zu welcher Gruppe?

Zu den Begüns­tigten zählten in den letzten Jahren vor allem die Staaten. Vielen von ihnen wurde der Bankrott erspart, und sie konnten ihre Macht erhalten und ausweiten.

Aber haben davon nicht auch viele Men­schen pro­fi­tiert? Was wäre gewesen, wenn die Staaten Pleite gegangen wären? Men­schen hätten ihre Arbeit ver­loren: Beamte (Lehrer, Pro­fes­soren, Büro­kraten und alle anderen Ange­stellten des öffent­lichen Dienstes; viele Unter­nehmen, die von Staats­auf­trägen leben, wären unter­ge­gangen; und Pen­sionäre hätten keine Zah­lungen mehr empfangen.

Pro­fi­tiert haben auch die Banken. Genauer: Die Ange­stellten der Banken, vor allem die der Invest­ment­banken. Ihnen hat die EZB nicht nur Ver­luste erspart, sondern auch Gewinne beschert.

Aber ist die Ban­ken­rettung nicht gut und richtig? Was wäre gewesen, wenn Banken unter­ge­gangen wären? Hätten Sparer nicht ihre Gut­haben, ihre Erspar­nisse verloren?

Wären Anleihe- und Akti­en­märkte und Häu­ser­märkte nicht kol­la­biert, hätte es nicht Rezession und Mas­sen­ar­beits­lo­sigkeit gegeben?

Diese Gedanken deuten das ganze Ausmaß des Fiat-Geld-Pro­blems an. Um es noch klarer her­aus­zu­ar­beiten, nehmen wir einmal an, man stellt die Men­schen im Euroraum vor die Wahl, die da lautet:

(1) Die Infla­ti­ons­po­litik (also die Geld­ver­meh­rungs­po­litik) wird beendet, ein rei­ni­gendes Gewitter zuge­lassen – mög­li­cher­weise gehen dabei Staaten und Banken und Firmen und Private Bankrott –, aber danach erholt sich die Wirt­schaft wieder, und die Welt wird besser sein ohne Fiat-Geld.

Oder: (2) Die Infla­ti­ons­po­litik (die Geld­men­gen­ver­mehrung) wird fort­ge­führt in der Hoffnung, dass sich die Lage bessern wird, dass die Volks­wirt­schaften aus ihren Pro­blemen herauswachsen.

Ver­mutlich wird die Mehrheit sich für (2) ent­scheiden. Wenn man diese Ein­stellung teilt, dann gelangt man auch zum Schluss: Die Volks­wirt­schaften hängen am Euro wie die Fliegen am Fliegenfänger.

Eine weitere Schluss­fol­gerung ist hier: Die Macht der Zen­tral­banken und der Inter­es­sen­gruppen, die sie für ihre Zwecke ein­setzen können, ist überaus groß geworden. Die Gefahr ist daher, dass alles dem Erhalt des Euro-Schuld­geldes unter­ge­ordnet wird, vor allem auch bür­ger­liche und unter­neh­me­rische Freiheiten.

Welt­herr­schaft und Weltgeld

Das ist eine wichtige Ein­sicht. Gerade wenn man ver­sucht, die Zukunft des Euro zu beleuchten.

Es gab und gibt Stimmen, die sagen, der Euro scheitert, er bricht aus­ein­ander, wird „restruk­tu­riert“ in einen Nord- und einen Südeuro.

Bei­spiels­weise ver­mutete der ehe­malige Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, im April 2017, dass sich der Euro auf­lösen werde.

Doch man sollte das Ende des Euro viel­leicht doch nicht vor­eilig aus­rufen – so ähnlich wie schon Mark Twain anmerkte: „Die Gerüchte über meinen Tod sind stark übertrieben.“

Der Euro wie auch alle anderen Fiat-Wäh­rungen sind nicht nur Mittel zur Errei­chung poli­ti­scher Zwecke, sie ent­falten auch eine Eigendynamik.

Mit ihr habe ich mich in meinem Buch „Mit Geld zur Welt­herr­schaft“ näher beschäftigt. Ich stelle darin fest, dass es poli­tische Bestreben gibt, die natio­nalen Fiat­wäh­rungen in eine ein­heit­liche Welt­fi­at­währung zu über­führen, einer Welt­re­gierung, einem Welt­staat entgegenzuarbeiten.

Ein großer Schritt in diese Richtung ist den demo­kra­ti­schen Sozia­listen in Europa gelungen: Anfang 1999 haben 11 Nationen ihre Wäh­rungen gegen die Euro-Ein­heits­währung eingetauscht.

Was “im Kleinen” geklappt hat, lässt sich auch “im Großen” prak­ti­zieren. An Vor­schlägen, wie man dabei vor­gehen kann, mangelt es nicht.

Und solange die derzeit inter­na­tional vor­herr­schende Ideo­logien des „demo­kra­ti­schen Sozia­lismus“ Bestand hat, sind die poli­ti­schen Kräfte, die sich für den Erhalt des Euro ein­setzen, in der Übermacht.

Ein Untergang des Euro ist zwar nicht undenkbar, unter den gegen­wär­tigen Bedin­gungen jedoch erscheint das nicht das wahr­schein­lichste Sze­nario zu sein.

Zusam­men­fassung

Sehr ver­ehrte Damen, sehr geehrte Herren, aus meiner Sicht ist es ange­bracht zu sagen, dass die EZB auf den Spuren der Reichsbank wandelt. (Damit ist sie übrigens nicht allein. Das gilt für alle großen Zen­tral­banken der Welt.)

Die EZB-Räte, genauso wie ihre Kol­legen damals in der Reichsbank, setzen alle Hebel in Bewegung, ein poli­ti­sches Projekt vor dem finan­zi­ellen Zusam­men­bruch zu bewahren, Staat und Son­der­in­ter­es­sen­gruppen mit immer mehr neu geschaf­fenem Geld über Wasser zu halten.

Wie die Reichsbank-Räte führen auch die EZB-Räte mit ihrer Geld­ver­meh­rungs­po­litik die öffent­liche Meinung in die Irre, ermög­lichen einem Regie­rungs­system, das bei offener Dar­legung der Dinge keine Aus­sicht auf die Bil­ligung durch das Volk hätte, den Fortbestand.

Und genauso wie die Reichsbank-Räte werden auch die EZB-Räte Staaten und Banken flüssig halten, auch wenn das die Kauf­kraft des Euro stark herabsetzt.

Es gibt aller­dings einen Unter­schied zwi­schen damals und heute: Anders als die Reichsbank-Räte beherr­schen die EZB-Räte das Handwerk der Täu­schung der Öffent­lichkeit viel besser.

Sie wissen vor allem auch die Mög­lich­keiten der Zins­ma­ni­pu­lation für ihre Zwecke zu nutzen; und sie sind weitaus besser in der Lage, die Ver­mehrung der Geld­menge zu kontrollieren.

Wenn Sie mich fragen: Platzt der Euro? Dann wäre meine Antwort, dass der Fiat-Euro länger über­dauert, als viele meinen; dass ein Schrecken ohne Ende wahr­schein­licher ist als ein Ende mit Schrecken.

Und wenn Sie mich fragen: Kommt die Inflation? Dann ist meine Antwort: Sie ist nie weg­ge­wesen, und ja, sie wird zulegen – ob nun in Form von Kon­sum­güter- und/oder Vermögenspreisinflation.

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass Fiat-Geld bezie­hungs­weise Fiat-Geld in den Händen des Staates eine denkbar schlechte Idee ist. In aller Deut­lichkeit möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Das Fiat-Geld schafft den all­mäch­tigen Staat („Deep State“), es zer­stört die freie Markt­wirt­schaft, zer­stört die indi­vi­duelle Freiheit bezie­hungs­weise das, was heute noch davon übrig ist.

Die Lösung dieses ernsten Pro­blems besteht darin, dem Staat, der Zen­tralbank das Geld­mo­nopol zu ent­ziehen und einen freien Markt für Geld zu eröffnen – ein Konzept, das eine Reihe von renom­mierten Öko­nomen bereits aus­ge­ar­beitet und vor­ge­stellt haben.

An dieser Stelle bedanke ich mich für Ihre Auf­merk­samkeit und hoffe, meine Aus­füh­rungen waren für Sie anregend und auch ein bisschen aufregend!

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Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist seit April 2012 Chef­volkswirt der Degussa. Er ist Hono­rar­pro­fessor für Volks­wirt­schafts­lehre an der Uni­ver­sität Bay­reuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mit­glied im For­schungs­netzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Prä­sident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist zudem aktiv als Investor und Investment Advisor für insti­tu­tio­nelle Inves­toren. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

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Quelle: misesde.org