Fol­ter­vor­würfe – Euro­parat kri­ti­siert Türkei

Elek­tro­schocks, Schläge, erzwungene Geständnisse…

Das Anti-Folter-Komitee des Euro­parats hat Poli­zei­gewalt und schlechte Haft­be­din­gungen in tür­ki­schen Gefäng­nissen und Poli­zei­sta­tionen kri­ti­siert und Prä­sident Erdogan zum Handeln auf­ge­fordert. Das aber wird der Sultan vom Bos­porus gewiss nicht tun. Ihn scheren die Vor­würfe des Komitees einen Dreck, genauso wie die Auf­for­derung an ihn, stärker gegen mut­maß­liche Miß­hand­lungen von Fest­ge­nom­menen in Poli­zei­ge­wahrsam vorzugehen.

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Das Komitee hatte am Mittwoch (5.8.20) bei der Vor­stellung von zwei Berichten, die auf Besuchen von 2017 und 2019 beruhen, seine Kritik vor der Presse geäußert. Konkret wird der Türkei vor­ge­worfen, dass tür­kische Poli­zisten Schläge anwenden, um Geständ­nisse zu erzwingen oder um Men­schen in Gewahrsam zu bestrafen. Nach Infor­ma­tionen des Türkei-Kor­re­spon­denten beim Deutsch­landfunk, Christian Butt­kereit, sei es in Ein­zel­fällen auch zur Anwendung von Elek­tro­schocks gekommen – was unter Folter fallen würde. Das Komitee des Euro­parats bemängelt auch Ein­schrän­kungen beim Besuchs­recht in Haft­an­stalten. Die Berichte stützen sich unter anderem auf Gespräche mit Gefangenen.

Natürlich weisen die tür­ki­schen Behörden die Vor­würfe zurück und setzen gar noch eins drauf: In einer Erklärung der Regierung heißt es schein­heilig, „die Türkei messe den unab­hän­gigen Über­wa­chungs­me­cha­nismen des Euro­parats und der Zusam­men­arbeit große Bedeutung bei“. Sie ver­weisen sogar darauf, es sei „nicht üblich“, Geständ­nisse und Infor­ma­tionen durch die Anwendung von Gewalt zu erzwingen.

Wohl­feiler Haft­grund „Ter­ror­ver­dacht“

Urteile des Euro­päi­schen Gerichtshofs für Men­schen­rechte (EGMR), der zum Euro­parat gehört, akzep­tiert die Türkei nur teil­weise. Ent­schä­di­gungs­zah­lungen bei zu langer Haft werden zwar meistens geleistet – anders sieht es aber aus, wenn es um die Ent­lassung Gefan­gener aus der Unter­su­chungshaft geht. Der EGMR hatte z. B. gefordert, den ehe­ma­ligen Vor­sit­zenden der pro­kur­di­schen Partei HDP und den Kul­tur­mäzen Osman Kavala sofort frei­zu­lassen. Darauf hat der tür­kische Staat laut Butt­kereit (Dlf) reagiert: „Bei beiden wurden dann schnell neue Ermitt­lungs­akten zu anderen neuen Delikten aus der Schublade gezogen.“

Seit dem Putsch regieren per Dekret

Zunehmend deut­licher wird kri­ti­siert, dass die Türkei seit dem Putsch­versuch im Juli 2016 noch immer im Aus­nah­me­zu­stand regiert wird. Viele Men­schen sind ein­ge­schüchtert, weil viele Ver­haf­tungen mit der Begründung „Ter­ror­ver­dacht“ vor­ge­nommen werden. Und nach der letzten „freien“ Wahl hat sich Erdogan ein Prä­si­di­al­system gezimmert, das zwangs­läufig von der Demo­kratie weg­führt. Die Tendenz ist klar erkennbar: ein schlei­chender Prozeß weg von einer demo­kra­ti­schen Ent­wicklung hin zu einer Auto­kratie. Dies war schon mit dem Refe­rendum im Jahr 2017 vor­ge­zeichnet gewesen.

Das ist letzten Endes der Schritt, der die Gewal­ten­teilung schwächt, der das Par­lament schwächt, der im Staats­prä­si­denten auch den Regie­rungs­prä­si­denten vereint, der selb­ständig Minister ent­lassen und bestellen kann und der im Übrigen in großem Umfang über Dekrete regieren kann, also gar nicht die gesetz­ge­be­rische Kraft des Par­la­ments not­wendig hat. Und zudem hat er auch noch im Par­lament durch ein Wahl­bündnis mit der MHP, der natio­na­lis­ti­schen Partei der Türkei, die Kräfte gebündelt.

Die Türkei gehört nicht zu EU-Europa

Die gesamte inner­tür­kische Ent­wicklung darf Europa nicht igno­rieren; denn sie betrifft uns auf vielen Ebenen – von der Außen­po­litik, über die Wirt­schaft bis zur Kultur. Die Türkei hat sich seit Jahren unter Erdogan von der EU ent­fernt. Es ist über­haupt nicht erkennbar, dass irgend­welche Kapitel abge­schlossen oder gar neu eröffnet werden. Wir sollten die „Akte“ EU/Türkei also schließen.

Gewiss, es gibt auf der anderen Seite immer noch viele Men­schen in der Türkei, die sehn­suchtsvoll nach Europa blicken und denen wir nicht – jeden­falls nicht für alle Zeiten – die Hoffnung nehmen sollten, eines Tages viel­leicht auch wieder in rechts­staat­liche, plu­ra­lis­tische Ver­hält­nisse zurück­kehren zu können und dass ihnen dann der Weg zur Euro­päi­schen Union nicht ganz ver­sperrt ist. Aber jetzt, aktuell, sehe ich kei­nerlei Spielraum für ein „Weiter so“ mit der Türkei.


Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com