Bild: Bärbel Dieckmann, Wikimedia Commons, Denis Hoerner, Bildlizenz: CC BY-SA 2.0 DE, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Baerbel_Dieckmann_2006.jpg

Pau­ken­schlag: Poli­tiker haften per­sönlich für Fehler – Bonner Ex-OB zu 1 Mio. Scha­dens­ersatz verurteilt

Keiner hätte damit gerechnet. Der WDR schreibt: „Das Urteil gegen die ehe­malige Bonner Ober­bür­ger­meis­terin Bärbel Dieckmann (SPD) ist bei den der­zei­tigen Kan­di­daten für das Amt mit Über­ra­schung auf­ge­nommen worden.“ Das heißt nichts anderes, als dass der Schreck den Poli­tikern in die Glieder gefahren ist: Was? Poli­tiker müssen für den Schaden gera­de­stehen, den sie ange­richtet haben?! Ja, da staunt man. Sowas gibt es wohl doch. Da machen sie große Augen und dicke Backen, die Ober­bür­ger­meis­ter­kan­di­daten. Man kann zur Rechen­schaft gezogen werden. Macht es das Amt und Würden des Ober­bür­ger­meis­ter­seins gleich deutlich weniger attraktiv? 

Frau Ex-Ober­bür­ger­meis­terin Bärbel Dieckmann und Stadt­di­rektor Arno Hüber müssen laut Gerichts­urteil jeweils eine Million Euro Scha­dens­ersatz bezahlen. Es geht um den WCCB-Skandal, in dem beide in poli­ti­scher Ver­ant­wortung ste­henden Poli­tiker damals einen enormen Schaden in Kauf genommen haben – und jetzt dafür auch (teil­weise) auf­kommen müssen.

NEU!!! Hier bestellen!

Ein kurzer Rück­blick: Was war der WCCB Skandal?

Im Jahre 2004 – also vor 16 Jahren —  suchte die Stadt Bonn einen Investor für das Bau­vor­haben des WCCB (World Con­fe­rence Center Bonn). Nachdem die deutsche Haupt­stadt 1990 nach Berlin verlegt worden war und Bonns Bedeutung beständig schrumpfte, musste Bonn gegen den Abstieg zum ver­schla­fenen Pro­vinz­städtchen kämpfen. Am 01. Juli 1999 fand die letzte Sitzung des Deut­schen Bun­des­tages in Bonn statt. Den neuen Ple­narsaal übernahm das „Inter­na­tionale Kon­gress­zentrum Bun­deshaus Bonn“, das heutige World Con­fe­rence Center Bonn. Das WCCB sollte ein wich­tiger Bau­stein sein. Kon­gress­zentrum und Hotel sollte es sein. Inter­na­tionale Kon­fe­renzen sollten hierher geholt werden.

Die Stadt Bonn ließ einen „unab­hän­gigen“ Berater die Investor-Inter­es­senten prüfen. Das allein ent­wi­ckelte sich schon zum Debakel: Nachdem die  WCCB-Pro­jekt­gruppe der Stadt Bonn das Berater-Budget ver­braucht hatte, waren noch Rech­nungen von 32.115 Euro offen. Diese Honorar-Summe zahlte der korea­nische Investor-Bewerber „Hyundai“ auf Initiative der städ­ti­schen Pro­jekt­gruppe. Dar­aufhin sprach der Berater SMI sich für Hyundai als Investor aus. Weitere Zah­lungen an den Berater folgen, die in einigen Schrift­stücken als „Schmiergeld“ bezeichnet werden. Ein sol­venter Mit­be­werber aus den Nie­der­landen findet keine Beachtung.

Einige Zeit später wird ein Straf­ver­fahren gegen den Berater wegen „Bestech­lichkeit im geschäft­lichen Verkehr“ ein­ge­leitet. Es geht um150.000 Euro, doch das Ver­fahren wird ein­ge­stellt. Wenig später ver­weigert die Bonner Spar­kasse einen 74,3‑Millionenkredit für den Investor Hyundai, weil dessen Boni­täts­prüfung negativ aus­fällt. Irgendwie hatte er über­ra­schen­der­weise doch nichts mit dem großen Konzern Hyundai zu tun und nicht genug finan­zielle Feuerkraft.

Nur unter der Bedingung, dass die Stadt Bonn für den Kredit bürgt, kann er bewilligt werden. Weil das de jure aber nicht geht, wird die Bürg­schaft zwar dennoch über­nommen, jedoch nebulös als „Neben­abrede“ ver­tuscht, weil die Bezirks­re­gierung Köln eine kom­munale Bürg­schaft für eine private Firma gar nicht geneh­migen darf. Das Ganze findet unter der Decke und heimlich statt, denn der Stadtrat darf nichts erfahren. In allen Papieren, die ihm vor­gelegt werden, steht weder etwas von der Kre­dit­summe von 74,3 Mil­lionen Euro und auch kein Wort von einer „Bürg­schaft“. Nur irgendwo im Text steht eine harmlos klin­gende For­mu­lierung, die besagt, dass die Stadt im Fall eines Heim­falls (nach der Bau­phase) mög­li­cher­weise für den Kredit, den der Investor Hyundai auf­ge­nommen hat, haften könnte. Der Rat der Stadt Bonn stimmt im Dezember 2005 für Hyundai als Investor. Das Projekt soll den Bonner Bürger Null Euro kosten.

Nun, das war schon ein ziem­liches Täu­schungs­ma­növer, aber es kam noch schlimmer. Im März 2007 unter­schrieb die Leitung der Stadt­ver­waltung eine Neben­abrede, aber es war nicht die, die vom Rat der Stadt Bonn abge­segnete, sondern eine andere, die die Bürg­schaft nicht NACH, sondern WÄHREND der Bau­phase fest­schrieb. Der Stadtrat wusste das nicht, aber es war unter­schrieben und damit lagen nun mit der Unter­schrift alle Risiken des Mega-Bau­pro­jektes WCCB bei der Stadt Bonn und damit beim Steu­er­zahler. Und doch ging das alles noch zwei weitere Jahre gut.

Im Jahr 2009, im Früh­sommer wurde eine weitere „Neben­abrede“ vom Stadtrat abge­nickt. Es ging um zusätzlich 30 Mil­lionen Euro. Ein Bau­stopp musste ver­hindert werden. Was der Stadtrat nicht wusste: Mitt­ler­weile war das WCCB in das Eigentum einer zyprio­ti­schen Invest­ment­firma über­ge­gangen. Aber das weiß der Stadtrat nicht. Auch nicht, dass eine hawai­ia­nische Firma sich eben­falls als Eigen­tümer des WCCB sieht. Das Kud­del­muddel wird perfekt, indem die Spar­kasse Bonn irgendwie mit der Bonner Stadt­ver­waltung eine Ver­ein­barung getroffen hat, dass die Bank 15 Mil­lionen Euro ein­behält, weil sie ja das Eigen­ka­pital der Hyundai-Invest­or­ge­sell­schaft vor­fi­nan­ziert – aber das Geld nie gesehen hat.

Im Sep­tember fliegt die ganze Sache auf. Nach einem Kas­sen­sturz stellt sich heraus: Das angeb­liche Null-Euro-Projekt WCCB kostet in Wirk­lichkeit 300 Millionen.

Ober­bür­ger­meis­terin Dieckmann will von allem erst 2008 erfahren haben

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Köln hatte das zwei­fel­hafte Ver­gnügen, das ganze ver­schach­telte Gewurstel und die Täu­schungen und Betrü­ge­reien auf­zu­ar­beiten. Die Stadt Bonn ver­klagte die ehe­malige Ober­bür­ger­meis­terin auf Scha­dens­ersatz. Am Don­nerstag vor einer Woche traf das Gericht eine Ent­scheidung: Die SPD-Poli­ti­kerin Bärbel Dieckmann muss eine Million Scha­dens­ersatz an die Stadt Bonn zahlen und zwar per­sönlich. Da das Gericht ihr bei dem ganzen, sich jah­relang ent­wi­ckelnden Skandal „grobe Fahr­läs­sigkeit“ beschei­nigte und damit eine Ver­letzung ihrer Dienst­pflichten, muss sie per­sönlich haften.

Eine inter­es­sante  Tat­sache, die sich mög­li­cher­weise auch auf einige andere Poli­tiker, gerade auf dem Hin­ter­grund der Corona-Krise über­tragen ließe.

Frau Dieckmann ist ver­sierte Poli­ti­kerin und ver­sucht, das Urteil mit Polit-Geschwurbel zu kontern: „Gerade das Wissen darum, in welch großer Ver­ant­wortung wir bei diesem Projekt waren, hat uns zu sehr prä­ziser Arbeit ange­halten.Nun, wer eine unzu­lässige, hoch­ris­kante, angeb­liche „Neben­abrede“ nach der anderen einem Rat unter­schiebt und etwas ganz anderes von der Ver­waltung unter­schreiben lässt, kann sich nicht darauf berufen, dass auch andere ja von den Unred­lich­keiten wussten. Präzise scheint in diesem Zusam­menhang nur der Plan aus­ge­dacht gewesen zu sein, das Ding irgendwie durch­zu­ziehen, auch mit frag­wür­digen Methoden.

Gericht zieht Poli­tiker zur Ver­ant­wortung – die Politik reagiert „irri­tiert“

Mit­ver­ant­wortlich ist auch der Bonner Stadt­di­rektor Arno Hüber, der Frau Dieckmann offenbar hilf­reich zur Seite stand. Auch er wies die Vor­würfe zurück, wurde aber eben­falls zu einer Million Straf­zahlung ver­ur­teilt. Der Investor, nach dessen Insolvenz ein jah­re­langer Bau­stopp folgte, wurde vom Bonner Land­ge­richt wegen Betruges zu einer Haft­strafe verurteilt.

Das Urteil ist noch nicht rechts­kräftig. Frau Dieck­manns Anwalt sagte, seine Man­dantin werde nach Prüfung der schrift­lichen Urteils­be­gründung ent­scheiden, ob sie in Berufung gehe.

Bemer­kenswert sind die Reak­tionen von heu­tigen Bewerbern für das Amt des Ober­bür­ger­meisters der Stadt Bonn auf dieses Urteil. Der WDR berichtet:

„In 25 Jahren Ver­wal­tungs­dienst habe er so ein dras­ti­sches Urteil noch nicht erlebt, sagte der amtie­rende und wieder kan­di­die­rende Bonner Ober­bür­ger­meister, Ashok Srid­haran, CDU. Er werde in Zukunft besonders vor­sichtig sein. Auch seine Gegen­kan­di­datin Katja Dörner (Grüne) zeigt sich irri­tiert. Trotzdem dürfe man keine Angst vor Ent­schei­dungen haben. SPD-Bür­ger­meis­ter­kan­di­datin Lissi von Bülow fordert für die Zukunft einen kla­reren recht­lichen Rahmen als Schutz für Amts­träger.“ 

Da geht wohl ein paar Poli­tikern etwas die Muffe. Mit Geld der Steu­er­zahler her­um­werfen, ja, immer gern. Dafür per­sön­liche und finan­zielle Ver­ant­wortung über­nehmen? Och, nööööööö …