Keiner hätte damit gerechnet. Der WDR schreibt: „Das Urteil gegen die ehemalige Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) ist bei den derzeitigen Kandidaten für das Amt mit Überraschung aufgenommen worden.“ Das heißt nichts anderes, als dass der Schreck den Politikern in die Glieder gefahren ist: Was? Politiker müssen für den Schaden geradestehen, den sie angerichtet haben?! Ja, da staunt man. Sowas gibt es wohl doch. Da machen sie große Augen und dicke Backen, die Oberbürgermeisterkandidaten. Man kann zur Rechenschaft gezogen werden. Macht es das Amt und Würden des Oberbürgermeisterseins gleich deutlich weniger attraktiv?
Frau Ex-Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und Stadtdirektor Arno Hüber müssen laut Gerichtsurteil jeweils eine Million Euro Schadensersatz bezahlen. Es geht um den WCCB-Skandal, in dem beide in politischer Verantwortung stehenden Politiker damals einen enormen Schaden in Kauf genommen haben – und jetzt dafür auch (teilweise) aufkommen müssen.
Ein kurzer Rückblick: Was war der WCCB Skandal?
Im Jahre 2004 – also vor 16 Jahren — suchte die Stadt Bonn einen Investor für das Bauvorhaben des WCCB (World Conference Center Bonn). Nachdem die deutsche Hauptstadt 1990 nach Berlin verlegt worden war und Bonns Bedeutung beständig schrumpfte, musste Bonn gegen den Abstieg zum verschlafenen Provinzstädtchen kämpfen. Am 01. Juli 1999 fand die letzte Sitzung des Deutschen Bundestages in Bonn statt. Den neuen Plenarsaal übernahm das „Internationale Kongresszentrum Bundeshaus Bonn“, das heutige World Conference Center Bonn. Das WCCB sollte ein wichtiger Baustein sein. Kongresszentrum und Hotel sollte es sein. Internationale Konferenzen sollten hierher geholt werden.
Die Stadt Bonn ließ einen „unabhängigen“ Berater die Investor-Interessenten prüfen. Das allein entwickelte sich schon zum Debakel: Nachdem die WCCB-Projektgruppe der Stadt Bonn das Berater-Budget verbraucht hatte, waren noch Rechnungen von 32.115 Euro offen. Diese Honorar-Summe zahlte der koreanische Investor-Bewerber „Hyundai“ auf Initiative der städtischen Projektgruppe. Daraufhin sprach der Berater SMI sich für Hyundai als Investor aus. Weitere Zahlungen an den Berater folgen, die in einigen Schriftstücken als „Schmiergeld“ bezeichnet werden. Ein solventer Mitbewerber aus den Niederlanden findet keine Beachtung.
Einige Zeit später wird ein Strafverfahren gegen den Berater wegen „Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr“ eingeleitet. Es geht um150.000 Euro, doch das Verfahren wird eingestellt. Wenig später verweigert die Bonner Sparkasse einen 74,3‑Millionenkredit für den Investor Hyundai, weil dessen Bonitätsprüfung negativ ausfällt. Irgendwie hatte er überraschenderweise doch nichts mit dem großen Konzern Hyundai zu tun und nicht genug finanzielle Feuerkraft.
Nur unter der Bedingung, dass die Stadt Bonn für den Kredit bürgt, kann er bewilligt werden. Weil das de jure aber nicht geht, wird die Bürgschaft zwar dennoch übernommen, jedoch nebulös als „Nebenabrede“ vertuscht, weil die Bezirksregierung Köln eine kommunale Bürgschaft für eine private Firma gar nicht genehmigen darf. Das Ganze findet unter der Decke und heimlich statt, denn der Stadtrat darf nichts erfahren. In allen Papieren, die ihm vorgelegt werden, steht weder etwas von der Kreditsumme von 74,3 Millionen Euro und auch kein Wort von einer „Bürgschaft“. Nur irgendwo im Text steht eine harmlos klingende Formulierung, die besagt, dass die Stadt im Fall eines Heimfalls (nach der Bauphase) möglicherweise für den Kredit, den der Investor Hyundai aufgenommen hat, haften könnte. Der Rat der Stadt Bonn stimmt im Dezember 2005 für Hyundai als Investor. Das Projekt soll den Bonner Bürger Null Euro kosten.
Nun, das war schon ein ziemliches Täuschungsmanöver, aber es kam noch schlimmer. Im März 2007 unterschrieb die Leitung der Stadtverwaltung eine Nebenabrede, aber es war nicht die, die vom Rat der Stadt Bonn abgesegnete, sondern eine andere, die die Bürgschaft nicht NACH, sondern WÄHREND der Bauphase festschrieb. Der Stadtrat wusste das nicht, aber es war unterschrieben und damit lagen nun mit der Unterschrift alle Risiken des Mega-Bauprojektes WCCB bei der Stadt Bonn und damit beim Steuerzahler. Und doch ging das alles noch zwei weitere Jahre gut.
Im Jahr 2009, im Frühsommer wurde eine weitere „Nebenabrede“ vom Stadtrat abgenickt. Es ging um zusätzlich 30 Millionen Euro. Ein Baustopp musste verhindert werden. Was der Stadtrat nicht wusste: Mittlerweile war das WCCB in das Eigentum einer zypriotischen Investmentfirma übergegangen. Aber das weiß der Stadtrat nicht. Auch nicht, dass eine hawaiianische Firma sich ebenfalls als Eigentümer des WCCB sieht. Das Kuddelmuddel wird perfekt, indem die Sparkasse Bonn irgendwie mit der Bonner Stadtverwaltung eine Vereinbarung getroffen hat, dass die Bank 15 Millionen Euro einbehält, weil sie ja das Eigenkapital der Hyundai-Investorgesellschaft vorfinanziert – aber das Geld nie gesehen hat.
Im September fliegt die ganze Sache auf. Nach einem Kassensturz stellt sich heraus: Das angebliche Null-Euro-Projekt WCCB kostet in Wirklichkeit 300 Millionen.
Oberbürgermeisterin Dieckmann will von allem erst 2008 erfahren haben
Das Verwaltungsgericht Köln hatte das zweifelhafte Vergnügen, das ganze verschachtelte Gewurstel und die Täuschungen und Betrügereien aufzuarbeiten. Die Stadt Bonn verklagte die ehemalige Oberbürgermeisterin auf Schadensersatz. Am Donnerstag vor einer Woche traf das Gericht eine Entscheidung: Die SPD-Politikerin Bärbel Dieckmann muss eine Million Schadensersatz an die Stadt Bonn zahlen und zwar persönlich. Da das Gericht ihr bei dem ganzen, sich jahrelang entwickelnden Skandal „grobe Fahrlässigkeit“ bescheinigte und damit eine Verletzung ihrer Dienstpflichten, muss sie persönlich haften.
Eine interessante Tatsache, die sich möglicherweise auch auf einige andere Politiker, gerade auf dem Hintergrund der Corona-Krise übertragen ließe.
Frau Dieckmann ist versierte Politikerin und versucht, das Urteil mit Polit-Geschwurbel zu kontern: „Gerade das Wissen darum, in welch großer Verantwortung wir bei diesem Projekt waren, hat uns zu sehr präziser Arbeit angehalten.“ Nun, wer eine unzulässige, hochriskante, angebliche „Nebenabrede“ nach der anderen einem Rat unterschiebt und etwas ganz anderes von der Verwaltung unterschreiben lässt, kann sich nicht darauf berufen, dass auch andere ja von den Unredlichkeiten wussten. Präzise scheint in diesem Zusammenhang nur der Plan ausgedacht gewesen zu sein, das Ding irgendwie durchzuziehen, auch mit fragwürdigen Methoden.
Gericht zieht Politiker zur Verantwortung – die Politik reagiert „irritiert“
Mitverantwortlich ist auch der Bonner Stadtdirektor Arno Hüber, der Frau Dieckmann offenbar hilfreich zur Seite stand. Auch er wies die Vorwürfe zurück, wurde aber ebenfalls zu einer Million Strafzahlung verurteilt. Der Investor, nach dessen Insolvenz ein jahrelanger Baustopp folgte, wurde vom Bonner Landgericht wegen Betruges zu einer Haftstrafe verurteilt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Frau Dieckmanns Anwalt sagte, seine Mandantin werde nach Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden, ob sie in Berufung gehe.
Bemerkenswert sind die Reaktionen von heutigen Bewerbern für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Bonn auf dieses Urteil. Der WDR berichtet:
„In 25 Jahren Verwaltungsdienst habe er so ein drastisches Urteil noch nicht erlebt, sagte der amtierende und wieder kandidierende Bonner Oberbürgermeister, Ashok Sridharan, CDU. Er werde in Zukunft besonders vorsichtig sein. Auch seine Gegenkandidatin Katja Dörner (Grüne) zeigt sich irritiert. Trotzdem dürfe man keine Angst vor Entscheidungen haben. SPD-Bürgermeisterkandidatin Lissi von Bülow fordert für die Zukunft einen klareren rechtlichen Rahmen als Schutz für Amtsträger.“
Da geht wohl ein paar Politikern etwas die Muffe. Mit Geld der Steuerzahler herumwerfen, ja, immer gern. Dafür persönliche und finanzielle Verantwortung übernehmen? Och, nööööööö …
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.